Samstag, 27. Oktober 2012

Der Moderator und der Tod



Jürgen Domian:  Interview mit dem Tod.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012, 4. Aufl., 174 S.
ISBN 978-3-579-06574-8


Ausführliche Besprechung
Der Journalist Jürgen Domian (geb. 1957) ist durch seine „Telefon-Nächte“, die er im Studio mit Anrufern verbrachte, im Grunde zum Radio-Seelsorger geworden. Durch diese in die Tausende gehenden Gespräche seit 1995 ist er sehr bekannt geworden, besonders über den WDR-Hörfunk 1 LIVE. Aber nun erfolgt eine Zwischenbilanz zu den oft noch als Tabu behandelten Krankheit, Schmerzen, Sterben, Tod, Sterbehilfe. Er nennt dies ein Interview mit dem Tod, das er meinte führen zu müssen, nachdem er seinen sterbenden Vater auf die Palliativstation eines Krankenhauses begleitet hatte. 
„Zwanzigtausend Interviewpartner also. Vom Mörder bis zum Lottomillionär. Vom Show-Star bis zum Obdachlosen. Vom Priester bis zum Satanisten. Mit einem allerdings habe ich noch nicht gesprochen. Er fehlt bisher in der langen Reihe meiner Talkgäste ... Er hat tausend Gesichter, aber nur eine Aufgabe … Er ist äußerst fleißig und schläft nie. Einen besonderen Namen hat er nicht, aber es gibt einige, die nennen ihn einen Meister aus Deutschland, andere sagen einfach Schnitter oder Gevatter zu ihm. Es ist der Tod selbst. Mit ihm habe ich noch nie gesprochen. Nun ist es Zeit dies zu tun“ (S. 11).


Beim Lesen eröffnen sich auch die biografischen Schritte des Medienmannes. Sie führten ihn aus einer konservativ christlichen Phase zur Ablehnung alles Religiösen und in einen konsequenten Atheismus. Dieser trug allerdings wiederum Züge von Glaubensüberzeugungen, die er in ihrer Problematik zuerst nicht wahrnahm. Erst die nicht abzuweisenden Fragen von Sterben, Tod und möglichen Jenseits zwangen ihn umzudenken. Die Suche ging über philosophische Deutungen von der Antike bis in die Moderne, ohne dass Domian wirklich befriedigende Antworten gefunden hätte. Aber bei diesen philosophischen Begegnungen tauchten auch immer wieder Mystiker der verschiedenen Religionen auf, die offensichtlich Denken und Grenzerfahrungen so zur Sprache bringen konnten und können, dass ein Wegweiser zum Umgang mit dem Tod auftauchte. Und Domian, der seine Angst vor dem Tod offen zugibt, geht verstärkt auf Friedhöfe ...
Wenn man genau liest, so enthüllt sich das Gespräch mit dem Tod als eine Aufforderung zum Leben – hier und jetzt. Wirklichkeit in ihrer Banalität wird dabei zur Illusion, wie es die Buddhisten immer schon behaupten:
Aus dem Interview (die Anfragen Domians sind kursiv gesetzt, S. 62-63):
--- Aber jeder wünscht sich doch, nicht vergessen zu werden.
Ein unsinniger Wunsch. Alles Irdische wird von der Ewigkeit fortgeweht.
--- Alles? Auch die ganz großen geistigen und künstlerischen Leistungen der Menschheit?
Ja. Endet das Universum, so bleibt nichts. …
Um zu verstehen, musst du lernen, deine Ratio zu verlassen.
--- Wie lernt man das?
Versuche dich deiner Worte zu entledigen, entleere deine Gedanken.
--- Aber was bleibt dann?
Die Leerheit … Überwindung des Ich-Bewusstseins. Nur so wirst du das Nichts schauen können.
--- In das Nichts? Also in die absolute Wirklichkeit?
Ja.
Und in diesem Nichts, in einem die Zeit überwindenden Schweigen, liegt die tiefste Gotteserfahrung. Der Mystiker Heinrich Seuse (1295 bzw. 1296 – 1366) hat es bereits so ähnlich gesagt.
Im Durchgang durch das Buch ergeben sich Erkenntnisse wie Perlen an einer Schnur, so dass sich am Ende die unterschiedlichen Facetten zu einer Art Bilanz entwickeln. Das Interview mit dem Tod verändert Domians Sichtweise völlig: Wirklichkeit hat noch andere als die alltäglichen Dimensionen. Dabei bleiben viele Fragen offen. So gibt es für die Fragen zum Sinn des Leidens letztlich keine Antwort, aber Beruhigung: Das Leiden „ist weder Strafe noch eine Prüfung. Das Sterben, auch das leidvolle Sterben, ist Teil einer für Menschen nie zu begreifenden komplexen Zusammenhangs, der weit über die Welt hinausgeht“ (S. 131)
Dies ist kein systematisches Buch, sondern es sind Erfahrungsbruchstücke, die ein autobiografisches Mosaik ergeben. Die Gesprächsprotokolle seines fiktiven Interviews mit dem Tod sind in nachdenklich machende Anmerkungen eingebunden. Und nach all den vielen Interviewpartnern also nun endlich der entscheidende Schritt, nämlich die Sinn-Fragen von der Sterblichkeit des Menschen anzugehen. Man muss Domian keineswegs in allem zustimmen, gerade was auch die aktive Sterbehilfe betrifft. Bei allen auch herausfordernden Formulierungen Domians erscheint der Tod keineswegs unmenschlich, dies zeigen seine respektvollen Beschreibungen zu Sterbehospizen und zur Palliativmedizin. Diese erzählten Begegnungen mit dem Tod, in die die Lesenden hineingezogen werden, bewegen bis ins Innerste. So ist das Buch auch eine Einladung, die eigenen Sinne „für die Mysterien der Welt [zu] schärfen“ (S. 152) – Ewigkeit in der Zeit und jenseits der Bedingungen von Zeit. Es wäre zu wünschen, dass gerade junge Leute sich auf diese Existenzfragen  einlassen, um dadurch ihre Zukunft glücklicher zu leben.
Reinhard Kirste
Rz-Domian-Tod, 26.10.12

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