Montag, 19. Dezember 2016

Die interreligiöse Kraft des Singens

Bernhard König / Tuba Isik / Cordula Heupts (Hg.): Singen als interreligiöse Begegnung.
Beiträge zur Komparativen Theologie, Band 28.
Paderborn: Schöningh 2016, 226 S.
--- ISBN 978-3-506-78571-8 ---


Dass es im Christentum und Judentum eine intensive Gesangstradition gibt, ist hinreichend bekannt. Angesichts fundamentalistischer Attacken gegen muslimische Musik scheint im Islam ein anderes Verständnis vorzuliegen. Um es vorwegzunehmen: Das vorliegende Buch beseitigt viele Vorurteile sowohl den Islam betreffend als auch manche musikalische Theorie und Praxis aller drei monothe-istischer Religionen. Interreligiös ist allerdings erst ein Anfang gemacht, selbst wenn es inzwischen eine Reihe von Ensembles gibt, die die verbindenden Kraft der Musik über Religionen  und Kulturen hinweg zum Klingen bringen. Vgl. dazu: Die interreligiöse Kraft der Musik

Dass dieser Band entstand, hat hauptsächlich mit der musikalisch-trialogischen Praxis von Bernhard König zu tun. Mit dem Projekt TRIMUM von Juden, Christen und Muslimen führt er seit Jahren vor, wie durch die Kraft der Musik Vorurteile und Abwehrhaltungen zusammenbrechen. Er ist nicht nur als Mitbegründer des Kölner Büros für Konzert-pädagogik bekannt geworden, sondern auch als Komponist, Interaktionskünstler und Initiator musikalischer "Grenzgänge". Die anderen beiden Herausgeber, die Lehrerin für Musik und Religion, Doktorandin der katholischen Theologie, Cordula Heupts, und  die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Tuba Isik kommen aus dem Fachbereich Islamische Pädagogik der Universität Paderborn unter der Leitung von Klaus von Stosch
Den Herausgebern geht es mit ihren Gesprächspartnern auch darum, diese interreligiöse Praxis zu reflektieren und sich dazu mit den Fachleuten aus Musik und Theologie zusammenzusetzen.

Das Buch hat insgesamt vier Schwerpunkte
I.  Begründungszusammenhänge
II. Inhalte - auch in der Spannung von jüdisch-christlichen Erfahrungen
III. Verortungen im Sinne musikalischer Gastfreundschaft
IV. Die Ausblicke betonen die Zusammenhänge von "alten" Gesängen,      musikalischer Avantgarde im Horizont der Musik als "Medium der Sehnsucht".

I. Begründungen (S. 17-54): Bernhard König verweist in seinem hinführenden Beitrag "Miteinander singen - wozu?" auf zwei Gesichtspunkte : 


  • "Jahrhundertelang waren die Religionen der wichtigste Motor von Kultur. Die besten Sänger und Dichterinnen, Architekten und Komponistinnen, Rezitatoren und Kalligraphinnen haben ihr Können in ihren Dienst gestellt" (S. 23).
  • "Diesen Schatz aktiv miteinander zu teilen, die Vielfalt der Klänge, Bilder und Inszenierungsformen zu bestaunen, die das kollektive Suchen nach Wahrheit und Transzendenz hervorgebracht hat - dies alles kann eine wertvolle Ergänzung der zahlreichen Initiativen und Begegnungsforen ... sein und dem, was dort auf den Weg gebracht wurde und wird, eine zusätzliche Facette, eine greifbarere und sinnlichere Gestalt verleihen" (aaO).

Dann folgt ein Gespräch mit Barbara Traub (Israelitische Religionsgemeinschaft Baden-Württemberg) über die Bedeutung jüdischer Musik im Alltag und auftretender interreligiöser Dissonanzen. Diese verstärkt der Tübinger Islamwissenschaftler Omar Hamdan. Er betont, dass Gesang nicht Gebet ist, aber die positiven Seiten des Singens sollten auch innerislamisch in Deutschland weiter entwickelt werden. Von daher setzen die interreligiös-musikalischen Erfahrungen des Chores "Pontamima" aus Sarajevo ermutigende Impulse; denn dieser Chor besteht aus Juden, Christen, Muslimen und Atheisten. Davon berichtet beeindruckend der aus Kroatien stammende katholische Theologe Ivo Markovic
In einem Rundgespräch vom 22.02.2014 versuchten die Teilenehmenden aus der Türkei, Deutschland, Israel und dem Irak die Musik zusammen mit Bernhard König als verbindende Kraft herauszustellen. Denn gerade in Zeiten des Krieges  und der Spannungen zwischen Juden und Muslimen kann ein "trialogisches" Konzert ein wichtiger Anstoß zum Frieden sein.

II. Inhalte (S. 57-121): Grenzenlose Verständigung wird es auch durch die Musik wohl nicht geben, meint Bernhard König, wenn er fragt wovon man denn miteinander singen soll. Sensible Arrangements sind darum notwendig. Im Gespräch zwischen dem interreligiös "ausgerichteten" katholischen Theologen Karl-Josef Kuschel und dem evangelischen Systematiker Christoph Schwöbel (beide Tübingen) geht es darum, über eine zu enge Konzentrierung  auf die "heiligen" Texte hinauszukommen. (Musikalische) Gastfreundschaft sollte nämlich auch als Gottesgemeinschaft gesehen werden, in der der jeweils "Andere" sich nicht eingeengt fühlt.
Das betont auch
Klaus von Stosch im Abschnitt III. des Buches, wenn er die Komparative Theologie als eine Form der Gastfreundschaft definiert (S. 134). Da kann man dann sogar "die Differenz zelebrieren" (S. 137). Denn man weiß sich in dem verbunden, was uns Menschen als "Bedingte" "unbedingt" angeht (Paul Tillich).
Die ehemalige Kulturbeauftragte der EKD (inzwischen Regionalbischöfin von Hannover), Petra Bahr, verweist auf die Umbrüche, die sich von jeher im religiösen Lied spiegelten und spiegeln.  Interreligiös ausgerichtete oder komponierte Musik müsste Stimmigkeit zum entscheidenden Kriterium machen. Aber was ist mit Johann Sebastian Bach? Dass er heutzutage universale Weite gewonnen hat, ist unbestritten. "Schmerzhaft nah" überschreibt Bernhard König seinen Beitrag deshalb, weil der souveräne Meister etwa in seinen  Passionen das christlich-jüdische Verhältnis belastete und nationalsozialistisch vereinnahmt wurde. Aber: Dialog und Auseinandersetzung gehören interreligiös zusammen. 
Dieses Thema nimmt König im Blick auf den christlich-islamischen Dialog in Kapitel III noch einmal auf (S. 145-174): Hier scheint die Fremdheit Bachscher Musik eine Hürde für Muslime zu sein. Aber historisch lässt sich zeigen, dass europäische und arabische Musiktheorien keineswegs weit auseinanderstreben.  "Liegt also jenen maqamat [= Saiten einer Laute oder Skalen], die noch heute die tonale Grundlage für die Koran-Rezitation bilden, im Kern das gleiche Verständnis von Harmonie, Proportion und >musikalischem Ethos< zugrunde, das auch das Kompositionshandwerk Johann Sebastian Bachs geprägt hat?" (S. 172).
Bei allen immer wieder auftauchenden Differenzen, scheint sich eine "trialogische" Brücke bei den vielen musikalischen Gesichtern des Königs David zu finden. "David" kommt in jüdischen und christlichen Musiktraditionen immer wieder zum "Klang", wie Cordula Heupts ausführt.

III. Unter "Verortungen" (S. 125-191) verstehen die Herausgeber, die Problematik von Fremdheit und Nähe im musikalisch-ästhetischen Verstehen von Menschen der drei monotheistischen Religionen als Chance wahrzunehmen. Bernhard König verweist darauf, dass sich Religiöses und Nicht-Religiöses nicht so einfach trennen lässt. Natürlich spielt die religiöse und ästhetische Herkunft des Einzelnen im "Konzert" des Dialogs eine Rolle. Damit wird aber zugleich eine Zeitbedingtheit signalisiert, die Ahmet Gül, Sänger für europäische und klassisch türkisches Musik und Gründer des Eastern Ensembles, sagen lässt: "Bach hat auch für Muslime komponiert" (S. 129).
Auf die bereits von Barbara Traub (S. 25-30) angesprochene Eigenständigkeit jüdischer Musik kommt auch Rabbiner Steven Langnas (München) zu sprechen (S. 141-144): Die musikalische Rezitation (Kantillation) macht Worte durch Gesang lebendig. Gleichzeitig wird eine alte Tradition aufrecht erhalten (S. 144). Hier ist durchaus eine Verwandtschaft mit der Koran-Rezitation zu spüren. Tuba Isik betont generell, dass Muslime gerne singen (S. 175-191). Eine Fülle von Beispielen lässt sich aus der islamischen Geschichte beibringen (z.B. im Mevlevi-Orden), auch wenn es in der Hadith-Literatur  eine Reihe ablehnender Äußerungen gibt. Unbestritten bleibt jedoch die Musikalität der Koran-Rezitation. Angesichts der großen kulturellen Unterschiede innerhalb islamischer Traditionen sollte man generell mit Verurteilungen der Musik - von der reichen türkischen Musiktradition einmal abgesehen - vorsichtig sein.

IV. Ausblicke (S. 195-220): Stolpersteine und Chancen scheinen sich bei der Rezeption von Musik unter interreligiösen Gesichtspunkten zuweilen die Waage zu halten. Das hängt offensichtlich auch von mehr oder minder starken orthodox-dogmatischen Vorverständnissen ab. Der jüdische Kantor und Theologe Jascha Nemtsow (Potsdam/Berlin) betont im Gespräch mit Bernhard König, dass es neben festgelegten Tora-Kantillenen variierende Gemeindegesänge gibt und im Konzept des Trialogs die Unterschiedlichkeiten bleiben müssen (s.o. S. 25ff, 141ff). Diese sind natürlich nicht wesensmäßig, sondern oft nur graduell. Sie können z.B. jüdisch-muslimische Verwandtschaften und gegenseitige Beeinflussung aufzeigen.
Dem islamischen Theologen Milad Karimi (Münster) gelingt es m.E., die innere Verbindung des Musikalischen im Trialog zum Ausdruck zu bringen: In der Koran-Rezitation kommt Gott nahe. Musik bringt die Sehnsucht nach Gott zum Klingen. "Der Islam ist gerade insofern musik-affin, als dass diese Religion alles dafür tut, sich dieser Sehnsucht nach Gott gewahr zu werden. Und wenn die Musik das leisten kann, dann ist sie geradezu etwas Heiliges. >Heilig<, weil sie einen heilt" (S. 206).
Wie also miteinander singen? ist die Schlussfrage, auf die die Herausgeber eine vorläufige Antwort gesucht haben: Zuerst: Es gibt keine generellen Lösungen für "trialogische" Musik, aber musikalische Gastfreundschaft öffnet Türen und Herzen des Anderen. Als Beispiel kann dafür das von Papst Johannes Paul II. initiierte Friedensgebet von Assisi 1986 dienen. Dissonanzen zwischen gesungenem Text und Glaubensüberzeugungen können dabei eher als Bereicherung angesehen werden. So könnte auch ein interreligiöses Komponieren entstehen: Teamwork der Religionen, das neue musikalische Kunstwerke ermöglicht und damit interreligiöse Begegnung zum "Gesamtkunstwerk" macht.

Bilanz: Auch wenn dies im Buch nur am Rande angesprochen wurde -  angesichts der vielen Erfahrungen bereits praktizierter interreligiösen Gebete könnte die Musik auf ganz neue Weise mit einbezogen werden. Herausgeber und Autoren haben dazu wichtige Ansätze aufgezeigt. Sicher wird sich immer auch orthodox-religiöser Widerstand auftun, aber die Erfahrung des gemeinsam Praktizierten ist letztlich ermutigendes Kennzeichen aller interreligiöser Begegnungen. Hier hat die Musik in ihrer universalen Weite einen entscheidenden Platz und viele noch nicht ausgelotete Chancen.
Das Buch lädt ein, diesen "Platz" zu bespielen ... In einer oft von Vorurteilen und Ablehnungsstrategien geprägten Gesellschaft wird auf diese Weise ein glaubwürdiger Friedensdienst geleistet, auf den sich alle Religionen einlassen können.


Reinhard Kirste

Rz-König-Singen, 19.12.16 

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