Jürgen
Domian: Interview mit dem Tod.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012, 4. Aufl., 174 S.
ISBN 978-3-579-06574-8
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012, 4. Aufl., 174 S.
ISBN 978-3-579-06574-8
Ausführliche Besprechung
Der
Journalist Jürgen Domian (geb. 1957) ist durch seine „Telefon-Nächte“, die er
im Studio mit Anrufern verbrachte, im Grunde zum Radio-Seelsorger geworden.
Durch diese in die Tausende gehenden Gespräche seit 1995 ist er sehr bekannt
geworden, besonders über den WDR-Hörfunk 1 LIVE. Aber nun erfolgt eine
Zwischenbilanz zu den oft noch als Tabu behandelten Krankheit, Schmerzen,
Sterben, Tod, Sterbehilfe. Er nennt dies ein Interview mit dem Tod, das er
meinte führen zu müssen, nachdem er seinen sterbenden Vater auf die
Palliativstation eines Krankenhauses begleitet hatte.
„Zwanzigtausend
Interviewpartner also. Vom Mörder bis zum Lottomillionär. Vom Show-Star bis zum
Obdachlosen. Vom Priester bis zum Satanisten. Mit einem allerdings habe ich noch nicht gesprochen. Er fehlt bisher in
der langen Reihe meiner Talkgäste ... Er hat tausend Gesichter, aber nur eine
Aufgabe … Er ist äußerst fleißig und schläft nie. Einen besonderen Namen hat er
nicht, aber es gibt einige, die nennen ihn einen Meister aus Deutschland, andere sagen einfach Schnitter oder Gevatter
zu ihm. Es ist der Tod selbst. Mit ihm habe ich noch nie gesprochen. Nun ist es
Zeit dies zu tun“ (S. 11).
Beim Lesen
eröffnen sich auch die biografischen Schritte des Medienmannes. Sie führten ihn
aus einer konservativ christlichen Phase zur Ablehnung alles Religiösen und in
einen konsequenten Atheismus. Dieser trug allerdings wiederum Züge von
Glaubensüberzeugungen, die er in ihrer Problematik zuerst nicht wahrnahm. Erst
die nicht abzuweisenden Fragen von Sterben, Tod und möglichen Jenseits zwangen
ihn umzudenken. Die Suche ging über philosophische Deutungen von der Antike bis
in die Moderne, ohne dass Domian wirklich befriedigende Antworten gefunden
hätte. Aber bei diesen philosophischen Begegnungen tauchten auch immer wieder
Mystiker der verschiedenen Religionen auf, die offensichtlich Denken und
Grenzerfahrungen so zur Sprache bringen konnten und können, dass ein Wegweiser
zum Umgang mit dem Tod auftauchte. Und Domian, der seine Angst vor dem Tod
offen zugibt, geht verstärkt auf Friedhöfe ...
Wenn man
genau liest, so enthüllt sich das Gespräch mit dem Tod als eine Aufforderung
zum Leben – hier und jetzt. Wirklichkeit in ihrer Banalität wird dabei zur
Illusion, wie es die Buddhisten immer schon behaupten:
Aus dem Interview (die Anfragen
Domians sind kursiv gesetzt, S. 62-63):
--- Aber jeder wünscht sich doch, nicht vergessen zu werden.
Ein unsinniger Wunsch. Alles
Irdische wird von der Ewigkeit fortgeweht.
--- Alles? Auch die ganz großen geistigen und künstlerischen Leistungen der
Menschheit?
Ja. Endet das Universum, so bleibt
nichts. …
Um zu verstehen, musst du lernen,
deine Ratio zu verlassen.
--- Wie lernt man das?
Versuche dich deiner Worte zu
entledigen, entleere deine Gedanken.
--- Aber was bleibt dann?
Die Leerheit … Überwindung des
Ich-Bewusstseins. Nur so wirst du das Nichts schauen können.
--- In das Nichts? Also in die absolute Wirklichkeit?
Ja.
Und in
diesem Nichts, in einem die Zeit überwindenden Schweigen, liegt die tiefste
Gotteserfahrung. Der Mystiker Heinrich Seuse (1295 bzw. 1296 – 1366) hat es
bereits so ähnlich gesagt.
Im Durchgang
durch das Buch ergeben sich Erkenntnisse wie Perlen an einer Schnur, so dass sich
am Ende die unterschiedlichen Facetten zu einer Art Bilanz entwickeln. Das
Interview mit dem Tod verändert Domians Sichtweise völlig: Wirklichkeit hat
noch andere als die alltäglichen Dimensionen. Dabei bleiben viele Fragen offen.
So gibt es für die Fragen zum Sinn des Leidens letztlich keine Antwort, aber Beruhigung:
Das Leiden „ist weder Strafe noch eine Prüfung. Das Sterben, auch das leidvolle
Sterben, ist Teil einer für Menschen nie zu begreifenden komplexen
Zusammenhangs, der weit über die Welt hinausgeht“ (S. 131)
Dies ist
kein systematisches Buch, sondern es sind Erfahrungsbruchstücke, die ein
autobiografisches Mosaik ergeben. Die Gesprächsprotokolle seines fiktiven Interviews mit dem Tod sind in nachdenklich machende Anmerkungen
eingebunden. Und nach all den vielen Interviewpartnern also nun endlich der
entscheidende Schritt, nämlich die Sinn-Fragen von der Sterblichkeit des
Menschen anzugehen. Man muss Domian keineswegs in allem zustimmen, gerade was
auch die aktive Sterbehilfe betrifft. Bei allen auch herausfordernden
Formulierungen Domians erscheint der Tod keineswegs unmenschlich, dies zeigen
seine respektvollen Beschreibungen zu Sterbehospizen und zur Palliativmedizin. Diese
erzählten Begegnungen mit dem Tod, in die die Lesenden hineingezogen werden,
bewegen bis ins Innerste. So ist das Buch auch eine Einladung, die eigenen
Sinne „für die Mysterien der Welt [zu] schärfen“ (S. 152) – Ewigkeit in der
Zeit und jenseits der Bedingungen von Zeit. Es wäre zu wünschen, dass gerade
junge Leute sich auf diese Existenzfragen
einlassen, um dadurch ihre Zukunft glücklicher zu leben.
Reinhard Kirste
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