Lucas Graßal: Wie
Religion(en) lehren? Religiöse Bildung in deutschen religionspädagogischen
Konzeptionen im Licht der Pluralistischen Religionstheologie von John Hick.
Pädagogische
Beiträge zur Kulturbegegnung Band 30. Berlin: EB-Verlag 2013, 426 S.
(zugleich Diss. Universität Erlangen) --- ISBN 978-3-86893-078-8 ---
Kurzrezension: hier
Ausführliche Beschreibung
Dies ist ein Buch zur Grundlegung des Religionsunterrichts in Deutschland im Horizont religionstheologischer Veränderungen. Der Autor, evangelischer Pfarrer, wurde mit dieser Arbeit in Erlangen als Stipendiat und Kollegiat des DFG-Graduiertenkollegs „Kulturhermeneutik“ promoviert. Er setzt seit 2010 als Schulpfarrer an zwei Gymnasien in München das nun auch praktisch um, was er als Orientierung für die Religions-Lehre generell und unter den jeweiligen schulpolitischen Bedingungen erarbeitet hat.
(zugleich Diss. Universität Erlangen) --- ISBN 978-3-86893-078-8 ---
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Ausführliche Beschreibung
Dies ist ein Buch zur Grundlegung des Religionsunterrichts in Deutschland im Horizont religionstheologischer Veränderungen. Der Autor, evangelischer Pfarrer, wurde mit dieser Arbeit in Erlangen als Stipendiat und Kollegiat des DFG-Graduiertenkollegs „Kulturhermeneutik“ promoviert. Er setzt seit 2010 als Schulpfarrer an zwei Gymnasien in München das nun auch praktisch um, was er als Orientierung für die Religions-Lehre generell und unter den jeweiligen schulpolitischen Bedingungen erarbeitet hat.
So
kommen die entscheidenden Fragen auf die Agenda: Wie ist Religion zu
unterrichten? Welche Bedeutung hat der konfessionelle Religionsunterricht im
Kontext von Säkularisierung und sich verwischender religiöser Identitäten?
Welche Funktion haben die Religionsgemeinschaften und die Lehrpläne für den
Religionsunterricht an den staatlichen Schulen?
Darum
müssen sowohl hermeneutische wie auch religionspädagogische Entscheidungen
getroffen werden, die allerdings im öffentlichen Raum der Schule auf
widerstreitende Interessen stoßen. Das lässt sich allein schon daran sehen, wie
in einzelnen Bundesländern – etwa im Unterschied von Stadtstaaten und
Flächenländern – Religionsunterricht und Ethik politisch „abgesegnet“ und
praktisch erteilt wird.
Nun hat sich
die Religionspädagogik bereits seit den 1960er Jahren des vorigen Jahrhunderts
auf die religiös plurale Situation in den Schulen eingestellt und entsprechende
Konzepte entwickelt. Sie schwanken zwischen der Beheimatung in der eigenen (Herkunfts-)Religion
und im Sinne von Dialog und Auseinandersetzung mit Sinn- und Lebensfragen. In
den 90er Jahren ist dann die grundsätzliche Ausrichtung des
Religionsunterrichts überprüft worden. Dies geschah im Horizont der jeweiligen
religiösen Tradition und ihrer Basiswerke mit der Zielrichtung der
Weitervermittlung ohne Missionierungsabsichten.
Graßal
bearbeitet nun sein Thema im Kontext des Moderne-Verständnisses von Jürgen
Habermas (S. 203ff). Von daher muss natürlich der im Religionsunterricht
wirkende Religionsbegriff analysiert und hinterfragt werden. Dem Verfasser
hilft hier ein offenes Kulturverständnis im Sinne eines „abgrenzbaren, aber
doch nach außen hin offenen Bestandes symbolischer Formen“ (S. 50). Die
Gedächtnistheorie Assmans wie die mehr strukturalistische Kulturtheorien
erlauben ihm, „das kulturelle Gedächtnis des Staates als in sich differenziert
zu denken“ (S. 51). Graßal muss nun ausloten, wie angesichts von
Festschreibungen religiöser Traditionen („Kanonisierung“) religiöse
Identitätsverunsicherungen und -verluste aller Beteiligten (Lehrer, Schüler)
abgefangen werden sollen. In einem säkularisierten und pluralen Gemeinwesen muss
die Normativität der Vermittlung von Werten und Sinnorientierung darum neu
bedacht werden. Dies gilt auch für den Religionsunterricht, weil die Spannung angesichts
der „kanonisierenden Qualität schulischer Lernprozesse und der dabei leitenden
konzeptionellen Entscheidungen und inhaltlichen Selektionen“ (S. 52) besonders
auffällt.
Ehe es
nun aber – wie angekündigt – zu einer kritischen Einbeziehung der Theologie
Hicks im Blick auf adäquate Modelle des
Religionsunterrichts kommt, unterzieht Graßal die (praktizierten) Haupttypen
einer sehr klaren und differenzierten Beschreibung: Es sind der von der EKD
favorisierte konfessionell-kooperative Religionsunterricht, der Hamburger „Religionsunterricht
für alle in evangelischer Verantwortung“ und das brandenburgische Schulfach
„Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“. Als Kriterien der Beurteilung dieser
Unterrichtsformen setzt Graßal als „Marker“ die Konfessionalität,
Individualität und Neutralität ein (S. 212ff).
So
vorbereitet, kann der Autor die pluralistische Religionstheologie von John Hick
einbringen, weil sie für unterschiedliche biografische wie gesellschaftliche
Erfahrungen offen ist und Geltungsansprüche in ihrer Absolutheit begrenzt
werden. Der theologische Ansatz von John Hick im Zusammenspiel von Gottesbild,
Subjekttheorie, Menschenbild und Beschreibung des „Wirklichen“ ermöglicht nun eine
soteriologisch orientierte Hermeneutik. Sie lässt sich auf die großen
religiösen Traditionen anwenden und hebt ihre Ideale besonders dort hervor, wo
sie moralisch umgesetzt werden oder Verstöße sich bemerkbar machen. Diese
Bewertung lässt sich allerdings nicht „für kurzfristige religiöse Bewegungen,
präaxiale Religionen, den marxistischen Humanismus“ übernehmen (S. 255). Die
Anfragen an John Hicks Kriterienraster versucht Graßal nun didaktisch weiter zu
entwickeln, so dass Konsequenzen für ein Wahrheitsverständnis benannt werden
können (287ff), das sich an einem pluralen Kulturbegriff orientiert (S. 301ff).
Solche Wahrheit kann weder absolut noch normativ sein. Wenn man nämlich auf die
religiöse Bedeutungsebene geht, „so hängt folglich die Variabilität religiöser
Wahrheit zum einen von der Variabilität des Gegenstandes ab, auf den sie sich
bezieht, also der transzendenten Wirklichkeit, zum andern aber auch von dem
Netz von Differenzen, in dem sie konzipiert wird“ (S. 284). Damit ist der Weg
frei, Heil nicht nur in einer
religiösen Tradition zu akzeptieren.
Im
Schlusskapitel 7 führt Graßal die verschiedenen Religionsunterrichtsmodelle mit
John Hicks Religionstheorie zusammen. Er erweitert Hick insofern, als er eine Didaktik
der Pluralität entwickelt und sich dabei auf das offene Religionsverständnis
von Johannes Lähnemann stützt. Es geht Graßal darum nicht um die Anpassung des
Religionsunterrichts an gesellschaftliche Gegebenheiten, sondern um die religionspädagogische
Authentizität im Kontext der religiös vorhanden Kulturen und Traditionen. Von
daher kann sich der Autor nicht mit dem brandenburgischen LER anfreunden,
grenzt sich aber auch etwas vom Hamburger Weg des Religionsunterrichts ab. Mit
seiner Kritik am konfessionell-kooperativen Religionsunterricht und der
dahinter stehenden Beheimatungsthese zielt Graßal letztlich auf eine Alternative
zu den bisherigen Religionsunterrichtstypen, belässt es jedoch zumindest in
dieser Arbeit bei der Fragestellung. Er plädiert nämlich dafür, dass die
kanonisierende Praxis sowie die Synkretismen in Schule und Gesellschaft angesichts
der notwenigen Neutralität des Staates von den Religionsgemeinschaften her neu
aufgerollt werden sollten.
M.E.
ergibt sich dennoch, dass sich aus dem Argumentationsmuster des Verfassers ein
interreligiöser Religionsunterricht begründen lässt, dem das Hamburger Modell am
nächsten kommt.
Insgesamt
hat Graßal mit diesen Klärungen eine Basis für die weitere pädagogische
Kulturbedeutung des Religionsunterrichts gelegt.
Reinhard Kirste
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