Montag, 1. August 2016

Buch des Monats August 2016: Position beziehen

Friedrich Schorlemmer: Unsere Erde ist zu retten.
Haltungen, die wir jetzt brauchen.

Freiburg u.a:. Herder 2016, 157 S.
--- ISBN 978-3-451-34978-2  ---
In einer Zeit sich überstürzender Gewaltereignisse ist ethische Orientierung besonders wichtig. Aber oft sind nicht die moralischen Appelle das Entscheidende, sondern die Menschen, die sie zum Ausdruck bringen. 
Der evangelische Pfarrer Friedrich Schorlemmer (geb. 1944) aus Wittenberg gehört zu diesen Persönlichkeiten, denn er steht für das ein, was zu sagen notwendig ist.
Das hat er bereits in der DDR gezeigt, als er – der engagierte Friedensaktivist – in einer Symbolaktion im September 1983 mit Gleichgesinnten ein Schwert zu einem Pflug umschmiedete.
Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass das Wunder Erde friedlich erhalten bleiben muss. So gehören für ihn das Lob der Schöpfung und die Sorge um die bedrohte Erde zusammen (S. 17).

Hinzu kommt, dass Schorlemmer eine klare wirkmächtige Sprache hat, der es gelingt, die Dinge sehr schnell auf den Punkt zu bringen. Vor uns liegt ein engagierter Essay, der nicht belehren, sondern verdeutlichen will, nämlich dass die Zeit des Zusehens, Nicht-Handelns und Gewährenlassens endgültig vorbei ist.
Der Einstieg in das Thema wirkt wie eine sanftmütige Provokation. Der ehemalige Prediger an der Wittenberger Schlosskirche schreibt als Prolog einen Brief an den „Bruder“ Papst Franziskus und versucht damit eine Brücke der Versöhnung vom Wittenberg der Reformation nach Rom, dem Zentrum der Katholischen Kirche, zu schlagen. Den Protestanten fasziniert, wie der Papst sich auf die Seite der Elenden und Unterdrückten stellt und die Verantwortung für die geschundene und höchst gefährdete Erde anmahnt. Die päpstliche Enzyklika „Laudato Si“ wird für den Pfarrer darum zu einem Weckruf. Die direkten und indirekten Bezugnahmen darauf durchziehen das ganze Buch.
Die einzelnen Abschnitte des Buches sind von ökumenischer Weite geprägt. Denn die Erde ist das Haus Gottes für alle Menschen. Solche religiöse Vorgabe ist Anlass, dankbar zu singen. Man muss sich allerdings auch um die die drohenden Gefahren in einer globalisierten Welt Sorgen machen, damit nicht die Nachkommen an den weitgehend selbst gemachten Problemen zugrunde gehen. Von daher fordert Schorlemmer Haltungen ein, „die unsere Welt braucht“: An Albert Schweitzer erinnernd, nennt er die Ehrfurcht vor dem Leben. Es folgen: Verantwortung übernehmen, Vorausdenkend handeln, Eingreifen und tun was recht ist, Den Weg des Friedens gehen, Umdenken und umsteuern, Einfach dankbar sein, Barmherzigkeit üben, Zu sich selber kommen, Staunend leben.
Bei allen Zukunftsträumen erinnert Schorlemmer daran, dass nicht mehr viel Zeit zum Umsteuern bleibt. „Alles Voll-und Großmundige ist uns vergangen mit dem Scheitern des Sozialismus, mit der nach Ende der Blockkonfrontation ausgebliebenen Friedensdividende, mit dem Desaster der Weltarmutskonferenz der UNO in Rom, mit der Mauer der Aussichtslosigkeit durch das Heilige Land, mitten durch die interreligiöse Hoffnungsstadt Jerusalem“ (S. 26). Aber gegen die erdrückenden Erfahrungen von Konflikt, Leid, Hunger, Flucht, Klima-Katastrophe setzt der Autor ein positives „Vielleicht“:
„Das Vielleicht bricht den Kreislauf des erbarmungslosen Faktischen, der eisernen Notwendigkeiten, der unbeeindruckbaren Kausalitäten auf“ (S. 26).
Der Schlussabschnitt des Buches ist ein doppelter Epilog. Schorlemmer lässt eine 1982 unter den Bedingungen der DDR formulierte Vision erneut aufleuchten „Eines Tages / als wir erwachten / war alles verändert“ (S. 148): Es wäre der wahr gewordene Traum von menschenwürdigen Städten und Dörfern, einer gesundeten Landschaft, von ökologisch verantwortlichen Fortbewegungsmitteln und einer Gesellschaft, in der die Verdienstunterschiede minimal wären (S. 149). Es ist und bleibt die Vision einer glücklich machenden Einfachheit, die nichts mit Einfältigkeit zu tun hat. Dieser Vision schließt Schorlemmer Pfingsten 2016 die konkrete Utopie für ein Ökumenisches Konzil an. Dieses „solle sich ausdrücklich davon fernhalten, gegenseitig Häresien zu identifizieren. Man solle kommunizieren, nicht exkommunizieren“ (S. 153). In Hans Küngs Weltethos sieht er dafür einen wichtigen Ansatz. Die historischen Konfessions-Differenzen müssten zweitrangig werden.
Es wäre noch schöner gewesen, wenn Schorlemmer in seiner Vision eines Ökumenischen Konzils ausführlicher die anderen Religionen mit einbezogen hätte (vgl. S. 152) Immerhin  gibt es solche religiösen Friedenspotentiale, wie sie zum ersten Mal beim Weltparlament der Religionen schon 1893 in Chicago angesprochen wurden. 1993 – ebenfalls in Chicago – nahmen zahlreiche Vertreter/innen der verschiedenen religiösen Traditionen die Vision einer versöhnten Welt wieder auf, indem sie auf die starken Tendenzen zum Frieden, Barmherzigkeit und Liebe innerhalb ihrer jeweiligen Religion verwiesen. Dieses „Parlament“ tagte seitdem mehrfach und zuletzt 2015 in Salt Lake City. Bereits 2009 hatte  die bekannte Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong eine Charter of Compassion initiiert. Konfessionen und Religionen übergreifend wird an das Mitverantwortlichsein in der Welt erinnert:  Nur Kompassion, Mitfühlen und Mitleiden können Wege für eine friedliche und heilvolle Zukunft eröffnen !  

Friedrich Schorlemmer hat mit diesem Buch einen beeindruckenden Anstoß gegeben.
Seine Herausforderung müsste zügig im Sinne der größeren Ökumene der Religionen angenommen und weiter umgesetzt werden. 
Damit der Traum nicht ein Traum bleibt … 
Die Zeit drängt. Das DDR-Friedenssymbol mit dem Bezug auf den Propheten Micha (4,1-8) Schwerter zu Pflugscharen gilt gerade in unserer von Konflikten und Terror beunruhigten Zeit, und zwar in jeglicher ethischen Hinsicht: Für den Frieden, für die Völkerverständigung, für die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse, für die Menschenrechte, für den Dialog der Religionen …
Reinhard Kirste 

Rz-Schorlemmer-Ethik, 31.07.16

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