Mariano Delgado / Michael Sievernich (Hg.):
Mission und Prophetie in Zeiten der Interkulturalität. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Internationalen Instituts für missionswissenschaftliche Forschungen 1911-2011.
ZMR Sonderband, 95. Jg. 2011. St. Ottilien: EOS 2011, 507 S.,
Bibelstellenregister, Personenregister --- ISBN 978-3-8306-7510-5 ---
Mission und Prophetie in Zeiten der Interkulturalität. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Internationalen Instituts für missionswissenschaftliche Forschungen 1911-2011.
ZMR Sonderband, 95. Jg. 2011. St. Ottilien: EOS 2011, 507 S.,
Bibelstellenregister, Personenregister --- ISBN 978-3-8306-7510-5 ---
Das
Internationale Institut für missionswissenschaftliche Forschungen (IIMF,
gegründet 1911) und die Zeitschrift für Missionswissenschaft und
Religionswissenschaft (ZMR) im 95. Jahrgang haben über die Jahre ein Renommee
aufgebaut und Marksteine für die Etablierung der Missionswissenschaft als
eigenständige (theologische) Disziplin gesetzt. Das IIMF und die jeweiligen Herausgeber
der ZMR (vgl.
Redaktion ZMR: www.unifr.ch/zmr/de/redaktion) haben dabei nicht nur
auf ein hohes wissenschaftliches Niveau geachtet, sondern sich auch den
veränderten Herausforderungen durch Globalisierung, Interkulturalität und
Multireligiosität gestellt.
Mit dieser umfangreichen Festschrift belohnen sich
die dieser Einrichtung verbundenen Fundamentaltheologen, Missions- und
Religionswissenschafler/innen in beobachtend-kritischem Bedenken sozusagen
selbst, verbunden zugleich mit dem Internationalen
Katholischen Missionswerk missio Aachen und der Jesuitenmission.
Da
auch die katholischen Diözesen Deutschlands, insbesondere das Bistum Münster,
in die Herausgabe einbezogen waren, gibt es natürlich auch bischöfliche
Grußworte (Joachim Kardinal Meisner,
Köln und Erzbischof Ludwig Schick,
Bamberg).
Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft
(DGMW), der evangelische Missionswissenschaftler Dieter Becker (Neuendettelsau),
bringt in seinem Vorwort das interkonfessionelle Anliegen heutigen Missionsverständnisses
auf den Punkt:
„Der
globale Kontext erfordert eine Repositionierung theologischen Denkens, weil die
lokale Präsenz des Christentums mit regionalen Kulturen, Milieus und Religionen
interagiert (z.B. pfingstlich-charismatische Bewegungen, Befreiungstheologien,
Unabhängige Kirchen). Missionswissenschaft als Interkulturelle Theologie
reflektiert die komplexen Probleme dieser Transkulturalität des Christentums.
Auch die religiöse Pluralität in Europa verlangt neue Kompetenzen bei
interkulturellen Fragestellungen und bei der Reflexion des Christentums mit
nichtchristlichen Religionen, Weltanschauungen und Traditionen“ (S. 21).
Nach diesen
Problemanzeigen ermutigt der Fundamentaltheologe und Ehrenvorsitzender der IIMF
Hans Waldenfels die Kirche, ihre Mission
stärker prophetisch als glaubwürdiges Lebenszeugnis neu zu vermitteln. Im Buch
geschieht das nun durch die Orientierung an vier Schwerpunkten: Menschenwürde, Dialog, Interkulturalität,
Perspektiven der Missiologie.
I. Christentum
und Menschenwürde: Gleich
der erste Beitrag des brasilianischen Missionswissenschaftlers Paulo Suess stellt die lange gängige,
imperiale Missionspraxis in Frage und fordert dazu heraus, im Sinne Jesu die
prophetischen Rufe nach Gerechtigkeit als Wesensmarkmal der Mission praktisch
umzusetzen. Ebenfalls ein neues humanistisches Verständnis sieht der
Mitherausgeber Michael Sievernich (Mainz)
durch das Vaticanum II gegeben. Im Zeitalter der Globalisierung muss dieser
humanitäre Ansatz für eine „bessere“, also „gerechte Welt“ durch die Mission
vor Ort realisiert werden. Günter Riße (Vallendar)
betont, wie wichtig prophetisches Auftreten in der Gegenwart ist. Er
verdeutlicht dies an heutigen ProphetInnen: Charles de Foucault, Alfred Delp,
Madeleine Debrêl. In die Missionsgeschichte zurück geht der Mitherausgeber Mariano Delgado (Fribourg, CH): An der
berühmt gewordenen Predigt Montesinos gegen die Unterdrückung der Indígenas und
dem mutigen Handeln Bartolomé de las Casas vor Staat und Kirche wird die prophetische
Notwendigkeit offenkundig, sich für Unterdrückte und Ausgebeutete einzusetzen. Solches
Engagement – im Sinne der Option für die Armen – ist selbst heute für die
Mächtigen oft ein Ärgernis. Auch Johannes
Meier (Mainz) geht den kolonialismuskritischen und indiofreundlichen Stimmen im Rahmen der
ersten Bistumsgründungen in Amerika nach.
Peter C. Phan (Georgetown University,
Washington D.C.) wendet den Blick nach Asien, hin zum „Eightfold Movement of
The Asian Churches“, der ein konsequentes Dienen an der Welt und für die Welt
voraussetzt, und zwar durch den Dialog mit den Armen für Befreiung und
integrale Entwicklung. Motiviert durch Johann Baptist Metz weist Margit Eckholt (Osnabrück) auf den engen
Zusammenhang von interkulturellem Dialog und Befreiungstheologie hin, und zwar
nicht nur unter der Perspektive von „Passion und Com-Passion“, sondern auch im
Blick auf feministische Impulse aus Einrichtungen, die den Basisgemeinden
nahestehen. Hier lassen sich Spuren einer neuen prophetischen Theologie erkennen.
Christoph Nebgen (Mainz)
konkretisiert die missionarisch geprägten Integrierungsversuche der Jesuiten an
den Ureinwohnern und den afrikanischen Sklaven am Beispiel von Neugranada in
der Andenregion. Virginia R. Aczuy (Argentinien)
entdeckt in den urbanen Situationen in Lateinamerika eine wachsende
Spiritualität an den Rändern oder jenseits der etablierten Kirche. Diese
Neuaufbrüche können für die Kirche als Bedrohung wirken, sie sind jedoch eine
Chance für die Erneuerung des Christentums. Das nächste Beispiel von Marco Moerschbacher, (missio Aachen)
zeichnet die „Evangelisierungsgeschichte“ des Kongo von der belgischen
Kolonialzeit bis zur Unabhängigkeit nach. Es erhellt besonders die „Afrikanisierung“
der Kirche und damit die Revision bisheriger christlicher Traditionen.
II.
Religionen im Dialog: Der zweite große Abschnitt geht interkulturellen
Chancen, Problemen und Veränderungen nach. Der renommierte Dialogiker Francis X. D’Sa, (Pune, Indien) setzt
seine hermeneutischen Überlegungen im Sinne der faktischen Interaktion von
Kulturen an, die er mit dem Wirken des Heiligen Geistes verbunden sieht. Aber
nicht die Nivellierung der Kulturen und Religionen kann das Ziel sein, sondern
das Herausarbeiten der jeweiligen Einzigartigkeiten z.B. im Geschichtsverständnis
Europas und Indiens. Es muss gelten, dass die Verschiedenen auch verschiedene
Glaubenszentren haben, der Hl. Geist also unterschiedlich wirkt.
Einen anderen
wesentlichen Gesichtspunkt bringt Klaus
Krämer (missio Aachen) sehr konzentriert ein: Das Engagement für
Religionsfreiheit als prophetisches Zeugnis mit einem kritischen Durchgang vom
Alten Testament bis zum 2. Vatikanischen Konzil. Ulrich Dehn (Hamburg) setzt sich mit interreligiösen Begegnungen –
im Sinne von Friedens-„Inszenierungen“ – auseinander, und zwar bei Abaelard,
Ramon Llull und Nikolaus von Kues. Aber auch die Religionsgespräche des
Großmoguls Akbar und schließlich das Weltethos-Programm von Hans Küng zeugen
von der Suche nach Gemeinsamkeiten. Claudia
von Collani (Münster) geht den verschiedenen Formen von Religionsgesprächen
nach – ähnlich wie Ulrich Dehn, um dann allerdings auf die tolerantere
Situation im Fernen Osten einzugehen, die durch die religiöse Sensibilität der
Ostasienmissionare mit geprägt wurde.
Ebenfalls um Asien geht es bei James H. Kroeger, (Manila). Er zeigt für
die FABC (Federation of Asian Bishop’s Conferences), dass die ganzheitliche
„integrale Evangelisierung“ der Kirche als entgrenzenden Schlüssel den
interreligiösen Dialog braucht. Für diesen Dialog hat die FABC in Konsequenz
aus dem Zweiten Vaticanum einen
„Dekalog des Dialogs“ entwickelt.
Der Lateinamerika-Spezialist Stefan Silber (Diözese Würzburg) argumentiert
dagegen abgrenzend in Hinsicht auf den religiösen Pluralismus im Kontext der
Befreiungstheologie. Das erlaubt zwar eine Anerkennung des Pluralismus der
Religionen, aber die z.B. von Paul Knitter und John Hick vertretene pluralistische
Religionstheologie bietet ihm nicht genügend Anhalt für die Einbeziehung der Lebenswelt
der Armen in eine Theologie der Religionen. Der Jesuit Felix Körner (Rom) sucht nach Kriterien für eine Prophetologie, um
von daher das Prophetische des Islams einschätzen zu können.
Religionsphänomenologisch ist der Islam zwar prophetisch, Körner aber grenzt
das Prophetische auf die Ankündigung des Christusereignisses ein. Der Islam hat
hier allerdings eine „Prädispositions“-Kraft.
III.
Interkulturation und Interkulturalität: Das vorletzte Kapitel
lässt sich im Grunde nicht deutlich vom vorangegangenen Kapitel abgrenzen, denn
Interkulturalität und Kontextualisierung haben auch immer eine interreligiöse
Perspektive. Das wird an dem auf Zentralafrika fokussierten Aufsatz von Claude Ozankom, (Bonn), recht deutlich.
Die christlichen Basisgemeinden haben die Impulse des Vaticanum II kreativ umgesetzt. Klaus
Vellguth (Vallendar), bezieht sich auf die Südafrika- und Asien-Missionare
Oswald Hirmer („Vater des Bibel-Teilens“), und Fritz Lobinger, um die aus
solchen Impulsen erwachsenen kleinen christlichen Gemeinschaften in Asien mit
ihrem „Gospel Sharing“ näher zu beschreiben. Der schon erwähnte
Missionswissenschaftler Dieter Becker
setzt einen hermeneutischen Schwerpunkt, indem er ausführlich auf den
Zusammenhang von Sprachverstehen und sachgemäßer Übertragung der Bibel in die
Lebens- und Denkformen anderer Völker eingeht und den jeweils eigenständigen
kulturellen Bezugsrahmen sichern möchte. Der polnische Missiologe Wojciech Kluj setzt im Grunde Beckers
Überlegungen fort, und zwar bezogen auf die prophetisch-sprachintensive
Dimension der biblischen Übersetzbarkeit und des liturgischen Transfers in die
indigenen Sprachen.
Natürlich
muss in einem solch weit ausgreifenden Werk auch China mit Matteo Ricci aktualisierend
zur Sprache kommen, der sich einmal stärker buddhistisch, das andere Mal stärker
konfuzianisch sowohl literarisch wie modemäßig „akkomodierte“. Das tut Gianni Criveller (Hongkong), indem er
Ricci in die Nähe des Völkerapostels Paulus rückt. David Neuhold, (Fribourg, CH) stellt den Hugenotten Pierre Bayle
(1647-1706) als einen an Dialog und Bildung orientierten Botschafter einer friedfertigen
Mission vor. Dies zeigt Bayles literarisch fiktiv-originelle Szenerie am
Kaiserhof in China. Sein Commentaire
philosophique ist zugleich eine scharfe Kritik an der katholischen Missionsarbeit
und der katholischen Kirche in Frankreich.
„Realgeschichtlich“ geht es wieder
bei dem evangelischen Kirchenhistoriker Klaus
Koschorke (München) zu, der überwiegend an afrikanischen Beispielen die
Frage indigener Bischöfe thematisiert, besonders an Samuel Ajayi Crowther
(1806-1891).
Für Afrika zeigt Andreas
Heuser (Tansania / Basel) christliche Transformationsprozesse im Sinne
einer Afrikanizität des Christentums mit interreligiösen „Kontaktzonen“ bis
weit hinein in die traditionalen Religionen. Der Kapuziner Othmar Noggler (München) nimmt das Lebensrecht der chilenisch-argentinischen
Mapuche-Indianer in den Fokus, besonders den „Indianeradvokaten“ Siegfried von
Frauenhäusl (1868-1954). Er spricht damit auch aktuell die vorrangige „Option
für die Armen“ an.
Schließlich kommt noch das frühe (östliche) Christentum im
Iran bis hin zur problematischen (westlichen) Mission unter Muslimen zur
Sprache. Norbert Hintersteiner
(Dublin) lässt keinen Zweifel daran, dass vor dem mittelöstlichen Hintergrund
ein interreligiöses
Missionsverständnis unabdingbar ist.
IV.
Perspektiven der Missiologie: Beim Durchforsten der oft ausgesprochen
spannenden, keineswegs nur geschichtlich einzuordnenden Beiträge, stellt sich
unausweichlich die Frage: Wohin geht die Missionswissenschaft (Missiologie)? Hier
finden sich folgende Orientierungsmarken:
Notwendiges ekklesiologisches „Eintauchen“ in die anderen religiösen Welten (Franz Gmainer-Pranzl, Salzburg) /
Abschied von der Kolonialmission, Mission als missio Dei im Sinne
ganzheitlicher Befreiung und theologischer Neuzuordnung (Giancarlo Collet und Ludger
Weckel, beide Münster) / Plädoyer für
einen überzeugenden Glauben im Sinne einer missionarischen Kirche (Hildegard Wustmans, Linz) / Von der
Mission zur „Neu-Evangelisierung“ von den lateinamerikanischen Wurzeln her und
in der Linie des Missionsdekrets Ad
Gentes von 1965 (John F. Gorski,
Cochabamba, Bolivien) / Notwendige ethnologische
Grundlagenforschung für Missionare und Missiologen (Joachim G. Piepke SVD, St. Augustin) / Vom Gegeneinander der
Konfessionen in den „Missionsgebieten“ zur einer Ökumene der versöhnten
Verschiedenheit im Blick auf Religionsfreiheit, Weltfrieden und Menschenrechte (Eric Englert, missio, München) / Die
konstruktiven Veränderungswirkungen der Kirchen Asiens im Missionsverständnis
durch das Vaticanum II und die
Neuerungen in der Theologie der Religionen als Aufgabe (Georg Evers, missio Aachen). Als Besonderheiten stehen am Schluss
die kontroverse Debatte um das Verständnis von „Akkomodation“ aufgrund der
Ausweisung von Steyler Missionaren aus der Volksrepublik China nach 1949 (Karl Josef Rivinius SVD, St. Augustin) sowie eine Würdigung des
missionswissenschaftlichen Vordenkers Theodor Grentrup (1878–1967) durch Paul B. Steffen SVD (Rom).
Resümee: In diesen Beiträgen treffen
wichtige und kompetente Vertreter in „Sachen Mission“ zusammen sowie sehr
fortschrittliche, teilweise angefeindete Denker von der lateinamerikanischen
Befreiungstheologie und engagierte Dialogiker Asiens. Dadurch entsteht ein
Mosaik der Aufbrüche im Missionsverständnis mit praktischen Auswirkungen, die
seit dem Vaticanum II besonders den
indigenen Lebenswelten des christlichen Glaubens und interreligiöser Begegnung
in Respekt und Verantwortung zueinander zugutekommen.
Der Band macht zugleich deutlich, dass allerdings die Neustrukturierung des christlichen Missionsverständnisses angesichts auch religiöser Globalisierung keineswegs abgeschlossen ist.
Der Band macht zugleich deutlich, dass allerdings die Neustrukturierung des christlichen Missionsverständnisses angesichts auch religiöser Globalisierung keineswegs abgeschlossen ist.
Reinhard Kirste
2
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen