Jürgen Werbick / Sven kalisch / Klaus von Stosch (Hg.): Glaubensgewissheit
und Gewalt Eschatologische Erkundungen in Islam und Christentum.
Beiträge zur Komparativen Theologie Band 3. Paderborn u.a.: Schöningh
2011, 183 S., Namensregister --- ISBN 978-3-506-77058-5
Der katholische Systematiker an der Universität Paderborn, Klaus von Stosch, hat sich zum Ziel
gesetzt, mit FachkollegInnen auch aus anderen Religionen einen eigenständigen
Weg in der interreligiösen Gegenüberstellung aktualisierend und dialogoffen zu
verfolgen. Seine Besonderheit liegt in einem hermeneutischen Ansatz, den er als
„Komparative Theologie in die Debatte einbringt. Dieser soll sich auch von den
religionspluralistischen Ansätzen abheben. Den offensichtlichen Schwerpunkt
bilden dabei Verhältnisbestimmungen von Christentum und Islam. In der dazu
gehörenden Buchreihe sind bisher 5 Bände erschienen und zwei weitere kurz vor
dem Erscheinen (1). Sie nehmen überwiegend Identitäts-problematiken
in der Spannung von Glauben, Gewalt und Freiheit auf.
Der hier vorzustellende 3. Band entstand im Rahmen einer Tagung zum
Exzellenzprogramm „Religion und Politik in vormodernen und modernen
Gesellschaften“ an der Universität Münster. Er nimmt sich der sog. „letzten
Dinge“ an. Angesichts apokalyptischer Vorstellungen, die bis in die
Populärkultur reichen, sind die Religionen mit ihren Eschatologien entsprechend
herausgefordert. Zugleich fordern solche Vorstellungen mit ihren
Glaubensansprüchen bisherige Glaubens- und Lebensmuster heraus, umso mehr auch
in ihnen ein „Gewaltförmigwerden“ (S. 9) auffällig ist. Die Frage der Erlösung
angesichts der gegenwärtigen Unerlöstheitserfahrungen muss darum in Islam und
Christentum intensiv und ggf. revidierend bedacht werden.
Nachdem Martin Ebner,
Neutestamentler an der Universität Münster, den Verunsicherungsfaktor eines
Endgerichts angesprochen hat, weist er auf die darin liegende Chance, nämlich,
dass das „Ende“ nicht in unserer Hand liegt. Der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide, vom Religiösen
Centrum der Universität Münster, steigt darum sogleich mit einer veränderten
Interpretation des Jenseits im Sinne von Transformation/Verwandlung ein, bei
der Gott in seiner Barmherzigkeit erscheint. Damit verwandelt er den
apokalyptischen Gedanken des Strafgerichts zugunsten einer Vervollkommnung des
Menschen. In ähnliche Richtung von christlicher Seite argumentiert der Baseler
Systematiker Reinhold Bernhardt. Er
trennt strikt das Handeln des Menschen vom Handeln Gottes. Nur so kann die “pervertierte
Selbstermächtigung des Menschen“ (S. 63) zurückgenommen und die Spirale
apokalyptisch eingefärbter Gewalt gestoppt werden. Der Mitherausgeber und
Münsteraner Fundamentaltheologe Jürgen
Werbick wendet sich gegen religiöse End-Gewissheiten (S. 67) im Stile von Siegermentalität
und apokalyptischem Terrorismus. Erlösung geschieht nicht durch Vernichtung,
sondern im Sinne einer apokalyptischen Hoffnung, die die Unmenschlichkeit des
Vorletzten offenlegt (S. 81), getragen von der „Widerstands-Vergewisserung“ gegen
die Unmenschlichkeit für ein Leben ohne Tod. Die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi von der Universität
Paderborn hebt in ihrer Erwiderung auf diesen Ansatz hervor, dass die
Motivation für das „Tun des Guten“ durch den Beistandswillen Gottes verstärkt
wird.
Sven Kalisch, ebenfalls Mitherausgeber, ist nach seiner Abkehr vom Islam nun Professor
für „Geistesgeschichte
im Vorderen Orient in nachantiker Zeit“ an der Universität Münster. Er stellt
Jenseitsvorstellungen in der islamischen Theologie vor mit Schwerpunkten auf
die islamische Mystik des Mittelalters und die aufklärerische Mu‘tazila. Hier
ist die „Lehre von der Exklusivität des Heils im Islam“ zum Teil verinnerlicht
worden. Damit tritt neben Auferstehung und Gericht, Paradies und Hölle, der
Gedanke der Sinnerfüllung des Lebens stärker hervor. Von diesen teilweise recht
unorthodoxen Überlegungen her hinterfragt auch der Mitherausgeber Klaus von Stosch in seiner Erwiderung
die „letzten Gewissheiten“ generell auf das in ihnen liegende Gewaltpotential.
Die Entwicklung des Monotheismus in Israel ermöglichte faktisch durch die
Abschaffung der Götterhierarchie auch die Zurückweisung menschlicher
Hierarchien. Dies scheint jedoch nicht nur ein Vorzug des Monotheismus zu sein,
weil der Glaube an den einen einzigen Gott auch zur Abgrenzung und sogar zum
Völkermord diente. Es gilt im Sinne christlicher Vollendungshoffnung
(offensichtlich anders als im Islam) die „Gewaltpotenziale in dem jeweiligen
Denken zu identifizieren und zu pazifizieren“ (S. 115).
Der Leiter des islamischen (schiitischen) Zentrums in Hamburg, Ayatollah Ghaemmaghami stellt mit der
Hilfe von M. Djavad Mohagheghi, dem
Ehemann von Hamideh Mohagheghi (übrigens im Autorenverzeichnis nicht erwähnt),
die Friedensintentionen des Koran in den Vordergrund und sieht auch
Möglichkeiten, religiöse Monopolansprüche um einer versöhnten Gesellschaft
willen beiseite zu lassen. Das allerdings entbindet nicht vom (möglichen
bewaffneten) Verteidigungskampf bei Bedrohung der (religiösen) Freiheiten
(nicht nur des Islams). Die endgültige Glück-Seligkeit jedoch ist mit der
Erkenntnis der „rechtmäßigen Wahrheit“ verbunden und steht unter
eschatologischem Vorbehalt. Wahrheit als „Begründetheit“ ist jedoch menschlich
möglich (S. 126f). Bei aller Dialogoffenheit des Korans gegenüber anderen
Religionen schimmert jedoch sehr deutlich ein inklusives Vereinnahmungsverständnis
des Glaubens durch. In ihrer Antwort auf die Überlegungen des Ayatollah fragt Anja Middelbeck-Varwick von der Freien
Universität Berlin darum mit Recht, ob bei aller Zustimmungsfähigkeit zu den
islamischen Friedensintentionen wirklich der Abschied von der Absolutheit schon
geleistet sei. Sie stellt diese Rückfrage aber auch an das Christentum, lässt
allerdings offen, wie Joh 14,6 unter multireligiösen Bedingungen zu verstehen
sei. Dafür legt sie Wert auf die Betonung der eschatologischen Unterschiede in
beiden Religionen: Im Christentum hat die Erwartung des Reiches Gottes
erhebliche gegenwärtige Konsequenzen für
die Gläubigen.
Die „eschatologischen Erkundungen“ der BeiträgerInnen haben bei aller
Unterschiedlichkeit deutlich gemacht, dass die Hoffnung auf „das Letzte“ die
vorletzten Dinge nicht ausblenden darf. Aber gerade diese Spannung von Letztem
und Vorletztem birgt erhebliche Konflikt- und Gewaltpotentiale in sich. Diese
schlagen oft gefährlich gegen Andersdenkende und „Ungläubige“ durch, besonders
wenn gegenwärtige Ereignisse und Entwicklungen Glaubensverunsicherung erzeugen,
aber veränderndes Handeln jetzt
gefragt ist.
Reinhard
Kirste, Rz-Werbick-Glaubensgewissheit, 08.02.12
Anmerkung1:
Themen der bisher erschienenen bzw. in Erscheinung begriffenen Bände –
alle aus dem Schöningh-Verlag Paderborn
Themen der bisher erschienenen bzw. in Erscheinung begriffenen Bände –
alle aus dem Schöningh-Verlag Paderborn
-
Jürgen
Werbick / Klaus von Stosch / Muhammad Sven Kalisch (Hg.): Verwundete Gewissheit.
Strategien zum Umgang mit Verunsicherung in Islam und Christentum.
Beiträge zur Komparativen Theologie 1 (2010)
http://ein-sichten.blogs.rpi-virtuell.net/2010/08/03/verwundete-glaubensgewissheit-und-gewaltreaktionen-in-der-begegnung-von-christentum-und-islam/ (Ein-Sichten, 03.08.10) - Hamideh
Mohagheghi / Klaus von Stosch (Hg.):
Moderne Zugänge zum Islam. Plädoyer für eine dialogische Theologie
Beiträge zur Komparativen Theologie 2 (2010):
http://ein-sichten.blogs.rpi-virtuell.net/2011/01/16/moderne-zugange-zum-islam/
(Ein-Sichten 16.01.11) - Jürgen
Werbick / Klaus von Stosch / Muhammad Sven Kalisch (Hg.):
Glaubensgewissheit und Gewalt. Eschatologische Erkundungen in Islam und Christentum.
Beiträge zur Komparativen Theologie 3 (2011)
- Michael Hofmann / Klaus von Stosch (Hg.): Islam und Literatur.
Islam in der deutschen und türkischen Literatur.
Beiträge zur Komparativen Theologie 4 (2011)
- Klaus von Stosch / Muna Tatari (Hg.): Gott und Befreiung.
Befreiungstheologische Konzepte in Islam und Christentum.
Beiträge zur Komparativen Theologie 5 (2011)
- Klaus von Stosch: Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der
Religionen.
Beiträge zur Komparativen Theologie 6 (2012)
- Mouhanad
Khorchide / Klaus von Stosch (Hg.): Trinität –
Anstoß für das islamisch-christliche Gespräch.
Beiträge zur Komparativen Theologie 7 (2012)
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