Dienstag, 18. August 2015

Der Messias zwischen Juden, Christen und Muslimen





Markus Witte (Hg.): Der Messias im interreligiösen Dialog.
Christliche, jüdische und islamische Stimmen
aus Vergangenheit und Gegenwart.

Studien zu Kirche und Israel. Neue Folge (SKI.NF), 9
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Leipzig: EVA 2015, 159 S.,
Thematische Abbildungen von Mareike E. Kaiser, Register
--- ISBN 978-3-374-04054-4 ---

Ausführliche Beschreibung
Martin Buber hatte im Blick auf das Messiasproblem zwischen Juden und Christen sehr deutlich formuliert, dass Jesus nicht der Messias sein kann. Dieses kontroverse Thema beschäftigt und belastet durchgängig den christlich-jüdischen Dialog (vgl. dazu die Bewertung von Karl-Josef Kuschel in: Martin Buber. Seine Herausforderung an das Christentum [2015], S. 113–115, Details: hier
So verwundert es nicht, dass jüdische und christliche Sichtweisen des Messias auch das vorliegende Buch bestimmen – und die Debatte zu recht auch noch auf den Islam ausgeweitet wird. Schließlich kommt der Begriff „Messias“ für Jesus, „den Sohn der Maria“, fast zehnmal im Koran vor. Die reichhaltige Quellenlage zum „Wort „Messias“ in der islamischen Tradition kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass ausgesprochen unterschiedliche Sichtweisen die Messiasverständnisse der drei monotheistischen Religionen prägen.


Der Alttestamentler und Leiter des Instituts Kirche und Judentum , Markus Witte von der Humboldt-Universität Berlin hat es als Herausgeber unternommen, zusammen mit fachkundigen Autoren systematisch-theologisch und interreligiös das heikle Thema anzusprechen. Er sieht die vorliegenden Texte als Begleitbuch zum Themenheft der „Berliner Theologischen Zeitschrift“, die sich 2014 ausführlich zu „jüdischen und christlichen Vorstellungen messianischer Figuren“ befasste (S. 8).
Sehr sinnvoll kommen zuerst als eine Art Grundlegung jüdische Quellen zum Messias zur Sprache. Der Berliner Rabbiner Yaakov Zinvirt geht von den rabbinischen Voraussetzungen für das Kommen des Messias aus: Umkehr des Menschen, Überwindung der Trennungen innerhalb des jüdischen Volkes. Von daher lassen sich  das Wesen und die Zeichen für den Messias deuten und manchmal auch missdeuten. Zwei herausragende Beispiele zieht Zinvirt zur Klärung heran: Maimonides (1135–1204) und Maschiach ben Josef aus Wilna (1720–1799). Er kann als Ergebnis festhalten: Das Kommen des Messias als Schlüssel für die Erlösung der Welt steht trotz zerbrochener Hoffnungen und falscher Messiasse eindeutig noch aus.
Peter von der Osten-Sacken, hat als Neutestamentler intensiv auch christlich-jüdische Studien betrieben. Von 1974 bis 2007 leitete er das Institut Kirche und Judentum, das nach der Eingliederung der Kirchlichen Hochschule Berlin in die Humboldt-Universität nun zu dieser gehört. Er hält fest, dass das orthodoxe und konservative Judentum Jesus nicht als Messias Israels anerkennen kann, während das „progressive“ Judentum von der eigenen (liturgischen) Gebetstradition dafür überhaupt keinen Anknüpfungspunkt findet. Dennoch gibt es auch versöhnliche jüdische Stimmen. Der Systematiker Markus Mühling (Universität Lüneburg) untersucht den Gebrauch des Begriffs „Messias“ in der gegenwärtigen protestantischen Theologie. Es werden unterschiedliche Aspekte hervorgehoben und kritisch-christologische Schwerpunkte gesetzt. Dies zeigen hauptsächlich die  Positionen von Jürgen Moltmann, Michael Welker und Robert W. Jensen. Entscheidend ist dabei die Transformation des Titels „Messias“/„Christus“ zu einem Namensbestandteil (S. 66), der zugleich den eschatologischen Erwartungshorizont weitet, und zwar im Blick auf die „Selbstidentifikationspräsentation Gottes“ (sic!), eingebunden in die Erfahrung der Liebesgeschichte Gottes. Hier liegt auch Mühlings Interesse bei seinen eigenen Veröffentlichungen. Er sieht so eine neue Intention freigesetzt: Der Messiastitel „liegt dann in einer doppelt kritischen Kraft, die sich weniger auf Jesus Christus als konkreten Ort der Selbstidentifikationspräsentation Gottes bezieht als vielmehr auf unsere Wahrnehmungen, Hoffnungen, Erfahrungen, Erzählungen, Theorien und unsere darauf beruhende Praxis“ (S. 69).
Der Religions- und Missionswissenschaftler Andreas Feldtkeller (Humboldt-Universität) bringt seine Anfragen zum Jesusbild in Judentum und Christentum durch eine islamische Fokussierung ein. Dazu stellt er zuerst Jesusbilder vor, wie sie jüdischerseits im Mittelalter und in der Neuzeit u.a. durch Martin Buber und David Flusser geprägt wurden. Bei dem kurzen Einblick in christliche Jesusbilder betont der Autor, dass „christliche Dogmatik … einer jüdischen Perspektive auf Jesus nicht als starre unwandelbare Größe“ gegenübersteht (S. 77). Für den Islam wirkt sich die Verbindlichkeit des Glaubens an Jesus prägend aus: Jesus, Gottes Prophet, wird nicht gekreuzigt, sondern zu Gott erhoben und am Tag der Auferstehung noch einmal erscheinen. Die teilweise erheblichen Abweichungen von den christlichen Glaubensinhalten bedeuten nun zugleich eine Herausforderung, die Hand in Hand mit jüdischen Jesusbildern und Messiasvorstellungen geht. Damit gewinnt auch die Jesusforschung einen konstruktiv-dialogischen Stellenwert, weil der historische Jesus wohl keine Hoheitstitel (z.B. Menschensohn, Messias) für sich in Anspruch nahm.
Christologisch spannend wird es in der Untersuchung über Händels Messias, die Gunter Kunter vornimmt. Er ist Landeskirchenmusikdirektor der Ev. Kirche und Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität. G.F. Händel und sein Librettist Geoffrey Cuming stehen im Kontext der anglikanischen Tradition. Die intensive Rezeptionsgeschichte dieses Werks u.a. durch Carl Loewe, Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Liszt, Richard Wagner, Friedrich Kiel, Anton Rubinstein und Felix Draeseke zeigt erstaunliche Messianologie-Varianten. Sie dienen alle aber letztlich dazu, „den universalen Anspruch des Christus als Erlöser der Welt deutlich zu machen“ (S. 116). Die Gefahr, in antijudaistische Deutungen zu verfallen vermeidet Händels universalistische Offenheit seines „Messias“, während andere Komponisten sich diesem „Sog“ (leider) nicht entzogen haben.
Ausgesprochen wichtig ist auch die religionspädagogische Perspektive, die Hans-Günter Heimbrock (Universität Frankfurt/M.) einbringt. Schließlich tragen religiöse Erziehung und besonders auch der Religionsunterricht dazu bei. An einem Unterrichtsbeispiel der Grundschule vorgeführt, gibt es dann mehr resümierende Einblicke der verschiedenen Unterrichtsmöglichkeiten der einzelnen Schulstufen von der Grundschule bis zur Sekundarstufe II. Drei Gesichtspunkte werden wegweisend: Das Messiasverständnis im christologischen Zusammenhang, die unterschiedlichen Sichtweisen von „Messias“ bei Juden und Christen und schließlich „die Frage des Messianismus als spezifische Gestalt einer religiösen Deutung von Geschichte (S. 136).
Das Buch bietet wichtige Perspektiven zu interreligiösen Chancen und Hinderungsgründen für die Diskussion um den Messias in den drei monotheistischen Religionen. Christlicherseits muss aber wohl darauf geachtet werden, dass die gegenwärtige-dialogische Herausforderung nicht historisierend aus dem Blick gerät und dann doch christologisch orientierte Messiasverständnisse die Debatte dominieren. Interessant wäre es gewesen, hier auch eine original islamisch-theologische Stimme zu hören.

Vgl. aus derselben Reihe

  •  SKI.NF 1 (2012): Markus Witte / Tanja Pilger (Hg.):
    Mazel tov.
    Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Judentum.  Festschrift anlässlich des 50.Geburtstages des Instituts Kirche und Judentum (2012) – Rezension: hier
  • --- SKI.NF 2: Markus Witte: Hiobs Gestalten (2012)Rezension: hier

 Reinhard Kirste
Rz-Witte-Messias-18.08.2015