Annette Schleinzer:
Die Liebe ist unsere einzige Aufgabe.
Das Lebenszeugnis von Madeleine Delbrêl.
Die Liebe ist unsere einzige Aufgabe.
Das Lebenszeugnis von Madeleine Delbrêl.
Ostfildern: Patmos
(Schwabenverlag) 2014,
312 S., Abb., Zeittafel
312 S., Abb., Zeittafel
--- ISBN 978-3-8436-0544-1 ---
Ausführliche Beschreibung
Die
Theologin und Exerzitienbegleiterin Annette Schleinzer ist im Bistum Magdeburg
zuständig für die Katechese in Kirche und Gesellschaft. Bereits 1994 erschien
ihre Biografie über Madeleine Delbrêl. Diese hat sie nun überarbeitet und
aktualisiert. Sie ist sicher die beste Delbrêl-Kennerin deutscher Sprache.
Außerdem ist sie auch mit dem Freundeskreis der „Association des Amis de
Madeleine Delbrêl“ eng verbunden. Was die Autorin an dieser Poetin und Sozialarbeiterin,
dieser „Mystikerin der Straße“ fasziniert, ist eine „tragfähige
Alltagsspiritualität“, die in jüngster Zeit eine „weitere aktuelle Spur
eröffnet, nämlich die tiefe Verwandtschaft Madeleine Delbrêls mit Papst
Franziskus.
Es ist
geradezu frappierend, wie sehr das Anliegen des Papstes, das er in seinem
Apostolischen Schreiben >Evangelii gaudium< zum Ausdruck bringt, bis in
einzelne Formulierungen hinein dem entspricht, was Madeleine Delbrêl gelebt
hat. Sie ist buchstäblich an die Ränder, an die Peripherien gegangen, um dort
ein Leben der >ganz Kleinen<, ein Leben der >Leute von der Straße<
zu leben“ (S. 10).
Madeleine Delbrêl (1904 – 1964) wurde am 24. Oktober 1904 in Mussidan (Dordogne) geboren. Ihre
Kindheit war recht bewegt, weil ihr Vater als Eisenbahner oft versetzt wurde.
Annette
Schleinzer eröffnet nun in drei Schritten einen Verstehenszugang: Die eher
kindliche Glaubenserfahrung von Madeleine in der Dordogne wurde mit der
Weltstadt Paris konfrontiert, als die Familie 1916 wegen der beruflichen
Versetzung des Vaters nach Paris ziehen musste. Nun war in Frankreich 1905 das
Gesetz der strengen Trennung von Staat und Kirche eingeführt worden. Die Basis
ist ein Laizismus, der für die Religionsausübung nur die Privatsphäre vorsieht.
Damit standen die Kirchen faktisch in Konfrontation zum laizistischen Staat. So
verschärfte sich in Frankreich die gesellschaftliche Spaltung von Bewahrern des
„Ancien Régime“, also der Konservativen (meist der Katholiken) und der
antiklerikalen Laizisten. Aber es gab auch im Katholizismus Aufbrüche, wo sich
Christen bewusst auf die Wandlungen in der Gesellschaft einstellten.
Aber zuerst bildete
sich bei Madeleine neben ihren künstlerischen und poetischen Fähigkeiten ein
Denken heraus, das zum einen durch den atheistisch geprägten Vater und dessen
literarischen Zirkel geprägt war. Zum andern spielen die Vorlesungen an der
Sorbonne über Philosophie und Geschichte eine entscheidende Rolle, verbunden
mit den emanzipatorischen Aufbrüchen der Nachkriegsjahre. Sie erscheinen in
bewusstem Gegensatz zu „einer rückständig wirkenden Vergangenheit“ (S. 50). Und
so entsteht eine Sinnsuche, die keinen Gott braucht. „Aber gerade die
Unbedingtheit ihrer Suche führt sie schon bald an die Grenzen dessen, was sie
mit dem Verstand bewältigen kann: Was ist der Sinn des Lebens, das doch
unweigerlich auf den Tod zuläuft? Ist diese Welt und ihre Geschichte angesichts
von Leid und Tod nicht >die unheimlichste Farce, die man sich vorstellen
kann<?“ (S. 51).
Ihr Hunger nach Erkenntnis konnte mit der Aussage „Gott
ist tot“ nicht beruhigt werden. “Die
Zeit der Suche hatte im Grunde schon begonnen; denn auch die Leugnung Gottes in
den schmerzliche Jahren ihrer Jugend war nur die Kehrseite eines drängenden
Verlangens nach Wahrheit, das lieber ungetröstet bleiben will, als sich mit
einem falschen Trost beschwichtigen lassen“ (S. 57). Als ihr Freund Jean
Maydieu sich unerwartet von ihr trennte, um später in den Dominikanerorden
einzutreten und noch die Erblindung ihres Vaters hinzukam, verschärfte sich für
sie die Frage nach Gott erneut und führte bis zum körperlichen Zusammenbruch.
Aus dieser „Nullsituation“ heraus bahnte sich der Durchbruch aus der Todeszone
in den Horizont der Liebe an – in eine Welt hinein, die von Gott geliebt ist
(S. 76). Der Weg führte schließlich zu einem Bekehrungserlebnis 1924, vertieft
durch die Begegnung mit der mystischen Tradition der Teresa von Ávila. So erfuhr
sie den Urgrund alles Seins, die Liebe, die sie nun im Sinne der Gottes- und
Nächstenliebe umzusetzen versuchte. Aber nicht in ein Karmelkloster führte ihr
Weg, sondern in die Sozialarbeit und die Begegnung mit der (industriellen) Arbeitswelt
in all ihrer Härte, wie sie diese in Ivry sur Seine und auch in Paris
der Kriegs- und Nachkriegszeit erlebte. Bereits 1933 hatte sie mit einigen
gleichgesinnten Frauen in Ivry eine Kommunität gegründet, die mehr und mehr
anwuchs.
Durch ihre Solidarität mit den Arbeitern (nicht mit dem Kommunismus) geriet
sie auch in Spannung zu verhärteten Traditionen ihrer Kirche. Das gilt
besonders für die seit 1941 tätige „Mission de France“ im Blick auf die Arbeit
mit der Kirche Fernstehenden und dem beeindruckenden Experiment der
Arbeiterpriester. Beide Initiativen unterstützte Madeleine Delbêl. Als das
Engagement der Arbeiterpriester 1954 vom Vatikan verboten wurde, versuchte sie
zu vermitteln – jedoch ohne Erfolg. Eine wirklich veränderte Kirche ging erst
aus dem 2. Vatikanischen Konzil hervor, dessen Reform-Wirkungen Madeleine Delbrêl
nicht mehr erlebte. Sie starb am 13.10.1964. Inzwischen ist die kaum bekannte
„Mystikern der Straße“ zu einer geschätzten Persönlichkeit, gar päpstlich zur
„Dienerin Gottes“ erklärt worden (Vorstufe zur offiziellen Seligsprechung). Madeleine
Delbrêl verbindet in besonderer Weise das, was Frère Roger „Kampf und
Kontemplation“ genannt hat und nicht nur die Katholische die Kirche zu immer
erneuter Veränderung herausfordert.
Die Autorin
erörtert dieses kontemplativ-aktive Leben unter den Gesichtspunkten von Madeleine
Delbrêls konsequenter Jesus-Nachfolge: Berufung, praktische Umsetzung mit den
evangelischen Räten und ohne Ordensregeln. Es gilt vielmehr angesichts der
Diaspora-Situation der Kirchen in Europa Mission zu betreiben, und zwar in dem
Sinne, dass die Kirche zu den Menschen gehen muss, d.h. das Evangelium
vorlebend predigen. Dazu muss der Gegensatz zwischen profan und sakral eingeebnet
werden. Die Motivation, dies zu praktizieren, liegt in einer Liebe, die
gleichermaßen von Demut und Achtung geprägt ist (S. 257). Denn Gott will sich
finden lassen „in der Armut eines banalen Lebens“
(vgl. Gotthard Fuchs in Christ in der Gegenwart 41/2014:
http://www.christ-in-der-gegenwart.de/aktuell/artikel_angebote_detail?k_beitrag=4225012 – abgerufen 27.01.2015).
http://www.christ-in-der-gegenwart.de/aktuell/artikel_angebote_detail?k_beitrag=4225012 – abgerufen 27.01.2015).
In manchem erinnert ihre „Mystik
der Straße“ an Bernard Glassmann, den engagierten Zen-Buddhisten auf den
Straßen New Yorks (vgl. sein Buch: Zeugnis ablegen. Berlin: Theseus 2001). Das
konsequente Glaubensleben von Madeleine Delbrêl macht Mut, gesellschaftliches
Engagement und persönliche Frömmigkeit im Alltag glaubwürdig umzusetzen und so
ein authentisches Zeugnis göttlicher Liebe zu geben. Unsere Zeit braucht
wahrhaftig viele Menschen, die diese liebende Achtsamkeit leben.
Neue Einblicke:
Madeleine Delbrêl et les saints du Carmel -
par Sophie Mathis
Nouvelle Cité: Bruyères-le-Châtel 2021, 209 pp.
--- ISBN : 9782375822333
L’influence exercée par les saints du Carmel et l’originalité propre de Madeleine Delbrêl
LIRE UN EXTRAIT >>>
Reinhard Kirste
Rz-Schleinzer-Delbrel, 31.01.15
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