Eve Myonen Marko / Wendy Egyoku Nakao:
Erwachen im Alltag, Koans die das Leben schreibt
Berlin:
edition steinrich 2021 ---
https://edition-steinrich.de/ --- 328 S.
--- ISBN 978-3-942085 ---
Koans sind bekannt als sogenannte Zen-Rätsel. Diese volkstümliche Einordnung gibt einen Teil dessen wieder, was Koans sind: Kurze Beschreibungen von Situationen, Gesprächen zwischen Meister und Schüler, oder Schüler und Schüler. Die ersten Koans entstanden im 7.Jh. nach Chr. Diese Kurzerzählungen münden immer in eine Erleuchtung. Wobei man das Wort Erleuchtung auch auf das reduzieren muss, was Erleuchtung eigentlich ist. Hören wir Erleuchtung im umgangssprachlichen Zusammenhang, dann hören wir: Jemand hat eine Lösung, gar eine Wahrheit gefunden, und damit ist die Suche beendet.
Nicht so bei den Koans: Erleuchtung ist oftmals erst der Anstoß, wirklich zu suchen. Denn Wahrheit ist keine Formel, etwas, das ich erzählen oder weiter erzählen kann. Wahrheit ist im Zen die Erfahrung in dem einen Augenblick. Sie zu beschreiben heißt, sie zu verfälschen. Ich kann die Erfahrung der Wahrheit nur immer weiter vertiefen.
Es gibt zwei Hauptlinien im Zen: Soto und Rinzai. In der Soto-Linie suchen die Schüler die Erleuchtung u.a. in der Praxis des Sitzens. Im Rinzai wird geübt, indem die Schüler über Koans meditieren. Der Sinn eines Koans besteht u.a. darin, ihn zum Mittelpunkt der Meditation zu machen, ihn im Geist zu bewegen. Und meine ich, den Sinn nun zu haben, ist er mir schon wieder verloren. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Übenden der Soto-Linie auf Koans verzichten. Sie spielen nur nicht die entscheidende Rolle.
Normalerweise
beschäftigen sich Übende im Koan-Studium mit jenen historischen Koans aus der
Welt Chinas und Japans des Altertums. Nicht so die beiden Autorinnen. Sie
nehmen Koans auch in dem Sinne wörtlich, dass dort Geschichten „aus dem Leben“
erzählt werden. Und so lassen sie hier, heutige Menschen Geschichten aus ihrem
Leben erzählen, die den normalen Lauf der Dinge in Frage stellen, also in eine
Erleuchtungssituation münden, so die von Koans von Yakushi. Er lebt seit Jahren
eine vorbildliche Ehe – und fragt sich:“Warum hasse ich die Frau, die ich
liebe?“ (S. 23).
Oder eine genervte Mutter steht vor ihrem Kind und fragt
sich:“Wer ist das schreckliche Monster, das mich anbrüllt?“ (S.106).
Die
Präsentation geschieht in der Form der traditionellen Koan-Sammlungen:
Überschrift
- danach ein Vers aus der Zen-Tradition, ein Gedicht oder ein Sutrenvers. Darauf folgt das
Koan. Diesem folgt eine Betrachtung. Sie endet mit einer Frage, einem Satz, den
ich als Lesender weiter durch den Tag oder durch die Woche tragen kann. „Sag
mir, wie lauten deine wahren Namen?“ (S. 124) oder „Unmon sagt: >Die ganze
Welt ist Medizin<. Wie verstehst du das? Wie wirst du es nutzen?“ (S. 22)
Diese
Betrachtungen und Sätze öffnen in eine im wahrsten Sinne des Wortes unheimliche
Weite. Denn in jedem Augenblick kann mir in der Gestalt eines Kindes, eines
Tieres oder eines Traums als Lehrer begegnen, der mir den entscheidenden Anstoß
gibt. Selbst wenn ich als schon erfahrener Zen-Übender meine, zu wissen wo es
langgeht, wird eine weitere Tür aufgestoßen – oft die, die direkt unter meinen
Füßen liegt. Und so ist dieses Buch eine Einladung an alle, sich auf den Anfänger-Weg einzulassen, den Weg des
Zen, den wir in jedem Moment das erste Mal gehen.
Zu den Autorinnen:
Roshi Eve Myonen Marko, Gründungslehrerin des Zen-Peacemaker-Ordens. Mit ihrem Mann Bernie Glassman (1939-2018) arbeitete sie als Peacemaker in USA, Europa und dem Nahen Osten. Mit ihm leitete sie Retreats in Auschwitz-Birkenau, Ruanda u.a.
Roshi Wendy Egyoku
Nakao,
1983 als Zen-Priesterin ordiniert wurde 1996 als Dharma-Nachfolgerin von Bernie
Glassman ernannt. In seiner Nachfolge war sie 1999 – 2019 Äbtissin des
Zen-Center Los Angeles. Weiterhin fungiert sie als Priesterin und Lehrerin an
diesem Institut.
Dirk
Harms, Schwerte
Ev. Pfarrer
/ Theaterpädagoge BuT/ Bibliodramaleiter GfB
Lizenz: CC
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