Michel
Clévenot: Im Herzen des Mittelalters.
Geschichte des Christentums
im XII. und XIII. Jahrhundert.
Geschichte des Christentums
im XII. und XIII. Jahrhundert.
Aus dem Französischen von Kuno Füssel.
Luzern: Edition Exodus 1992, 302 S., Glossar
--- ISBN 3-905575-58-2 ---
Luzern: Edition Exodus 1992, 302 S., Glossar
--- ISBN 3-905575-58-2 ---
Der Autor, französischer Theologe und Kirchenhistoriker Michel Clévenot (1932-1993) ist durch
seine sog. materialistische Bibellektüre bekannt geworden. In diesem Kontext hat
er eine faszinierende Geschichte des Christentums von den Anfängen bis ins 20.
Jahrhundert – sorgsam recherchiert – nacherzählt. Sie erschien auch auf Deutsch
in 12 Bänden (1987-1996), ist jedoch leider vergriffen. Hier erschließt sich der „Lauf“ der
Geschichte in Geschichten. Sie ergeben am Ende ein faszinierendes, aber auch
beunruhigendes und nachdenkliches Mosaik zur Entwicklung und zum Fortschreiten
der christlichen Religion unter den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und
politischen Bedingungen in Europa.
Im Herzen des Mittelalters: dieser Titel
verweist zunächst darauf, dass das 12. und 13. Jahrhundert in der Tat sowohl
die Mitte als auch den Höhepunkt des Mittelalters bilden. Hier gewinnt der
ökonomische, politische und kulturelle Aufstieg Europas seine feste Grundlage.
Das Buch des französischen Kirchenhistorikers ist in 30 Sequenzen aufgeteilt,
von denen jede einer Person oder einem Ereignis gewidmet ist, die als wenig
bekannt gelten oder unter anderen Gesichtspunkten als den üblicherweise
gewählten dargestellt werden.
Schwerpunktbetrachtung:
12. Sequenz:
Der vierte Kreuzzug gerät auf Abwege: die Einnahme von
Konstantinopel, 12. April 1204
Als Innozenz III. –
erst 37jährig – im Januar 1198 zum Papst gewählt wurde, bereitete ihm vor allem
die Lage der Christenheit im Orient große Sorgen. Er wollte die lateinische und
die griechische Kirche wieder miteinander versöhnen und die Vormachtstellung Roms
sowie seinen eigenen Anspruch als deren Oberhaupt festigen.
Die Erfolge des ersten
Kreuzzuges, genau hundert Jahre zuvor, der Fall Jerusalems und das Scheitern
des dritten Kreuzzuges waren für ihn eine ständige Mahnung. Im August 1198 rief
er zu einem neuen Kreuzzug auf und sandte bedeutende Kirchenmänner aus, um
dafür zu werben. Sie forderten jedermann auf, für Christus ins Heilige Land zu
ziehen – nicht jedoch den Kaiser. In ihm sah die Kirche ihren Widersacher. Der
Papst erhob außerdem eine Kreuzzugsteuer, die alle Geistlichen und selbst die
sonst von allen Abgaben befreiten Klöster zu zahlen hatten.
Der Aufruf fand jedoch
nicht die Begeisterung wie in früheren Zeiten. Einige Grafen im Norden
Frankreichs schickten sich schließlich an, mit der durch Handel reich
gewordenen Seerepublik Venedig in Verbindung zu treten, damit die Venezianer
mit ihren Schiffen den Transport der Kreuzfahrer über das Mittelmeer übernähmen.
Es wurde mit einem Heer von 38 000 Mann gerechnet. Für die Schiffe, Besatzung
und die Verpflegung verlangten die Venezianer 85 000 Mark in Silber. Als sich
jedoch zum vereinbarten Zeitpunkt, im Jahre 1202, das Heer in Venedig einfand,
zählte man nur ein Drittel der vorgesehenen Truppenstärke, und vor allem hatte
man nur 50 000 Silbermark zusammenbekommen. Wie sollten die Venezianer für ihre
Dienste bezahlt werden?
Das politische
Oberhaupt Venedigs, der 90jährige Dodge Dandolo, schlug angesichts der leeren
Kasse vor, die Kreuzfahrer sollten zunächst die 1186 von den Ungarn besetzte
Stadt Zara für seine Republik zurückerobern, dann könnte Venedig großzügig
sein. Obwohl es an warnenden Stimmen nicht fehlte, ließen sich die Kreuzfahrer
auf dieses Angebot ein. Ende November 1202 eroberten sie Zara. Der Papst
schloss daraufhin das gesamte Heer aus der Kirche aus. Die meisten Kreuzfahrer
störte das wenig, sie überwinterten in der nun wieder venezianischen Stadt. Im
Frühjahr 1203 brachen die Kreuzfahrer in Richtung der byzantinischen Hauptstadt
auf. Die Venezianer förderten das Unternehmen, denn sie wollten ihre Stellung
als Handelsmacht im östlichen Mittelmeer auf Kosten von Ostrom ausbauen.
Obwohl es auch diesmal
nicht an Widerspruch mangelte, gingen die Kreuzfahrer in der Nähe von Konstantinopel
vor Anker und forderten von der Stadt die Zahlung von „Schutzgeldern“. Als
diese ausblieben, begann am
12. April 1204 der Sturm auf Konstantinopel. Es folgten drei Tage des Plünderns
und des Mordens. Unschätzbare Kunstwerke wurden für immer vernichtet oder
geraubt. Die berühmten Bronzepferde (Quadriga) wurden nach Venedig geschafft,
wo sie noch heute auf dem Markusdom zu sehen sind. Mehr als die Hälfte der
Beute ging nach Venedig. Dann begannen die Gewalthaber, auch das Byzantinische
Reich unter sich aufzuteilen. Der Kaiser war geflohen. Ein neugewählter
lateinischer Kaiser, Balduin von Flandern, erhielt ein Viertel des Reiches. Die
anderen drei Viertel wurden zwischen Venedig und den Kreuzfahrerstaaten
aufgeteilt; in Griechenland entstanden jetzt lateinische, also fränkische
Fürstentümer. Venedig bemächtigte sich vor allem der Dalmatinischen und der
Ionischen Inseln.
Damit begründete die
Seerepublik ihre Vormachtstellung im östlichen Mittelmeer. Der byzantinische
Adel errichtete jenseits des Bosporus die Kaiserreiche Nicaia und Trapezunt.
Die Dornenkrone Christi – oder was man dafür hielt – wurde an die Venezianer
verpfändet, und diese vermachten sie dem französischen König, Ludwig dem
Heiligen. Er ließ für sie in Paris eine herrliche gotische Kirche errichten,
die Sainte-Chapelle.
„Im Namen des Kreuzes stürzten sie ruchlos
das Kreuz“
Michel Clévenot bietet
dem Leser in dieser 12. Sequenz einen sachgerechten Einblick in die Geschichte
des Vierten Kreuzzugs. Eindrucksvoll wird hier geschildert, wie die Erstürmung
und Plünderung der Stadt Konstantinopel zu einer der beschämendsten Episoden
der gesamten Kreuzfahrerära wurde. Eine Untat, von der sich das byzantinische
Reich nie wieder ganz erholen sollte.
Durch die Gräueltaten bei der Plünderung blieb das
Verhältnis der orthodoxen Christen zu Westeuropa teilweise bis in die heutige
Zeit gestört. Obwohl der Papst die Ereignisse im Nachhinein auf das Schärfste
verurteilte, wurde der Graben zwischen katholischer und orthodoxer Kirche nun
unüberwindbar.
Jos Van Woelk und
Sebastian Kloten
im Rahmen eines Seminars an der TU Dortmund zum Thema
„Theorie und Praxis der Religionen bei Krieg und Frieden“, Sommersemester 2012
Liviu Pilat / Ovidiu Cristea:
The Ottoman Threat and Crusading on the Eastern Border
of Christendom during the 15th Century
Leiden: Brill 2018, 346 pp., index
„Theorie und Praxis der Religionen bei Krieg und Frieden“, Sommersemester 2012
Vgl.: Der Gebrauch der Bibel in den Quellen der Kreuzritter:Elizabeth Lapina and Nicholas Morton (eds.):
The Uses of the Bible in Crusader Sources
The Uses of the Bible in Crusader Sources
Serie: Commentaria, Band: 7. Leiden: Brill 2017, 498 pp., indices
Verlagsinformationen und Abstracts der Beiträge: hier
Verlagsinformationen und Abstracts der Beiträge: hier
Ergänzendes:
Die osmanische Bedrohung und Kreuzzüge an der östlichen Grenze des Christentums im 15. JahrhundertLiviu Pilat / Ovidiu Cristea:
The Ottoman Threat and Crusading on the Eastern Border
of Christendom during the 15th Century
Leiden: Brill 2018, 346 pp., index
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