Mittwoch, 14. März 2012

Hiob - Leiden und Gerechtigkeit


Markus Witte (Hg.): Hiobs Gestalten. Interdisziplinäre Studien zum Bild Hiobs in Judentum und Christentum.
Studien zu Kirche und Israel
(Hg.: Institut Kirche und Judentum), Neue Folge 2
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Leipzig. EVA 2012, 157 S., zahlreiche Abbildungen., Register
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ISBN 978-3-374-03013-2
Der Leiter des Instituts für Kirche und Judentum und Alttestamentler an der Humboldt-Universität Berlin, Markus Witte, hat zusammen mit Fachleuten der biblischen Exegese, der Religionswissenschaft, der Religionspädagogik und Kunstdidaktik sowie einer Bildhauerin die facettenreiche Gestalt des Hiob interdisziplinär herausgehoben. Er hat dies authentisch-dialogisch durch die Einbeziehung von Chaim Z. Rozwaski, dem Präsidenten der Berlin Yeshiva Academy und Rabbiner der orthodoxen Lev Tov-Synagoge verstärken können. Die Beiträge „bilden“ einen Zwischenstand ab, nämlich im Kontext eines Hiob-Symposiums anlässlich des 50jährigen Bestehens des renommierten Instituts für Kirche und Judentum – Zentrum für christlich-jüdische Studien an der Humboldt-Universität Berlin. Der Band ist zugleich der mit 36 Jahren verstorbenen jüdischen Religionswissenschaftlerin Francesca Yardenit Arbertini gewidmet. 
Hiob spielt sowohl im Judentum wie im Christentum eine bedeutende Rolle, übrigens auch im Islam, worauf im Buch allerdings nur Francesca Y. Albertini eingeht (vgl. z.B. Navid Kermani: Der Schrecken Gottes. Attar, Hiob und die metaphysische Revolte. München: C.H. Beck 2005). Insgesamt gelingt es, eine gemeinsame Deutungs-Basis zu legen: Die Gestalt des Hiob stellt menschlich erfahrene Grundmuster des Lebens zwischen Erfolg und Unglück dar. Das Buch Hiob führt „in einen seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. im alten Vorderen Orient literarisch artikulierten Diskurs über göttliche und menschliche Gerechtigkeit, über die Leistungsfähigkeit von Weisheit, über die Wege der Gotteserkenntnis und über die Bewältigung existentieller Krisen“ (S 5).
Die wesentlichen literarischen und theologischen Fragen des biblischen Hiobbuches werden nun in ganz unterschiedlicher Weise angegangen: Der Göttinger Alttestamentler Hermann Spieckermann spannt seinen Beitrag in das thematische Dreieck von Wunden – Wunder – Weisheit. Von den entscheidenden Wundern Gottes bleiben selbst die Weisesten ausgeschlossen, und Gott ist in seiner Erkenntnislosigkeit zu fürchten (S. 28). Das machen besonders die Elihu-Reden des Hiobbuches deutlich. Auch Tanja Pilger von der Humboldt-Universität Berlin untersucht das hinter den Elihu-Reden (Hiob 32-37) stehende Bild eines sich offenbarenden Gottes, der durch Visionen, Träume und Leiden; aber auch durch gnädige Zuwendung erzieht. Der Herausgeber Markus Witte selbst bezieht sich auf die jüdische Auslegung im Hiob-Targum, um von daher Hiob in die Erzväter-Tradition Israels einzuordnen und dann neutestamentlich den Bogen Hiob – Adam – Christus zu spannen. Dadurch wird auch die Verbindung zur altkirchlichen Hiob-Auslegung erhellt, die es einzelnen Kirchenvätern erlaubt, Hiob als Vater der gesamten Menschheit zu sehen.
Der von der verstorbenen Francesca Y. Albertini aufgenommene Beitrag konzentriert sich auf wenige Verse in Hiob 2 – die berühmte „Wette“ zwischen Gott und Satan. Sie zeigt dies im Kontext der jüdischen Philosophie im Mittelalter und in der Neuzeit. Darum geht sie den religionsgeschichtlichen Ursprüngen des Hiob-Prologs nach. und hebt zugleich die Verbindung zur islamischen Hiob-Auslegung (besonders der Mu’taziliten) hervor. Drei Autoren stehen im Mittelpunkt. Für das Mittelalter Sa’adya Gaon, der in Satan den aristotelischen Philosophen sieht, während Martin Buber und Franz Rosenzweig als Vertreter der Neuzeit im Satan die negative Kraft „personifiziert“ erkennen, die Vernunft und ethisches Handeln vernichten. Und es bleibt besonders nach der Shoah die Frage: „Wenn Gott nach Gerechtigkeit handelt, was ist der Sinn des Prologs?“(S. 74).
Der Präsident der konservativen Yeshiva-Akademie Chaim Z. Rozwaski geht unter den Gesichtspunkten von Trauer und Leiden auf die Zeitlosigkeit der Hioberfahrungen ein. Gerechte und Unschuldige sind vom Leiden nicht ausgenommen, was die Freunde (Hiobs) oft genug missverstehen. Hilfsbedürftigen muss bedingungslos Hilfe erwiesen werden – das ist Gottes Wille. Der Frankfurter Kunsthistoriker Martin Büchsel untersucht das Hiob-Salomo-Portal in Chartres auf seine Programmatik: „Hiob und der Weltenrichter werden im >Schmerzensmann< eins“ (S. 87). Die Intentionen der Auftraggeber scheinen darin zu gipfeln: „Hiobs Klage wird zur Klage Christi über die Qual seiner Passion … Die Klage verwandelt sich in die Aufforderung zur compassio, in das Bewusstsein, dass jedes Dulden nur ein Spiegel des Duldens Christi sein kann“ (S. 104). Die beigefügten Bilder von Dürers Schmerzensmann, über Ausschnitte des kommentierten Portals in Chartres und andere Kathedralfiguren bis hin zu entsprechenden Szenen in biblischen Buchmalereien signalisieren damit heilsgeschichtliche Wirkung.
Mit einer imaginären Gottesverfluchung, die die Hiobgestalt dramatisch zuspitzt (so im Roman von Joseph Roth (1894-1939) eröffnet Georg Langenhorst ein teilweise beklemmendes Panorama der Hiob-Literatur im 20. Jahrhundert. Der katholische Religionspädagoge von der Universität Augsburg lässt bekannte und weniger bekannte (deutsche) Schriftsteller mit jüdischen Wurzeln und oft expressionistischer Ausprägung Revue passieren. Einige werden besonders hervorgehoben. Das Hiobprojekt von Margarete Susman (1872-1966) verknüpft sich durch die Ereignisse zwischen 1933-1945 unmittelbar mit dem Schicksal des jüdischen Volks. Exil und Vernichtung werden zu Schicksalszeichen, die sich in die jüdische Literatur eingraben. Mascha Kaléko (1912–1975) kommt mit dem Gedicht „Enkel Hiobs“ zu Worte, Karl Wolfskehl (1869–1948) beschreibt sich selbst in der Typik Hiobs. Auch für Yvan Goll (1891–1950) wird Hiob zur autobiografischen Deutefigur. Offensichtlich angeregt durch ein Gespräch mit Nelly Sachs in Zürich (Mai 1960) sieht der Lyriker Paul Celan (1920–1970) die Shoa im Zeichen Hiobs und die Fast-Un-Möglichkeit des Glaubens an Gott nach Auschwitz. Mit dem Widerspruch eines sich nicht unterwerfenden und für menschliche Gerechtigkeit einstehenden Hiob bei Elie Wiesel (1925–2009) werden Fragen verschärft, die von jüdischen Theologen, Psychologen und Schriftstellern, immer wieder an die Hiob-Deutung im Kontext der Shoa gestellt werden.
Dies ist ein notwendiges und nachdenklich machendes Buch, dessen Stärke in besonderer Weise darin liegt, wie die verschiedenen Denker/innen das Bild Hiobs exegetisch aktualisierend oder mit künstlerischen Stilmitteln aufleuchten lassen. Die Autor/innen leisten damit einen wichtigen Beitrag zum christlich-jüdischen Dialog.
Reinhard Kirste
Rz-Witte-Hiob, 14.03.12

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