Sonntag, 13. September 2020

Das besondere Buch - Jodi Magness: Masada – historische Bedeutung und bleibendes Widerstandssymbol (aktualisiert)


Jodi Magness: Masada. 
 Der Kampf der Juden gegen Rom.


 Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Bertram

 Darmstadt: WBG 2020, 384 S.,
zahlr.
Abb., Register 

 --- ISBN 978-3-8062-1078-8 ---


--- English summary 
            at the end of the review 
--- résumé français 
                   au bout du compte rendu

    --- resumen español
        al fin de la reseña


1966 erschien ein Buch des jüdischen Archäologen Yigael Yadin (1917-1984), der nach seiner Zeit im Militär nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch intensiv wirkte: 


Masada. Herod’s Fortress and the Zealots Last Stand (London 1966 ) Deutsch:
Masada.
Der letzte Kampf um die Festung des Herodes (Hamburg 1967)


Dieses Werk erregte großes Aufsehen. Es bot zum ersten Mal eine populäre, illustrierte und zugleich bestens recherchierte Zusammenfassung der Funde, die die archäologischen Teams unter der Leitung von Yigael Yadin in der Festung Masada gemacht hatten.


Herodes der Große hatte sich neben anderen Festungen diese besonders intensiv ausgebaut. Beim Jüdischen Krieg gegen die römische Besatzungsmacht in den Jahren 66–73 wurde der Widerstand durch das römische Militär blutig niedergeschlagen. Der letzte Zufluchtsort der jüdischen Kämpfer war die Festung Masada, die die Römer nach langer Belagerung stürmten. 

Um nicht in die Hände der Besatzer zu fallen, sollen die Verteidiger von Masada zusammen mit ihren Familien Selbstmord begangen haben.




Diese hochdramatische Geschichte vom Ende des jüdischen Widerstandes in Palästina hat nach der Errichtung des Staates Israel eine ganz neue Bedeutung für die Existenz des Volkes Israel gewonnen. Das Buch Yadins wurde damit zu einer Art Basistext. Dort werden nicht nur die Ausgrabungen und die Interpretation der damit zusammenhängenden Daten und Ereignisse rekonstruiert, sondern auch die Beschreibung und Deutung des jüdischen Historikers Flavius Josephus im Kontext des Jahres 73/74 n. Chr. ausgewertet. 
Dabei ist anzumerken, dass Josephus zuerst auf der Seite der Widerstandskämpfer stand, dann aber auf die römische Seite quasi zum Heer Vespasians unter Lucius Flavius Silla übergelaufen war.

Über 50 Jahre später erscheint nun wiederum eine ausführliche Darstellung dieser Ereignisse, und zwar von einer der besten Kennerinnen der Archäologie und Geschichte Masadas, nämlich der amerikanischen Archäologin Jodi Magness. Sie studierte u.a. an der Hebräischen Universität in Jerusalem 
 und auch bei Yigael Yadin. Mehr zur Autorin, s.u.
Da ist man gespannt, wie sie diese unglaubliche Geschichte im Horizont des heutigen Israel aufnimmt und mit dem Mythos umgeht, der diesen Berg umgibt. 

Der Rezensent der FAZ merkt dazu an:
Dieser Massenselbstmord, verstanden als heroischer Akt, als letzte freie Tat von Freiheitskämpfern, hat Masada berühmter gemacht als alles andere. Weder die spektakuläre landschaftliche Lage der Festung noch der einzigartige Erhaltungszustand ihrer Ruinen hätten sie wohl sonst zur zweitwichtigsten Touristenattraktion Israels nach Jerusalem gemacht. Und sie wäre auch kaum zum nationalen Symbol für ein kleines Land geworden, das sich von Feinden umgeben sieht. Bis in die 1980er Jahre wurden Rekruten der israelischen Streitkräfte auf Masada vereidigt. Spielfilme, Dokumentationen und Bücher sonder Zahl widmeten sich dem Thema“ (FAZ, 03.04.2020).
Yodi Magness arbeitet nun die geschichtliche und archäologische Bedeutung von Masada wissenschaftlich solide auf; und sie bezieht alle seitdem gewonnenen archäologischen Erkenntnisse ergänzend ein. Zugleich liest sich alles angenehm, so dass man gewissermaßen in diese dramatische Geschichte mit hineingezogen wird:
Ihre Darstellung gliedert sich in einen Prolog und 8 Kapitel:

Im Prolog beleuchtet sie den Fall Masadas im Horizont damaliger Ereignisse 
mit einem Blick auf die Gegenwart.

In Kapitel 1 beschreibt sie dann mit Bezug auf die Quellen konkret die Belagerung und den schließlichen Fall der Festung in den Jahren 72/73 bzw. 73/74 im Kontext des Jüdischen Krieges und der Rolle des Flavius Josephus.

In Kapitel 2 diskutiert sie die Debatte im 19. Jahrhundert, wo es um den genauen Ort von Masada geht. Wichtige Ergebnisse der Forscher, die hier eine wesentliche Rolle spielten, werden vorgestellt.

Nach diesem Forschungsrückblick kommt die Autorin auf die Umgebung Masadas zu sprechen, die kontrastreiche Landschaft rund um das Tote Meer mit ihren gelogischen und kliamtischen, geradezu extremen Besondernheiten.
Im historischen Umfeld Masadas des Kapitels 3 nimmt sie Bezug auf die Orte, die auch in biblischen Erzählungen eine Rolle spielen. Natürlich kommt ausführlich Qumran zur Sprache, aber die Autorin beschreibt ebenfalls weitere Festungen und archäologische Stätten sowohl auf der israelischen als auch auf der jordanischen Seite des Toten Meers. Das ermöglicht einen Überblick über die Zeit der Hasmonäer hinaus bis in die byzantinische Epoche.

Jodi Magness erzählt in Kapitel 4 über den von Rom eingesetzten Vasallenkönig Herodes d. Gr., der im Neuen Testament zu Unrecht für den Kindermord von Bethlehem verantwortlich gemacht wird (Matthäus 2,16-18). Allerdings war er tatsächlich ein brutaler Herrscher.
Die Autorin kommt im
Kapitel 6 darauf ausführlich zu sprechen.
Im Kap. 4 weist sie jedoch auf die Einschätzung der Archäologen im Blick auf die immense Bautätigkeit des Herodes: Er hat offensichtlich das Heilige Land mit seinen „durchgestylten“, technisch exzellent durchdachten Bauten besonders geprägt hat.
Dazu gehören: Masada, Jerusalem mit der Neuanlage des Tempelbergs und des Baus der Burg Antonia, Cäsarea Maritima mit dem Hafen, Samaria/Sebastos, die Wüstenoase Jericho und schließlich Herodium als Ruhestätte für ihn selbst. Natürlich brachten diese Bauvorhaben auch die Wirtschaft in Schwung.

Blickt man dagegen auf Judäa vor Herodes in Kapitel 5, so nutzt die Autorin den Gang durch die Geschichte von ca. 1200 v. Chr. über die Makkabäerzeit und die Hasmonäer bis hin zu sich entwickelnden Sonderformen im antiken Judentum, in besonderer Weise Sadduzäer, Pharisäer und Essener – gewissermaßen ein Blick auch in die Zeit Jesu.


In Kapitel 6 und 7 beschreibt die Autorin – wie schon erwähnt – den gewalttätigen Regierungsstil von Herodes dem Gr. und seiner Söhne. Sie weist zugleich auf die wachsenden Spannungen sowohl in den Städten als auch auf dem Lande hin. Die Unfähigkeit und Habgier römischer Statthalter (man denke u.a. an Pontius Pilatus), die Spannungen zwischen Juden und Nichtjuden, der Eliten und Unterschichten sowie der Bevölkerung in den verschiedenen Landesteilen heizten die Situation gefährlich auf. So formierte sich auch der Widerstand gegen die römische Besatzung und ihre Vasallen, der sich dann als Unabhängigkeitskrieg zwischen 66 und 70 n. Chr. entlud. Er wurde durch das Heer des Kaisers Vespasian brutal niedergeschlagen, Jerusalem wurde im Jahre 70 erobert, der Tempel zerstört und die gesamte Stadt quasi dem Erdboden gleich gemacht.

Vgl. den Bericht: Als die Römer Jerusalem zerstörten (Christian Berndt, Deutschlandfunk, 13.09.2020)
Die letzte dramatische Zuspitzung dieser jüdischen Widerstandsgeschichte beschreibt Magness in Kapitel 8 mit der erstaunlichen Besetzung der von Herodes luxuriös ausgestatteten Festung Masada durch verschiedene Gruppierungen im Jahre 66. Sie bauten die Anlage im Blick auf die Sicherung und die Durchführung von Ritualen sowie die Organisation bzw. Verteilung der Nahrungsmittel und Wasserversorgung an einigen Stellen um. Unter kritischer Sichtung der Berichte des Josephus, verweist Magness darauf, dass die Herkunft dieser Verteidiger mit ihren Familien (also auch Frauen und Kinder!) nicht eindeutig geklärt ist: Es gehörten dazu wahrscheinlich Essener und andere „Milizen“ (die Römer hätten sicher „Terroristen gesagt“), von denen Bezeichnungen wie Sikarier oder Zeloten existieren. 
Erst 7 Jahre später, also 73/74 gelang es der 10. römischen Legion unter Flavius Silva durch das Aufschütten einer riesigen Rampe, die Burg zu stürmen. Dort – so der allerdings nicht zu führende Nachweis - fanden die Soldaten dann die gesamte Besatzung vor, die sich kurz zuvor selbst umgebracht hatte, insgesamt fast 1000 Menschen. Nur wenige Menschen sollen nach Flavius Josephus überlebt haben.


Yigael Yadins beeindruckende Leistung, aber auch teilweise einseitige Deutung der Ausgrabungen von Masada (1966) gehört zugleich in die Geschichte der Konsolidierung des Staates Israel angesichts arabischer Bedrohung und dem Entstehen des Mythos „Masada darf nicht noch einmal fallen“: Kapitel 9.
Bei einem epilogischen Rundgang durch Masada können dann die Lesenden an den einzelnen aufgezeigten Orten die Endgeschichte Masadas noch einmal auf sich wirken lassen.

Zusammenfassung: 
Masada – historische Bedeutung und bleibendes Widerstandssymbol

Im Horizont der Bedeutung der Festung Masada für den heutigen Staat Israel geht die international renommierte Archäologin Yodi Magness mit der Sorgfalt einer kritischen Wissenschaftlerin den archäologischen Ergebnissen und ihren Deutungen seit dem berühmten Buch (1966) von Yigael Yadin nach. Dem letzten großen jüdischen Aufstand nach der völligen Zerstörung Jerusalem (70 n. Chr.) folgten immer noch weitere Aufstände, besonders der Kampf des Simon Bar Kochba (132-136 n.Chr.) gegen Rom. Aber Masada bleibt das faszinierendste unglaubliche Ereignis, das sich in den Horizont der Geschichte Israels seit der Einwanderung nach Kanaan um 1200 v. Chr. eingeprägt hat. Masada wird aktualisierend fortgeschrieben, wenn die Touristenscharen eben nicht nur Jerusalem besuchen, sondern auch diese Wüstenfestung besteigen, um den letzten Zufluchtsort jüdischer Widerstandkämpfer zu sehen. Und wen wundert es, wenn sich in diese Geschichte auch die bitteren Erfahrungen eines Volkes mischen, dem das nationalsozialistische Deutschland auf brutalste Weise den endgültigen Garaus machen wollte.
Das Buch von Jodi Magness ist sicher das einzige Buch, das sowohl archäologische und historische Zusammenhänge und gleichzeitig die Bedeutung im kollektiven Bewusstseins Israels so beeindruckend zur Sprache bringt.



English Summary: 
Masada - historical sgnificance and lasting symbol of resistance

In the horizon of the significance of the Masada Fortress for the present state of Israel, the internationally renowned archaeologist Jodi Magness, pursues the archaeological results and their interpretations with the diligence of a critical scientist. It is the first actualization since the famous book (1966) by Yigael Yadin. The last great Jewish uprising after the complete destruction of Jerusalem (70 AD) was followed by other uprisings, especially the fight of Simon Bar Kochba (132-136 AD) against Rome. But Masada remains the most fascinating and incredible event, since Israel has entered the history with its immigration to Canaan 1200 BE. Masada is updated, because the tourist crowds not only visit Jerusalem, but also climb this desert fortress to see the last refuge of Jewish resistance fighters. And nobody may be surprised when this story is interspersed with the bitter experiences of a people that Nazi-Germany wanted to put an end in the most brutal way.
The Book by Jodi Magness is certainly the only book that so impressively addresses both archeological and historical contexts and at the same the significance in Israel's collective consciousness.



Résumé en français: 
Masada – signification historique et symbole durable de la résistance
À l'horizon de l'importance de la forteresse de Masada pour l'État actuel d'Israël, l'archéologue Yodi Magness, de renommée internationale, poursuit les résultats archéologiques et leurs interprétations avec la diligence d'un scientifique critique, C’est la première mise à jour depuis le célèbre livre (1966) de Yigael Yadin. Le dernier grand soulèvement juif après la destruction complète de Jérusalem (70 après J.-C.) a été suivi par d'autres soulèvements, notamment le combat de Simon Bar Kochba (132-136 après J.-C.) contre Rome. Mais Masada reste l'événement incroyable le plus fascinant depuis qu’ Israël soit entré dans l'horizon de l'histoire avec son immigration à Canaan 1200 avant J.-C.. Masada est mis à jour alors que les foules de touristes non seulement visitent Jérusalem, mais aussi escaladent cette forteresse du désert pour voir le dernier refuge des résistants juifs. Et personne ne s'étonne pas, llorsque cette histoire est entrecoupée des expériences amères d'un peuple auquel l'Allemagne-Nazi a voulu mettre fin de la manière la plus brutale.
Le livre de Jodi Magness est certainement le seul livre qui aborde de manière aussi impressionnante les contextes archéologiques et historiques et en même temps la signification dans la conscience collective d'Israël.


Resumen en español: 
Masada. Significado histórico. Símbolo duradero de resistencia
En el horizonte de la importancia de la Fortaleza Masada para el actual estado de Israel, la arqueóloga de renombre internacional Jodi Magness persigue los resultados arqueológicos y sus interpretaciones con la diligencia de un científico crítico. Es la primera puesta al día desde el famoso libro (1966) de Yigael Yadin. El último gran levantamiento judío después de la completa destrucción de Jerusalén (70 d.C.) fue seguido por otros levantamientos, especialmente la lucha de Simón Bar Kochba (132-136 d.C.) contra Roma. Pero Masada sigue siendo el evento increíble más fascinante que ha entrado en el horizonte de la historia de Israel desde su inmigración a Canaán 1200 a.d. J.C. Masada se actualiza a medida que las multitudes de turistas no sólo visitan Jerusalén, sino que también suben a esta fortaleza del desierto para ver el último refugio de los combatientes de la resistencia judía. Y nadie se sorprende cuando esta historia se intercala con las amargas experiencias de un pueblo al que la Alemania Nazi quería poner fin de la manera más brutal. El libro de Jodi Magness es ciertamente el único libro que aborda de manera tan impresionante los contextos arqueológicos e históricos, a la vez que su significación en la conciencia colectiva de Israel.

Traducción: José María Vigil, Ciudad de Panama
 Jodi Magness | wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft.
Jodi Magness (geb. 1956): Professorin an der University of North Carolina in Chapel Hill, Präsidentin des Archaeological Institute of America (AIA). Biblische Archäologie ist ihr Spezialgebiet.1995 leitete sie die Ausgrabungen in Masada, ebenfalls leitet sie auch in Qumran archäologische Forschungen.
Ihre Publikationen sind vielfach ausgezeichnet worden:
  • "The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls" (2003 - Biblical Archaeology Society’s Award for Best Popular Book in Archaeology).
    Es war zugleich das “Outstanding Academic Book for 2003” des Choice Magazine.
  • "The Archaeology of the Early Islamic Settlement in Palestine" (2006 - Irene Levi-Sala Book Prize)
Reinhard Kirste

Rz-Magness-Masada, 31.05.2020

Lizenz: CCFoto:

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