Denis Diderot (1713-1784):
Die Unterhaltung eines Philosophen
mit der Marschallin de Broglie
wider und für die Religion.
Die Unterhaltung eines Philosophen
mit der Marschallin de Broglie
wider und für die Religion.
Aus dem Französischen übersetzt
und mit Addenda von Hans Magnus Enzensberger
Berlin:
Friedenauer Presse 2018, 30 S.
--- ISBN 978-3-932109-84-3 ---
--- ISBN 978-3-932109-84-3 ---
Der französische Originaltext: hier
Er entstand vermutlich 1776 in den Niederlanden.
Er entstand vermutlich 1776 in den Niederlanden.
Der kleine Verlag
„Friedenauer Presse Berlin“ zeichnet sich dadurch aus, dass seit 1973
Essay-Hefte erscheinen, die wichtige Themen gesellschaftskritisch ansprechen. Es sind nicht selten Kabinettstücke intensiver Auseinandersetzung mit den
Grundproblemen des Menschseins.
In dem vorliegenden Essay erleben wir ein Gespräch des
atheistischen Philosophen Crudeli mit
der ursprünglich nicht genannten Marschallin
de Broglie. Hinter Crudeli lugt natürlich der Aufklärer Diderot hervor. Die
Marschallin dagegen präsentiert sich als
gläubige Katholikin. Ihr versucht Crudeli die Sinnlosigkeit der Religion
nachzuweisen, indem er existentiell bohrende Fragen stellt:
Wieso lohnt es sich, im Diesseits
auf vieles zu verzichten, nur damit man unter Umständen eine Belohnung im
Himmel erhält? Was würde sich eigentlich im irdischen Leben ändern, wenn man
nicht an ein Jenseits glaubte, ja wenn man sogar ohne Glauben leben würde? Und
gerade bei einer Weltschöpfung durch Gott kommen heftige Zweifel auf, sofern
man diese Geschichte nur logisch weiterdenkt.
Dieser
Streit über die Religion geschieht scheinbar ganz oberflächlich mit Scherzen und
Anekdoten. Hinter der zur Schau getragenen Leichtfüßigkeit hat die Vernunft zwar
nicht die vollständige Oberhand, aber der aufklärende Zweifel fängt an zu
wirken …
Um
eine Ahnung von der Art dieses Gesprächs zu bekommen, hier ein kleiner Auszug:
Crudeli: „Für
Sie ist es ein verlockender Gedanke, sich ein Wesen vorzustellen, das zu Ihren
Häuptern wohnt, Sie auf der Erde wandeln lässt und Ihre Schritte festigt.
Erhalten Sie sich den hohen Beschützer Ihrer Vorstellungen, der Ihnen zuschaut
und für Ihre Handlungen ein Vorbild abgibt.
Die Marschallin: „Sie haben, wie ich sehe, nicht den Ehrgeiz, mich zum Unglauben zu bekehren …
Crudeli: Ich möchte, dass jeder auf seine Weise denkt, vorausgesetzt, dass er mir die meine überlässt. Wer fähig ist, sich von seinen Vorurteilen zu befreien, der hat es nicht nötig, sich aufklären zu lassen.
Marschallin: Glauben Sie denn, dass der Mensch ohne Aberglauben leben kann.
Crudeli: Nein. Nicht, solange er unwissend und ängstlich ist …“
Die Marschallin: „Sie haben, wie ich sehe, nicht den Ehrgeiz, mich zum Unglauben zu bekehren …
Crudeli: Ich möchte, dass jeder auf seine Weise denkt, vorausgesetzt, dass er mir die meine überlässt. Wer fähig ist, sich von seinen Vorurteilen zu befreien, der hat es nicht nötig, sich aufklären zu lassen.
Marschallin: Glauben Sie denn, dass der Mensch ohne Aberglauben leben kann.
Crudeli: Nein. Nicht, solange er unwissend und ängstlich ist …“
Hans
Magnus Enzensberger merkt zu diesem anonym geschriebenen Essay an: Diderot
hatte freundschaftliche Kontakte zum russischen Gesandten in Paris und Den Haag
und fungierte auch als Mittelsmann der Bildankäufe für die Zarin Katharina II. So
nutzte er die Möglichkeit, diesen Essay gewissermaßen in seinen
Kunstkommentaren etwas zu verstecken: „Ohne seine italienische Maskerade hätte
Diderot es kaum wagen können, seinen Dialog über die Religion zu
veröffentlichen. Doch dem Versteckspiel war keine lange Dauer beschieden. Einem
Journalisten namens Métra gelang es bald, das Geheimnis zu lüften“ (S. 25). Für
Diderot hatte dies jedoch trotz der letzten Jahre des Ancien Régime keine persönlichen Konsequenzen.
Es
lohnt sich, diesen originellen Text erneut zu lesen, denn dem Geist der
Aufklärung muss angesichts zunehmender Akzeptanz rechtsextremen Gedankenguts
unbedingt mehr Gehör verschafft werden.
English Summary
We
follow here a conversation between the atheistic philosopher Crudeli and the originally not mentioned
Madame Marshal de Broglie. Behind Crudeli we recognize Denis Diderot, the
proponent of the Enlightenment. The Marshal, on the other hand, presents
herself as a devout Catholic. Crudeli tried to prove her the futility of
religion by asking existentially boring questions.
This
dispute about religion seems to be superficial with jokes and anecdotes. Reason
does not have the complete upper hand, but the enlightening doubt begins to be
effective …
It
is worth to read this smart text again, because the spirit of the Enlightenment
must be given more voice in the face of an increasing acceptance of right-wing
extremist ideas.
· Gründe, meinem alten Hausrock nachzutrauern / Über die
Frauen. Zwei Essays.
Aus dem Französischen übersetzt von Hans Magnus Enzensberger.
Berlin:
Friedenauer Presse 1992, 32 S.
Diderot beklagt:
"Warum habe ich ihn nicht behalten? Er passte mir so gut, dass ich mich
ausnahm wie von Künstlerhand gemalt. Der neue, steif und förmlich, macht mich
zur Schneiderpuppe? Ich sehe aus wie ein reicher Tagedieb, man sieht mir nicht
mehr an, wer ich bin..."
· Philosophische Schriften (Hg. Alexander Becker)
Frankfurt/M: suhrkamp
taschenbuch wissenschaft 2084, 2013, 281 S.
Infos und Leseprobe: https://www.suhrkamp.de/buecher/philosophische_schriften-denis_diderot_29684.html
· Die Nonne.
Roman. Frankfurt/M.: Insel TB 1973 (9. Aufl.), 325
S.
Vollständiger Text in „Projekt Gutenberg“: http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-nonne-663/1
Vollständiger Text in „Projekt Gutenberg“: http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-nonne-663/1
· Dies ist keine
Erzählung. Aufklärerische Geschichten.
Berlin: Die Andere Bibliothek. Edition Holbach 2018, 240 S.
Details: https://www.die-andere-bibliothek.de/Extradrucke/Dies-ist-keine-Erzaehlung::756.html
Berlin: Die Andere Bibliothek. Edition Holbach 2018, 240 S.
Details: https://www.die-andere-bibliothek.de/Extradrucke/Dies-ist-keine-Erzaehlung::756.html
· Rameaus
Neffe. Ein
Dialog. Frankfurt/M. Fischer TB, 2008, 160 S.
Mehr: https://de.wikipedia.org/wiki/Rameaus_Neffe
Volltext:Gutenberg-Projekt: Rameaus Neffe. Ein Dialog von Denis Diderot
übersetzt von Goethe. Mit Zeichnungen von Antoine Watteau
Mehr: https://de.wikipedia.org/wiki/Rameaus_Neffe
Volltext:Gutenberg-Projekt: Rameaus Neffe. Ein Dialog von Denis Diderot
übersetzt von Goethe. Mit Zeichnungen von Antoine Watteau
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Reinhard Kirste
Rz.Diderot-Religion, 25.09.18
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