Stella El
Bouayadi-van de Wetering /Siebren Miedema (Eds.): Reaching for the Sky.
Religious Education from Christian and Islamic Perspectives.
Currents of Encounter - Studies on the Contact between Christianity and Other Religions, Beliefs, and Cultures 43
Amsterdam/New York, NY: Rodopi 2012, VII, 284 S. Index.
– ISBN: 978-90-420-3479-2
Religious Education from Christian and Islamic Perspectives.
Currents of Encounter - Studies on the Contact between Christianity and Other Religions, Beliefs, and Cultures 43
Amsterdam/New York, NY: Rodopi 2012, VII, 284 S. Index.
– ISBN: 978-90-420-3479-2
Religiöse
Erziehung gerät in multikulturellen Gesellschaften und angesichts von
Migrationssituationen zu einer besonderen Herausforderung für Eltern, Erzieher,
Lehrerinnen und Lehrer in der Schule, aber auch für Moscheevorstände und
Hodschas. Kinder und Jugendliche müssen ihren eigenen Weg in Auseinandersetzung
und Dialog mit herkömmlichen und auch provozierenden Lebensmustern finden und
eine eigene Weltsicht aufbauen. Wie gehen junge Menschen mit ihrer Herkunftsreligion
um? Wie lässt sich tolerantes, friedvolles und dialogoffene Verhalten einüben?
Wie sollen Jugendliche unterrichtet werden? Welche Bedingungen sind für
interreligiöses Lernen notwendig?
Der
wissenschaftliche Diskurs wird im
Bereich der religiösen Erziehung neue Horizonte eröffnen müssen. Der Fokus ist
dabei besonders auf das Christentum und den Islam gerichtet. Das hängt mit den
sich ändernden Gesellschaftsstrukturen und ihren Prägungen zusammen – in der
Spannung zwischen säkular und fundamentalistisch.
Die
Herausgeber, die Arabisch-Lektorin und Erziehungswissenschaftlerin Stella El Bouayadi-van de Wetering, der
Professor für Religiöse Erziehung Siebren
Miedema und der Religionsphilosoph
Henk Vroom (alle von der Freien Universität Amsterdam), bündeln die
Materialien und Vorträge einer Konferenz, die in enger Zusammenarbeit mit dem niederländischen
Zentrum für Islamische Theologie, internationalen Erziehungswissenschaftlern und
mit der Liga der Islamischen Universitäten in Kairo entstanden. Die Auswahl der
Themen bezieht sich darum einerseits auf Kommunikationsstrukturen
der religiösen Erziehung, der Normen und Werte in Elternhaus, Moschee, Kirche
und Schule, zum anderen auf Länder, in
denen schon intensive Erfahrungen mit Multireligiosität vorliegen, hier
konkret: Türkei, Indonesien, Libanon, Niederlande, Deutschland, Belgien und
Ägypten. Zugleich stehen die Jugendlichen im „Verbund“ und in
Auseinandersetzung mit den Erwachsenen und den Erziehungsinstitutionen. Stark
beeinflussend wirkt sich verständlicherweise das Verhalten unter ihresgleichen aus,
die Problematik der „Peer-Groups“. Die Autoren beschreiben darum aktuelle
Prozesse im Erziehungsgeschehen und zeigen Verluste, Problemstellungen und
Neufindung religiöser Identität bei Jugendlichen. Sie verbinden ihre Analysen
und Einschätzungen mit den Intentionen, Lernfelder aufzubauen, in denen andere
Glaubenstraditionen respektiert und die jeweiligen Einflussmechanismen von
Elternhaus, Schule, Kirche, Moschee, den Medien und der „Straße“ einbezogen
werden.
Die Herausgeber weisen im Vorwort daraufhin, dass die Beiträger/innen
– durchweg Erziehungswissenschaftler/innen Methoden
und Handlungsanleitungen für die Erziehung junger Menschen (mit und ohne
Migrationshintergrund) liefern möchten. Angesichts stärker auftretender
antiislamischer Tendenzen in den europäischen „autochthonen“ Gesellschaften ist
dies dringend nötig, damit künftige Gesellschaften durch Toleranz und
dialogoffene Wertehaltungen geprägt werden.
Mualla Selçuk von der Universität Ankara zeigt, dass die koranische
Bedeutung der “Leute des Buches” ein Kommunikationsmodell für eine interreligiös
offene islamisch-religiöse Erziehung sein kann. Erhebliche Praxiserfahrungen bringt
Ina ter Avest (Amsterdam) ein, und
zwar in der Reflexion von drei Grundschul-Beispielen, die einen unterschiedlichen
religiösen bzw. säkularen Hintergrund haben. Begegnung zwischen Menschen
verschiedener Religionen verläuft Verstehen fördernd am besten „spielerisch“.
Die „Spieler“ sind dabei Lehrer und Kinder gleichermaßen im Blick auf den
Andern und das Andere. Sie wirken miteinander überzeugend sind dann überzeugend,
wenn sie didaktisch verantwortet „predigen“, was sie bereits praktizieren. Alma Lanser-van der Velde (Amsterdam) hebt die Bedeutung des praktischen
Umgangs mit Religion in familiärer Kindererziehung hervor. Dihyatun Masqon Ahmad vom Zentrum für Islamische und Westliche
Studien aus Ost-Java berichtet von der Dynamik einer modernen islamischen als
Internat geführten indonesischen Erziehungseinrichtung, der Pondok Pesantren.
Die
Herausgeberin El-Bouayadi-van de Wetering
geht näher auf die Problematik zwischen
häuslicher Erziehung, Unterricht in der Moschee und säkularem Umfeld in den
Niederlanden ein. Der Tübinger Religionspädagoge Friedrich Schweitzer bezieht sich auf eine ähnliche Konstellation
in mehreren europäischen Ländern im Blick auf die häusliche (oft fehlende)
religiös-familiäre Erziehung und die
kirchlichen Möglichkeiten, hauptsächlich im Zusammenhang mit der
Konfirmation. Goedroen Juchtmans von
der Katholischen Universität Löwen hebt die Bedeutung der Frauen in der religiösen
Erziehung hervor. Sie setzen sehr stark auf rituell-spirituelle Impulse im
Sinne einer Sakralisierung des Lebens.
Es folgt der
Blick in den Nahen Osten: Im Libanon trägt die christliche Erziehung durch die
geopolitische Lage osmanische, arabische und westlich-missionarische
Prägesignaturen und zugleich blutige Bürgerkriegserfahrungen, wie der Theologe Rima Nasrallah (Beirut) dokumentiert. Bahaeddin Budak (Amsterdam) konzentriert
sich zusammen mit der Herausgeberin auf die muslimische Jugend, die unbedingt spirituelle Orientierung braucht und
z.T. in der Gefahr steht, sich auf religiösen
Extremismus einzulassen. Die Niederlande sind geradezu ein Brennpunkt für
diese kritische Gemengelage im Zusammenhang mit der „Versäulung“ im
niederländischen Schulsystem und der fortschreitenden Säkularisierung. Gerdien Bertram-Troost und der
Herausgeber Siebren Miedema (beide
Amsterdam) sind sich über die Wirkungen religiöser Erziehung aufgrund
empirischer Untersuchungen recht unsicher. Arslan
Karagül (Amsterdam), der neben islamische Erziehung den Schwerpunkt
„spiritual care“ (Seelsorge) unterrichtet, ist angesichts der Schwächen in der
Praxis islamischer Erziehung und fehlender umfassender Erziehungskonzepte für
die Zukunft ziemlich beunruhigt. In diesem Zusammenhang lohnt der Vergleich
zweier säkularer multikultureller Gesellschaften, nämlich der Türkei und der
Niederlande im Blick auf die Fakten und Faktoren religiöser Erziehung – so die
Überlegungen von M. Fatih Genç aus
der Türkei (Ankara), Ina ter Avest und Siebren Miedema (Niederlande).
Eine andere Sichtweise
eröffnen Hussein Bashir Mahmoud
(Kairo) und die Herausgeberin Stella El
Bouayadi-van de Wetering, indem sie zuerst auf die Bildungsgeschichte und dann
auf die Leitlinien islamischer und religiöser Erziehung eingehen, wie sie in
ägyptischen Primar- und Sekundarschulen gehandhabt wird: Toleranz als ethischer Wert spielt hier eine herausragende Rolle.
Aus christlicher Sicht diskutiert Manfred
L. Pirner (Universität Erlangen-Nürnberg), wie die „Peer Groups“ der
Jugendlichen mit dem Einfluss der Medien umgehen und eine „Selbst-Sozialisation“ stattfindet, die zwar auch religiös geprägt
sein kann, aber ohne die Muster der klassischen Religionen auskommt. In eine
ähnliche Richtung geht Nabil Alsamaloty,
Soziologe an der Al-Azhar-Universität in Kairo, zusammen mit der Herausgeberin:
Unter Heranziehung soziologischer Theorien auch zum Konfliktmanagement legen
sie den Schwerpunkt ihrer Argumentation zum einen auf die Entwicklung
kriminellen Verhaltens als Folge von Ausgrenzung und zum andern auf soziale und
ökonomische Gewalt im Kontext extremer Armut. Fundamentalistisch und
terroristisch orientierte Peer-Groups können sich für ihre gewaltsame
Konfliktbereitschaft religiöse Muster aneignen, die originale Glaubenstradition
konterkarieren. Das gilt nicht nur für junge Muslime, sondern für junge
Menschen in allen Religionen.
Wolfram Weiße von der Akademie der Weltreligionen in Hamburg stellt
die Ergebnisse des sog. REDCo-Projektes vor: Es handelt sich um eine
Untersuchung, die religiöse
Erziehungskonzepte mit (recht heterogenen) religiösen Einstellungen von 14-16jährigen Jugendlichen in mehreren
Ländern Ost- und West-Europas kombiniert. Insgesamt hält die Mehrheit der
Angesprochenen ein Kennenlernen anderer Religionen in der Schule für friedensfördernd.
Dem fügt Redbad Veenbaas (Amsterdam)
das Ergebnis einer ähnlich strukturierten kleinen Untersuchung aus den
Niederlanden über die religiösen Werte- und Normvorstellungen junger Muslime
hinzu, die auch gesellschaftlichen Veränderungen durch die „Straßen-Kultur“
unterliegen.
Die Herausgeber gehen im Epilog nicht nur der Frage nach, ob es
religiöser Erziehung gelingt, „reaching for the sky, also „nach dem irdischen
Himmel zu greifen“. Ob das wohl die Vorstufe zum transzendenten Himmel (heaven)
ist? Der Blick auf christliche und muslimische Jugendliche insgesamt spiegelt
nur einen Augenblicksstand. Dieser ist von der Spannung religiöser Erziehung in
familiärer Tradition und dem Mangel religiös-authentischer Sprache in säkularen
Gesellschaften geprägt. Angesichts nicht zu übersehender Komplexitäten im Feld
religiöser Erziehung kann diese Zusammenstellung und mit der Auswertung einer Reihe von Analysen
zuerst eine Bewusstseinsschärfung erreichen.
Zum andern aber bietet das Buch Orientierungsempfehlungen
für eine dialogische Religiosität, die wirklich ernst genommen und
umgesetzt werden sollten.
Reinhard Kirste
Rz-El
Bouayadi-RE-Sky, 20.05.12
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