Mittwoch, 1. Mai 2013

Buch des Monats Mai 2013: Macht und Ohnmacht der Religionen



Heiner Boberski / Josef Bruckmoser: Weltmacht oder Auslaufmodell.
Religionen im 21.Jahrhundert
. Innsbruck-Wien: Tyrolia 2013, 222 S.
--- ISBN 978-7022-3239-9 --- auch als E-Book erhältlich
Kurzrezension: hier

Ausführliche Beschreibung

Die beiden Journalisten und zugleich theologisch kompetenten Sachbuchautoren Heiner Boberski (Wiener Zeitung) und Josef Bruckmoser (Salzburger Nachrichten) nehmen sich in leicht lesbarer, aber keineswegs populistischer Form den Schwankungsfeldern von Religion an. Sie konstatieren für die Gegenwart Ablehnung von (organisierter) Religion einerseits und neue religiöse, oft seltsame Phänomene andererseits. Ihre Einschätzungen sichern sie immer wieder mit statistischen Belegen ab. Hinzu kommen medienwirksame Auftritte religiöser Persönlichkeiten wie die des Dalai Lama und der Päpste. Darum lohnt sich ein genaueres Nachschauen, denn: „Die religiöse Weltkarte ist … im Lauf der Geschichte nie über längere Zeit stabil geblieben, verschiedene Faktoren, darunter oft rohe Gewalt, haben sie immer wieder verändert“ (S. 20).


Der Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner betonte bei der Präsentation des Buches (nach ORF vom 24.03.2013), dass niemand sich über die Zukunft der Religionen fürs erste Sorgen machen müsse. Mit Ausnahme von Europa seien Religionen nämlich weltweit im Aufschwung. Aber ihre Bedeutung wird künftig davon abhängen, ob sie wahrhaftige Religionen der Liebe sind oder nur Spiegelbild einer durch Hass und Gier geprägten Gesellschaft.
In den ersten 6 Kapiteln, zeigt Heiner Boberski, dass Religionen in Europa zur Privatsache geworden sind, aber zugleich voll in die globalen Kräftespiele gerieten und geraten. Die Anzeichen eines „clash of civilizations“ wie ihn Samuel Huntington prophezeite, sind allerdings unterschiedlich deutbar, weil die besagte religiöse Weltkarte divergierende Tendenzen zeigt: Während in (West-)Europa der Abschied vom sog. christlichen Abendland rasante Fortschritte macht, stehen in Afrika und Asien besonders muslimische und hinduistische Glaubenskrieger mit religiöser Scheinargumentation und mehr oder minder eifrige Sinnsucher gleichermaßen im Fokus des Interesses. In den beiden Amerikas mit fast einer Milliarde Menschen zeigt sich eine Gemengelage von zunehmendem protestantischen Fundamentalismus einerseits, und andererseits einer katholischer Kirche, die zwischen Kooperation mit den Mächtigen und einer immer noch lebhaften Theologie der Befreiung schwankt. Hier hätte man sich gern noch ein paar ausführliche Hinweise zu den gerade in Lateinamerika wirkenden Kulten und neureligiösen Bewegungen gewünscht, in denen sich Elemente des Katholizismus mit indigenen Religionen und (neo-)schamanistischen Praktiken mischen.

Schwierig und mit unterschiedlicher Intensität gehen eine Reihe von (keineswegs nur muslimisch geprägten) Ländern in Asien und Afrika mit religiösen Minderheiten um, in die sich nicht selten ethnische Konflikte mischen. Gewalt, Verfolgung und Missachtung der Menschenrechte sind die Folgen. Dass übrigens manche Länder religiöser sind als andere, hat durchweg mit ihrer Geschichte zu tun. Zugleich verschärfen die gegenwärtigen Suchbewegungen und Auseinandersetzungen die Frage, wieweit die Religion „ein Dach für die Seele“ bieten kann (nach Zulehner S. 63). Ein weiteres Phänomen ist der zunehmende Atheismus, der z.T. recht aggressiv auftritt. Die Rede vom „Gotteswahn“ ist dafür symptomatisch. Wie der Atheismus der Gleichgültigen und der Polemiker auch zu beurteilen sei, Tatsache ist, dass die Säkularisierung insgesamt zugenommen hat und die Kirchen dadurch erheblich in die Krise sind. Das zeigt sich auch am erheblichen Mitgliederschwund der Großkirchen. 

Josef Bruckmoser geht in den Kapiteln 7-12 den neuen religiösen Strömungen und ihren mannigfachen Ausprägungen nach: auf der einen Seite die vielen spirituellen Angebote und Praktiken, die weitgehend säkular daher kommen (z.B. Heilung statt Heil, S. 111ff). Auf der anderen Seite nehmen die fundamentalistischen Bewegungen mit ihren absoluten Offenbarungsansprüchen stark zu. Aber nicht nur das. In diesem Kontext weitet sich der Streit um Glaube und Vernunft erheblich aus. Das zeigt sich im christlichen Bereich in der Auseinandersetzung um Darwin und die Evolutionstheorie, im Islam angesichts der dialogoffenen und dogmatistischen Lesarten des Korans. Als besonders verheerend erweisen sich die propagierten Wahrheitsansprüche, die sowohl monotheistische radikale Vertreter aller Schattierungen und islamistische Gotteskrieger in eine seltsame Koalition bringen. Immer wieder geht es darum, die „Ungläubigen“ zu bekämpfen und die Beleidigung religiöser Gefühle am besten mit drakonischen Strafen zu ahnden. Wie soll der Staat mit diesen Extremen umgehen? Auf der einen Seite ist er als wertneutraler Staat Hüter der Religionsfreiheit und muss verhindern, dass Religionen verunglimpft werden, auf der anderen Seite wenden sich Laizisten und Konfessionsfreie teilweise sehr öffentlichkeitswirksam gegen die Privilegien der Religionen (S. 167). Die Befürworter einer Kooperation von Religionen und Staat scheinen dagegen aus Angst vor der Zunahme fundamentalistischen Strömungen in religiösen Parallelwelten zu handeln (S. 169). So halten es Regierungen z.B. in Österreich und Deutschland auch für günstiger, „die religiöse Bildung und Ausbildung in das öffentliche Bildungssystem zu integrieren“ (S. 171). Zwei weitere kritische Punkte tauchen noch auf: zum einen der Vernunftgebrauch zwischen freiem Willen, Moral, Hirnforschung und Glauben und zum andern die Defizite der Frauenemanzipation innerhalb religiöser Organisationen (nicht nur in der katholischen Kirche!). 

Im Schlussplädoyer (Kap. XIII) heben die beiden Autoren gemeinsam die entscheidenden Ebenen für eine künftige gesellschaftliche und inspirierende Bedeutung der Religionen hervor, nämlich ihre ethische Stärke. Sie wirkt sich so am überzeugendsten und die Religionen übergreifend aus (Weltethos), weil sie in dieser Form die Freiheit mystischer Tiefenerfahrung ohne jegliche Rückgriffe auf absolutistische Ansprüche und Weltmacht-Allüren verdeutlicht.

Bilanz
Letztlich wirken Religionen am intensivsten und überzeugendsten mit ihrer dialogischen Friedensmacht, immer wieder geprägt durch Vorbilder des engagiert gelebten Glaubens. So gesehen sind sie keineswegs ein Auslaufmodell. Wichtig aber bleibt, dass nicht immer wieder religiös motivierte Brutalität, diese Versöhnungskräfte diskreditiert. Das vorliegende Buch stellt angenehmerweise nicht nur Fragen oder referiert Gesellschaftsanalysen, sondern zeigt, wie Religionen als Brücken einer gerechten und solidarischen Zukunft der Menschheit dienen können – eine schöne Verbindung und ein wichtiger Aufruf zu respektvoller Verbindlichkeit gegenüber allen Andersglaubenden. Es ist ein Buch, dem man viele Leser wünschen möchte.
Reinhard Kirste 
 
Rz-Boberski-Weltmacht, 27.04.13