René Girard (2007) - wikipedia |
René Noël Théophile Girard
(25.12.1923 in Avignon, gest. 04.11.2015 in Stanford, USA) gehört zu den bedeutendsten Kulturwissenschaftlern der Gegenwart. Er wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet.
Seine erkenntnistheoretischen Ansätzen zum Begehren des Menschen, der sich in Neidkomplexen manifestiert, systematisierte er in seiner "Mimetischen Theorie", die den unmittelbaren Zusammenhang von Nachahmung und Gewalt betrifft: Ich will, was Du willst, weil Du es willst..
Mehr zu Leben und Werk von René Girard: hier (Wikipedia)
Angesichts der Corona-Pandemie bekam René Girards Werk dramatische Aktualität: Johannes Thulfart: Von Sündenböcken und Erlösern. Wie Corona-Krise und Anti-Rassismus-Proteste zusammenhängen [Monopol (Kunstmagazin), 15.06.2020]
"Wenn sich alle mit allen vergleichen, schmerzt das Ergebnis viele:
René Girard, der «Prophet des Neids», ist ein Denker
auf der Höhe der neuen sozialen Dynamiken
René Girard, der «Prophet des Neids», ist ein Denker
auf der Höhe der neuen sozialen Dynamiken
Je gleicher die Gesellschaft ist, desto deutlicher sticht das Ungleiche heraus. Wer die Obsessionen unserer egalitären Gegenwart verstehen will, sollte René Girard lesen. Der französisch-amerikanische Anthropologe wird im Silicon Valley gerade neu entdeckt.
Auch wenn sich die eine grosse Welt gerade wieder in viele kleine Welten von Nationen und Regionen auseinander dividiert, bleibt sie doch in einer Hinsicht homogen: Alle vergleichen sich in allem mit allen – mehr denn je. Und darum ist René Girard der Autor der Stunde. Wer unsere Gegenwart verstehen will, mit Blick auf globale Kommunikationsmedien wie auf lokale Krisenherde des Populismus, tut gut daran, die Bücher des französisch-amerikanischen Anthropologen zu lesen. Girard, der zuletzt in Stanford lehrte, hat die Entfesselung des rivalisierenden Sich-Vergleichens von Menschen wie keiner vor ihm analysiert und als Haupttriebfeder gesellschaftlichen Handelns begriffen."
Zum gesamten Artikel: hier
Christian Ruby:
Zum gesamten Artikel: hier
- Wolfgang Palaver zu René Girard
(Publikationsverzeichnis der Universität Innsbruck) - René Girard im Interview:
"Warum kämpfen wir? Und wie können wir aufhören?
- Aus dem Jahr 2005 von Robert Pogue Harrison, NZZ online vom 10.03.2019 -
Christian Ruby:
René Girard : une introduction critique
(nonfiction, 22.06.2023)
Kommentar zum Buch von:
Bernard Perret:
Violence des dieux, violence de l'homme.
René Girard, notre contemporain.
Préface de : Jean-Louis Schlegel
Paris: Seuil 2023, 384 pp.
Vorstellung zweier Bücher
1. René Girard / Ralf Miggelbrink: Das Ende der Gewalt (2009)
2. René Girard: Ich sah den Satan vom Himmel herabfallen wie einen Blitz (2008)
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1. René Girard / Ralf
Miggelbrink: Das Ende der Gewalt. Analyse
des Menschheitsverhängnisses. Erkundungen zu Mimesis und Gewalt
mit Jean-Michel
Oughourlian und Guy Lefort.
Vollständige Neuübersetzung aus dem
Französischen von Elisabeth Mainberger-Ruh.
Freiburg u.a.: Herder 2009, 520 S.,
Register --- ISBN 978-3-451-29385-6 ---
Original: Des choses cachées depuis la fondation du monde,1978 –
mit Jean-Michel Oughourlian und Guy Lefort.
Freiburg u.a.: Herder 2009, 520 S., Register --- ISBN 978-3-451-29385-6 ---
Original: Des choses cachées depuis la fondation du monde,1978 –
Der Literaturwissenschaftler Réné Girard (1923-2015) gehörte gleichzeitig zu den wichtigsten
Kulturwissenschaftlern. Er hat hauptsächlich an Universitäten in den USA
gelehrt. 2005 wurde er in die Académie Française aufgenommen. 2006 erhielt er den
Tübinger Leopold-Lucas-Preis.
Seine Bücher sind in viele Sprachen übersetzt worden, z.B.: „La violence et le sacré“ (1972), deutsch: „Das Heilige und die Gewalt“, 1994 (neu bei Patmos 2006) sowie 2006 zusammen mit dem Philosophen Gianni Vattimo Verità o fede debole? Dialogo su cristianesimo e relativismo, deutsch: „Christentum und Relativismus“ (Herder 2008).
Seine Bücher sind in viele Sprachen übersetzt worden, z.B.: „La violence et le sacré“ (1972), deutsch: „Das Heilige und die Gewalt“, 1994 (neu bei Patmos 2006) sowie 2006 zusammen mit dem Philosophen Gianni Vattimo Verità o fede debole? Dialogo su cristianesimo e relativismo, deutsch: „Christentum und Relativismus“ (Herder 2008).
In „Les
origines de la culture (2006) im Gespräch mit
Pierpaolo Antonello, et João Cezar de Castro Rocha
erläutert er seine Kulturtheorie mit den Schlüsselelementen, die 2008 in
dem zusammen mit Gianni Vattimo publizierten „Christentum und Relativismus“
spezifiziert werden. Das schon 1982 erschienene Buch „Le bouc émissaire“ (Der Sündenbock, deutsch bei Benziger 1988)
kann neben den genannten Titeln als eine Art Verstehensschritt für die jetzige
Ausgabe von „Das Ende der Gewalt“ dienen, zumal „Des choses cachées …“ vollständig erst jetzt in deutscher Sprache
vorliegt (Die Herder-Ausgabe von 1983 war unvollständig geblieben) Das im
jetzigen Buch auffällige diskursive Erläutern ist das äußere Merkmal von „Das
Ende der Gewalt“, denn Girard hatte in Begleitung und Auseinandersetzung mit
dem klinischen Psychopathologen Jean-Michel Oughourlian und Guy Lefort 1977 in
Baltimore (Maryland) den Grundstein für „Des
choses cachées ...“ legten.
In der Einführung zu dieser Kulturgeschichte der
besonderen Art macht der katholische Systematiker Ralf Miggelbrink nicht nur mit
dem Werk René Girards vertraut, sondern zeigt auch dessen religionsgeschichtliche
Bedeutung auf: Man muss dem Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt von Anfang
an nachgehen, um die Ursachen gewalttätigen Verhaltens zu entdecken in der
Menschheitsgeschichte zu entdecken. Dass dies mit einem Nachahmungsbedürfnis
zusammenhängt, der sich zum Trieb ausweitet, ist nicht die gängige
Geschichtsinterpretation. Aber mit diesem Nachahmungsmuster („mimetische Theorie“) gewinnt Girard
einen hermeneutischen Schlüssel zur Entwicklung kulturellen Fortschreitens, die
sich unmittelbar auf die Entwicklung und Veränderung von religiösen Opferriten
und einer Neuinterpretation von Mythen bezieht. Wenn dem aber so ist, so liegt
hier zugleich der Schlüssel zur Zivilisierung von Konflikten und zur Begrenzung
von Gewalt und deren apokalyptischen Bedrohungspotential sowohl individuell wie
gesellschaftlich.
--- Das 1. Buch bezeichnet er als Fundamental-Anthropologie mit der
Intention das „versöhnende Opfer“ als Zeichen zu verstehen, das sich kulturell
ausdifferenzieren lässt und die Humanisierung („Hominisation“, S. 115ff) in
Gang setzt: „Und es kommt der Moment, da das ursprüngliche Opfer, statt von
neuen Opfern bezeichnet zu werden, durch andere Dinge bezeichnet wird: durch
Dinge aller Art, die stets dieses Opfer bezeichnen, während sie es gerade mehr
und mehr maskieren, verkleiden und verkennen“ (S. 135). Sakrifizielle Deutungen
erweisen sich als Konfliktpotential, darum: „Wer glaubt, mit der Beibehaltung
des Opfers die Transzendenz zu verteidigen, irrt auf der ganzen Linie … Was in
diesem Augenblick ( = d.h. im Zentralgeschehen der Kreuzigung Jesu), das ist
die Opfergottheit des historischen Christentums, nicht der Vater Jesu, nicht
die Gottheit der Evangelien, die zu erreichen uns gerade durch den Stein des
Anstoßes, den das Opfer darstellt, … nach wie vor verwehrt bleibt. Diese
Opfergottheit muss ‚sterben’ und mit ihr das historische Christentum überhaupt,
damit der Evangeliumstext vor unseren Augen wieder aufleben kann … als die neueste,
schönste, lebendigste und wahrste Sache, die uns je begegnet wäre“ (S. 291),
denn der Gott der (biblischen) Offenbarung hat nicht mit Gewalt zu tun.
--- Diese
Quintessenz bereitet Girard im 2. Buch durch die
Auslegung biblischer Texte („die jüdisch-christliche
Schrift“) vor, u.a. an Kain, Josef, der Passion Jesu, dem Martyrium des Stephanus
und dem Hebräerbrief als hermeneutischem Schlüssel: es ist der Weg einer
besonderen Form der Entmythologisierung hin zu einem nicht-sakrifiziellem
Verständnis des Todes Christi, die dank der Intentionen des Johannesevangeliums
den Weg zu Liebe und Erkenntnis freigibt und somit ein positives gewaltfreies
Nachahmen ermöglicht.
--- Etwas eigenwillig wird dann
im 3. Buch eine „interindividuelle Psychologie“ vorgestellt,
die das schon im 1. Buch angesprochene mimetische Begehren wieder aufnimmt und
dieses unter den Gesichtspunkten des objektlosen Begehrens, im Blick auf die
Sexualität u.a. im Masochismus, der Homosexualität, Bi-Sexualität, des Narzissmus
und der Rivalität weiter exemplifiziert. Ob das das Ende des Platonismus in der
Psychologie ist, sei allerdings dahingestellt (S. 403). Schließlich nimmt der
Autor die „psychoanalytische Mythologie“ Freuds mit seiner mimetischen Theorie
wieder auf, um dessen Begehren mit Hilfe von Proust kritisch zu hinterfragen.
Im Blick auf die Theorie
der mimetischen Rivalität hat es von psychologischer und philosophischer Seite den
Vorwurf der „ehrgeizigen Hypothese“ gegeben, weil sie in der Art, wie Girard
die mögliche und notwendige Aufhebung blutiger Opferrituale beschreibt, doch
noch zu sehr seinem katholischen Denken verhaftet sei. Von Theologen dagegen
Girards Kulturtheorie teilweise sehr gelobt. Wie dem auch sei: Am Ende dieses
essayistisch und doch systematisch strukturierten Buches bleibt das Nachdenken
über die „Mimesis“, die Gewalt produziert und nur durch die Abschaffung der
Opfermechanismen beseitigt werden kann – eine neue „Mimesis“ um der geoffenbarten
Menschlichkeit willen.
Reinhard
Kirste, Rz-Girard, 29.07.09 (aktualisiert, 13.01.2018)
2. René Girard: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.
Eine kritische Apologie des Christentums.
Aus dem Französischen von Elisabeth Mainberger-Ruh. Mit einem Nachwort von Peter Sloterdijk
[München: Hanser 2002]. Frankfurt/M. und Leipzig: Verlag der Weltreligionen im Insel-Verlag.
VWR tb 9, 2008, 254 S. --- ISBN-978-3-458-72009-6 ---
Der französische
Literaturwissenschaftler René Girard hat mit seinen Gewalt- und Opferdiskursen
im Rahmen seiner anthropologisch angelegten „mimetischen Theorie“ heftige
Diskussionen losgetreten und große Zustimmung verursacht. Nach seinem Hauptwerk „Das Heilige und die Gewalt“ (französisches
Original 1972: La Violence et le Sacré, deutsch 1994)1 setzt er die Debatte mit „Der Sündenbock“ („Le bouc émissaire“, 1982, deutsch 1988) fort. Das Ritual
gewaltsamer Ausstoßung zieht sich durch die Menschheitsgeschichte und beendet
die destruktive Anarchie um der Gemeinschaft willen, allerdings bisher unter
dem Symbol des Heiligen verdeckt. Jesus durchbricht diese Verschleierung
einzigartig im Neuen Testament. Mit dem hier vorzustellenden Buch leitet Girard
eine weitere verstärkte Apologie des Christentums ein. Diese hatte sich bereits
mit dem Buch „Das Ende der Gewalt.
Analyse des Menschheitsverhängnisses“ (1983/2009, französische Ausgabe: Des choses cachée depuis la fondation du monde, 1978) angekündigt.2
Analyse des Menschheitsverhängnisses“ (1983/2009, französische Ausgabe: Des choses cachée depuis la fondation du monde, 1978) angekündigt.2
Mit heftiger Theologenkritik, besonders am Entmythologisierungsprogramm
Bultmanns beginnend (S. 11f), untersucht er das "mimetische Begehren" mit der Behauptung,
dass jeder Mensch nur das haben wolle, was andere schon haben. Darum ist das
10. Gebot: Du sollst nicht begehren! so
wichtig. Denn Begehren ist das Grundmuster von Rivalität, die sehr schnell zu
Gewalt-Eskalationen führt. Das lässt sich an den Mythen und der Bibel zeigen.
Streng dualistisch geht dies für Girard nicht ohne den Satan, der, wie er immer
wieder ausführt, nur durch den Sündenbock – also ebenfalls mit einer
Gewalthandlung – ausgetrieben werden kann. Hier tritt nun Jesus als Vorbild in den Kontext unserer Nachahmungsmuster.
Zwar verfallen auch die Jünger in dieses mimetische Muster, besonders deutlich
Petrus (S. 51f). Sie geraten ins Chaos angesichts seines Todes, finden aber schließlich
aufgrund des wahren Kreuzesverständnis den Weg heraus:
„Die vier Kreuzigungsberichte [sc. der Evangelien] lassen uns also am Ablauf eines Opfermechanismus teilnehmen. Die Sequenz gleicht … den unzähligen analogen Phänomenen, deren Regisseur Satan ist“ (S. 55). Aber „Jesu Tod unterläuft das satanische Kalkül“ (S. 56) und den dahinter stehenden Opfermechanismus aller gegen alle. Anders als der Wundertäter Apollonius von Tyana im Zusammenhang einer mythologisch überhöhten Steinigung in Ephesus wird im Sterben Jesu der Besänftigungsmechanismus des Mordes ans „Kreuz geheftet oder eher genagelt“. So „tritt dessen Lächerlichkeit und Bedeutungslosigkeit an den Tag“ (S. 176). Das ist der Triumph des Kreuzes. Dadurch ließ sich das Rad der mimetisch orientierten Gewalt nicht wieder zurückdrehen, und die Zeit Satans ist abgelaufen. Das ist die Chance des Christentums und der Botschaft von Jesu Gewaltlosigkeit und die aus dieser Haltung erwachsene Sorge um die Opfer. Darum gilt es, „den Akzent auf die Menschenrechte zu setzen“ …. Damit kann man die Bemühung stärken, „den unkontrollierbaren mimetischen Furor zu verhüten und zu überwachen“ (S. 210).
„Die vier Kreuzigungsberichte [sc. der Evangelien] lassen uns also am Ablauf eines Opfermechanismus teilnehmen. Die Sequenz gleicht … den unzähligen analogen Phänomenen, deren Regisseur Satan ist“ (S. 55). Aber „Jesu Tod unterläuft das satanische Kalkül“ (S. 56) und den dahinter stehenden Opfermechanismus aller gegen alle. Anders als der Wundertäter Apollonius von Tyana im Zusammenhang einer mythologisch überhöhten Steinigung in Ephesus wird im Sterben Jesu der Besänftigungsmechanismus des Mordes ans „Kreuz geheftet oder eher genagelt“. So „tritt dessen Lächerlichkeit und Bedeutungslosigkeit an den Tag“ (S. 176). Das ist der Triumph des Kreuzes. Dadurch ließ sich das Rad der mimetisch orientierten Gewalt nicht wieder zurückdrehen, und die Zeit Satans ist abgelaufen. Das ist die Chance des Christentums und der Botschaft von Jesu Gewaltlosigkeit und die aus dieser Haltung erwachsene Sorge um die Opfer. Darum gilt es, „den Akzent auf die Menschenrechte zu setzen“ …. Damit kann man die Bemühung stärken, „den unkontrollierbaren mimetischen Furor zu verhüten und zu überwachen“ (S. 210).
In seiner Darstellung bleibt nun Girard nie in der Vergangenheit stehen,
sondern zieht die mimetischen Muster und Opfermechanismen bis in die Gegenwart
aus. So kommen die Dreyfus-Affäre, Nietzsche, aber auch Heidegger und Hitler
ins mimetische Blickfeld. Aber der Heilige Geist triumphiert über die
gewalttätige Mimetik (S. 236f). In der Auferstehung Jesu wird Menschen bewusst,
wie Gott Opfer des Menschen ist, aber mit Jesus zugleich eine neue
Menschlichkeit ins Spiel kommt, die Freiheit von der Begierde und Eifersucht
ermöglicht. Das macht das Christentum mit der Bibel und besonders den
Evangelien sowie Paulus einzigartig.
Am Schluss des Bandes bietet der Philosoph Peter Sloterdijk mit seiner Kritik an Girard zum einen die
Möglichkeit die Schwäche von dessen Ansatz gegenüber dem schöpferischen
Nietzsche herauszustellen und dann zu einer kräftigen Kapitalismus- und
Globalisierungskritik durchzustarten:
„Moderne Gesellschaften stellen … marktintegrierte Eifersuchtsreaktoren oder Neidkraftwerke dar, die unentwegt die Aufgabe bewältigen müssen, das Erniedrigungs- und Hasspotential zu binden, das sie durch ihre geschichtlich beispiellose Ambitions- und Appetenzpublizistik schüren“ (S. 252f).
„Moderne Gesellschaften stellen … marktintegrierte Eifersuchtsreaktoren oder Neidkraftwerke dar, die unentwegt die Aufgabe bewältigen müssen, das Erniedrigungs- und Hasspotential zu binden, das sie durch ihre geschichtlich beispiellose Ambitions- und Appetenzpublizistik schüren“ (S. 252f).
Dass Girard den Finger zu Recht auf die Strukturen von Begierde und Gewalt
gelegt hat, ist sein großes Verdienst. Allerdings sollte bedacht
werden, dass die von ihm abgelehnte entmythologisierende und zugleich Existenz
bezogene Theologie ohne die (mythologische) Personifizierung Satans schon die
Möglichkeit eines Evangeliums der Freiheit aufgezeigt hat, und zwar ebenfalls im
Symbol von Kreuz und Auferstehung. Gerade der Theologe Rudolf Bultmann und die
ihm kritisch Folgenden haben die positive Seite der Entmythologisierung der
Bibel nicht als abstrahierende Verkürzung, sondern als existential-weiterführende
Interpretation beschrieben. Was im Wortfeld „Satan“ zum Ausdruck kommt, ist
damit nicht minder gefährlich, auch wenn auf eine Personalisierung verzichtet
wird. Hier wird ohne dualistische Entgegensetzungen auf die Verstrickungen des
Menschseins und die Befreiungswirkung der Offenbarung in Jesus Christus abgehoben; und sie wird ganz anders als bei Girard zu einem Markstein eines neuen
Lebensverständnisses gemacht. So erfährt sich der unter den Anspruch des
göttlichen Wortes geratene Mensch in einer neuen Seinsweise von Schuld befreit
und zu einer neuen Existenz vor Gott berufen.
Diese Radikalisierung des Glaubens ist mir sympathischer als die Uminterpratation des Sündenbock-Mechanismus mit Hilfe der Neuetablierung vergangener Satansbilder.
Diese Radikalisierung des Glaubens ist mir sympathischer als die Uminterpratation des Sündenbock-Mechanismus mit Hilfe der Neuetablierung vergangener Satansbilder.
Reinhard Kirste
Rz-Girard-Satan, 11.12.11 mehrfach aktualisiert
Rz-Girard-Satan, 11.12.11 mehrfach aktualisiert
Anmerkungen
1 La Violence et le Sacré. Paris: Grasset 1972. Deutsche Ausgabe: Das Heilige und die Gewalt.
Frankfurt/M.: Fischer 1994, neu aufgelegt: Düsseldorf: Patmos 2006.
1 La Violence et le Sacré. Paris: Grasset 1972. Deutsche Ausgabe: Das Heilige und die Gewalt.
Frankfurt/M.: Fischer 1994, neu aufgelegt: Düsseldorf: Patmos 2006.
2 Originalausgabe: „Des choses cachée depuis la fondation du monde. Paris: Grasset & Fasquelle 1978.
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