Samstag, 4. November 2017

Memoiren des Grafen de Bonneval (1675-1747) und eine seltsame Konversion zum Islam

Titelblatt des 1. Bandes
London 1737
Claude-Alexandre, Comte de BONNEVAL  (1675-1747): Mémoires du Comte de Bonneval, ci-devant Général d'Infanterie au service de Sa Majesté Impériale & Catholique. 
Tome I-II + Nouveaux mémoires … Contenant ce qui lui est arrivé de plus remarquable durant sont séjour en Turquie.

3 Bde in 1 Bd. London (eig. Amsterdam):
Aux dépens de la Compagnie 1737/1738,
192 S., 184 S., 191 S. (Erstausgabe)


Dieses zuerst in Paris (1737) und dann in mehreren Ausgaben erschienene anonyme Werk des französischen Grafen, Claude-Alexander Graf von Bonneval, ist ein wenig bekanntes, aber in seiner Ambivalenz ausgesprochen spannendes Werk zur Wahrnehmung des Islam im Zeitalter der Aufklärung. Trotz der ständigen Gefahr durch die Türkenkriege hatte sich eine große Orientbegeisterung breit gemacht. Das führte erstaunlicherweise bei vielen Gebildeten keineswegs zu Ressentiments gegen den Islam. Das hier vorgestellte Buch ist lange nicht mehr aufgelegt worden oder taucht eher im Raubkopie-Bereich auf. Vgl. FAZ online zum Nabu-Verlag vom 29.03.2012. Der Titel ist also leider nur antiquarisch erhältlich, obwohl für Heutige hier ein ausgesprochen interessantes Bild des 17./18. Jahrhunderts gezeichnet wird - im Grunde eine Chance für eine Neuauflage und genügend Stoff für einen Film.

Zur Biografie des Comte Claude-Alexandre de Bonneval
Château Bonneval im Limousin (wikipedia.fr)
Der 1675 im Schloss  Bonneval  geborene Graf stammte aus einer alten Adelsfamilie des Limousin. Er diente als Offizier in der französischen Armee unter Ludwig XIV., dann stand er in italienischen, österreichisch-kaiserlichen Diensten und bewies schließlich sein exzellentes Organisationstalent im Heer des Osmanischen Reiches. Trotz seiner großen militärisch-logistischen Fähigkeiten gab es immer wieder erhebliche Probleme aufgrund seines unberechenbaren und jähzornigen Temperaments und mancher Liebesaffären.
So wechselte er mehrfach die Seiten. Dank des Kontakts mit dem für die Habsburger Monarchie wirkenden Prinz Eugen von Savoyen wurde er sogar zum General befördert und kämpfte sowohl gegen Frankreich wie gegen das Osmanische Reich, und zwar zuerst mit großem Erfolg.

Begegnung mit dem Comte de Bonneval auf der Route Richard Löwenherz: hier

Vgl. Katalog zur Ausstellung: Prinz Eugen und das barocke Österreich. Ausstellung der Republik Österreich und des Landes Niederösterreich. Marchfeldschlösser, Schlosshof und Niederweiden vom 22.04.- 26.10.1986.
Wien 1986, XXXI,479 S., Abb., Zeittafel 

Wegen einer zweifelhaften Liebesbeziehung fiel der Comte bei Prinz Eugen in Ungnade, der ihn darum als Organisator für die Artillerie in die Niederlande schickte. Dort kam es mit Eugens Vize-Statthalter zum Eklat. Das Militärgericht verurteilte ihn zum Tode. Er wurde jedoch von Kaiser Karl VI. begnadigt und nach Wien gebracht. Aller seiner Ehren und Auszeichnungen beraubt, führte sein Weg über das Exil in Venedig schließlich nach Konstantinopel. Um der Einflusssphäre der Habsburger zu entkommen, bot er über einige Vermittler dem Sultan seine Dienste an und wurde ein Freund des angesehenen Mullah Ismail Pascha. 
Grabmal des Pascha-Grafen in Istanbul (Wikipedia.fr)
Schließlich konvertierte er zum Islam und nannte sich nun  Humbaraci Ahmed (Ahmet) Pascha. Jetzt kämpfte er mit dem osmanischen Heer gegen Österreich und Russland! 
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass er in Istanbul mit dem noch jungen Giacomo Casanova zusammentraf, der sich im Auftrag der venezianischen Marine in der osmanischen  Hauptstadt aufhielt ...
Aber auch während seiner Dienste  im Osmanischen Reich war er wieder in zweifelhafte Geschäfte und Beziehungen verwickelt. Ehe es hier zur Eklat kam, verstarb er im März 1747 in Istanbul. 
Die Konversion zum Islam
In einem Brief über seine Konversion, der fragmentarisch bei Voltaire erhalten ist, steht nicht nur, dass er versuchte, seinen Kopf zu retten und deshalb lieber den Turban aufsetzte, sondern auch:  
Der Graf als Ahmet Pascha,
 gemalt "nach der Natur"
 von Jean-Étienne Liotard
(wikipedia.fr)
"Es kam mir etwas lächerlich vor, mich beschneiden zu lassen, aber man versicherte mir, dass man mir diese Operation wegen meines Alters ersparen würde. Das Lächerliche, die Religion zu wechseln, ließ mich jedoch keineswegs mit dem aufzuhören, was ich immer schon gedacht habe: Es ist Gott völlig gleichgültig, ob man Muslim, Christ, Jude oder Zoroastrier ist".
 --- Es folgen Namen einiger berühmter Adliger, die genau so denken wie der Graf von Bonneval, ebenso auch der Prinz Eugen!  Seiner Dienerin Lamira (zugleich seine Übersetzerin ins Französische) bekennt er  den Wunsch nach Konversion. Ein Imam führt ihn in die Lehre des Islam ein. Am Schluss sagt der "Priester":
 "Wenn nun dieser hier anwesende Christ, seinem götzendienerischen Kult abschwören und jenen der siegreichen Muslime annehmen will, ist nichts weiter nötig vor mir, als unsere heilige Formel auszusprechen und die 
vorgeschriebenen Gebete und Waschungen zu vollziehen  ..."  Nachdem Lamira ihm alles übersetzt hatte, erzählt der Graf noch, dass diese Zeremonie vor zwei Muslimen stattfand. Danach ließ er sich den Kopf rasieren, und der Imam setzte ihm einen Turban auf ...

In: Voltaire, Joseph-Marie Durey de Morsan, Jean-Louis Wagnière und Charles-Frédéric Gabriel Christin: Commentaire historique sur les oeuvres de l'auteur de la Henriade etc.: avec les pièces originales et les preuves (= mit den originalen Belegen und Beweisen). Bâle (Basel) gedruckt bei: Chez les Héritiers de Paul Duker 1776, p. 30-35  Der vollständige Text in wikipedia.fr  (Alexandre-Claude Bonneval).

Vgl. dazu auch mit etwas anderer Einschätzung des  Grafen:
Hermann E. Stockinger: Die Apostasie  des Pascha-Grafen  Alexander von Bonneval (1675-1747) und europäische Stimmen  zum "Fall Bonneval". In: Dietrich Klein / Birte Platow (Hg.): Wahrnehmung des Islam zwischen Reformation und Aufklärung. München: W. Fink 2008, S. 109-137. Rezension: hier


So ungewöhnlich in manchem auch die Memoiren des Grafen de Bonneval klingen mögen,
sie sind Teil einer "extraordinären Geschichte der Renegaten".
Diese werden beschrieben in:

Bartolomé + Lucile Bennasar:
Les Chrétiens d'Allah. L'histoire extraordinaire des renégats.
XVIe – XVIIe siècles. Paris: Perrin [1989], 2006, 493 S., Abb., Zeittafel, Glossar. 

Ausführliche Besprechung von Isabelle Potrin
in "Carnets de Recherche" 01.03.2016







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