Mittwoch, 31. Dezember 2014

Vertiefter Dialog zur (inter-)kulturellen Transformation



Leonard Swidler: Dialogue for Interreligious Understanding.
Strategies for the Transformation of Culture-Shaping Institutions.
New York /London: Palgrave: Macmillan 2014, 212 S., Index
--- ISBN 978-1-137-47119-2 ---

Kurzrezension: hier

Ausführliche Beschreibung
Mit diesem Band verdeutlicht Leonard Swidler  (geb. 1929), welche Ziele er von Anfang an verfolgte, als er den interreligiösen Dialog zu seinem Forschungs- und Lebensschwerpunkt machte. Der katholische Theologe lehrt seit 1966 an der Temple University in Philadelphia (USA) „Catholic Thought and Interreligious Dialogue). Er hat nicht nur die renommierte Zeitschrift Journal of Ecumenical Studies (zusammen mit seiner Frau Arlene) gegründet, sondern auch das Dialogue Institute, dessen Präsident er seitdem ist, und das er derzeit in ein internationales Netzwerk von Dialog-Instituten einbindet. Len Swidler hat viele Bücher geschrieben bzw.  mit anderen Theologen und Religionswissenschaftlern herausgegeben. Als Gastprofessor hat er an vielen Universitäten weltweit Vorlesungen gehalten und tut dies immer noch.

Dieses Buch verbindet vieles von dem Bisherigen im Sinne einer „hilfreichen Kombination“ von theoretischen Ideen und praktischen Projekten (S. 3). Es ist ein Dialog über den Dialog. Das macht zugleich den Reiz der hier vorliegenden Texte aus. Einige hatte Swidler schon früher veröffentlicht. Sie sind nun teilweise überarbeitet und sollten als Einladung für einen vertieften Dialog verstanden werden. Diesen beschreibt Swidler zugleich als einen Weg, in dem kritisches Denken, emotionale Intelligenz und sich gegenseitig anspornende Kooperation zusammenkommen. Die Texte aus diesem Buch spiegeln darum die verschiedenen Aspekte von „deep dialogue“ und können als dialogisch-biografische Bilanz verstanden werden, die sich aus 60 Jahren Arbeit interreligiöser Begegnung ergeben haben. Daraus lassen sich für jede/n Leitlinien ableiten, nicht nur, wie man/frau sich am besten auf die Begegnung mit Menschen und Glaubensgrundsätzen anderer Religionen einlässt, sondern auch, wie sich destruktive Diskussionsversuche vermeiden lassen.

Mehr zu Leben, Werk und Veröffentlichungen von Leonard Swidler: http://religiositaet.blogspot.de/search?q=Swidler.

Den Dialog über den Dialog geht Swidler nun als „virtue and way“ an, als vertiefter Dialogs durch critical-thinking with emotional intelligence und als „competitive cooperation“ im Sinne des griechischen dia-logos (bes. S. 35-46). Er gliedert die Texte dreifach: Hintergründe von Dialog und Religion, Beschreibung der (theoretischen) Grundlagen und Folgerungen für die Praxis. Den Schwerpunkten Tugend und Weg, kritisches Denken, emotionale Intelligenz und wetteifernde Kooperation sind gewissermaßen die Schwungräder, mit denen der tiefe Dialog Fahrt bekommt. In unterschiedlichen Aspekten und Themenstellungen wie in konzentrischen Kreisen wird somit der interreligiöse Verständnisweg  beleuchtet.

Teil I: Allgemeiner Hintergrund und Orientierungslinien

Im Beitrag “What is Religion?” zeigt er, dass Religion authentisch im Zusammenhang von „within me, between me and thee“ (S. 11) gelebt wird und so auch Religionsvergleiche immer Respekt und Verständnisannäherungen gleichermaßen beinhalten (sollten). Im Folgenden weitet er die dialogische Sichtweise kosmisch aus – Dialog als Tanz, der Kopf, Herz, Hand, Heiligkeit d.h. Menschsein in seiner ganzen Fülle einschließt. Der dialogische Weg geht von der Differenz in die Konvergenz. Mit seiner Frage „What is Dialogue?“ und „Deep Dialogue“ zielt er bereits auf Dialog als „two-way communication (S. 19). Verschiedene Typen des Dialogs richten sich letztlich alle an der Nortwendigkeit eines menschenwürdigen Miteinanders aus, das von der gegenseitigen, kreativen Herausforderung lebt, was  übrigens das Wort djihad in seiner ursprünglichen Bedeutung beinhaltet (S. 43). Hier ist Swidler an einer seiner frühesten ethisch-religiösen Vermittlungsthesen (zuerst 1978) angelangt. 
Der Dialog- Dekalog führt zu den Wesenselementen einer “pastoral education“ (S. 59):

1.   Be Open Within! – Sei offen in/zu dir selbst!

2.   Attend! – Begleite achtsam!

3.   Be Open Between! – Sei offen im “Zwischen”!
      (d.h. immer unter Einbeziehung der „anderen Seite“)

4.   Be Honest and Trusting! – Sei ehrlich und vertrauenswürdig!

5.   Cultivate Personal Trust! – Pflege persönliches Vertrauen!

6.   Don’t Prejudge; Compare Fairly! Vor-urteile nicht; vergleiche fair!

7.   Define Yourself – In Dialogue! – Definiere dich selbst – im Dialog!

8.   Treat Others Equals! – Behandle andere als gleiche!

9.   Be Healthy Self-Critical! –  Sei heilsam selbstkritisch!

10. Reach out, Pass over and Return! –
      Geh hinaus, überschreite Grenzen und komm zurück!

Teil  II: Theoretischer Hintergrund

Hier stellt Swidler Grundlagen des vertieften Dialogs vor, die eine segensvolle Interaktion ermöglichen. Es sind Basisregeln für den interreligiösen und interideologischen Dialog, die sich alle im Dialog- Dekalog  konzentrieren und praktisch realisieren lassen. Swidler spielt hier individuell, sozial und politisch beispielhaft durch, was dieser „Deep-Dialogue Decalogue“ bewirkt und bewirken kann. Denn er vermeidet destruktive und im Desinteresse verharrende Dialoge.  Vielmehr wird gegenseitiges Lernen und gegenseitige Verwandlung für Integration geleistet. Das ist durchaus machbar: der Dialog-Dekalog wird aufgrund gegenseitiger Erfahrung zu einer Vision und einem globalen Erwachen, das bisheriges Verhalten generell ändert.  Es geht um die Einübung in neue Verhaltensweisen (mit ganz praktischen Übungsbeispielen!). Daraus folgt die Erkenntnis, wie die Werte der Anderen das Eigene bereichern und vertiefen und so eine win-win-Situation für alle Beteiligten entsteht.

Teil III und IV: Implikationen und mögliche Applikationen (Anwendungen)

In diesen „Praxisteilen“ setzt Swidler gewissermaßen sein Basiskonzept des „Deep Dialogue and Deep-Decalogue-Dialogue“ in Optionen und Forderungen für die Kindererziehung und die Lehrerausbildung um, bis hin zu einem konkreten „11 Stufen Studienprogramm“ und einem 32 Stunden-Seminar für „Senior Executives“ (S. 185-192). Basis bildet ein Sieben-Punkte-Programm für eine ganzheitliche Bildung und Erziehung (S. 99-102), die sich inhaltlich auf die Weltethos-Erklärung bezieht. Leonard Swidler hat an der Vorbereitung wesentlich mitgewirkt (S. 149-167) und die Erklärung weiter überarbeitet (S. 169-175). Sie wurde zuerst im Rahmen des Weltparlaments der Religionen in Chicago 1993 veröffentlicht:   http://www.nachhaltigkeit.info/artikel/parlament_der_weltreligionen_750.htm                 
Die daraus abzuleitenden ethischen Folgerungen – heraus aus dem Zeitalter des Monologs, hin zu einem Zeitalter des globalen Dialogs – signalisieren für Swidler den Beginn einer neuen Achsenzeit. Eine verbindliche globale Ethik muss in die jeweilige Gesellschaft hinein transferiert werden und sich bis in die Gesetzgebung hinein auswirken. Es muss wirklich „Business in Dialogue“ geben, und zwar auf der Basis einer Humanität ohne Vorbedingungen. Hier erhofft sich Swidler ein „Global Dialogue Network for Ethical and Spiritual Values“, in das sich die führenden Köpfe der Welt aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft, aus Politik, Philosophie, Naturwissenschaften und Religionen einbringen sollten. Im Kontext einer dialogischen Spiritualität müssen ethische Standards festgelegt und implementiert und auch überwacht werden, um Gerechtigkeit zu ermöglichen (S. 169f).

In seiner „Conclusion“ wünscht sich Swidler, dass die von ihm hier bilanzierten Gedanken nicht nur visionär wirken mögen, sondern dazu führen, dass viele Menschen diese miteinander im Sinne einer Global Business-Ethik teilen. Sie ist eine von allen geschätzte Tugend und ein Lebensstil, der das Wort Dia-Logos wirklich verdient. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn dieses noch recht weit gespannte Netzwerk in den nächsten Jahren enger geknüpft wird. Leonard Swidler hat dazu eine wichtige Grundlegung geleistet. Angesichts all der brutalen Konflikte und des unsäglichen Leids vieler Menschen wäre zu wünschen, dass sich viele Einzelne, aber auch Städte und Staaten bewusst darauf einließen. Von daher erscheint es geradezu dringend, dass dieses Buch auch in anderen Sprachen und bald in Deutsch erscheinen könnte.

Reinhard Kirste

Rz-Swidler-Dialogue, 30.12.14 



Mittwoch, 17. Dezember 2014

Christentum und Islam - Theologische Verständigungswege



Susanne Heine / Ömer Özsoy /
Christoph Schwöbel / Abdullah Takim (Hg.):
Christen und Muslime im Gespräch.
Eine Verständigung über Kernthemen der Theologie.

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
(Random House) 2014, 384 S.,
Zeittafel, ausführliches Register
---  ISBN 9783579081793 ---

Ausführliche Besprechung

Das vorliegende umfangreiche Buch ist nicht einfach ein Zusammenschnitt mehrerer  internationaler Konferenzen an der Universität Wien in den Jahren 2007–2010. Vielmehr wurde hier ein christlich-islamischer Gesprächsprozess von theologischen Fachleuten sorgsam protokolliert und redaktionell in Form gebracht. Die zur Sprache gekommene thematische Vielseitigkeit zu bündeln, haben dann die vier Herausgeber geleistet: 


Susanne Heine (evangelisch, Praktische Theologie, Universität Wien), Ömer Özsoy (islamisch, Koranexegese, Universität Frankfurt/M.), Christoph Schwöbel (evangelisch, Systematische Theologie, Universität Tübingen), Abdullah Takim (islamisch, Koranexegese und Islamwissenschaft, Universität Frankfurt/M.). Hinzu kamen neben den Herausgebern als christliche Gesprächspartner: Klaus Hock (Universität Rostock), Christian Danz und Wolfram Reiss (Universität Wien). Als muslimische Partner wirkten weiterhin mit: Serdar Kurnaz und Serdar Günes (Universität Frankfurt/M.), Mouhanad Khorchide (Universität Münster), Yasar Sarikaya (Universität Gießen), Amir Zaidan (Islamologisches Institut Wien) und Senad Kusur (Imam einer bosnischen Gemeinde in Niederösterreich).

So spiegelt das Buch dialogische Zusammenarbeit mit dem Ziel, ein sachgemäßes Verstehen des Anderen anzubahnen sowie Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten im Blick auf Christentum und Islam zu verdeutlichen. Das Profil dieses Bandes zeichnet sich weiterhin dadurch aus, dass dieser Gesprächsprozess unabgeschlossen ist. Dadurch, dass man so intensiv nicht übereinander, nicht nacheinander, sondern miteinander redete, ist m.E. jedoch mehr als eine dialog-theologische Zwischenbilanz zu den “Kernthemen der Theologie“ entstanden. Durch das ausführliche Register gewinnt dieses Buch den Charakter einer Orientierungshilfe, die man/frau immer wieder zu bestimmten Themen und aktuellen Konflikten im Blick auf scheinbar oder anscheinend „typische“ christliche oder islamische Verhaltensweisen oder gesellschaftliche Konflikte gut heranziehen kann.

Das didaktische Vorgehen:
Die Vertreter aus dem Christentum und aus dem Islam stellen zuerst ihre theologische Sicht (zuweilen stark dogmatisierend) dar, um sie anschließend in die Gesamtdiskussion einzubringen – unter Einbeziehung innerislamischer und innerchristlicher Unterschiede! Aber es geht nicht nur um die „rein“ wissenschaftliche Ebene. Vielmehr plädieren Herausgeber und Mitarbeitende für eine Kultur des (interreligiösen) Gesprächs, die angesichts der Konfliktbeladenheit im Zusammenhang von Christentum und Islam besonders geboten ist (S. 19). Insofern kann dieses Buch auch als Argumentationsgrundlage für ein friedvolles interreligiöses Zusammenleben dienen. Es ist nämlich zugleich ein theologisch-thematischer Überblick entstanden, der die systematisierten vielfältigen Positionstexte als Chance für vertiefte Verstehensmöglichkeiten ausweist. Dadurch lässt sich zeigen, wie gerade Verschiedenheit in Glaubensdingen bereichert und Gemeinsamkeiten oft an Stellen auftreten, wo dies ursprünglich nicht unbedingt erwartet worden war. Wie in der Einleitung betont wird, geht es schließlich darum, angesichts der Verwandtschaft und Unterschiedlichkeit der beiden großen Religionen die ehrliche Überzeugung in die gemeinsame dialogische Verantwortung mit einzubringen (S. 17). Die einzelnen Kapitel enden darum, indem einmal stärker die Unterschiede, ein anderes Mal mehr die Gemeinsamkeiten hervorgehoben werden. Dabei wird deutlich, dass es hier variantenreiche exegetische und geschichtliche Sichtweisen gibt, die sich z.B. sehr klar bei Mohammed zeigen: „Gemeinsam das Unterschiedliche respektieren“(S. 221f).

Als Kernthemen werden 14 Bereiche angesprochen:
  1. Die Basis des Glaubens in den (geoffenbarten) Urkunden: Bibel und Koran
  2. Gottesfrage: Trinität und Monotheismus – die Schönheit Gottes
  3. Der Mensch als Schöpfung und Ebenbild Gottes
  4. Offenbarung als Gottesmitteilungen und Vergegenwärtigung von bisher Verborgenem
  5. Anfechtung, Schuld, Sünde, Gericht und Gnade im Kontext von Verfehlung und Barmherzigkeit
  6. Intentionen des Prophetentums und ihrer Botschaft im Christentum und im Islam
  7. Die Heilsbedeutung Jesu (als des Christus) und die unterschiedlichen Verständnisse der Kreuzigung
  8. Das positiv- islamische Muhammad-Bild als Prophet und Gesandter christlich respektieren lernen
  9. Sozial- und Tugend-Ethiken beider Religionen „in der Hinordnung auf Gott“ (S. 245) und in politischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit und der Gegenwart
  10. Der problematische Umgang mit Gewalt und Krieg: Djihad und Gewaltlosigkeit als Herausforderung
  11. Den eigenen Glauben leben in der Spannung von Glaube und Wissen,
    Vorherbestimmung und Theodizee – auch im Kontext der Willensfreiheit
  12. Erkennungs- und Identifikationsrituale im Leben der Gläubigen als Zeichen der Hingabe an Gott
  13. Gemeinschaftsstrukturen: Unverwechselbare Kennzeichen und Strukturparallelen
  14. Rechtssetzungen und Scharia: Ideal und Praxis bei Menschenrechten, Frauenfrage, Religionsfreiheit

Das Buch war bereits im Druck, als der „Islamische Staat“ (IS) durch seine Gräueltaten verstärkt in das Blickfeld der Öffentlichkeit kam. Umso mehr wird deutlich, dass es zu diesen Gewaltorgien im Namen des Islam dialogische Friedensalternativen braucht, weil dem gewalttätigen Extremismus letztlich nicht militärisch beizukommen ist. Religion, welcher Couleur auch immer, muss der Versuchung widerstehen, eine heile Welt durch die Beseitigung des Bösen mit Gewalt im Hier und Jetzt durchsetzen zu wollen. 
So haben die Herausgeber noch ein Nachwort angehängt, das mit einem Zitat des muslimischen Theologen al-Ghazali (1050–1111) aus seinem „Elixier der Glückseligkeit“ schließt:
„Diese irdische Welt ist eine Karawanserei auf dem Wege zu Gott, und alle Menschen finden sich in ihr als Reisegenossen zusammen. Da sie aber alle nach demselben Ziele wandern und gleichsam eine Karawane bilden, so müssen sie Frieden und Eintracht miteinander halten und einander helfen und ein jeder die Rechte des andern achten“ (S. 379). 
Dem ist nichts hinzuzufügen!

Reinhard Kirste,
Rz-Heine-christl-islam, 15.12.14 


Samstag, 6. Dezember 2014

Abraham bei Juden, Christen und Muslimen



Martin Bauschke: Der Freund Gottes. Abraham im Islam.
Darmstadt: WBG 2014, 200 S., Register der zitierten Koranstellen, Übersichts- und Vergleichstabellen ---  ISBN 978-3-534-26416-2
Kurzrezension: hier 

Ausführliche Beschreibung
Der Theologe und Religionswissenschaftler Martin Bauschke ist seit langem mit der „Stiftung Weltethos“ verbunden und leitet seit 1999 deren Berliner Büro. Seine bisherigen Veröffentlichungen zeigen, dass ihm die Begegnung von Juden, Christen und Muslimen besonders am Herzen liegt. So rückt er die „trialogischen“ Schwerpunkte immer wieder ins Licht, wie z.B. im Buch

Der Sohn Marias. Jesus im Koran
(Köln: Böhlau 2001).  Ähnliches gilt auch für die Darstellung: Die Goldene Regel. Staunen, Verstehen, Handeln (Berlin: EB-Verlag 2010).

Das vorliegende Buch ist eine Neubearbeitung von:
Der Spiegel des Propheten. Abraham im Koran und im Islam.
(Frankfurt/M.: Lembeck 2008). 
Der Autor hat es nicht nur erweitert sondern auch die Strukturierung noch deutlicher vorgenommen. Außerdem hat er die seit der 1. Auflage erschienene neue Literatur berücksichtigt. Insgesamt wirkt das Buch etwas Dialog zurückhaltender als der vorhergehende Band.
Zur Wirkungsgeschichte Abrahams
in den drei monotheistischen Religionen
Der Autor will zuerst mit seiner Beschreibung durch die islamische „Lesebrille“ zu schauen. Denn Muslime sehen „natürlich“ Abraham im „Spiegel“ des Propheten Mohammed. Es ist eine Sichtweise des Glaubens. Ähnliches haben Juden und Christen ja auch mit „ihrem“ Abraham getan. Historisch bleibt Abraham ja im besten Sinne frag-würdig. Die Geschichten über ihn sind Gestaltungen von Glaubenserfahrung im Sinne einer „Identifikationsgestalt par excellence“ (S. 109ff). So geraten aus den drei monotheistischen Perspektiven die verschiedenen Abrahambilder in einen Dialog, der allerdings auch mit Widersprüchen fertig werden muss.
Die islamisch-koranische Typik des Abraham im Kapitel A wird achtfach aufgefächert, und zwar so: der gastfreundliche Abraham und die islamische Aufwertung der Sara (1), die Auseinandersetzung mit dem Polytheismus – Abraham und sein Vater (2), Abraham, der kosmische Weise (3), Abraham das idealisierte Vorbild (im Unterschied zur biblischen Tradition) [4], der (bessere?) Abrahamssohn in der Spannung zwischen Isaak und Ismael (5), Abraham, der bereits einen Vorgeschmack auf die Auferstehung erhält (6), dann: Ismael als Abrahams Erstgeborener erhält eine stärkere Gewichtung (7). Die Religions-Erben Abrahams werden auf eine Ebene gehoben im Sinne dreier gleich-wertiger Heilswege (8).
Das Kapitel B hebt dann die Besonderheiten des islamischen Abraham hervor: Gegenüber der Ausgabe von 2008 fällt auf, dass Bauschke die „Wanderungsbewegungen“ Abrahams von Urfa nach Hebron und die Lokalisierung Abrahams in der arabischen Wüste im Zusammenhang mit Hagar und Ismael in Mekka etwas zurücknimmt, um die quasi durchgehenden Konflikte mit Nimrod und die“ ruhelose Ruhestätte“ Abrahams in Hebron stärker zu thematisieren (S. 128–140).
Im Kapitel C – das sind die beiden letzten Abschnitte – steht das Gastfreundschaft-Thema noch einmal im Mittelpunkt, und zwar mit der daraus abzuleitenden Intention, die Risse zu heilen, die es zwischen den Abrahamsreligionen gibt. Bauschke hatte mehrfach aufgezeigt, wie die Abgrenzungstendenzen in den jeweils eigenen Religionen den anderen faktisch herabsetzen und darum nicht dem Frieden dienen. Glaubensmäßiges Besserwissen schadet dem Dialog, weil auf diese Weise Abraham vereinnahmt wird, statt ihn als Wegweiser zum besseren gegenseitigen Verständnis anzusehen.
Der religionswissenschaftliche Zugang
Aber der Autor hat neben dem annähernden Verstehen an die islamische Glaubenstradition auch ein religionswissenschaftliches Interesse, das besonders in den beigefügten Exkursen zur Sprache kommt. Das zeigt z.B. die Einbeziehung des kosmologischen Horizonts bei den Gottesverständnissen in der Spätantike (S. 40ff). Aber auch die Tempelreinigungen verweisen auf eine narrative Struktur, die sich durch alle drei Traditionen zieht, und zwar von der Renovierung des Tempels durch König Josia, der Reinigung des Tempels durch Judas Makkabäus, der Tempelreinigung Jesu und der Entfernung der drei Göttinnen durch Mohammed aus der Kaaba (S. 115ff). Theologisch zugespitzter wirkt sich diese Betrachtungsweise bei Lot aus, der im Koran wesentlich positiver gesehen wird als in der Bibel. Noch stärker wirkt die Einschätzung des Mythos vom Sohnesopfer (S. 81–92): eine eher blutige Wirkungsgeschichte von Tieropfern, die bis zu dem Schlachtritual während des islamischen Opferfestes reicht (S. 90).
Die dialogisch anfragende Intention
In der Neufassung des Buches hebt m.E. Bauscke noch stärker Abraham im gegenwärtigen „trialogischen“ Kontext hervor. Dieser ist gerade im Blick auf den Nahen Osten von Konflikten beladen. Taugt Abraham überhaupt zum versöhnenden Dialog von Juden, Christen und Muslimen? Bauschke ist skeptisch, weil er die Ambivalenz alles Religiösen sieht: „Der Erzvater ist immer das, was seine Erben jeweils aus ihm machen, was sie in seine Gestalt projizieren“ (S. 167). Letztlich hängt die Glaubwürdigkeit des jeweiligen Abrahambildes der drei Religionen daran, wie sie sich (zueinander) verhalten, denn „Abraham ist immer anders“ (S. 176). So bleibt angesichts der gegenwärtigen Konflikte im Lande Abrahams nichts anderes übrig, als auch die Schatten der Vorbilder nicht zu verschweigen und positiv für die Gegenwart daraus zu lernen.
Die Gastfreundschaft Abrahams als des Gottesfreundes wirkt darum als Einladung zu gegenwärtiger Aktualisierung. Es gilt, den Dialog ganz praktisch in der kommunikativen Begegnung mit den Nachbarreligionen zu leben. Unter diesen Gesichtspunkten lohnt es sich, das Buch des Autors aufmerksam zu lesen. Angesichts der vielen und sicher oft unbekannten Abrahamsgeschichten dürfte sich hier zugleich eine attraktive Quelle für Unterrichtende in Schule, Erwachsenenbildung und Hochschule auftun.
Reinhard Kirste
Rz-Bauschke/Abraham, 06.12.14