Donnerstag, 1. Mai 2014

Buch des Monats Mai 2014: Interkulturelle Theorie und Praxis - eine dialogische Pädagogik



Hamid Reza Yousefi: Interkulturelle Kommunikation.
Eine praxisorientierte Einführung.

Darmstadt: WBG 2014, 204 S., Grafiken, Glossar
--- ISBN 978-3-534-26260-1--- auch als E-Book erhältlich ---
Kurzrezension: hier

Ausführliche Beschreibung
Hamid Reza Yousefi, Privatdozent für interkulturelle Philosophie und Geschichte der Philosophie an der Universität Koblenz-Landau versucht seit Jahren, ein sinnvolles Zusammenleben von Menschen verschiedener Lebenstraditionen zu fördern. Er untersucht dazu verschiedene Konzepte gesellschaftlicher Zusammenhänge. Das hat auch zur Gründung des Instituts zur Förderung der Interkulturalität in Trier geführt. Neben philosophiegeschichtlichen und religionswissenschaftlichen Begründungen geht es ihm um Kommunikationsmöglichkeiten in einer pluralen Gesellschaft. Hier versucht er zugleich eine pädagogische Basis zu schaffen.

In seinem neuesten Buch benennt er die Zielrichtung einer „tragfähigen Kommunikation in interkultureller Absicht“ folgendermaßen: „Eine zentrale Aufgabe einer solchen Umgangsform besteht darin, die Wirklichkeit wissenschaftlich zu beobachten und pädagogisch-dialogisch zu vermitteln.“ (S. 7). Nur die dialogische Vermittlung ermöglicht überhaupt den Erfolg für eine zukünftige auf Frieden, Toleranz und Gerechtigkeit ausgerichtete Gesellschaft. Dazu bedarf es zum einen, die verschiedenen Kulturbegriffe auf eine solch tragfähige Brückenfunktion zu untersuchen und daraus eine dialogische Pädagogik der Interkulturalität zu entwickeln. Dazu müssen zum anderen aber auch die Konfliktpotentiale gezeigt sowie kulturelle Grenzziehungen hinterfragt und überwunden werden.
Seinen Erfahrungshintergrund nimmt der Autor aus sog. deutsch-iranischen Tauschfamilien, also Familien und Gruppen, in denen zwei Kulturen in einer kürzeren oder längeren Zeitphase aufeinandertreffen oder wo eine solche interkulturelle Partnerschaft mit ihren Chancen und Schwierigkeiten durchgängig gelebt wird. Das können auch deutsch-türkische, deutsch-afrikanische, deutsch-arabische Familien sein. Im Fokus-Beispiel stehen bei Yousefi Menschen mit deutsch oder iranisch geprägten Lebensstilen.         
Detailliert beschreibt der Autor im 4. Kapitel, wie eine solche Patchwork-Gruppierung funktioniert, wenn die deutsche Mutter mit der Tochter zum iranischen Vater mit dessen Sohn in den Orient umzieht, während die iranische Mutter mit der Tochter nach Deutschland kommt. Nun müssen kulturelle und sprachliche Hindernisse sowie unterschiedliche Biografie-Voraussetzungen in Einklang gebracht werden. Um aus solcher Konstellation kontextuell-pädagogische Konsequenzen abzuleiten (Kapitel 5), fragt Yousefi schon im Kapitel 1, wie interkulturelle Kommunikation überhaupt zustande kommt bzw. wo Hinderungsgründe liegen. Dazu führt er theoretische Ansätze der Kommunikationsforschung vor, indem er sich neben anderen besonders auf Karl Jaspers, Hans-Georg Gadamer, Georg Auernheimer, Jürgen Habermas und Friedemann Schulz von Thun bezieht und dabei kommunikative Veränderungen durch Migrationsbewegungen im Auge behält. Es geht also immer darum, wie der Andere von der Aufnahmegesellschaft gesehen wird und wie sich dabei Integration oder Desintegration entwickeln.
Dass sich durch solche Veränderungen in der Bevölkerung auch Kulturverständnisse verändern, liegt auf der Hand. Dabei ist übrigens keineswegs von vornherein klar, was Kultur überhaupt ist (S. 25f). Mit Beispielen aus der Geschichte im Spiegel moderner Kulturtheorien schält Yousefi Zugänge zur Interkulturalität heraus, so dass er in Kapitel 3 vorläufig definiert: „Interkulturalität ist der Name einer Theorie und Praxis, die sich mit historischen und gegenwärtigen Verhältnissen der Kulturen und der Menschen als deren Träger auf der Grundlage ihrer völligen Gleichwertigkeit beschäftigt“ (S. 55) und damit die Menschenwürde in den Mittelpunkt rückt.
Im 5. Kapitel werden die bisher gewonnenen Ergebnisse von Kommunikation, hermeneutischen Voraussetzungen, und gegenseitigem Verstehen in eine dialogische Pädagogik übergeführt, und zwar im Blick auf interkulturelles Lernen im Bereich der Erwachsenenbildung, der Berufspädagogik, der Sozialpädagogik und der Medien. Kulturelles, gleichwertiges Miteinander kann sich jedoch nur unter Heranziehung pluralistischer Methoden entwickeln (Kapitel 6). Den Medien fällt dabei eine besondere Aufklärungsfunktion zu (Kapitel 7). Das heißt, dass von keiner Seite Vereinnahmungen auf Kosten des Anders-Seins des Anderen erfolgen dürfen und damit jegliche Dominanzansprüche abgewehrt werden. Die Kulturwissenschaft dürfte hier der geeignete Ort sein, an dem all diese interkulturellen Zusammenhänge am sinnvollsten gebündelt und systematisiert werden.
Die Zwischenbetrachtung am Schluss des 7. Kapitels kann darum für eine interkulturelle, begegnungsoffene Friedenspädagogik insgesamt gelten: „Es geht nicht um bloße Annäherung bspw. zweier Kulturregionen wie Orient und Okzident, sondern um einen konstruktiven Austausch von Inhalten, um eine dialogische Kritik, um eine friedliche Konfliktbewältigung“ (S. 175)
Bilanz: Yousefi trägt insgesamt recht komprimiert die Möglichkeiten interkultureller Kommunikation vor, und zwar so, dass zum einen die Grundmuster von Akzeptanz, Vorurteil und Verweigerung offenkundig werden und zum andern aus den Kommunikationsmodellen sich Möglichkeiten herauskristallisieren lassen, die auch in der Praxis die Begegnungsfähigkeit zwischen Menschen und Gruppierungen verschiedener Herkünfte befördern. Da dem Autor zugleich eine interkulturelle Didaktik am Herzen liegt, setzt er seine Erkenntnisse optisch in entsprechende Grafiken um und erleichtert damit das Verstehen. Die zusammenfassenden Merksätze erlauben, dann Zwischenergebnisse klarer zu erkennen, um von da aus dem weiteren Gedankengang nachzuvollziehen. So ist ein Handbuch entstanden, das erlaubt, von erfahrener Praxis auf die Grundkonzepte menschlichen Miteinanders zurückzuschließen und Modelle der Verständigung bewusst weiter bis in den Alltag hinein zu realisieren.
Vgl. übrigens dazu auch diese Bücher des Autors: 
--- Grundbegriffe der interkulturellen Kommunikation. Stuttgart: UTB 4127, 2014, 126 S.      
--- Die Bühnen des Denkens. Neue Horizonte des Philosophierens. Münster u.a.:  Waxmann 2013, 259 S.           
--- (zusammen mit Philipp Thull, Hg.): Interreligiöse Toleranz. Von der Notwendigkeit des christlich-islamischen Dialogs.   
    Darmstadt: WBG 2014, 156 S.
Reinhard Kirste
 Rz-Yousefi-Interkult, 30.04.14

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen