Christian
Mauder / Thomas Würtz /
Stefan Zinsmeister (Hg.):
Koran in Franken. Überlegungen und Beispiele
für Koranrezeption in fremden Kontexten.
Judentum – Christentum – Islam.
Interreligiöse Studien Bd. 15.
Würzburg: Ergon 2016, 199 S.
--- ISBN 978-3-95650-220-0 ---
Stefan Zinsmeister (Hg.):
Koran in Franken. Überlegungen und Beispiele
für Koranrezeption in fremden Kontexten.
Judentum – Christentum – Islam.
Interreligiöse Studien Bd. 15.
Würzburg: Ergon 2016, 199 S.
--- ISBN 978-3-95650-220-0 ---
Buch des Monats April 2017
der InterReligiösen Bibliothek (IRB)
Wenn man den Titel „Koran in Franken“ hört, löst
dies sicher zuerst Verwunderung aus. Mit diesem Thema beschäftigte sich eine
Tagung im Jahre 2011. Bei genauerem Nachdenken hat man schon eine Ahnung, und
die Herausgeber bestätigen es (S. 9): Der Dichter und Begründer der
Orientalistik, der Franke Friedrich Rückert (1788 – 1866), wurde zu
einer Art Leitmotiv: Rückert gelang es mit seiner Übersetzung von Teilen des
Korans, die Poesie dieser Heiligen Schrift mit bewusst deutschen Rhythmen zur
Sprache zu bringen. Dieser Versuch ist bisher einzigartig geblieben. Die
berühmte Orientalistin Annemarie Schimmel war davon überzeugt, dass Rückerts
„Über-Setzung“ immer noch die beste aller deutschen Übertragungen sei.
Das Buch wurde
von drei jüngeren Theologen und Islamwissenschaftlern herausgegeben. Der
Geschäftsführer der Rückert-Gesellschaft, Rudolf Kreutner, hat in seinem
Geleitwort Friedrich Rückert als Übersetzer selbst sprechen lassen. Die
vorliegenden Beiträge bieten allerdings keine koranische Regionalgeschichte,
sondern sie zeigen vielmehr, wie die Rezeption des Korans in unterschiedlichen
regionalen und kulturellen Kontexten eine eigene Dynamik entwickelt. Das wird
durch den Untertitel bereits deutlich.
So wird nach einleitenden Überlegungen natürlich
ein fränkischer Schwerpunkt gesetzt, um von dort weitere Kontexte zu
berücksichtigen und Übersetzungen, z.B. das Türkische oder das Swahili
einzubeziehen.
Damit man aber die Bedeutung Frankens für
Koranübersetzungen seit dem Ende des Mittelalters wirklich wahrnimmt, stellt
der Erlanger Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin unter dem Titel: Der
Koran in Franken [deutsche] Übersetzungen des arabischen Originals vor. Er
erläutert dazu die historischen Hintergründe und auch eine gewisse Offenheit
der lutherischen Theologie gegenüber dem Koran. Letztere hängt mit der Wirkung von
Georg Calixt (1586–1656) zusammen. Er
war von Melanchthons Theologie und dem Humanismus gleichermaßen beeinflusst. Er
lehrte an der damals bedeutenden Universität Helmstedt.
Die vollständige
erste deutsche Koran-Ausgabe erschien 1616 in Nürnberg von Salomon Halbmeier,
1623 ebenfalls in Nürnberg von Salomon Schweigger; eine Latein-Übersetzung 1543
in Basel von Johannes Oporinus. Eine Überarbeitung der Schweiggerschen Ausgabe
erfolgte 1559 wieder in Nürnberg. Im 18. Jahrhundert fällt zuerst die Übersetzung
der englischen Ausgabe des Schotten Alexander Ross „The Alcoran of Mahomet“
(1649) ins Gewicht. Sie benutzte der aus Nürnberg stammende lutherische
Theologe David Nerreter (1703) für seine Verdeutschung und Widerlegung. Der
Schweinfurter Sprachgelehrte Friedrich Rückert wird dann intensiv gewürdigt:
Seine „Koranübersetzung ist vor allem deshalb so einzigartig, weil sie sich in
Stil, Rhythmus und Sprachklang engstens an das Original anlehnt und ihm
meisterhaft nachempfunden ist“ (S. 33). So sieht man sehr klar, dass Franken
für die Übertragungen des Korans ins Deutsche eine wesentliche Bedeutung
gewonnen hat.
Gewissermaßen
einen kleinen Praxistest dazu unternimmt der Bochumer Islamwissenschaftler Dara Alani: Eine sprachliche
Untersuchung der vielschichtigen Erzählung über das Abraham-Opfer (Genesis 22, Sure 37). Als ein im Koran geoffenbarter
Text wird die Notwendigkeit deutlich, zum Verstehen alle zur Verfügung
stehenden sprachanalytischen und hermeneutischen Methoden zu nutzen.
Was haben der „Koran
in Franken“ sowohl mit der modernen arabischen
Literatur wie dem religiösen Erbe gemeinsam? fragt die Berliner
Islamwissenschaftlerin Susanne Enderwitz. Sie erinnert an die
allegorische Deutung koranischer Mythologie im 20.Jh. Zur Konkretion zieht sie
literarische Beispiele aus Ägypten heran: Nagib Mahfus, Taha Husain und
´Ala al-Aswani. Sie stehen alle auf der Seite eines aufgeklärten und
sufisch gefärbten Islam und geraten dadurch in Gegensatz zu den herrschenden (diktatorischen)
Machteliten. Zu hoffen bleibt, dass die arabische Literatur stark genug ist,
die Rückschläge nach dem arabischen Frühling zu verkraften und weiterhin
Impulse für die Zukunft zu setzen.
Der
Spezialist für das orientalische Christentum, Martin Tamcke (Universität Göttingen), unterzieht den Koran einer transkulturellen hermeneutischen Prüfung aus
christlicher Sicht. Hier gilt zuerst die Verschiedenheit von Christentum
und Islam festzuhalten. Der Autor hinterfragt die gängige Meinung des
Christentums als Buchreligion. Vergleiche zwischen Bibel und Koran sind auch
deshalb schwierig, weil der Koran den Anspruch hat, unmittelbar Gottes Wort zu
sein. Eine
interreligiöse Zwiesprache im Sinn von Martin Buber erscheint als die angemessenste
Möglichkeit (S. 76). Das Ziel wäre also ein gemeinsames Lernen am Koran, „das der Verschiedenheit Rechnung
trägt und doch geprägt ist von der Suche nach dem Gemeinsamen“ – im Sinne
gemeinsamer religiöser Basis (S. 77).
Das 19.
Jahrhundert brachte für die Kunst(lehre) des Übersetzens einen wichtigen Schub.
Hans-Peter Pökel (Freie Universität
Berlin) geht in seinem Beitrag Lost
Translation – Der fremde Koran im neunzehnten Jahrhundert von
Friedrich Schleiermachers hermeneutischem Konzept aus. Die Schwierigkeiten des
Übersetzens als Übertragen in die Gegenwart wirken sich natürlich entsprechend
auf das Verständnis des Korans aus. Das haben auch der französisch-israelische
Schriftsteller André Chouraqui und
der Philosoph Walter Benjamin betont.
Denn welcher Bedeutungsgehalt soll vermittelt werden? Die Koran-Editionen des
19. Jh.s zeigen zwar immer wieder ins Spiel kommender negativer
Vorverständnisse, aber es gibt auch ein positives Bemühen: Man will den Koran innerhalb
der drei monotheistischen Glaubensdokumente sachgemäß verorten und anerkennt
damit die geistige Nähe der drei Religionen.
Ausführlich
bearbeitet Thomas Würtz (Katholische
Akademie und FU Berlin) Chancen und
Schwierigkeiten deutscher Koranübersetzungen an Sure 21,107. Hier steht der
Gedanke der Barmherzigkeit jeweils im Mittelpunkt. Der Autor macht sich die
Mühe, die Übersetzungen von 1616 (Salomon Schwaigger) bis 2009/2010 (Milad Karimi,
Hartmut Bobzin) nachzuverfolgen. Er wirft dann noch einen Blick auf
Koranübersetzungen in Englisch, Französisch, Türkisch und Persisch. Weil das
Übersetzungsgeschehen mehr sein muss als bloße Mitteilung, müsste im
Grunde der Koran in der neuen Sprache
auch neu klingen (S. 153).
Unter türkischen Vorzeichen zeigt Hüseyin Ağuiçenoğlu (PH
Weingarten) wie das absolute Koranverständnis als geoffenbartes Wort Gottes im
Osmanischen Reich Übersetzungen des Heiligen Buches lange verhinderte. Erst
1841 erschien eine türkische Ausgabe. Die Entstehung
des (säkularen) Nationalstaates verdrängte das Arabische. Der arabische
Originaltext des Korans wurde dadurch zur Ritualsprache. Mit dem Ende des
republikanischen Deutungsmonopols erfuhr die Koranexegese in der Türkei eine beachtliche Viefalt. Das sich in
letzter Zeit wieder verschärfende Problem ist jedoch, dass neben dem
kemalistisch-laizistischen Islam die traditionell-islamistische Korandeutung
zunehmend an Boden gewinnt. Die Auffassungen der Diyanet-Behörde haben hier
jeweils Deutungshoheit. Im Jahre 2011 verweist der Autor allerdings noch
zurückhaltend auf zunehmende Absolutheitsansprüche.
Ähnlich stellt sich auch die Situation der Swahili-Übersetzungen dar, wie John
Chesworth (Universität Birmingham) beschreibt: The Quran in Swahili Translations, Tensions and Teachings. Seine
Beispiele stammen aus der Küstenregion Ostafrikas und aus Sansibar. Die
religiösen Lehrer in Lamu, Mombasa und Sansibar misstrauten
Swahili-Übersetzungen des Korans aus ähnlichen Überlegungen, wie sie auch Hüseyin
Ağuiçenoğlu benannt hat.
Interessanterweise erschienen die ersten Übersetzungen auf Seiten
des Christentums und der als nicht orthodox angesehenen Ahmadiyya: 1923 in
England (!). dann 1953 und 1969 in Nairobi: Weitere Übersetzungen erschienen in
Dubai 1995 und 2003 in Daressalam, die 2. Aufl. 2008 in Qom, Iran (also aus
schiitischer Perspektive). Immerhin, die Muslime an der Küste Ostafrikas
konnten nun den Koran in ihrer Sprache leichter verstehen. Dies bedeutete
zugleich auch eine bessere Verständigung für die Begegnung von Christen und
Muslimen unter Heranziehung ihrer Glaubensurkunden in der Volkssprache.
Eine interessante Tendenz erwähnt der vom Autor
nicht herangezogene Religionswissenschaftler Klaus Hock (Universität
Rostock). Er hatte schon 1987 (Köln u.a.: Böhlau) in seiner Studie „Gott und Magie im Swahili-Islam“ die
flexible Haltung dieser ostafrikanischen Variante des Islam betont: „Der Islam
hat es nicht nötig, neue religiöse Ausdruckformen aus sich selbst heraus zu
setzen, da ihm viele Formen traditioneller Religiosität in Regionen außerhalb des
islamischen Zentrum kompatibel sind.“ (aaO S. 153). Vgl. Rezension des Buches in "Ein-Sichten"
Bilanz
Das
Buch macht insgesamt deutlich, dass die Begegnung mit dem Koran in deutscher
Sprache die grundsätzlichen Fragen einer sich ändernden Koranrezeption
aufwirft. Die verschiedenen kulturellen Bedingungen und Geschichtsentwicklungen
dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden.
Der Weg
vom arabischen Original in die Volks- und Landessprachen hat auch eine Veränderung
islamischer Vorstellungen zur Folge. Darin zeigt sich nicht nur die
Flexibilität des Islam als „Volksreligion“, sondern auch die
Anpassungsfähigkeit und Transfer-Notwendigkeit, um den Glauben authentisch,
überzeugend und aktualisierend unter den jeweiligen Zeitbedingungen zu leben.
Das sei allen Fundamentalisten ins Stammbuch geschrieben !
Aktuell:
Politischer Islam in Ostafrika (Länderbericht KAS, 21.07.2017)
Reinhard Kirste
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen