Dienstag, 10. November 2020

Einblicke in Globalisierungsperspektiven und Paradoxe. Eine von dem Ökonomen Dani Rodrik verdeutlichte Diskussion


Dani Rodrik (Ökonomeprofessor an der Harvard University):
Das Globalisierungs-Paradox.
Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft. 
Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber.
München: C.H Beck 2011 , 416 S. 
--- 978-3-406-61351-7 ---
Verlagsinformation, Inhaltsverzeichnis und Leseprobe >>>

Amerikanische Originalausgabe:
Dani Rodrik. The Globalization Paradox. Democracy and the Future of the World Economy. New York:  
W.W. Norton & Company 2011, 288 pp.

Rezension der amerikanischen Ausgabe im Anhang (review Essay) - scroll down

Die Globalisierung, die für viele in der Welt mehr Wohlstand brachte, ruft nun mehr und mehr kontroverse Aspekte hervor. Darauf bezieht sich dieses dieses interessante Buch.  

In der EINLEITUNG  Die Geschichte der Globalisierung, anders erzählt:
wird diese prägnant auf S. 17 skizziert. Wiederholt sich wie 1914 die Kontraktion des Welthandels, zumal
 die Corona-Pandemie seit dem Frühjahr 2020 nicht eingedämmt werden konnte?
Verdeutlichend schildert der Autor 
Ökonomen sind  auch Menschen (S. 22ff), die mit wissenschaftlichen Zauberformeln agieren (S. 23) basierend und sich dabei im Horizont der Ideen von Adam Smith u.a. bewegen. 

Das Kapitel EINS (S. 27 ff.): Von Märkten und Staaten wirft einen historischen Blick auf die Globalisierung: Vor dem Ersten Weltkrieg wurde mit dem Goldstandard der erste Versuch einer Art von Globalisierung unternommen. Die transnationalen Vorschriften, die dabei geschaffen wurden, ermöglichten den freien Fluss von Kapital und Waren. Allerdings wurde dadurch der politische Gestaltungsspielraum der beteiligten nationalen Regierungen begrenzt. Man kann in diesem Fall also von einer „goldenen Zwangsjacke“ sprechen.
Rodrik betont, dass diese Art von System in der Vergangenheit stets unvereinbar mit den Anforderungen des Demokratieprinzips war. Er verweist dabei insbesondere auf den
  Versuch Großbritanniens Anfang der 1930er-Jahre, zum Goldstandard zurückzukehren. Die Regierung musste feststellen, dass es so unmöglich war, den wachsenden Ansprüchen einer größer gewordenen Wählerschaft und der organisierten Arbeiterschaft gerecht zu werden.

In Kapitel ZWEI (S. 51 ff.) werden Aufstieg und Fall der ersten großen Globalisierung beschrieben und mit Kapitel DREI (S. 79 ff.) weiter unter der Frage verdeutlicht: Warum erkennt nicht jeder die Vorteile des Freihandels?

Das KAPITEL 4 untersucht näher (S. 103ff.) Bretton-Woods-System, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen [GATT] und die World Trade Organisation  [WTO]. Es geht um Chancen und Schwierigkeiten des Handels in einer politisierten Welt. 

Im KAPITEL 5  (S. 129 ff.) werden die finanzielle Globalisierung und ihre Eskapaden kritisch dargestellt. Dazu gehört vertiefend auch KAPITEL 6 mit dem Bild Die Füchse und Igel des Finanzkapitals. 

KAPITEL 7- Arme Länder in einer reichen Welt beschreibt die zentrale Herausforderung für die Weltwirtschaft. Sie besteht nach Rodrik darin, dass sich einige Länder schlichtweg in einer besseren Position befinden als andere. Demgegenüber ist es notwendig auf den  Handelsfundamentalismus in den Tropen - KAPITEL 8  zu verweisen, um das politischeTrilemma der Weltwirtschaft - KAPITEL 9 - also die Unvereinbarkeit von Nationalstaat, Demokratie und grenzenloser Globalisierung ("Hyperglobalisierung") zu verstehen. 

KAPITEL 10  steht unter der Frage: Ist eine Globalregierung machbar? Ist sie wünschenswert? Das sind Überlegungen, die in KAPITEL 11  unter der Frage der Digitalisierung fortgesetzt werden: Kapitalismus 3.0. 

Im abschließenden KAPITEL 12 erklärt Rodrik, wie eine  Globalisierung mit Augenmaß aussehen kann, was angesichts der Gewinner und Verlierer in der Weltwirtschaft und im Horizont der aktuellen Probleme unabdingbar ist. Es ist nämlich ausgesprochen schwer, für die Zukunft der Weltwirtschaft optimistisch zu sein.  

Daher folgt im  EPILOG  eine Gutenachtgeschichte für Erwachsene.
Denn: Nationalstaaten, Demokratie und "Hyperglobalisierung" passen nicht zusammen. Die Demokratie leidet unter der Globalisierung, weil Firmen dem demokratisch beschlossenen Arbeitsrecht und den Steuern entgehen können, indem sie in anderen Staaten investieren. Rodriks Lösung: Die Staaten müssen höhere Zölle erheben und die Finanzmärkte müssten besser reguliert werden. Globalisierungsgegner finden damit eine Theorie-Bestätigung zu ihren Thesen. Aber Rodrik ignoriert dabei, dass die Globalisierung arme Länder wie z.B. China reich machte.


Im
NACHWORT von Gabriel Felbermayer (Präsident des Insituts für Weltwirtschaft): Von der Hyper- zur Hypoglobalisierung? werden die Spannungen skizziert, die zwischen dem Globalisierungsbestreben der Wirtschaft (1),  dem Wunsch der Länder, ihre Souveränität zu behalten (2), und dem Erfordernis der demokratischen Legitimation (3) bestehen. Das „Trilemma“ der Weltwirtschaft erfordert Kompromisse um die Globalisierung besser zu gestalten.  

BILANZ
2020 hat ein Virus die Welt in Aufruhr versetzt; und seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie gehören Modellrechnungen und Wachstumsprognosen zu den täglichen Nachrichten. Doch es fehlen Politiker, die die Interessen der heutigen und der zukünftigen Generationen im Fokus haben und die verstehen, dass die zunehmende Überschuldung nicht nachhaltig ist. Die Dysfunktionalität der Wirtschaft wächst und die Zentralbanken investieren Unmengen Geld in den Finanzsektor: Das  wird nicht im gewünschten Ausmaß an die Realwirtschaft weitergegeben. Daher gibt es eine globale Inflation der Aktien- und Vermögenspreise.

Besonders das Hauptrisiko der globalen Erderwärmung  wird von Rodrik nicht adäquat gewürdigt. Die Bewältigung dieser Gefahr stellt die Menschheit vor gewaltige Herausforderungen. 2017 einigten sich viele Staaten im Klimavertrag von Paris (Dezember 2015) darauf, die Erderwärmung im Vergleich zu vorindustriellen Werten deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten. Zudem verpflichten sich die Vertragspartner dazu, Anstrengungen zu unternehmen, sie auf durchschnittlich auf nur 1,5 Grad zu begrenzen. Die Klimaschützer kritisieren von daher den Energie- und Verkehrssektor.  Doch besonders dynamische Faktoren der Welternährung könnten alle Bemühungen behindern, und zwar die Weltbevölkerung und die benötigten Ackerflächen sowie Ernteerträge betreffend: 
Lebensmittelverschwendung und verändernde Ernährungsgewohnheiten.
Darauf verweisen 
Michael Clark u.a. (2020):
Global food system emissions could preclude achieving the 1.5° and 2°C climate change targets: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33154139/

Insgesamt bietet das Buch  jedoch gute  Denkanstöße  mit  klaren Erkenntnisgewinnen. Es hält  auch für Laien und Fachleute gleichermaßen als Zielgruppe wichtige Einsichten bereit.

 Prof. Dr. Eckhard Freyer, Bonn 

 ANHANG: Ergänzende Literatur und Review Essay 

  • Andreas Fahrmeir (Hg.):  Deutschland. Globalgeschichte einer Nation. 
    München: C H Beck 2020, 936 S., Illustr.
    Rezension >>>
  • Deutscher Bundestag.  Schlussbericht der Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft. Drucksache des deutschen Bundestages vom 12.06.2002
    https://archive.org/details/ger-bt-drucksache-14-9200
  • Ludger Kühnhardt /Tilman Mayer (Hg.): Bonner Enzyklopädie der Globalität.
    Band 1 und 2. Wiesbaden: Springer 2017, 1627 S.
    Wiesbaden: Springer 2017, 1627 S. 

  • Dani Rodrik. The Globalization Paradox. Democracy and the Future of the World Economy, W.W. Norton & Company, 2011, 288 pp. 

Review Essay
International Journal of Constitutional Law,
Volume 11, Issue 3, July 2013, 809–812
 
https://doi.org/10.1093/icon/mot031

Link: https://academic.oup.com/icon/article/11/3/809/789521

Inhaltsverzeichnis und ausführliche Leseprobe >>>

This is a timely book on an important subject for the future of the world economy. It fills a niche in the market: a text that is readable by the general public, but that can also be appreciated by scholars and experts in the field. The book represents a significant contribution to the literature on globalization, drawing on historical, political, philosophical, and economic considerations. The author, Dani Rodrik—Professor of International Political Economy at the Kennedy School of Government at Harvard University—is one of the outstanding economists of our generation, and certainly one of the more original thinkers. I had the good fortune of getting to know him during my time in Columbia University; he combines common sense with intellectual rigor and credibility.

The book, which draws on earlier works by the author, is divided into twelve chapters, following an introduction aptly entitled: “Recasting Globalization’s Narrative.” Chapter 1 provides a historical assessment of the interaction between states and markets. The “globalization’s conundrum” is summarized in the following words: [G]lobal markets are doubly problematic: they lack the institutional underpinnings of national markets and they fall between existing institutional boundaries. This dual curse leaves economic globalization fragile and full of transactions cots. . . . It renders the quest for perfect globalization a fool’s errand (pp. 22–23).

Chapter 2, entitled “The Rise and Fall of the First Great Globalization,” discusses first the ascendancy of free trade beliefs during the nineteenth century thanks to the efforts of economists such as David Ricardo and John Stuart Mill, and then considers the gold standard and its eventual demise, finishing the chapter with a brief exposé of the calamitous protectionism in the interwar period. Chapter 3 makes a qualified case for free trade in the context of its implications for distributive justice and social norms. Chapter 4 discusses the Bretton Woods regime (“compromise”) and institutional framework and the move from the transitional General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) (following the failed International Trade Organization) to the permanent World Trade Organization (WTO). Drawing on Robert Lawrence, Rodrik makes a distinction between “shallow” and “deep” integration:

Under shallow integration, as in Bretton Woods, the trade regime requires relatively little of domestic policy. Under deep integration, by contrast, the distinction between domestic policy and trade policy disappears. . . . Global rules in effect become the domestic rules (p. 83).

He concludes that: [t]he reality is that we lack the domestic and global strategies to manage globalization’s disruptions. As a result, we run the risk that the social costs will outweigh the narrow economic gains and spark an even worse globalization backlash (p. 88). Chapter 5 discusses what he calls “Financial Globalization Follies,” commencing with the demise of the Bretton Woods consensus on capital controls and fixed exchange rates, and concludes that “financial globalization has failed us” and that countries that have opened themselves to international capital markets have faced great risks and crises.

Chapter 6, entitled “The Foxes and Hedgehogs of Finance,” divides economists into two groups, foxes and hedgehogs. Rodrik draws on the ancient saying attributed to the Greek poet Archilochus that “the fox knows many things, but the hedgehog knows one big thing” and compares “the hedgehogs who think freeing up markets is always the right solution (the ‘big idea’) and the foxes who believe the devil is in the details” (p. 114). He considers himself amongst the “foxes,” regarding Joe Stiglitz as “the most consummate fox among today’s economists” (p. 121), and recommends skepticism towards the hedgehog type of economists who sport one big idea (be it “efficient market hypothesis” or “rational expectations”). He is rightly concerned about “the huge chasm that has developed between the reach of financial markets and the scope of their governance” (p. 129) but firmly rejects the case for global financial regulation: “The very idea that we could erect a perfect system of global regulation for international financial flows is itself a fairy tale” (p. 129). Chapter 7, under the title of “Poor Countries in a Rich World,” considers different country experiences, contrasting the resulting poverty in many countries in Africa with the success stories of east Asia, in particular China. Rodrik considers that “[p]olitics is only part of the answer” (p. 158), and goes on to explain in Chapter 8 the economic narrative to understand these divergences. He criticizes “trade fundamentalists” and advocates a new development strategy (a “post-Washington consensus” consensus) recalibrating the balance between states and markets.

Chapter 9, entitled the “Political Trilemma of the World Economy,” is a key chapter in the book. Rodrik argues that we cannot have “deep economic integration” (he uses the term “hyper-globalization”), national sovereignty (nation state), and democratic politics all at once (pp. 200–201). We can have at most two out of three. Since democracy cannot be compromised, and he rejects the “global governance” option, he proposes a return to national sovereignty. He considers that:global standards and regulations are not just impractical; they are undesirable. The democratic legitimacy constraint ensures that global governance will result in the lowest common denominator, a regime of weak and ineffectual rules (p. 204). His solution to strengthen the nation state is a critique of hyper-globalization. He considers that this hyper-globalization agenda “gives predominance to the needs of multinational enterprises, big banks and investment houses over other social and economic objectives” (p. 206). Chapter 10 further elaborates his case against “global governance.”

Chapter 11 proposes seven principles for a new model of globalization, after considering how intertwined the concepts of globalization and capitalism have become. The first principle, and this is something that, as a legal scholar, I fundamentally agree with, contends that markets need other institutions to support them, notably courts of justice, legal arrangements to enforce property rights, and regulations to rein in abuse and fix market failures, since “markets do not create, regulate, stabilize or sustain themselves.” Interestingly, he points out that “what is true of domestic markets is true also of global ones.” The logical extension of his argument (which would contradict a basic tenet of the book, Rodrik’s choice to solve the “trilemma”) is that if national markets need adequate national rules, international markets need adequate international rules! This would mean that national sovereignty, rather than global governance, should be sacrificed in order to solve the “trilemma” (We can—indeed—globalize democracy at the cost of national sovereignty—p. 200). The other six principles deal with a number of issues including democracy and legitimacy in the context of nation states, different ways of achieving prosperity and the role of non-democratic countries. Not all the principles are equally relevant and there are some inter-linkages.

The final chapter of the book, entitled “A Sane Globalization,” applies these seven principles to four key areas: the international trade regime, global finance, labor migration, and global labor flows and how to accommodate China in the World Economy. The book finishes with a cautionary afterword: “A Bedtime Story for Grown Ups”—the story of a little isolated fishing village . . .

I disagree with Rodrik’s assertion that a return to national states and national sovereignty provides an answer to the current woes. I contend that the dichotomy between international markets and national laws and policies can be best tackled by the internationalization of the rules and institutions governing global markets. The answer, in my opinion, is more international law and less national law. This is particularly needed in international finance where formal international law is sorely missing. Reliance on national law and soft law international standards was a contributing factor to the global financial crisis. The dichotomy between national rules and global financial markets reached its zenith with the collapse of Lehman Brothers. Formal international law has legitimacy and is in accordance with the principles of democratic politics. By formal international law I mean “hard” international law, which emanates from international treaties. In addition to concerns about democratic legitimacy, the greatest limitation of international soft-law is the lack of effective enforcement, since it is only by its adoption into national law that it typically becomes enforceable. What is the solution forward? I have discussed it elsewhere.1 In my opinion, the International Monetary Fund, the institution at the center of the international monetary and financial system, is best placed to adopt a role as a “global sheriff” with regard to international financial stability. Either by creative reinterpretation of the Articles of Agreement of by an amendment of such Articles the IMF can be formally given such a mandate.

When it comes to modern financial markets, sovereignty is an inadequate principle to deal with financial conglomerates, complex groups and, generally, with cross-border institutions and markets. It is not a good principle to deal with crisis management either, nor with the home–host country divide. Indeed, like a tsunami that does not respect territorial borders, the effects of a financial crisis spread beyond geographic frontiers. In some parts of our modern life, we need to move beyond national sovereignty. This has happened already in some regional areas, such as the European Union, where countries have been ready to make sacrifices in terms of national sovereignty for the sake of European unity. And it happens whenever countries sign international treaties.

Financial markets transcend national boundaries. And so do financial stability and systemic risk. It may actually be in the best interests of countries to pool sovereignty in some areas. Drawing on the lessons of history, it was in the context of World War II that countries were ready to make the sacrifices needed in terms of sovereignty by signing a number of international treaties that gave rise to international organizations such as the United Nations, the International Monetary Fund, and the World Bank. John Maynard Keynes had wisely stated that in order to win the war we needed to “win the peace.” It was this understanding that also inspired Henry Morgenthau (then US Treasury Secretary) to proclaim in the opening remarks of the Bretton Woods conference in New Hampshire in July 1944 that “prosperity like peace is indivisible.” Neither Keynes nor Morgenthau were thinking only in territorial/national terms: they were thinking in international terms. This international frame of mind does not imply a negation of sovereignty in all areas of our life. But we need international organizations with adequate mandates and international rules for markets to prosper.

Overall, I found the book highly enjoyable. I agree with Rodrik’s skepticism about the hedgehog types of economists, who promote one big idea regardless of context. As he lucidly points out, “the ‘science’ of economic policy is not like physics, where each generation of ideas successively displaces the previous generation’s. At best, we learn how to tackle the complexities of the world a bit better with each new wave of research” (p. 133). Indeed!“


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