Sonntag, 28. Juli 2024

Marsilio Ficino - Transfer von der Antike, über die Mystik zur Renaissance und zur Moderne (aktualisiert)


Jutta Eming und Michael Dallapiazza (Hg.),
unter Mitarbeit 
von Falk Quenstedt und Tilo Renz:

Marsilio Ficino in Deutschland und Italien: Renaissance-Magie zwischen
Wissenschaft und Literatur

Episteme in Bewegung 7 - Wiesbaden: Harrassowitz,
2017. VIII, 291 S.  (kein Register)
--- ISBN 978-3-447-10828-7 ---

Besprechung des Buches
durch den Historiker Till Kinzel
(TU Berlin) , s.u.

English summary at the end of review –
Résumé français au bout du compte rendu
Resumen español al fin de la reseña 

Vgl.: 
>>> Plotin und der Neuplatonismus -
            Metaphysik und Erfahrung - Mystik und Philosophie 
>>> Humanismus & Renaissance -
           Universal gültiges Wissen (Episteme) in Bewegung

Der Renaissance-Intellektuelle und Humanist Marsilio Ficino (1433–1499) gehört zu den faszinierendsten Gestalten als Transformator antiken Gedankenguts in die Moderne. Seine Vielseitigkeit bezieht Philosophie, Medizin Naturwissenschaften und Esoterik gleichermaßen mit ein. Er veröffentlichte lateinische und italienische Abhandlungen zu medizinischen Themen wie Consiglio contro la pestilenza (Empfehlungen zur Behandlung der Pest) und De vita libri tres (Drei Bücher über das Leben). 

Seine medizinischen Werke übten einen erheblichen Einfluss auf Renaissance-Ärzte aus. Dazu gehörte auch Paracelsus. Die Auffassung über die Einheit des Mikro- und Makrokosmos sah er durch entsprechende Wechselwirkungen somatischer und psychologischer Manifestationen belegt. Hier schien zugleich eine Möglichkeit zu entstehen, die Diagnose bei der Heilung von Krankheiten zu verbessern. In diesen Kontext gehörten jedoch gleichermaßen zu jener Zeit sehr populäre Werke, die die sich mit astrologischen und alchemistischen Konzepten beschäftigten. So übersetzte Ficino antike hermetische Schriften. So geriet Ficino in den Verdacht der Ketzerei


ausgesprochen erfreulich, dass das vorliegende Ergebnis einer Forschungstagung in Berlin 2015 Marsilio Ficino in Deutschland und Italien versucht, diese Lücke zu schließen. Die Herausgeber Michael Dallapizza (Professor für deutsche Literatur, Universität Bologna) und Jutta Eming (Professorin für ältere deutsche Literatur und Sprache, FU Berlin) sowie die bei der Herausgabe Mitarbeitenden im Sonderforschungsbereich Episteme in Bewegung
Falk Quenstadt und Tilo Renz (FU Berlin) haben mit entsprechenden Fachleuten den Geisthorizont Ficinos gewissermaßen multiperspektivisch, und zwar wissenschaftstheoretisch und ästhetisch (im Schillerschen Sinne), in den Blick genommen: Das Schwergewicht liegt dabei auf dem Zusammenhang von Wissen in verschiedenen Welten, (dazu gehört z.B. auch das Traumwissen) sowie auf Erkenntnis und Wissenschaft generell. Darum ist es verdientsvoll, die Bedeutung Ficinos im Blick auf die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte sowie bei der Aufarbeitung des Zusammenhanges von Literatur und Magie im Kontext von Astronomie und Astrologie genauer hervorzuheben.
Vgl.: Programm der Ficino-Tagung >>>

  
http://www.sfb-episteme.de/_media/Veranstaltungsmaterlialien/B02/ficino_programm.pdf
Entsprechend waren auch die Themen der Vorträge auf drei Schwerpunkte ausgerichtet:
1.    So geht es zuerst um Begriffsorientierungen und „systemische“ Verknüpfungen von Magie, Humanismus und Poetik, um literarische Ausprägungen in der Spannung von Intellekt und „anima“ und im Blick auf Wirkungen des christlichen Kabbalisten Francesco Zorzi.
2.    So folgen literargeschichtliche und ästhetische Wirkungen („Schreibweisen“) im Blick auf  bei Agrippa von Nettesheim, Castiglione, della Porta, Giordano Bruno und Johann Hartlieb
3.     Schließlich muss der Fokus auf die unterschiedlichen Transfers gerichtet werden. Das betrifft zum einen diejenigen, die und wie sie Ficino selbst geleistet hat. Zum anderen zeigt der Transfer aus dem Griechischen und Lateinischen in die Volkssprache (so z.B. bei Johannes Adelphus Muling) und nötigt zur Aufarbeitung des „Ficianismus“ in der Renaissance. Das betrifft die Bedeutung und Wirkweise der neuplatonischen Enthusiasmustheorie in ihrer Verbindung von diviniatorischer und poetischer Inspiration in Deutschland sowie die erstaunliche Rezeption von Ficino an der Unirversität Leipzig bereits zu seinen Lebzeiten.
Inhaltsübersicht:  
(mit Links bei einzelnen Beiträgen)
Vorwort zum Sonderforschunsgsbereich „Episteme in Bewegung“....
Jutta Eming: Einleitung
und Vorstellung der einzelnen Themenschwerpunkte  .... 3

I. Begriffe und systemische Verknüpfungen
Stéphane Toussaint: Magie und Humanismus
(neben Ficino, Giovanni Pico della Mirandola
---
 Fabio Paolini --- 
Giovanni Paolo Gallucci
und mit Bezug auf Franceso Petrarca                                                                    19
Fosca Mariani Zini: Intellectus und anima  bei Ficino    
vgl. Intellectus und anima in der Antike 
sowie: 
Paul Hellmeier OP: Anima et intellectus:
Albertus Magnus und Thomas von Aquin
über Seele und Intellekt des Menschen

(Beiträge zur Geschichte der Philosophie
und Theologie des Mittelalters / Neue Folge). Münster: Aschendorff 2011          
 35
Susanne Beiweis: Allmacht, Ohnmacht und Magie.
Symbolik des Saturn - Kippbild bei Marsilio Ficino
Vollständiger Text >>> (über academia.edu)
Mehr zu den Beiträgen Susanne Beiweis über Ficino:
https://sysu.academia.edu/SusanneBeiweis                                                    55
Saverio Campanini: Ein christlicher Kabbalist liest Ficino: Francesco Zorzi         67
II. Schreibweisen
Steffen Schneider: Metaphysische und soziale Kommunikation 
als Grundlagen der philosophischen Poetik
(in Weiterführung des Aristoteles) bei Marsilio Ficino        
      .......                ....   87
Sergius Kodera: Ficinos Theorie der Augenstrahlen
bei Agrippa von Nettesheim --- Baldassare Baldassare ---
Giovan Battista della Porta ---
Giordano Bruno                       .                        103
Tilo Renz:
Ich hab gesehen den gott Amon, vnd er hatt mich liepleich beschlaffen.
Traumwissen bei Marsilio Ficino und in JohannHartliebs Alexander (1450)           133
III. Übersetzungen, Netzwerke und negative Transfers
Antje Wittstock: Marsilio Ficinos
De vita coelitus comparanda (De viat libri tres) als prekäres Wissen:
Strategien und Modi von Transfer
vgl.: https://mittelalter.hypotheses.org/3387                               155
Barbara Sasse Tateo: Der Transfer in die Volkssprache:
Das Buch des Lebens des Johannes Adelphus Muling                               177
Bernhard Huss: Dogma und Dichtung. Rekonfigurationen des Ficinianismus
in der Florentiner Literaturexegese der Renaissance 
Vgl. Christine Walde (Hg.): Rezeption der antiken Literatur.Kulturhistorisches Werklexikon. Stuttgart/Weimar 2010
https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/fc/article/view/39196        199
Volkhard Wels: Zum theologischen und sozialhistorischen Kontext
der neuplatonischen Enthusiasmus-Theorie                          
          235
Grantley McDonald: Ficino at the University of Leipzig, 1489–1509
Die Universität Leipzig als deutsches Zentrum italienischer Renaissance:
https://katalog.ub.uni-leipzig.de/Record/0-1622201299                         275
Beiträgerinnen und Beiträger                                                                     289
Zusammenfassung:
Marsilio Ficino und die Renaissance an der Schnittstelle zwischen Antike und Moderne 
Marsilio Ficino gehört zu den wichtigen Transfergestalten zwischen Antike, Mittelalter und Moderne. So ist es umso erstaunlicher, dass er in Deutschland bisher im Grunde kaum in das gebührende Licht gerückt wurde. Nun hat sich eine Forschungstagung im Jahr 2015 mit Marsilio Ficino in Deutschland und Italien ausführlich beschäftigt. Durch die Drucklegung der Vorträge wurden die Ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Band bietet nämlich eine erstaunliche dichte Einführung in die intellektuelle Vielfältigkeit Ficinos in medizinischer, naturwissenschaftlicher und antik-philosophisch-esoterischer Hinsicht, ja auch im Blick auf das Verständnis von Magie, einem Wirklichkeitsverständnis, das Fantasiewelten systematisch mit einbezieht. All dies kommt im Denkhorizont von Ficino zur Sprache: Es ist ein wichtiger geistiger Traditionsweg, der das Erbe der Antike in der Renaissance eigenständig „wiedergebären“ lässt. Philosophisch-theologisch sei außerdem das Weiterwirken des Neuplatonismus unter veränderten sozialhistorischen und kulturellen Bedingungen hervorgehoben. Aber auch im Blick auf Poetik und Ästhetik werden bei Ficino und seiner Rezeption geradezu universalistisch übergreifende Erkenntnisbemühungen sichtbar. 
English Summary:
Marsilio Ficino and Renaissance at the interface between antiquity and modernity

Marsilio Ficino is one of the most important transfer figures between antiquity, the Middle Ages and modernity. It is therefore all the more astonishing that he has hardly been put in the right light in Germany. Fortunately in 2015 a research conference dealt in detail with Marsilio Ficino in Germany and Italy. The results have been made accessible to a wider public through the printing of a book with the results of this conference. The volume offers an astonishingly dense introduction to Ficino's intellectual diversity in medical, scientific and ancient philosophical-esoteric terms, and also in terms of the understanding of magic, an understanding of reality that systematically includes fantasy worlds. All of this is expressed in Ficino's intellectual horizon: it is an important intellectual tradition that allows the legacy of antiquity to be "reborn" independently in the Renaissance. He also emphasized the continuing effect of New Platonism philosophical-theologically under changed socio-historical and cultural conditions. But also with regard to poetics and aesthetics Ficino and his reception show almost universalistically comprehensive efforts of knowledge.
Résumé en français:
Marsilio Ficino et la Renaissance à l'interface entre l'Antiquité et la modernité

Marsilio Ficino est l'une des figures de transfert les plus importantes entre l'Antiquité, le Moyen Âge et la modernité. Il est donc d'autant plus étonnant qu'il n'ait guère été mis en valeur en Allemagne. Heureusement une conférence de recherche en 2015 a traité en détail: Marsilio Ficino en Allemagne et en Italie. Les résultats ont été rendus accessibles à un plus large public grâce à l'impression d’un livre avec les résultats de cette conférence. Le volume offre une introduction étonnamment dense à la diversité intellectuelle de Ficino en termes médicaux, scientifiques et philosophiques-ésotériques anciens, et aussi en termes de compréhension de la magie, une compréhension de la réalité qui inclut systématiquement les mondes fantastiques. Tout cela s'exprime dans l'horizon de pensée de Ficino: c'est une importante tradition intellectuelle qui permet à l'héritage ancien de "renaître" indépendamment à la Renaissance. Sur le plan philosophique et théologique, il a également souligné l'effet continu du nouveau platonisme dans des conditions socio-historiques et culturelles modifiées. Mais aussi en ce qui concerne la poétique et l'esthétique, Ficino et sa réception montrent des efforts de connaissance presque universels.
Resumen en español:
Marsilio Ficino y la Renacimiento interfaz entre la antigüedad y la modernidad
Marsilio Ficino es una de las figuras de referencia más importantes en el paso entre la Antigüedad, la Edad Media y la Modernidad. Por eso, sorprende que apenas se le haya enfocado sobre él en Alemania la luz que merece. Por suerte, en 2015 tuvo lugar una conferencia de investigación sobre el tema de Marsilio Ficino en Alemania e Italia. Los resultados han sido puestos a disposición de un público más amplio mediante la publicación de un libro con las conferiencias. El volumen ofrece una introducción – llamativamente densa – a la interdiscipinaridad de Ficino, en términos médicos, científicos y filosóficos-esotéricos antiguos, y también en cuanto a la comprensión de la magia, una comprensión de la realidad que incluye sistemáticamente los mundos de fantasía. Todo esto se expresa en el horizonte de pensamiento de Ficino: es una importante tradición intelectual que permite que el legado de la Antigüedad "renazca" independientemente en el Renacimiento. Filosófico-teológicamente, también destacó el efecto continuado del Nuevo Platonismo, bajo condiciones socio-históricas y culturales cambiantes. Pero también, con respecto a la poética y la estética, Ficino y su recepción significan un esfuerzo de conocimiento casi universal.
Traducción: Dr. José María Vigil, Ciudad de Panamá
Der philosophische Hintergrund:
Ficinos Verständnis von Plotin

Stephen Gersh: Marsilio Ficino
as Reader of Plotinus:
The ‘Enneads’ Commentary
History of Metaphysics: Ancient, Medieval, Modern
, Band: 5
Leiden: Brill 2024, 524 pp. + indices

This book represents the first ever systematic philosophical study of Marsilio Ficino’s Commentary on Plotinus’ ‘Enneads’ (first published in Florence, 1492), this work of Ficino being arguably as definitive for the Florentine thinker’s later work as the Platonic Theology was for his earlier. Publication of the present study uniquely illuminates the extent to which Plotinus had always been the crucial influence over Ficino’s revolutionary projects of introducing Platonic thought based on original Greek sources to western Europe, correcting certain features of late medieval and Renaissance Aristotelianism, and laying the foundations of a new Christian Platonism. The study can be read both as an independent introduction to Ficino’s later philosophy and as the complement to the first modern edition and translation of the Commentary on the 'Enneads' itself also by Stephen Gersh (I Tatti Renaissance Library, 2017-).
Rezension des Historikers und Literaturwissenschaftlers
Till Kinzel (TU Berlin)
mit einzubeziehen.
Er hat sie unter academia.edu veröffentlicht.

Der Gesamttext wurde auch in die Dokumentationen und Diskurse
der InterReligiösen Bibliothek (IRB)
übernommen:
https://textmaterial.blogspot.com/2020/06/till-kinzel-besprechung-des-buches.html

Reinhard Kirste
Rz-Ficino-2020 u.ö.

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