Sonntag, 7. September 2014

Zen-Buddhismus: Meditativer Lebensstil zwischen sozialem Engagement und japanischem Nationalismus (aktualisiert)


Besprechung zweier Bücher im Rahmen eines Seminars an der TU Dortmund, Sommersemester 2012: Theorie und Praxis der Religionen bei Krieg und Frieden. Für die Rezension haben wir uns zwei Bücher, die den wichtigen Zusammenhang von meditativer Lebenspraxis, sozialer Verantwortung aber auch den Zusammenhang mit nationalistischen Auswüchsen des Zen-Buddhismus anzeigen:
  • „Barmherzigkeit aus der Stille – Zen und soziales Engagement“ von Ruben Habito (1990)
  •  „Zen, Nationalismus und Faschismus - eine unheimliche Allianz“ von Brian Victoria (1999)
Rezensentinnen: Julia Sänger und Hannah Abraham

Ruben Habito: Barmherzigkeit der Stille –
Zen und soziales Engagement.

Aus dem Amerikanischen von Niklaus Brantschen und Lilian Otto.
Mit einem Vorwort von Hugo M. Enomiya-Lassalle. München: Kösel 1990, 119 S.

--- ISBN 3-466-20084-9
           

 Der ursprünglich philippinische Jesuitenpriester und seit langen Professor für Religionswissenschaft  und spirituelle Traditionen in Dallas/Texas, Ruben Habito (geb. 1947) ist zugleich Zen-Schüler, dessen Erleuchtung von einem japanischen Zen-Meister anerkannt wurde. Er liefert mit diesem Buch Berichte aus eigener Erfahrung, die den ursprünglich in China und Japan entwickelten Zen-Buddhismus sehr anschaulich näher bringen.  
Im Sinne einer inhaltlichen Konzentrierung haben wir uns bei diesem Buch für das Kapitel 8 „Zen und das neue Bewusstsein“ für unsere Buchkritik entschieden, in dem es um ein Gespräch zwischen Yamada Koun Roshi und P. Hugo Enomiya-Lassalle geht. Habito ist dabei der Interviewer. 

1960/70 kamen immer mehr Christen nach Kamakura, einer ca. 50 km südwestlich von  Tokio an der Sagami-Bucht gelegenen Stadt, um am Sesshin (eine Periode unterschiedlicher Länge mit konzentrierter Zen-Meditation) teilzunehmen, das von Yamada Koun Roshi praktiziert wurde. Christen und Buddhisten meditierten zusammen. Hugo Enomiya-Lassalle war damals der einzige Priester der daran teilnahm, weil er wusste, dass er etwas über Zen lernen müsse, wenn er die japanische Mentalität verstehen wollte.
Häufige Fragen der Christen an den Roshi waren, ob sie gläubige Christen bleiben könnten, trotz der Übungen in Zen. Der Roshi nahm ihnen die Angst und erklärte ihnen, dass Zen keine Religion sei „und dass sie es nicht als „System von Glaubenssätzen, Begriffen und Übungen […] sehen sollen“ (S. 94).
Auf die Frage, wie Enomiya-Lasalle die Erfahrung seines ersten Sesshin beschreiben würde, antwortete er, dass er tief beeindruckt war und sich Gedanken machte, ob man dieses Training nicht auch für die Christen übernehmen könnte. Habito erläutert selbst, dass er durch ein Rinzai-Sesshin tiefer in die Frage „Wer bin ich“ eindrang.
 
Die Bedeutung und Wirkung eines Koans (= paradoxer Ausspruch jenseits des logischen Denkens):
Ein Zen-Schüler bekommt ein bestimmtes, zu seiner Reife passende Fragestellung, ein Koan aufgetragen, z.B:. Ein Mönch fragt den Zen-Meister Joshu: „Hat ein Hund die Buddha-Natur oder nicht?“ Joshu antwortete: „Mu.“ Diese völlig unlogische, scheinbar alberne Antwort kehrte das  Innerste des Mönches nach Außen und dies ließ ihn „drei Tage lachen und weinen zugleich“ (S.96). Habito erklärt, dass er durch diese MU-Erfahrung erst verstanden hat, was Paulus in Galater 2,20 ausdrücken wollte: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ Er macht weitere Vergleiche mit der Bibel, um damit die Gemeinsamkeit von Zen und Christentum und nicht ihre Unterschiede zu verdeutlichen. Der Roshi (Meister) zeigt auf, dass er erkannt hat, dass das, was wir Christen „Gott“ nennen, gar nicht so verschieden von dem ist, womit er sich im Zen beschäftigt.
Fazit: Durch die Intensität der Gesprächsteilnehmer, lässt sich deutlich festhalten, dass hier ein bemerkenswerter Fortschritt in der Beziehung von Zen-Buddhismus und Christentum erreicht wurde.
Im Blick auf das nun vorzustellende zweite Buch, ist es wichtig festzuhalten, dass in Japan in der Meiji-Zeit eine politische Veränderung stattfand, die auch erhebliche Auswirkungen auf das Verhältnis von Religion und Staat hatte: Die sog. Meiji-Periode wird zwischen 1868 und 1912 angesetzt. Sie beginnt mit einer Umformung des bisherigen Feudalstaats Japan in eine moderne imperiale Großmacht. Hier gewinnt der sich verstärkende Nationalismus auch religiöse Unterstützung – durch den traditionellen Shintoismus, aber auch durch den Buddhismus, und zwar in dem Sinne, dass die Religion den Staat schützt.
In der Meiji-Zeit und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein herrschte die Meinung vor, dass nur mit Hilfe des Zen der Westen und somit auch das Christentum vollkommen werden könnten, also den westlichen Lebensanschauungen und dem Christentum Wesentliches fehle. Heute dagegen sehen auch Zen-Buddhisten den Zen und das Christentum als gute Ergänzung zueinander und nicht mehr als notwendige Ergänzung für andere Religionen und damit als etwas Besseres, sondern es ist die Verbindung religiöser Lebensmöglichkeiten, die im Einklang miteinander funktionieren und sich unerwartet sehr ähnlich sind.


Brian (Daizen) A. Victoria:
Zen, Nationalismus und Krieg.
Eine unheimliche Allianz
.
Aus dem Englischen von Theo Kierdorf
in Zusammenarbeit mit Hildegard Höhr. Berlin: Theseus 1999, 400 S. --- ISBN 3-89620-132-8
--- Überarbeitete Rezension bei „Ein-Sichten“, zuerst erschienen in
RIG 6 (2000), S. 550–552:
Rz-Victoria

Um eine kritisch-ehrliche Betrachtung unterschiedlicher Facetten des Buddhismus und die Disziplin und Zen-buddhistische Strenge anzusprechen, die offensichtlich auch den japanischen Nationalismus z.T. ideologische untermauerte, sei dieses Buch besonders herausgehoben. 
Brian Victoria aus Neuseeland ist Zen-Priester, Menschenrechtler und Forscher des Zen-Buddhismus  Durch die in diesem Buch beschriebenen Informationen und Hintergründe, die Victoria teils aus eigener Erfahrung, teils aus Berichten von anderen Personen beschreibt, werden auch die kriegerischen und faschistischen Seiten einer im Grunde meditativen Spiritualtät durchleuchtet.
Für die inhaltliche Zuspitzung haben wir uns für Abschnitte des zweiten Kapitels des Buches mit dem Titel „Eine Zeit gesellschaftlichen und politischen Umbruchs“ entschieden, darin besonders auf die „Buddhistischen Reaktionen auf den Westen“ (vgl. dazu. S. 31–35).
Im ersten Teil des Buches befasst sich Victoria mit der Meiji-Zeit von 1868-1912, in der sich das rückständige, ländliche Japan zu dem westlich orientierten und fortschrittlichen Japan entwickelte, das wir heute als moderne Industrienation kennen. In der Einleitung des zweiten Kapitels kümmert Victoria sich zunächst um die Klärung einiger Begebenheiten zu dieser Zeit, wie den Kult des Staats-Shintoismus, einer künstlichen, vom Staat erstellten Konstruktion, welche das Nationalbewusstsein Japans stärken sollte, indem sich alle dort vorhandenen Religionen zu ihm bekennen mussten.
Das Kyoiku Chokogu, die „kaiserlichen Verfügung zur Erziehung“ in der Meiji-Regierung, bestimmt außerdem die Loyalität der Japaner gegenüber dem Thron mit der Ermahnung, sich in Notsituationen für den Staat aufopfern zu müssen. Wie man hier schon merkt, wurde in der Meiji-Zeit sehr viel Wert auf das Nationalgefühl im Staat Japan gelegt und mit allen Mitteln dafür gesorgt, dass alle Bürger sich darauf einließen. Folge dieser radikalen Maßnahmen war der sogenannte „Neue Buddhismus“ (Shin Bukkyo) Ende der 1880er Jahre als Reaktion auf die anti-buddhistische Haltung des Staates am Anfang der Meiji-Regierung. Dieser Zusammenschluss von Buddhisten wollte zeigen, dass auch Priester und Tempel Japans zur sozialen und ökonomischen Situation der Nation beitragen konnten, sich aber auch die buddhistischen Lehren mit der westlichen Wissenschaft und Technologie in Einklang bringen ließen.
 
In dem Textabschnitt „Buddhistische Reaktionen auf den Westen“ geht Brian Victoria darauf ein, dass eine der ersten Reaktionen des buddhistischen Japans auf den Westen, die Kritik am Christentum war. Um dieser Kritik auch eine direkte Grundlage geben und die westlichen Gegebenheiten besser durchleuchten zu können, reisten in der damaligen Zeit buddhistische Priester häufig in westliche Gebiete. Dadurch verbreitete sich überwiegend der im Osten Asiens verbreitete Mahayana-Buddhismus im Westen, welcher vom Westen als degeneriert und korrumpiert angesehen wurde, wodurch sich religiöse Diskriminierungen entwickelten.
In einer Zusammenkunft des Weltparlaments der Religionen 1893 in Chicago versuchten Buddhismusforscher diese in Europa geprägte Definition zu revidieren. Auch wenn die Konferenz nach außen wie eine friedliche Kooperation der Religionen schien, so brodelte es doch im Inneren zwischen westlich, christlich und östlich buddhistisch und hinduistisch, da die Buddhisten Japans der Überzeugung waren, dass der Westen materiell zwar wohlhabend sei, seelisch aber arm und der Mahayana-Buddhismus diese Mängel beseitigen könne. Dadurch entwickelte sich die Ansicht dieser Buddhismus-Form als eine Art Lobpreisung zur Weltreligion. Für diese Weltreligion fühlten sich die Japaner auch verpflichtet, sie in die restliche Welt hinauszutragen.

Einer der angesehensten buddhistischen Gelehrten der damaligen Zeit, Anesaki Masaharu bezeichnete das buddhistische Japan sogar als einzige wahre buddhistische Nation auf der ganzen Welt, welche nun verantwortlich für die Vereinigung des westlichen Denkens, den Fortschritt und dem Ostens sein sollte.
Das sowohl innerhalb Japans, als auch nach außen in die Welt getragene Nationalgefühl mit einer buddhistisch-religiösen Grundlage, wird in diesem Kapitel von Victoria in seiner Problematik und Gefährlichkeit besonders herausgearbeitet und für die Zeit des 19. Jahrhunderts von ihm durchleuchtet. In weiteren Abschnitten ebenso deutlich auch für das 20. Jahrhundert.
Fazit: Das gesamte Buch stellt darum in besonderer Weise heraus, wie zum einen der Zen-Buddhismus eine verantwortliche auf innere Ein-Sicht bezogene Lebensweise ermöglicht, auf der anderen Seite aber genau dies immer wieder instrumentalisiert werden kann. Auch wichtige Meister aus dem japanischen Zen-Buddhismus haben sich damit durchaus bewusst in eine faschistische Denkweise manövriert und nationalistisch-imperiales Auftreten im 20. Jahrhundert gefördert. Der 2. Weltkrieg, dessen Ende in Japan die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki markieren, ist dafür ein warnendes Zeichen.

Weiteres Material zum Zen-Buddhismus

Rezensierte Bücher zum Zen-Buddhismus:
  •  Ursula Baatz:Erleuchtung trifft Christentum. Zen-Buddhismus trifft Christentum (2009)
  • Tee-Zeremonie und Zen-Buddhismus (Sammelrezension)
  • Mazu Daoyi / Dazhu Huihai: Grundlegende Reden und Aufzeichnungen des Chan-Buddhismus (2011)
  •  Konstantin Wecker / Bernard Glassmann / Christa Spannbauer (Hg.):
    Es geht ums Tun und nicht ums Siegen
    (2011): 
    Rz-Wecker-Glassmann

                                                                                                                Rz-Zen-Buddhismus-SoSe 2012, 26.06.12