Paul Weller / Ihsan Yilmaz (eds.):
European Muslims, Civility and Public Life:
Perspectives On and From the Gülen Movement.
London / New York: Continuum
2012, XXXIV, 255 S., Indices
European Muslims, Civility and Public Life:
Perspectives On and From the Gülen Movement.
London / New York: Continuum
2012, XXXIV, 255 S., Indices
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In der Begegnung und
Auseinandersetzung mit dem Islam spielen die verschiedenen muslimischen Strömungen
und Organisationen eine wichtige Rolle. Vieles kann von einem größeren Publikum
kaum eingeschätzt werden. Und islamfeindliche Vorurteile machen immer wieder
die Runde. Bisher eher zurückhaltend trat eine dennoch sehr weit verbreitete Organisation
auf, die den türkisch-islamischen Prediger Fethullah Gülen zum inneren Promotor
hat. Sie stellt Bildung und Erziehung in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. In
Deutschland wird inzwischen die Öffentlichkeitswirksamkeit dieser Bewegung
stärker wahrnehmbar [1].
So erstaunt nun das vorliegende Buch zuerst deshalb, weil es um die
Gülen-Bewegung in Großbritannien geht. Der Islam des Vereinigten Königreichs
ist jedoch viel stärker von südostasiatischen Einwanderern aus den ehemaligen
Kolonien geprägt als von Muslimen mit türkischem Hintergrund. Aber Anlage und
Struktur dieser Zusammenstellung machen deutlich, dass es um den „europäischen“
Islam geht und um die damit entstandenen und weiter sich entwickelnden
Herausforderungen. So ist das Buch letztlich von der Hauptfrage geleitet,
welche Rolle die Gülen-Bewegung im Spannungsfeld von europäischen
Zivilgesellschaften spielen dabei haben kann.
Leider
geraten beim Blick auf den Islam allzu oft Terrorismus und Attentate in den
Vordergrund. Man denke nur an den Bombenanschlag auf einen Vorortzug in Madrid (2003),
Ermordung von van Gogh (2004) sowie die Terrorattacken auf den öffentlichen
Nahverkehr in London (2005). Angesichts einer Untersuchung zur Gülen-Bewegung
muss darum der Frage nachgegangen werden, wie den Herausforderungen durch den
islamistischen Terrorismus adäquat und von den Quellen der islamischen Religion
her begegnet werden kann und welche theologischen und pädagogischen Ansätze
Fethullah Gülen und „seine“ Bewegung dafür bieten. Zum Leitmotiv avanciert
dabei Fethullah Gülens Verständnis von dar
al-hizmet = das Haus, der Bereich, das Land der menschlichen Dienste. Dies
setzt er gegen das traditionell islamische Verständnis von dar al-harb = Land des Krieges und der Gegner des Islam und dar al-islam = Land des durch den Islam
als Religion geprägten Friedens (vgl. S. XXV, 19, 73). Letztlich geht es um das
gemeinsame Gute („common good“).
--- Die Herausgeber erweisen sich für solche
orientierenden Einschätzungen als besonders kompetent:
Paul Weller ist Professor für interreligiöse Beziehungen an der
Universität Derby und Forschungsdirektor für „Commercial Development“ an der
dortigen Erziehungswissenschaftlichen Fakultät [2]. Er ist auch Mitglied der
Interreligiösen Arbeitsstelle (INTR°A). Er hat umfassende Beiträge zur Multireligiosität veröffentlicht [3].
Ihsan Yilmaz ist Assistenzprofessor für
Politische Wissenschaft an der Fatih Universität in Istanbul und zugleich
Direktor des Postgraduierten-Programms für politische Wissenschaft und Internationale
Beziehungen und hat in London und Oxford neben postgraduierten Studien Politik,
Sozialwissenschaften und Islamisches Recht gelehrt.
--- Die einzelnen BeiträgerInnen mit türkischem,
armenischem, südostasiatischem, britischem, niederländischem und belgischem
„Hintergrund“ bringen gesellschaftliche und soziale (Länder-)Schwerpunkte in
den Blick und beleuchten dazu die kulturell-religiösen Wirkungen Fethullah
Gülens. Dies geschieht in vierfacher Gliederung:
--- Im 1. Teil werden darum die
Voraussetzungen untersucht, die Fethullah Gülen selbst gelegt hat. Dazu bedarf
es neben dem Blick auf das öffentliche Leben und die Frage der muslimischen Identität
auch einer genaueren (linguistischen) Analyse der Texte von Gülen und von ihm
nahe stehenden Autoren. Der Korrelation von Islam, Türkei und Europa wird hier
besonders wichtig (P. Weller, G. Celik, Y. Aslan, Sh. Hettiarachchi).
--- Der 2. Teil konzentriert sich auf den
Zusammenhang von Zivilgesellschaft und islamischem Aktivismus Besonders
spannend ist der Vergleich der zu realisierenden Islam-Vorstellungen in Europa
zwischen dem eher konservativen, aber Dialog offenen Fethullah Gülen und dem
sich moderat modern präsentierenden Tariq Ramadan (W. Krause, E. Toguslu, A.
Pashahayan).
--- Bildungs-
und Friedens-Aktivitäten als „strategische“ Aufgabe der Gülen-Bewegung zeigen sich
im
3. Teil unter dem Stichwort der
Weltverantwortung und Weltbürgerschaft, und zwar mit Beispielen aus den
Niederlanden, Frankreich, Deutschland und Nordirland. Auch kommt die Rolle der
türkischen Minoritäten mit ihren kulturellen und religiösen Impulsen in die
multiethnisch anders geprägten europäischen Länder zur Sprache
(T. Peppinck, E. Demir, M.F. Tetik, J. Lacey).
--- Teil 4 nimmt die Herausforderung durch
den islamistischen Terrorismus auf. Hier lässt sich die klare Strategie der Gülen-Bewegung
hervorheben, die sich gegen jegliche Gewalt wendet und sich von der eigenen
Glaubenstradition bewusst für friedliche Begegnung unterschiedlicher
kultureller und religiöser Gruppierungen einsetzt. Das Schlüsselwort heißt in diesem
Zusammenhang Bildung mit Hilfe der Schule, der Universität, der Medien und der Erwachsenenbildung.
So könnte die Gülen-Bewegung durchaus ein Partner für politisches Handeln in
Konfliktsituationen werden (P. Weller, Y.A. Aslandoğan, B. Cinar, St. Wright,
A. Hussain, I. Yilmaz).
--- Die Bilanz, die beide Herausgeber am
Schluss ziehen, fällt darum trotz manch kritischer Nachfragen einiger Autoren insgesamt
positiv aus: „The movement … has the capacity to be more effective in its
ambitions for greater world peace and individual and social development“ (S.
208). Von daher lässt sich auch für die deutsche Situation folgern, dass mit
der Gülen-Bewegung Ressourcen entstanden sind, die für eine friedliche
multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft auf Zukunft hin produktiv
wirken könnten.
Neuere Titel in deutscher Sprache zur Gülen-Bewegung
- Walter Homolka / Johann Hafner / Admiel Kosman / Ercan Karakoyun (Hg.):
Muslime zwischen Tradition und Moderne.
Die Gülen-Bewegung als Brücke zwischen den Kulturen. Freiburg u.a.: Herder 2011 - Ursula Boos-Nünning / Christoph Bultmann / Bülent Ucar (Hg.):
Die Gülen-Bewegung zwischen Predigt und Praxis. Münster: Aschendorff 2011 - Helen Rose Ebaugh: Die Gülen-Bewegung. Eine empirische Studie.
Aus dem Amerikanischen von Wilhelm Willeke. Freiburg u.a.: Herder 2012
Interview: Fethullah Gülen im ausführlichen Gespräch mit der FAZ (FAZ online vom 06.12.2012)
Anmerkungen
Anmerkungen
1.) Vgl. dazu die Rezension und Information auf
der Rezensionsseite „Ein-Sichten“: http://ein-sichten.blogs.rpi-virtuell.net/2011/09/20/fethullah-gulen-und-die-gulen-bewegung-islam-auf-dem-bildungsweg/
2.) Vgl. das Projekt der Universität Derby "Religion und Gesellschaft": http://www.derby.ac.uk/religion-and-society
3.) Zu den Publikationen von P. Weller (http://www.derby.ac.uk/religion-and-society) u.a.: Time for a Change: Reconfiguring Religion, State and Society (London 2005) / Religious Diversity in the UK: Contours and Issues (London 2008), A Mirror for our Times. ‘The Rushdie Affair’ and the Future of Multiculturalism. (London 2009).
Rezension: http://www.rpi-virtuell.net/workspace/users/535/Rezensionen/Rz-Weller.pdf
3.) Zu den Publikationen von P. Weller (http://www.derby.ac.uk/religion-and-society) u.a.: Time for a Change: Reconfiguring Religion, State and Society (London 2005) / Religious Diversity in the UK: Contours and Issues (London 2008), A Mirror for our Times. ‘The Rushdie Affair’ and the Future of Multiculturalism. (London 2009).
Rezension: http://www.rpi-virtuell.net/workspace/users/535/Rezensionen/Rz-Weller.pdf
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