Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.):
Sterben und Tod
Geschichte – Theorie – Ethik.
Ein interdisziplinäres Handbuch.
Unter Mitwirkung von Klaus Feldmann,
Udo Tworuschka und Joachim Wittkowski.
Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2010, IX, 389 S., 3 Tabellen, Personen- und Sachregister – ISBN 978-3-476-02230-1
Sterben und Tod
Geschichte – Theorie – Ethik.
Ein interdisziplinäres Handbuch.
Unter Mitwirkung von Klaus Feldmann,
Udo Tworuschka und Joachim Wittkowski.
Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2010, IX, 389 S., 3 Tabellen, Personen- und Sachregister – ISBN 978-3-476-02230-1
Zum Kulturen
und Zeiten übergreifenden Themenbereich „Sterben und Tod“ liegt hier zum ersten
Mal im deutschen Sprachraum ein systematisch aufgebautes, geradezu
enzyklopädisches Handbuch vor. Es ist ein wissenschaftlich umfassend
aufbereitetes Werk, wie im Anhang die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats
und die in ihrem jeweiligen Fachgebiet kompetenten Autoren beweisen. Es ist
jedoch noch mehr: Ein Orientierungskompendium für all jene, die sich mit den
Lebensfragen und Verhaltensweisen an der Grenze zum Tod und für ein mögliches
Danach intensiver befassen wollen. Die drei Herausgeber stehen bereits für die
systematisierende Vielfalt der im Buch angesprochenen Themen: Héctor Wittwer von der
Humboldt-Universität für Berlin konzentriert sich auf philosophische Aspekte, Daniel Schäfer (Universität Köln) und Andreas Frewer (Universität
Erlangen-Nürnberg) beziehen sich auf die Medizin-Ethik in Geschichte und
Gegenwart. Die Prüfung einzelner Beiträge haben vorgenommen: Klaus Feldmann, Soziologe und
Sozialpsychologe (Universität Hannover], Udo Tworuschka,
Religionswissenschaftler (Universität Jena) und Joachim Wittkowski, Psychologe
(eigene Praxis und Universität Würzburg). Sie sind auch mit eigenen
Fachbeiträgen vertreten.
Wissenschaftlich,
existentiell bezogen und umfassend intensiv geht es im I. Kapitel um die Darstellungsweisen
der wissenschaftlichen Disziplinen: Geschichte, Religionswissenschaft,
Philosophie, Medizin, Psychologie und Soziologie.
Das II. Kapitel beschäftigt sich mit den Grundlagen und Konzepten, bewusst transdisziplinär, und zwar mit dem Sterbeprozess (medizingeschichtlich und psychologisch), dem Scheintod, Koma, Hirntod (medizinisch und philosophisch), den verschiedenen Ursachen des Todes und der Todesfeststellungskriterien, sowie der Berechnung von Sterberaten und der Definition von „Leiche“ (medizinisch und ethnologisch). Aber auch der soziale Tod, die Herausbildung eines Todeskonzepts bei Kindern und die Zugänge der Genderforschung zu Sterben und Tod werden thematisiert.
Bei den Allgemeinen Haltungen und Umgangsweisen
des Kapitels III heben die Autoren
die Ritual- und Textgeschichte der Annäherungsweisen an den Tod hervor. Ars moriendi. Furcht und
Abwehrstrategien im Kontext der Bewältigung des Sterbens sowie unterschiedliche
Einstellungen zum Sterben erfahren in diesem Kontext unterschiedliche
religiöse, psychologisch und kulturell bedingte Konnotationen. Dies zeigt sich
auch kulturhistorisch und psychologisch an der Trauer(arbeit) sowie an den
Bewältigungsstrategien mit Hilfe eines Glaubens an die Fortexistenz nach dem
Tod. Auch die Bildende Kunst greift mit ihren Mitteln wesentlich in die
Auseinandersetzung um Leiden, Sterbens, Tod und dem Danach ein.
Die konkreten Ausdrucksformen im Kapitel IV betreffen dann in den Phasen
auf dem Weg zum Tod die Patientenverfügung, Sterbebegleitung, die Problematik
der aktiven und passiven Sterbehilfe und
der Hospizarbeit sowie der Palliativmedizin. Angesichts des
eingetretenen Todes geht es um die Obduktion, Leichenpredigten, die kulturellen
Typiken des Sarges und unterschiedlicher Bestattungsformen in Geschichte und
Gegenwart. Hier tritt der auffällige Wandel der Moderne besonders hervor.
Schließlich finden noch Grabinschriften, Todesanzeigen und die
Entwicklungsgeschichte des Testaments gebührende Beachtung.
Das Kapitel V beleuchtet die unangenehmen
und die Öffentlichkeit immer wieder in Beunruhigung versetzenden Elemente von Töten und den Tod erleiden: Abtreibung
(geschichtlich, rechtsmedizinisch, medizinethisch), Euthanasie, Kindstötung,
Selbsttötung (psychologisch, soziologisch, philosophisch, hier allerdings ohne
die sicher auch spannenden geschichtlichen Entwicklungstendenzen seit der
Antike), Mord, Todesstrafe (historisch und philosophisch) und die bis heute
gängige Hinrichtung. Hinzu kommen die dunklen Seiten der Geschichte zum Thema
Massenmord/Genozid. Beim Menschenopfer fallen Entwicklungslinien auf, die den damit
zusammenhängenden und sich daraus entwickelnden Formen des Kannibalismus
betreffen, aber auch das freiwilligen Lebensopfer (Märtyrer) und terroristische
Todesattacken.
Um die
Besonderheit und transkulturelle Zugangsweise des Buches aufzuzeigen, sei aus
dem Kapitel III das Beispiel „Glaube an eine Fortexistenz nach dem Tod“
(S. 203-214) vorgestellt. Dieser Beitrag des Mainzer Religionswissenschaftlers Marco Frenschkowski untersucht die
Entstehung unterschiedlicher Seelen- und Fortexistenzvorstellungen – durchaus
als Topographie-Modelle der Anderwelt, die auf den Jenseitsreisen der
verschiedenen Völker „angesteuert“ wird. Das geht bis hin zu Kontakten mit den
Toten in bestimmten Beschwörungsritualen und der Ethisierung des Jenseits in Gerichtsvorstellungen
und den „Raum“-Bildern von Himmel und Hölle. Schließlich werden Auferstehung
und Reinkarnationsmuster nebeneinander gestellt und westliche Entwicklungen der
jüngeren Zeit im Blick auf die Aufklärung und die Moderne untersucht. Besonders
herausgehoben wird am Schluss das religiöse „Zeit“-Konzept der Ewigkeit unter
religionsphilosophischen Aspekten.
Bilanz:
Was dieses Buch zu einem unerlässlichen Orientierungsbegleiter macht, sind zum Einen die Bearbeitung wichtiger Schlüsselbegriffe und damit entscheidender Fragen, z.B.: Wie sieht humanes Sterben aus? Wann ist ein Mensch wirklich tot? Welche Auswirkungen haben rechtliche Vorgaben gegen Ende und am Ende des Lebens? Warum gibt es Menschenopfer der unterschiedlichsten Art? Zum Anderen werden hier nicht nur die religiös-kulturellen, medizinischen, psychologischen, ethnischen Zusammenhänge sowie der rasante Fortschritt in der Medizintechnik aufgegriffen, sondern auch die Veränderung der Umgangsweisen mit Sterben und Tod zwischen Tabuisierung, Verdrängung aus der Öffentlichkeit. Zugleich ist das Wiederaufbrechen einer neuen Sterbe- und Friedhofskultur mit unterschiedlichen moralischen Bewertungen festzustellen.
Was dieses Buch zu einem unerlässlichen Orientierungsbegleiter macht, sind zum Einen die Bearbeitung wichtiger Schlüsselbegriffe und damit entscheidender Fragen, z.B.: Wie sieht humanes Sterben aus? Wann ist ein Mensch wirklich tot? Welche Auswirkungen haben rechtliche Vorgaben gegen Ende und am Ende des Lebens? Warum gibt es Menschenopfer der unterschiedlichsten Art? Zum Anderen werden hier nicht nur die religiös-kulturellen, medizinischen, psychologischen, ethnischen Zusammenhänge sowie der rasante Fortschritt in der Medizintechnik aufgegriffen, sondern auch die Veränderung der Umgangsweisen mit Sterben und Tod zwischen Tabuisierung, Verdrängung aus der Öffentlichkeit. Zugleich ist das Wiederaufbrechen einer neuen Sterbe- und Friedhofskultur mit unterschiedlichen moralischen Bewertungen festzustellen.
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