Dienstag, 25. Juni 2013

Religionsmonitor 2013: Religiöse Vielfalt in Deutschland

Die jüngst erschienene Studie der Bertelsmann-Stiftung hat ein lebhaftes Medien-Echo hervorgerufen:  

Religionsmonitor - verstehen, was verbindet.
Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland



Die 73 Seiten starke Vorab-Studie haben die Religionssoziologen Detlef Pollack und Olaf Müller (beide Universität Münster) erarbeitet. Sie ziehen aufgrund des statistisch erhobenen Materials und entsprechender Auswertungen eine erste vorläufige Bilanz in vier Themenfeldern:

  1. Abnehmende Kirchlichkeit, Marginalisierung von Religion und Interesse an alternativer Religiosität.
  2. Die Bedeutung von Werten für die menschliche Gesellschaft, die weithin nicht mehr religiös begründet werden.
  3. Die erstaunliche religiöse Vielfalt in Deutschland, die zum Teil als Bereicherung empfunden wird, ohne dass sehr starke Tendenzen nach praktischer religiöser Begegnung bestehen. Zugleich hat die Islamfeindlichkeit in Deutschland beunruhigende Ausmaße angenommen.
  4. Im Fazit betonen die Autoren, dass angesichts der wachsenden religiösen Vielfalt Menschen in Ost und West die religiöse Pluralisierung als kulturelle Bereicherung, aber auch als Ursache für Konflikte ansehen (S.55). Insgesamt haben trotz der Entkirchlichungs- und Säkularisierungsprozesse Religiosität und religiöse Zugehörigkeit immer noch grundlegende Bedeutung (S. 56).

Die gesamte Studie "Religionsmonitor": hier zum Download 


Eine Reihe von Medien haben aus dieser weitreichenden Analyse den Schwerpunkt ihrer Kommentierung auf die Islamfeindlichkeit gelegt, wie ein Überblick der Pressemeldungen bei Google-News deutlich macht. Damit wird ein lange schon bekanntes gesellschaftliches vourteilsbehaftetes Konfliktfeld auch soziologisch untermauert, das angesichts zahlreicher positiver Einschätzungen von religiöser Vielfalt zu Besorgnis Anlass gibt und dringend auch politisches Gegensteuern erfordert.

Inzwischen ist eine weitere Teilstudie veröffentlicht worden:
"Religiosität im internationalen Vergleich"
,
vgl. dazu die Besprechung: hier

Für die vertiefende Lektüre - Bücher mit Besprechungen zum Thema:



Samstag, 15. Juni 2013

Revisionen im Christentum: Update für den Glauben



Klaus-Peter Jörns: Update für den Glauben.          
Denken und leben können, was man glaubt.
        
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012, 272 S., Abb.
--- ISBN 978-3-579-08145-8 ---

Kurzrezension: hier
 Ausführliche Besprechung
Klaus-Peter Jörns, Gemeindepfarrer, Vikarsausbilder und schließlich Hochschullehrer in Berlin ist eigentlich erst nach seiner Emeritierung durch herausfordernde Vorträge und Publikationen populär und ein wenig umstritten geworden. Der praktische Theologe und Religionssoziologe entwickelte sich zum theologischen Kritiker christlicher Traditionen aus der Erfahrung religiöser Umbrüche in unserer Gesellschaft, die er ausführlich soziologisch recherchierte. 

Dazu sind erschienen: Was die Menschen wirklich glauben (gemeinsam mit C. Großeholz, Gütersloh 1998), und: Die neuen Gesichter Gottes (München 1997, 2. Aufl. 1999).

Jörns macht mit seiner radikalen Kritik auch vor der Bibel nicht Halt. Das belegt besonders das Buch für ein neues Liturgieverständnis: Lebensgaben Gottes feiern. Abschied vom Sühnopfermahl: eine neue Liturgie (Gütersloh 2007). Dem kritischen Theologen geht es also nicht nur um Dekonstruktion, sondern um Neuformulierung christlicher Glaubensinhalte. Dabei muss allerdings einiger Ballast über Bord des kirchlichen Dogmenschiffes geworfen werden.


Das kam bereits 2004 publikumswirksam zum Ausdruck: Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum (Gütersloher Verlagshaus 2004, 5. Aufl. 2010). Praktisch orientiert setzte der Autor zweifach nach: Mehr Leben, bitte! Zwölf Schritte zur Freiheit im Glauben (Gütersloh 2009) und Glaubwürdig von Gott reden. Gründe für eine theologische Kritik der Bibel (Stuttgart 2009).
Im Herbst 2012 erschien dann gewissermaßen eine Zwischenbilanz des bisherigen Weges: Update für den Glauben. Denken und leben können, was man glaubt. Die auch von anderen Autoren schon angesprochene Neuorientierung religiöser Traditionen fordert die Religionen viel mehr heraus, als manche immer noch wahrhaben wollen. So verbietet es sich auch, den Gott der Bibel gegen andere Götter und Göttinnen auszuspielen (S. 234). Angesichts der längst schon selbstverständlich gewordenen Evolutionstheorie und der Ergebnisse aus der Quantenphysik (vgl. S. 241ff. 245ff) weist Jörns vehement eine Sonderwirklichkeit von Glaubensgestalten mit ihren kirchlichen Überwucherungen zurück. Mit der 2012 von Jörns mitgegründeten „Gesellschaft für Glaubensreform“ entwickelt sich ein Forum, das den in dieser Debatte auftauchenden Fragen detailliert nachgeht. So ist bereits im April 2013 der erste Band der neuen Schriftenreihe Schriften zur Glaubensreform erschienen, der die von Jörns mehrfach angesprochene Theodizee-Frage erneut aufnimmt: Lässt Gott leiden? (Gütersloh 2013). Bedenkt man diesen durchaus aufregenden Weg eines mit der kirchlichen Tradition ursprünglich intensiv verbundenen Theologen, dann spürt man in „Update für den Glauben“ den reformerischen Impuls des Autors.

In einem 1. Abschnitt untersucht Jörns Beispiele aus der Bibel, zeigt religionsgeschichtliche Überschneidungen und Einflüsse auf, ordnet sie historisch ein und zeigt dann ihre Aktualisierung. Es sei hier nur die ägyptische Göttin Isis und die „Gottesmutter“ Maria genannt. Von solchen biblischen Bezügen geht der Autor dann auf das Entmythologisierungsprogramm Bultmanns im Sinne einer existentialen Interpretation und auf die feministische Theologie im Zusammenhang der Genderforschung ein. Jörns betont, dass Religionen schon immer ihre alten Überlieferungen veränderten Lebensbedingungen angepasst, also „Updates“ gemacht haben. 

Im 2. kurzen Abschnitt verweist Jörns auf einen Systemwechsel in einigen Religionen. So wird die Sonne Glaubenszentrum sowohl in Nordeuropa wie im Alten Ägypten, die jüdische hebräische Bibel erweitert sich zur interreligiös offenen christlichen Bibel und weiter zum Koran. Hier sieht der Autor eine stringente Entwicklungslinie.

Updates sind also nichts Ungewöhnliches, erweisen sich jedoch für einen lebendigen Glauben als nötig. Darum geht es im ausführlichen 3. Abschnitt.  Das Christentum hat hier keine Sonderstellung! Alle Religionen sind nur Auslegungswege und keineswegs eindeutig, wenn sie von Gott reden. In diesem Kontext muss Bibelauslegung dazu anleiten, innerhalb der Vielfalt der Religionen, Menschen zu einem eigenständigen Glauben zu verhelfen und nicht alte Sprachmuster – etwa ausgesprochen problematische Opfervorstellungen – weiter zu tradieren. Damit kommen immer wieder die entscheidenden Lebensfragen auf die Tagesordnung: Das Ende und Ziel des Lebens, die Bedeutung des Himmels, Unsterblichkeit und Paradies. Gott kehrt sozusagen aus dem „Jenseits“ wieder in die Wirklichkeit des Lebens zurück (S. 121f). Eine so verstandene Menschwerdung Gottes wird zum Muster und Vorbild von Menschlichkeit, wie dies etwa die Seligpreisungen Jesu ausdrücken (S. 215ff).
Die Quintessenz des Buches sehe ich in Jörns‘ offenem Gottesverständnis. Dass er nicht auf Religionstypen eingeht, die ohne Gott auskommen wie der Buddhismus und der Taoismus, verwundert etwas. Denn der Autor versteht unter Bezug auf Teilhard de Chardin Gott als (evolutionären) Geist der Liebe (S. 100f). Vielleicht wird er hier – ähnlich der religionspluralistischen Theologie – weiter vorangehen, so dass er weniger von Gott und mehr vom Göttlichen oder einer letzten entscheidenden Realität zu reden bereit ist. Ein Ansatz dazu ist mit dem Gedanken der Wahrnehmungsgestalten Gottes bereits gemacht:
„Die strikte kategoriale Trennung zwischen den Göttern der >Religionen< und dem Gott >der Bibel< … ist von dem Ansatz meines theologischen Denkens her nicht mehr möglich. Und natürlich sind die Göttinnen gleichrangige Wahrnehmungsgestalten Gottes … Welche Gotteswahrnehmungen dazu helfen, Gott zu verstehen, kann nicht vorweg entschieden werden … Das friedliche Zusammenleben der Religionen mit unterschiedlichen Wahrnehmungsgestalten Gottes ist vielmehr die neue integrale Gestalt von Religion, die es zu suchen gilt“ (S. 234f).

Wir erleben bei Jörns also keinen „Verriss“ von Religion und Glaubensformen, sondern ein religionsgeschichtlich bedachtes, glaub-würdiges und revidierbares Verstehen eigenen Glaubens unter den Bedingungen der Gegenwart.

Reinhard Kirste

 Rz-Jörns-Update, 15.06.13


Samstag, 1. Juni 2013

Buch des Monats Juni 2013: Komparative Theologie als interreligiöse Basis



Francis X. Clooney (Hg. Ulrich Winkler): Komparative Theologie.
Eingehendes Lernen über religiöse Grenzen hinweg
.
Übersetzung: Michael Sonntag.
Beiträge zur Komparativen Theologie, Band 15
Paderborn: Schöningh 2013, 166 S.
--- ISBN 978-3-506-77655-6 --- 

Ausführliche Besprechung
Der Jesuit Francis X. Clooney (geb. 1950) gehört zu den Promotoren der Komparativen Theologie. Er leitet an der Universität Harvard das „Center for the Studies of World Religions“. Inzwischen hat sich eine ganze Gruppe von Theologen unter dieser Thematik zusammengetan. In Deutschland ist besonders Klaus von Stosch mit seinem Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn (
http://kw.uni-paderborn.de/institute-einrichtungen/zekk/) zu nennen. So verwundert es nicht, dass Clooneys komparatives Theologieverständnis in der von Klaus von Stosch herausgegebenen Reihe erscheint und zugleich als unterstützende Argumentation anzusehen ist. Denn Clooney betont wie die meisten komparativen Theologen, dass die globalen Zusammenhänge unserer Welt theologisch umfassend im Vergleich angegangen werden müssten.

In den nicht streng systematisch aufgebauten Beiträgen entfaltet Clooney orientierend im 1. Teil Komparative Theologie“ in ihrer Pluralität mit einer gewissen Abgrenzung gegenüber anderen weitergehenden Ansätzen der religionspluralistischen Theologie, allerdings ohne sich etwa mit John Hick oder Paul Knitter auseinanderzusetzen. Das geeignete Instrument zum Verstehen anderer Religionen und des „Erfolgs“ im interreligiösen Dialog zeichnet sich durch ein respektvolles Zugehen auf das andere Glaubensverständnis aus, und zwar ohne jegliche Vereinnahmungstendenz. Zugleich lassen sich Stärken und Schwächen verschiedener komparativen Ansätze ausdifferenzieren und ihre Tragfähigkeit in der Begegnung der Religionen überprüfen. Dafür gibt es geschichtliche Beispiele. Der Autor bezieht sich darum auf eine Reihe von Vorgängern, besonders aus dem 16. Jahrhundert. Hauptintentionen seiner Arbeit sind jedoch, Ergebnisse aus den Religionsvergleichen zu ziehen und diese beispielhaft zu verdeutlichen. Dadurch können die Partner interreligiöser Begegnung viel voneinander lernen.
Von den heutigen komparativen Theologen stellt der Autor David Tracy, Keith Ward, Robert C. Neville und James Fredericks vor und versucht auch Raimon Panikkar hier einzuordnen. Aber wichtiger als theoretische Auseinandersetzungen und Ausdifferenzierungen sind ihm praktische Versuche, wie er im 2. Teil unter der Überschrift „Theologie komparativ betrieben“ betont. Dies geschieht am besten durch vergleichende Lektüre der Texte verschiedener Traditionen. Ins Detail führt Clooney dies im Hinduismus vor, weil er hier ausführliche Studien über Jahrzehnte gemacht hat. Er resümiert: „Während meine Theologie sicherlich mein Studium Indiens geprägt hat, verdankt sich mein Verständnis komparativer Theologie in starkem Maße der Mimamsa, dem Vedanta und dem Vishnuismus als besonderen, theologisch verstandenen hinduistischen Traditionen“ (S. 90). Sie gehören übrigens zu den sechs klassischen indischen Philosophiesystemen.
Auf diese Weise kann er zeigen, wie durch Lektüre, aber auch durch Begegnungen vor Ort mit anderen Traditionen, komparative Theologie die eigene theologischen Erkenntnisse erweitert und vertieft, so dass z.B. durch das Lernen bei Tempelbesuchen klar wird, dass die Göttin schlechthin sich in vielen Göttinnen manifestiert. So gesehen, erscheint auch die christliche Maria in neuem Licht, wie das in seinem Buch „Divine Mother, Blessed Mother: Hindu Goddesses and the Virgin Mary“ (New York 2005) zum Ausdruck kommt. Ähnliches geschieht, wenn man Maria und Jesus mit muslimischen Augen betrachtet. So verändert sich in der Begegnung mit dem Anderen die eigene christliche Identität. Clooney macht dies konkret und plastisch an Sojourner Truth (1798-1883) fest, einer Sklavin, die aus ihrer Gottes-Begegnung heraus für Freiheit kämpfte und zur berühmten US-Frauenrechtlerin wurde. Dies tat sie, ohne in Verbitterung gegen Gewalt und Leiden in der Sklaverei zu verfallen.
Die spannend zu lesenden Beispiele führen jedoch Clooney nicht in eine nebulöse Offenheit, sondern  zur Konzentration, Christus neu zu sehen – auch im Spiegel der anderen Religionen. Christus lässt sich an den Kreuzungspunkten der Religionen immer wieder entdecken: „Das breitere Lernen muss die Besonderheit des Glaubens nicht untergraben“ (S. 109): Ganz im Gegenteil!
So ist man auf das Ergebnis gespannt, „die Früchte des Vergleichs“, denen sich der Autor im 3. Teil widmet. Für Clooney ist wichtig, komparative Theologie als einen Teilbereich der Theologie insgesamt zu verstehen. Es geht dabei durchaus um Wahrheit, aber so, dass respektiert und berücksichtigt wird, wie sie in anderen Traditionen geglaubt wird. Hierbei wird sorgfältige vergleichende Arbeit geleistet in Verantwortung gerade vor der anderen Religion und ihrer Interpretation aus dem eigenen (Vor-)Verständnis heraus. Das führt zu einem vertieften Verständnis des eigenen Glaubens unter bisher so nicht erkannten parallelen Gesichtspunkten. Beispiele dafür sind das Gottesverständnis, die Begegnung mit den Göttinnen sowie der Bedeutung der Hingabe für das eigene Glaubensleben. Clooney belegt dies an der Geschichte einer indischen Heiligen mit dem entscheidenden Vers zum Gottesbild: „Welche Gestalt sein Volk auch immer erfreut, das ist seine Gestalt; welcher Name sein Volk auch immer erfreut, das ist sein Name …“ (S. 130). Also Gott ist der, in dessen Gestalt er erfahren werden kann (S. 138). Von hier aus holt Clooney als katholischer Theologie gewissermaßen den Hl. Ignatius ins Boot seines komparativ ausgerichteten Glaubens: „Gott wirkt in Übereinstimmung mit den Vorstellungsakten der Meditierenden“ (S. 144). Das schließt eine mehrfache religiöse Zugehörigkeit (multiple religiöse Identitäten, S. 129) keineswegs aus, weil Gott sich dort finden lässt, wo immer wir ihn suchen. 
Clooney weist daraufhin, dass Christentum und Hinduismus auf diese Weise füreinander durchlässige Religionen werden können. Das sind neue Möglichkeiten, von denen ich den Eindruck habe, als lägen Clooneys Überlegungen näher bei der religionspluralistischen Theologie, als es den ersten Anschein hat. Es ist die Erfahrung einer globalen interreligiösen Begegnung, dass diese den eigenen Glauben bereichert und vertieft. Komparative Theologie ist darum nicht nur etwas für Theologen, sondern auch für Christen die Möglichkeit, Christus neu zu entdecken.
Reinhard Kirste

 Rz-Clooney, 31.05.13