Markus Witte (Hg.): Hiobs Gestalten.
Interdisziplinäre Studien zum Bild Hiobs in Judentum und Christentum.
Studien zu Kirche und Israel
(Hg.: Institut Kirche und Judentum), Neue Folge 2.
Leipzig. EVA 2012, 157 S., zahlreiche Abbildungen., Register
--- ISBN 978-3-374-03013-2
Studien zu Kirche und Israel
(Hg.: Institut Kirche und Judentum), Neue Folge 2.
Leipzig. EVA 2012, 157 S., zahlreiche Abbildungen., Register
--- ISBN 978-3-374-03013-2
Der Leiter
des Instituts für Kirche und Judentum und Alttestamentler an der
Humboldt-Universität Berlin, Markus Witte,
hat zusammen mit Fachleuten der biblischen Exegese, der Religionswissenschaft,
der Religionspädagogik und Kunstdidaktik sowie einer Bildhauerin die
facettenreiche Gestalt des Hiob interdisziplinär herausgehoben. Er hat dies
authentisch-dialogisch durch die Einbeziehung von Chaim Z. Rozwaski, dem Präsidenten der Berlin Yeshiva Academy und
Rabbiner der orthodoxen Lev Tov-Synagoge verstärken können. Die Beiträge
„bilden“ einen Zwischenstand ab, nämlich im Kontext eines Hiob-Symposiums
anlässlich des 50jährigen Bestehens des renommierten Instituts für Kirche und Judentum – Zentrum für christlich-jüdische
Studien an der Humboldt-Universität Berlin. Der Band ist zugleich der mit
36 Jahren verstorbenen jüdischen Religionswissenschaftlerin Francesca Yardenit Arbertini gewidmet.
Hiob spielt
sowohl im Judentum wie im Christentum eine bedeutende Rolle, übrigens auch im
Islam, worauf im Buch allerdings nur Francesca
Y. Albertini eingeht (vgl. z.B. Navid
Kermani: Der Schrecken Gottes. Attar, Hiob und die metaphysische Revolte. München: C.H. Beck
2005). Insgesamt
gelingt es, eine gemeinsame Deutungs-Basis zu legen: Die Gestalt des Hiob
stellt menschlich erfahrene Grundmuster des Lebens zwischen Erfolg und Unglück
dar. Das Buch Hiob führt „in einen seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. im alten
Vorderen Orient literarisch artikulierten Diskurs über göttliche und
menschliche Gerechtigkeit, über die Leistungsfähigkeit von Weisheit, über die
Wege der Gotteserkenntnis und über die Bewältigung existentieller Krisen“ (S
5).
Die
wesentlichen literarischen und theologischen Fragen des biblischen Hiobbuches
werden nun in ganz unterschiedlicher Weise angegangen: Der Göttinger
Alttestamentler Hermann Spieckermann
spannt seinen Beitrag in das thematische Dreieck von Wunden – Wunder –
Weisheit. Von den entscheidenden Wundern Gottes bleiben selbst die Weisesten
ausgeschlossen, und Gott ist in seiner Erkenntnislosigkeit zu fürchten (S. 28).
Das machen besonders die Elihu-Reden des Hiobbuches deutlich. Auch Tanja Pilger von der
Humboldt-Universität Berlin untersucht das hinter den Elihu-Reden (Hiob 32-37)
stehende Bild eines sich offenbarenden Gottes, der durch Visionen, Träume und
Leiden; aber auch durch gnädige Zuwendung erzieht. Der Herausgeber Markus Witte selbst bezieht sich auf die
jüdische Auslegung im Hiob-Targum, um von daher Hiob in die Erzväter-Tradition
Israels einzuordnen und dann neutestamentlich den Bogen Hiob – Adam – Christus
zu spannen. Dadurch wird auch die Verbindung zur altkirchlichen Hiob-Auslegung
erhellt, die es einzelnen Kirchenvätern erlaubt, Hiob als Vater der gesamten
Menschheit zu sehen.
Der von der
verstorbenen Francesca Y. Albertini
aufgenommene Beitrag konzentriert sich auf wenige Verse in Hiob 2 – die
berühmte „Wette“ zwischen Gott und Satan. Sie zeigt dies im Kontext der
jüdischen Philosophie im Mittelalter und in der Neuzeit. Darum geht sie den
religionsgeschichtlichen Ursprüngen des Hiob-Prologs nach. und hebt zugleich die
Verbindung zur islamischen Hiob-Auslegung (besonders der Mu’taziliten) hervor. Drei
Autoren stehen im Mittelpunkt. Für das Mittelalter Sa’adya Gaon, der in Satan den aristotelischen Philosophen sieht,
während Martin Buber und Franz Rosenzweig als Vertreter der
Neuzeit im Satan die negative Kraft „personifiziert“ erkennen, die Vernunft und
ethisches Handeln vernichten. Und es bleibt besonders nach der Shoah die Frage:
„Wenn Gott nach Gerechtigkeit handelt, was ist der Sinn des Prologs?“(S. 74).
Der
Präsident der konservativen Yeshiva-Akademie Chaim Z. Rozwaski geht unter den Gesichtspunkten von Trauer und
Leiden auf die Zeitlosigkeit der Hioberfahrungen ein. Gerechte und Unschuldige
sind vom Leiden nicht ausgenommen, was die Freunde (Hiobs) oft genug
missverstehen. Hilfsbedürftigen muss bedingungslos Hilfe erwiesen werden – das
ist Gottes Wille. Der Frankfurter Kunsthistoriker Martin Büchsel untersucht das Hiob-Salomo-Portal in Chartres auf
seine Programmatik: „Hiob und der Weltenrichter werden im
>Schmerzensmann< eins“ (S. 87). Die Intentionen der Auftraggeber scheinen
darin zu gipfeln: „Hiobs Klage wird zur Klage Christi über die Qual seiner
Passion … Die Klage verwandelt sich in die Aufforderung zur compassio, in das Bewusstsein, dass
jedes Dulden nur ein Spiegel des Duldens Christi sein kann“ (S. 104). Die
beigefügten Bilder von Dürers Schmerzensmann, über Ausschnitte des
kommentierten Portals in Chartres und andere Kathedralfiguren bis hin zu
entsprechenden Szenen in biblischen Buchmalereien signalisieren damit
heilsgeschichtliche Wirkung.
Mit einer
imaginären Gottesverfluchung, die die Hiobgestalt dramatisch zuspitzt (so im
Roman von Joseph Roth (1894-1939) eröffnet Georg
Langenhorst ein teilweise beklemmendes Panorama der Hiob-Literatur im 20.
Jahrhundert. Der katholische Religionspädagoge von der Universität Augsburg
lässt bekannte und weniger bekannte (deutsche) Schriftsteller mit jüdischen
Wurzeln und oft expressionistischer Ausprägung Revue passieren. Einige werden
besonders hervorgehoben. Das Hiobprojekt von Margarete Susman (1872-1966)
verknüpft sich durch die Ereignisse zwischen 1933-1945 unmittelbar mit dem
Schicksal des jüdischen Volks. Exil und Vernichtung werden zu
Schicksalszeichen, die sich in die jüdische Literatur eingraben. Mascha Kaléko (1912–1975)
kommt mit dem Gedicht „Enkel Hiobs“ zu Worte, Karl Wolfskehl (1869–1948)
beschreibt sich selbst in der Typik Hiobs. Auch für Yvan Goll (1891–1950) wird
Hiob zur autobiografischen Deutefigur. Offensichtlich angeregt durch ein
Gespräch mit Nelly Sachs in Zürich (Mai 1960) sieht der Lyriker Paul Celan
(1920–1970) die Shoa im Zeichen Hiobs und die Fast-Un-Möglichkeit des Glaubens
an Gott nach Auschwitz. Mit dem Widerspruch eines sich nicht unterwerfenden und
für menschliche Gerechtigkeit einstehenden Hiob bei Elie Wiesel (1925–2009) werden
Fragen verschärft, die von jüdischen Theologen, Psychologen und Schriftstellern,
immer wieder an die Hiob-Deutung im Kontext der Shoa gestellt werden.
Dies ist ein
notwendiges und nachdenklich machendes Buch, dessen Stärke in besonderer Weise darin
liegt, wie die verschiedenen Denker/innen das Bild Hiobs exegetisch
aktualisierend oder mit künstlerischen Stilmitteln aufleuchten lassen. Die
Autor/innen leisten damit einen wichtigen Beitrag zum christlich-jüdischen
Dialog.
Reinhard Kirste
Rz-Witte-Hiob, 14.03.12
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen