Samstag, 5. Mai 2018

Die poetische Kraft der koranischen Offenbarung --------- Zur Koranübersetzung von Milad Karimi


Der KORAN.
Vollständig und neu übersetzt von
Ahmad Milad Karimi.
Mit einer Einführung herausgegeben
von Bernhard Uhde

Freiburg u.a.: Herder 2009, 576 S. ------------------------ 
ISBN -978-3-451-30292-3 ---


Friedrich Rückert hatte im 19. Jahrhundert mit seiner teilweisen Koranübersetzung ein lange nicht genügend beachtetes Signal zum Verstehen des Korans gegeben: Es handelt sich um ein poetisches Buch, das die Schönheit nicht nur der Sprache, sondern auch die Schönheit Gottes ahnen lässt. Rückert hatte darum seine Übersetzung, (die natürlich auch Fehler birgt) in Rhythmen umgesetzt, die dem deutschen Leser diese Poesie nahe bringen konnten. So entdeckten nicht nur Goethe, sondern viele Dichter des beginnenden 19. Jahrhunderts  verdeutlichten die dichterische Kraft des Orients in ihren eigenen Dichtungen.

Den Islamwissenschaftler, Philosophen und Dichter, den ursprünglich aus Afghanistan kommenden Ahmad Milad Karimi (geb. 1979), reizte die schwierige Aufgabe, den Koran, diesen geoffenbarten Schatz, in seiner poetischen Kraft erneut ans Tageslicht zu bringen. Er fand dazu als Kooperationspartner den katholischen Theologen und Religionswissenschaftler Bernhard Uhde. Dieser hat diese Neuübersetzung aus dem Arabischen wissenschaftlich begleitet und dazu auch eine orientierende Einführung geschrieben. Was also zwischen dem Dichter und Wissenschaftler theologisch und poetisch geschah, kann sich durchaus sehen lassen, auch wenn der Rezensent nicht den Text im Original überprüfen kann. Allerdings darf man die Verlagswerbung etwas hinterfragen, denn dort ist von einer wortgetreuen Übersetzung die Rede. Gewiss ist sie dem arabischen Original nahe, wie Arabisch-Kenner bestätigen, jedoch gibt es einige dunkle Stellen im Koran, mit denen Übersetzer und Kommentatoren teilweise recht unterschiedlich umgegangen sind. Wer darüber hinaus die Problematik von Übersetzungen gerade aus dem semitischen Sprachraum betrifft, kennt den Unterschied zur Struktur der meisten europäischen Sprachen. Wie dem auch sei: Jede Übersetzung ist letztlich nur eine Annäherung an den zur Verfügung stehenden Offenbarungstext. Solche Annäherungen ermutigen umso mehr, wenn sie sich von spiritueller Sprachkraft tragen lassen.
Nun hat diese Übersetzung bereits durch die gemeinsame Arbeit von Übersetzer und Herausgeber dialogische Qualität. Karimi macht darüber hinaus deutlich, dass sich die Sprachgewalt und Sprachschönheit des arabischen Originals im Deutschen nachvollziehen lässt. Hier liegen die Stärke und zugleich die Schwäche dieser Übersetzung. Dies sei an einem kleinen Beispiel erläutert.
In Sure 2, 256–257 heißt es, dass es in der Religion keinen Zwang geben soll.
Karimi übersetzt:
Und es gibt keinen Zwang in der Religion. Geschieden zeigt sich das Richtige vom Irrtum. Wer nun die Götzen leugnet und an Gott glaubt, der verfügt über die festeste Handhabe, die gewiss nicht zerbricht. Und Gott ist der unübertrefflich Hörende, der Wissende. Gott ist der Beistand derjenigen, die glauben. Er führt sie aus der Finsternis zum Licht. Die aber leugnen, deren Beistände sind die Götzen. Sie führen aus dem Licht in die Finsternis. Sie sind die Gefährten des Feuers, darin werden sie ewig weilen.
Viel „trockener“ klingt die Übersetzung von Muhammad Asad: Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar. Aus dem Englischen übertragen von Ahmad von Denffer und Yusuf Kuhn. Düsseldorf: Patmos 2009 --- Rezension: hier
Es soll keinen Zwang geben in Sachen des Glaubens. Deutlich unterschieden geworden ist nun der rechte Weg von (dem Weg des) Irrtum; wer darum die Mächte des Übels verwirft und an Gott glaubt, hat fürwahr eine höchst unfehlbare Stütze ergriffen, die niemals nachgibt; denn Gott ist allhörend, allwissend. Gott ist nahe denen, die Glauben haben, nimmt sie heraus aus tiefer Finsternis ins Licht – während nahe denen, die drauf aus sind, die Wahrheit zu leugnen, die Mächte des Übels sind, die aus dem Licht entfernen in tiefe Finsternis, es sind für sie, die für das Feuer bestimmt sind, darin zu verbleiben.
Ich habe einer Reihe von gläubigen Muslimen diese Ausgabe vorgelegt, und sie sind an einzelnen Stellen von ihren Arabisch-Kenntnissen her und aufgrund ihrer guten Beherrschung der deutschen Sprache dem Textduktus nachgegangen. Alle haben fast durchweg gelobt, dass ihnen der poetische Schwung gefällt, sie haben aber gleichzeitig bemängelt, dass sich der Text durch die veränderten Satzstellungen und teilweise ungewöhnlichen Wortschöpfungen, wieder schwieriger lesen lässt. Daraus hat sich recht einhellig folgende Meinung gebildet: Diese Übersetzung braucht nicht nur dringend ein Sachregister, sondern auch einen Koran-Kommentar zum Gesamtverständnis der einzelnen Suren bis hin zu den einzelnen Versen!
Die äußere Gestaltung dieser Koranausgabe versucht, islamischer Ästhetik durch die Ornamentik ebenfalls nachzukommen. Sie wirkt auf den ersten Blick auch sehr schön. Nur wenn man in diesem Koran genauer einzelne Stellen nachschauen will, muss man die Surenangaben erst in der Ornamentik versteckt suchen. Das müsste nicht sein. Insgesamt aber scheint im Reigen der auf dem Markt befindlichen Koranausgaben hier durchaus ein poetisches Kabinettstück zustande gekommen zu sein. Allerdings bedarf es zum besseren Verständnis der einzelnen Suren und Verse unbedingt eines ausführlichen Korankommentars, der nicht nur Texterläuterungen gibt, sondern auch den an manchen Stellen doch nicht immer leicht nachvolziehbaren Sprachduktus erklärt.
In einem Seminar für künftige ReligionslehrerInnen an der Technischen Universität Dortmund haben wir aufgrund der hier schon erwähnten Erfahrungen einen Surenvergleich an ausgewählten Texten vorgenommen, indem Abschnitte aus dem Koran von Max Henning und Ahmad Milad Karimi gegenübergestellt wurden. Die behandelten Stellen mit einem kleinen Kommentar werden darum hier ergänzend vorgestellt:
Vergleich von Koransuren
am Beispiel der Übersetzungen / Übertragungen von Max Henning und Ahmad Milad Karimi
  • Der Koran. Das heilige Buch im Islam. Aus dem Arabischen von Max Henning, überarbeitet und herausgegeben von Murad Wilfried Hofmann. München: Hugendubel 1999
  • Der Koran. Vollständig und neu übersetzt von Ahmad Milad Karimi. Mit einer Einführung herausgegeben von Bernhard Uhde. Freiburg u.a.: Herder 2009
Bei der Bearbeitung neuer koranischer Übersetzungen – vielleicht sollte man besser Übertragungen sagen – in einem Seminar für künftige ReligionslehrerInnen an der TU Dortmund, fand die poetische „Variante“ im Vergleich zur „klassischen“ Übersetzung besondere Beachtung. Dass Karimi im Sinne eines konsequenten Deutsch auch das arabische Wort Allah mit Gott übersetzte, wurde positiv hervorgehoben. Auch wenn an den hier folgenden Beispielen manche Formulierung bzw. Satzstellung zuerst fremd wirkte, waren die Studierenden doch der Meinung, dass – vermutlich erstmals seit der Übersetzung von Friedrich Rückert im 19. Jahrhundert – der poetische Charakter des arabischen Original-Korans in der deutschen Übertragung als wichtiges Verstehenselement überhaupt deutlich gemacht werden konnte. Darum sollte man neben den eher sachlichen (aber zuweilen einseitigen) Übersetzungen immer sehen, inwieweit Offenbarung und Glaubensaussagen in ihrer umfassenden Bedeutung erst dann besser verstanden wird, wenn sie auch als poetischer Text wahrgenommen wird.

Vgl. dazu das Buch von Navid KERMANI:
Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran.
München: C.H. Beck 1999, 546 S.
Verschiedene Rezensionen: hier

Themen des Vergleichs:
Zwang im Glauben bzw. in der Religion, Frieden und Kampf
 

Kein Zwang im Glauben: Suren 2,256–257

Henning: 2,256: „Kein Zwang im Glauben! Klar ist nunmehr das Rechte vom Irrtum unterschieden. Wer falsche Götter verwirft und an Allah glaubt, der hat den festesten Halt erfasst, der nicht reißen wird. Und Allah ist hörend und wissend.“
Henning 2,257: Allah ist der Beschützer der Gläubigen. Er führt sie aus tiefer Finsternis zum Licht. Die Ungläubigen aber, ihre Freunde sind bloße Götzen Diese führen sie aus dem Licht in tiefe Finsternis. Sie sind die Bewohner des Feuers und verweilen ewig darin.

Karimi: 2,256: „Und es gibt keinen Zwang in der Religion. Geschieden zeigt sich das Richtige vom Irrtum. Wer nun die Götzen leugnet und an Gott glaubt, der verfügt über die festeste Handhabe, die gewiss nicht zerbricht. Und Gott ist der unübertrefflich Hörende, der Wissende.“

Karimi 2,257: Gott ist der Beistand derjenigen, die glauben. Er führt sie aus der Finsternis ins Licht. Die aber, die leugnen, deren Beistände sind die Götzen. Sie führen sie aus dem Licht in die Finsternis. Sie sind die Gefährten des Feuers, darin werden sie ewig weilen.

Frieden – Suren 33,41-44 und 24,55

 Henning: 33,41-44: 41 O ihr Gläubigen! Gedenkt Allahs in häufigem Gedenken. 42 Und preist ihn morgens und abends.43 Er ist es, der euch segnet- und auch Seine Engel-, um euch aus der tiefsten Finsternis zum Licht zu führen. Und er ist zu den Gläubigen barmherzig. 44 Ihr Gruß an dem Tage, an dem sie Ihm begegnen werden, wird „Frieden!“ sein.

Henning: 24,55: Verheißen hat Allah den von euch, die glauben und das Rechte tun, dass Er sie zu Statthaltern (Seiner Macht) auf Erden einsetzen wird, so wie Er es denen, die vor ihnen lebten, gewährte; und dass Er ihnen und ihre Religion, so wie Er sie für sie gut geheißen hat, befestigen will; und dass Er ihre Furcht in Sicherheit verwandeln will.
„Sie sollen mir alleine dienen; sie sollen mir nichts an die Seite stellen.“ Und wer danach ungläubig ist, das sind die Missetäter. 
  
Karimi: 33, 41–44: 41 O ihr, die ihr glaubt, gedenkt Gottes in vielem Gedenken 42 und preist ihn morgens und abends! 43 Er ist es, der euch segnet, und Seine Engel, damit Er euch herausführt aus den Finsternissen ins Licht. Und Er ist zu den Gläubigen unübertrefflich barmherzig. 44 Ihr Gruß am Tag, da sie Ihn treffen, ist „Friede!“

Karimi: 24,55: Versprochen hat Gott unter euch denen, die glauben und verrichten gute Werke, das Er sie zu Nachfolgern macht auf der Erde, wie jene, die Er vor ihnen zu Nachfolgern machte. Und dass Er für sie ihre Religion befestigt, die Er für sie bejaht. Und dass Er verwandeln will die Furcht in Sicherheit. Sie dienen Mir, stell’ nicht Anderes neben Mich. Wer aber dann leugnet, das sind die Frevler. 

Kampf – Suren 4,94 und 9,111

Henning: 4,94: O ihr, die ihr glaubt! Wenn ihr auf Allahs Weg auszieht, dann seid umsichtig und sagt zu keinem, der euch den Friedensgruß entbietet: „Du bist ja gar kein Gläubiger!“ und dies in eurem Trachten nach dem Gewinn des irdischen Lebens.
Bei Allah ist (ausreichend) reiche Beute. So verhieltet ihr euch früher, doch Allah war gnädig gegen euch. Darum sied umsichtig. Siehe, Allah kennt euer Tun.

Henning 9,111: Siehe, Allah hat von den Gläubigen ihr Leben und ihren Besitz mit dem Paradies erkauft. Sie kämpfen auf Allahs Weg, töten und werden getötet. Das ist ein Ihn bindendes Versprechen, gewährleistet in der Tora, im Evangelium und im Koran. Und wer hält sein Versprechen getreuer als Allah? Freut euch daher des Tauschhandels, den ihr abgeschlossen habt. Das ist die große Glückseligkeit!

   
Karimi 4,94: Oh ihr, die ihr glaubt, wenn ihr einschlagt den Weg Gottes, so gebt Acht und sagt zu keinem, der euch grüßt „Du bist kein Gläubiger!“, da ihr trachtet nach den Gütern des diesseitigen Lebens,
doch bei Gott ist eine reiche Beute. So wart ihr einst, dann aber hat Gott euch Güte erwiesen, darum gebt Acht! Gott ist über das, was ihr tut, sehr wohl unterrichtet.


Karimi 9,111: Gott erkauft von den Gläubigen ihre Seele und ihr Vermögen für den Garten. Sie kämpfen auf dem Weg Gottes, sie töten und werden getötet. Ein Versprechen, das Ihm obliegt, in Wahrheit in der Tora, im Evangelium und im Koran. Und wer hält seine Abmachung ein treuer als Gott? Freut euch über den Handel, den ihr mit Ihm abgeschlossen. Dies der Gewinn, der Gewaltige.



Reinhard Kirste
ursprünglich im Rahmen eines Seminars an der TU-Dortmund, WS 2009/2010
Rz-Koran-Karimi, 16.12.09, Überarbeitung 04.05.2018


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