Samstag, 7. August 2021

Roger Lenaers: Jesus, ein Mensch "ohnegleichen" (aktualisiert)


Roger Lenaers:
Jesus von Nazareth,
ein Mensch wie wir?


Kleve: Edition Anderswo
2015, 156 S.

--- ISBN 978-3-935861-38-0

Kurzrezension >>>


Ausführliche Beschreibung
Der flämische, bei Innsbruck lebende Philosoph, Theologe, Altphilologe und Jesuit (1925-2021) hat in seiner unkonventionellen und kirchenkritischen Denkart vieles veröffentlicht. Einige Bücher von ihm sind auch auf Deutsch erschienen. Seine Auftritte und Publikationen haben bei manchen eher dogmatisch orientierten Kirchenchristen Protest und auch bei der katholischen Hierarchie erhebliches Stirnrunzeln hervorgebracht. Es geht diesem Jesuiten nämlich darum, die Säkularisierung ernst zu nehmen, das heißt auch, von einem Gottesbild Abschied zu nehmen, das immer noch meint, Gott irgendwie im Himmel verorten zu können. Im Buch „Der Traum des Königs Nebukadnezar“ (2005) geht es darum, aus dem Gegensatz zwischen Naturwissenschaft und religiösem Glauben herauszukommen.

„In Gott leben ohne Gott“ (2011) spitzt er diese Tendenz noch zu. Gott ist kein außerkosmischer Gesetzgeber, sondern wird als grundlegende Liebe („Urliebe“) erfahren, die sich im eigenen ethischen Verhalten auswirkt.
In ähnliche Richtung weist Gläubiger Abschied von der Religion“ (2012). Dort macht Lenaers deutlich, dass er als Theologe traditionelle Gottesbilder bewusst hinter sich lässt. Diese Art von Gottlosigkeit (im Sinne Dietrich Bonhoeffers) führt aber dazu, den eigenen „a-theistischen“ Glauben zu intensivieren.
Vgl. die Rezensionen:
Mit seinem neuesten Buch bedenkt Lenaers dieses „Gottesbild“ im Sinne eines göttlich-menschlichen Liebesverhältnisses, wie es in der Lebensgeschichte Jesu zu Ausdruck kommt. Er greift dazu folgende „Stationen“ auf: Geboren von einer Jungfrau, gelitten und gekreuzigt unter Pontius Pilatus, am Kreuz hingerichtet und begraben, am dritten Tag vom Tod auferstanden. Dies alles ist geprägt von mythologischem Denken. Im Sinne einer „modernen“ Interpretation der alten Texte versteht er Jesus darum nicht als vom Himmel herabgekommenen Gottessohn. Er möchte aber auch nicht von einer mystischen Freundschaft reden, die über den Tod hinausgeht.
Mit seinen Rückgriffen auf die umfangreiche Leben-Jesu-Forschung erinnert der Autor an Albert Schweitzers berühmtes Buch von 1906/1913. Ihn schätzt der Jesuit wegen dessen Zurückhaltung über das, was man historisch über Jesus aussagen kann. Insgesamt wirkt bei Lenaers sehr deutlich das Entmythologisierungsprogramm Rudolf Bultmanns nach, verbunden mit einer „existentialen Interpretation“, die Jesus als besondere Persönlichkeit hervorhebt, um ihn auch für den heutigen Menschen „attraktiv“ zu machen..

(Vgl.:  Rudolf Bultmann -Die Entmythologisierung der neutestamentliche Verkündigung
als Aufgabe [Vortrag 1941], 
zuerst in: Kergma und Mythos [KuM], Bd. 1 / 1948, S. 15–48).
So lässt Lenaers historisch gesicherte und mögliche Ereignisse sowie legendarische und mythologische Elemente aus den Evangelien und der neutestamentlichen Briefliteratur kritisch Revue passieren. Diese sind in der neutestamentlichen Forschung schon lange bekannt – vielleicht noch nicht bis zu jedem Kirchenchristen vorgedrungen. Für den säkular geprägten Zeitgenossen und viele aufgeschlossenen Christen inzwischen ist es natürlich geradezu selbstverständlich, den mythischen Hintergrund vieler biblischer Geschichten auszublenden.
Das gilt besonders für die katholischerseits dogmatisierte Jungfräulichkeit Mariens, die sich schon durch die ältesten Texte des Neuen Testaments nicht halten lässt. Das gilt weiter für Jesu Wunder und die Geschichten um seine Auferstehung – in der Spannung von Erscheinungen und leerem Grab. Die symbolische Ebene des Johannes-Evangeliums erleichtert ihm, die Botschaft Jesu genauer zu hören. Das führt bei ihm allerdings dazu, die historischen Zusammenhänge gerade in der johanneischen Leidensgeschichte Jesu nicht genügend zu beachten. Noch zugespitzter formuliert Lenaers sein Resümee der Wundergeschichten: „Ausgedachte Erzählungen“ (S.87). Das erscheint mir als eine zu starke Rationalisierung der tatsächlichen Wirkungen des Wanderpredigers Jesus. Spannender ist darum Lenaers „Abschied“ von Sühne- und Versöhnungsvorstellungen, wie sie Kirche und Theologie Jahrhunderte lang propagiert haben. Sie haben damit dem Christentum ein Bild vermittelt, das im Kontext von Blut und Strafe „Gottes alles hervorbringende Liebe“ (S. 97) nicht mehr zur Sprache bringt. Was schließlich die Auferstehung Jesu betrifft, da hatte längst Rudolf Bultmann eine auf das Heute bezogene Interpretation ins Spiel gebracht: „Jesus ist ins Kerygma (sc. in dei Verkündigung von Jesus) auferstanden".
          
(Vgl.: Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft
zum historischen Jesus. Heidelberg 1960)

Lenaers bietet im Grunde eine Variante dieser Auslegung: Die Erscheinungen Jesu gegenüber seinen Jüngern sind keine Halluzinationen, sondern schaffen bei den Nachfolgern eine neue Wirklichkeit: „Jesus lebt schöpferisch (weiter) trotz seines Todes am Kreuz (S. 135). Auferstehung bedeutet dann „Einswerden mit der Urliebe [sc. Gottes], und so erstehen auch wir mit ihm zum endgültigen Leben“ (S. 145). Diese Formulierung hat durchaus mystischen Klang. Gegenüber dem inneren Erfahrungsschatz der Mystiker, der „Gottesfreunde“, wie sie sich teilweise im Mittelalter nannten, bleibt Lenaers jedoch erstaunlicherweise skeptisch.

So lautet seine Bilanz: „ … Jesus hat eine Vollendung erreicht, und gehört dadurch nicht mehr zum Niveau des Unvollendeten, zu dem wir gehören … Wir können seiner (sc. Jesu) gedenken, wie in der Eucharistie, ihn bewundern, ihn verehren, ihn lieben, und er kann uns inspirieren, und anziehen, uns zu seiner Nachfolge bewegen“ (S. 151). Ob man das wohl „göttlich“ nennen kann? Der Jesuit zieht sich auf Andeutungen zurück: Jesus ist „nicht nur ein Mensch wie wir“ (S. 152). Mit diesem auch auf jede Absolutheit verzichtende Reden sieht er sich auf der Linie des 2. Vatikanischen Konzils, das der Exklusivität des Christentums gegenüber anderen Glaubensweisen eine klare Absage erteilt hat, aber dennoch – Jesus ist „ohnegleichen“ (S. 153). Es verwundert etwas, dass Lenaers hier bei aller interreligiösen Offenheit nicht weiter und tiefer fragt, und zwar im Blick auf göttliches Sichtbarwerden in anderen Menschen. So liegt vor uns ein gut zu lesendes Buch, das daran erinnert, welche erstaunliche neue Glaubenszugänge die exegetische Jesus-Forschung seit der Aufklärung erbracht hat.
Reinhard Kirste 
Rz-Lenaers-Jesus, 06.10.15

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