Sidney H.Griffith / Sven Grebenstein (Hg.):
Christsein in der islamischen Welt.
Festschrift für Martin Tamcke zum 60. Geburtstag.
Wiesbaden: Harrassowitz 2015, 633 S., Abb.
Inhaltsverzeichnis nach den Literaturhinweisen !
Christsein in der islamischen Welt.
Festschrift für Martin Tamcke zum 60. Geburtstag.
Wiesbaden: Harrassowitz 2015, 633 S., Abb.
Inhaltsverzeichnis nach den Literaturhinweisen !
--- ISBN 978-3-447-10441-8 ---
Martin
Tamcke (geb. 1955) gehört zu den herausragenden Theologen und Orientalisten,
die sich intensiv mit dem gesamten östlichen Christentum befassen. Der vielfach
ausgezeichnete Forscher von der Universität Göttingen untersucht sowohl die
Geschichte als auch gegenwärtige Entwicklungen der christlichen Kulturen im
Nahen und Mittleren Osten. Eine Fülle von Monografien, längeren und kürzeren
Beiträgen hat er zu diesem Themenbereich veröffentlicht.
Tamcke
wirkte bereits in seiner Studienzeit (in Göttingen) an Forschungen zur Kulturgeschichte
des Mittleren Ostens und Zentralasien mit. Nach seiner Habilitation 1993 sowie Lehrtätigkeiten
am Missionsseminar Hermannsburg und an der Universität Marburg wurde er 1999 auf
den Ökumenischen Lehrstuhl der Universität Göttingen berufen. Gastprofessuren
führten ihn nicht nur an europäische Universitäten des Westens wie des Ostens,
sondern auch mehrfach in den Fernen Osten, nach Indien, Indonesien nach Amerika.
Derzeit ist er als Professor an der Universität Göttingen
zugleich Direktor für eurokulturelle
und interkulturelle Theologie.
zugleich Direktor für eurokulturelle
und interkulturelle Theologie.
Prof. Martin Tamcke bei einem Vortrag im koptischen Kloster Höxter-Brenkhausen |
Da
verwundert es nicht, dass die Festschrift zu seinem 60. Geburtstag ein
internationales Kaleidoskop seiner Forschungsthemen ist, das ihm Freunde und
Schüler aus aller Welt gewidmet haben. Es ist auch fast nicht möglich, die
verschiedenen Facetten der Bereiche zu bündeln. Die beitragenden
Wissenschaftler argumentieren einmal stärker grundsätzlich und im
historischen Kontext. Zum Andern geht es mehr um die wirkungsgeschichtlichen Strömungen des östlichen Christentums. Zum Dritten
gehen einige Autoren auf regionale oder
ortsbezogene Ereignisse und Dokumente ein. Bei alldem kommt zum Vierten die
aktuell- bedrohte Minoritätensituation
der östlichen Christen in den
Blick Aus der vielfältigen Fülle der Beiträge seien hier diejenigen Themen
herausgegriffen, die die interreligiösen Aspekte in ihrer Wirkungsgeschichte betonen
und zugleich die Situation Nordafrikas und des Nahen bzw. Mittleren Osten vom
19. bis 21. Jahrhundert ansprechen.
In der
Einleitung betont Heleen Murre den van
Berg (Leiden), dass die unerwartete Popularität des mittelöstlichen
Christentums vielfältige Geschichten ans Licht bringt, die erzählt werden
müssen (S. 11). Dazu sind aber grundsätzliche Überlegungen nötig, die sich aus
den jeweiligen historischen Kontexten sowohl in früh-islamischer Zeit wie auch
in späteren Entwicklungen bis hin zur Gegenwart ablesen lassen.
1. Grundsätzliches
im historischen Kontext:
Tilman Nagel (Göttingen) verweist
auf die unterschiedlichen Glaubensausprägungen: Das Christentum ist mehr nach
innen gerichtet, das Judentums bezieht stark auf das Gemeinwesen, der Islam
zeigt sich nach außen gerichtet und theokratisch (S. 39–64). Angelika Neuwirth (Berlin) betont die
Verortung des Koran in den erkenntnistheoretischen Debatten der Spätantike (S.
65–79). Wie aristotelische Denkstrukturen sowohl auf christlicher wie auch auf islamischer
Seite die Debatte prägen, beschreibt (S. 141–163), John W. Watt (Cardiff). Spannend sind die islamischen Interpretationen
bezüglich der Nazarener als arabisch sprechender Evangeliums-Leute, wie der
Mitherausgeber Sidney H. Griffith
(Washington, D.C.) betont (S. 1–106).
2. Wirkungsgeschichtlich
historisch:
Disput, Polemik und Dialog prägen sowohl die
Differenzierung zwischen den Jüngern Jesu und den späteren (korrumpierten)
Evangelien (so Jaakko Hämeen-Antilla,
Helsinki, S. 107–122), wie die koranische Eschatologie mit dem Verständnis des
Jüngsten Tages (Georges Tamer,
Erlangen, S. 123–140). Oft ist jedoch die Kenntnis des Christentums höchst
oberflächlich, wie Theresia Hainthaler
(Frankfurt/M.) an dem berühmten, aus Basra stammenden Schriftsteller al-Gahiz (776/7–868/9) vorführt (S. 243–256).
Bei aller Polemik von christlichen Theologen gegen den Islam und von
islamischen Theologen gegen das Christentum (besonders gegen die Christologie
und die Trinität) bleibt festzuhalten, dass es anscheinend dialogische und sogar trialogische Chancen
gab. Man denke an die Bedeutung der Königin von Saba und des Königs Salomo (Gerrit Reinink, Groningen, S. 257–268). Ähnliches
lässt sich auch gut an dem Ostchristen Al-Kindi
mit seinen apologetisch argumentativen Versuchen sehen (Peter Bruns, Bamberg, S. 269–281). Die intensive Verteidigung,
besonders der Inkarnation und der Kreuzigung Jesu als Heilsereignisse, verlief
im Hoheitsgebiet muslimischer Herrscher notwendigerweise zum Teil verdeckt (Marl N. Swanson, Chicago, S. 283–297). Schließlich
muss man davon ausgehen, dass in den islamischen Herrschaftsgebieten schon bald
die Christen in eine problematische Minderheitensituation gerieten. So
entwickelte der islamische Theologe Abd
al-Jabbar im 9. Jh. eine heftige antichristliche Argumentationslinie (David Thomas, Birmingham, S. 313–322).
Eine Sondersituation stellt das Christentum unter mongolischer Herrschaft im
13./14. Jh. (Wolfgang Hage, Marburg, S.
323–329).
3. Regional-
bzw. lokalgeschichtlich:
Da die einzelnen Beitragenden für Martin
Tamcke gewissermaßen eine “Kostprobe“ aus ihren Forschungen dem Jubilar
dedizieren, gehört auch ein Blick in die Poesie dazu (Alessandro Mengozzi, Turin und Anton
Pritula, St. Petersburg, S. 331–344.345–357). Immer wieder kreisen die
Artikel jedoch um interreligiöse oder auch innerchristliche
Auseinandersetzungen oder Arrangements. Beispielhaft stehen hier der
armenischen Mönch Gregor von Datev (Hacik Rafi Gazer, Erlangen, S. 359–369),
und der Pilgerbericht eines Mönches aus dem berühmten Kloster Tur Abdin nach
Jerusalem im 15. Jh. (Hubert Kaufhold,
München, S. 371–387). Die weiteren Darstellungen gehen vom 18. Jahrhundert bis
in die Neuzeit. So wird u.a. über die friedvolle Missions“strategie“ der
Herrnhuter im Osmanischen Reich berichtet (Christian
Mauder, Göttingen, S. 401–422). Die Vernichtung wichtiger Bücher des
Klosters Tur Abdin im Zusammenhang des Genozids an den syrischen Christen
(1915ff) beschreibt bzw. dokumentiert (S.479–494) Shabo Talay (Berlin). Für die Forschung ist es wichtig, das 19.
Jahrhundert stärker in den Blick zu nehmen. Eine Reihe berühmter Orientalisten
und Arabienforscher wäre hier zu nennen, u.a. auch der Priester Alois Musik (1868-1944), über den Dietmar W. Winkler (Salzburg) schreibt
(S. 495–512).
4. Aktuelles:
Die
letzten 6 Beiträge befassen sich mit verschiedenen Aspekten der christliche
Orientgeschichte seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Assad Elias Kattan (Münster) stellt (S. 513–523) den wichtigsten
arabischen Theologen der Gegenwart vor: Georges
Khodr (geb. 1923), den griechisch-orthodoxen Erzbischof vom Berg Libanon.
Er hat in der Spannung von Nähe und Distanz eine kritische Wahrnehmung des
Westens entwickelt. Ägypten in der Vorstellung der Antike bis heute und
ägyptische Realität im Blick auf die Kopten beschreiben Heike Behlmer (Göttingen) mit durchaus satirischen Bildbeispielen
(S. 525–545) und Wolfram Reiss (Wien)
mit kritischer Beleuchtung des neuen Kirchbaugesetzes für Ägypten von 2014 (S.
547–566). Auf die schwere Identitätskrise der palästinensischen Christen gehen Gabriel Rosenthal, Hendrik Hinrichsen und
Johannes Becker (Göttingen) mit ihrer Untersuchung ein (S. 567–585). Die
beunruhigende Entwicklung und Dezimierung der irakischen Christen beschreibt Herman G.B. Teule (Nijmegen/Louvain). Er
skizziert die politischen Veränderungen im Zusammenhang mit dem Erstarken des
sog. Islamischen Staates (S. 587–594). Harald
Suemann (Bonn) blickt auf die christliche Geschichte des Irak seit dem Ende
des Osmanischen Reiches zurück. Vor dem aktuellen politischen Hintergrund thematisiert
er dann auf die Position des Patriarchen
Louis Raphael I. Sako. Dieser fordert gerade für den gegenwärtigen Irak,
dass die Christen eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielen müssen (S.
595–612).
Besonders
beeindruckend ist der Beitrag des griechisch-orthodoxen Christen und syrischen
Politikers George Sabra (geb. 1947),
der gegenwärtig in Beirut (im Exil) lebt. Er benennt sehr präzise „Knackpunkte“
christlicher Sichtweisen (verschiedener Theologen) in Hinsicht auf den Islam
und öffnet damit die Tür für einen ehrlichen Dialog mit der Nachbarreligion: Zwar
wird im Koran Jesus als Botschafter und Prophet verehrt, aber es bleiben
christliche Abwertungen: Teilweise bis heute gilt der Islam als christliche Häresie
oder als legitime Form der jüdisch geprägten Christenheit (vgl. Einfluss der
„Nazarener“ auf den Koran, s.o.S. 81ff den Beitrag von Sidney H. Griffiths).
Aber der Islam konnte schon sehr früh auch als Teil der göttlichen
Heilsgeschichte angesehen werden. Schließlich wird er als Ismaelismus
bezeichnet, um Ismael als Präfiguration Christi zu verstehen. Am wenigsten
Schwierigkeiten macht das Verständnis des Islam als abrahamische Religion,
während die Bezeichnung des Islam als Gesetzesreligion auch negative
Konnotationen mit sich bringt, während Georges
Khodr (s.o.S. 513ff den Beitrag von Assad Elias Kattan) den Islam als eine
Religion ansieht, die christliche Wahrheiten bestätigt. Damit ist auch der Weg
geöffnet, den Islam als legitime religiöse Annäherung an Gott zu verstehen (so Mouchir Aoun, geb. 1966). Sie ist als
Minderheitenposition verwandt mit den religionspluralistischen Theologien des
Westens. Die Chancen zu einem respektvollen Dialog mit dem Islam zu kommen, hat
allerdings derzeit nur geringe Chancen, weil zum einen die selbstkritische
Reflexion der eigenen Glaubenstradition defizitär ist und weil zum anderen das
Erstarken des (islamischen) Fundamentalismus auch vorsichtige Annäherungen zu
zerstören droht.
Bilanz: Beim
Rückblick auf die faszinierende und zugleich beunruhigende Geschichte der orientalischen
Kirchen und Christen kann man den Herausgebern und Autoren nur dankbar sein,
dass sie die Frage der „Ostkirchen“ zwischen Byzanz und Bagdad so deutlich an
einzelnen Schlüsselpunkten markiert haben. Hier steht ein großartiges
christliches Erbe zur Disposition, das letztlich nur auf friedlichem Wege auch
im Nahen und Mittleren Osten wenigstens in einer wieder erstarkenden Minorität
erhalten bleiben kann.
Weitere Infos und Literaturhinweise zum
Thema
- Egbert Schlarb (Hg.): Den Orient erforschen, mit Orthodoxen leben. Festschrift für Martin Tamcke zum Ende seiner aktiven Dienstzeit - Göttinger Orientforschungen . » I. Reihe: Syriaca, Bd. 61. Wiesbaden: Harrassowitz 2021, 798 S., Abb., Tabellen --- Inhaltsverzeichnis & Vorwort >>>
Martin Tamcke: Christen in der islamischen Welt. Von Mohammed bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck 2008, 205 S., Abb. --- Verlagsinformation & Inhaltsverzeichnis
- Martin Tamcke: Christliches Leben in islamischer Welt.
Exemplarische Erkundungen und west-östliche Interaktionen.
Ausgewählte Vorträge und Aufsätze 2003-2018
Durchgesehen und herausgegeben von Egbert Schlarb.
Wiesbaden: Harrassowitz 2020, 288 S., 2 Abb.
Inhaltsverzeichnis und Vorwort >>> - Martin Tamcke (Hg.): Profile gelebter Theologie im Orient.
Sidney Harrison Griffith zum 80. Geburtstag.
Göttinger Orientforschungen I. Reihe: Syriaca 55
Wiesbaden: Harrassowitz 2018, 280 S.
Verlagsinformation, Inhaltsverzeichnis, Leseprobe: hier - Martin Tamcke: Christen in der islamischen Welt.
Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 12.06.2008 - Martin Tamcke (Hg.):
Orientalische Christen zwischen Repression und Migration.
Beiträge zur jüngeren Geschichte und Gegenwartslage.
Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte, Bd. 13
Münster u.a.: LIT 2001, 210 S. - Martin Tamcke / Heike Behlmer (Hg.):
Imaginiert und real, erschaut und erdacht.
Literarische Werke von und über Christen in Ägypten.
Wiesbaden: Harrassowitz 2917, VIII, 164 S., 1 Karte
Infos, Inhaltsverzeichnis und Leseprobe: hier - Sammelrezension 2009:
Orthodoxe Spiritualität und Theologie
- Der Geist des Ostens im Westen - Martin
Tamcke bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Tamcke - Titel im Verlag C.H. Beck:
http://www.chbeck.de/trefferliste.aspx?action=author&author=12923 - Titel im Verlag Suhrkamp/Insel (Verlag der Weltreligionen):
http://www.suhrkamp.de/autoren/martin_tamcke_7331.html
Reinhard Kirste
Christsein in der
islamischen Welt (Festschrift Martin Tamcke) 2015
Inhaltsverzeichnis Seite
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