Meister-Eckhart-Jahrbuch 5 / 2011.
(Rolf Schönberger und Stephan Grotz, Hg.):
Wie denkt der Meister? Philosophische Zugänge zu Meister Eckhart.
Stuttgart: Kohlhammer 2012, 198 S., mehrere ausführliche Register
--- ISBN 978-3-17-022016-4
(Rolf Schönberger und Stephan Grotz, Hg.):
Wie denkt der Meister? Philosophische Zugänge zu Meister Eckhart.
Stuttgart: Kohlhammer 2012, 198 S., mehrere ausführliche Register
--- ISBN 978-3-17-022016-4
Ausführliche Beschreibung
Mit
dem Meister-Eckhart-Jahrbuch präsentiert die Meister-Eckhart-Gesellschaft die
Ergebnisse ihrer Tagungen und wissenschaftlichen Forschungen nicht nur ihren
Mitgliedern, sondern insgesamt einer an mittelalterlicher Mystik interessierten
Öffentlichkeit. Der Schwerpunkt liegt verständlicherweise auf Arbeiten zu Meister
Eckharts Leben (ca. 1260-1328) und Werk, seinen „Vor-Denkern“ sowie seiner
erstaunlichen Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart. Hinzu kommen in der
Eckhart-Gesellschaft umfangreiche wissenschaftliche Beiträge, auch
Textausgaben, die dann gewöhnlich in den "Beiheften zum
Meister-Eckhart-Jahrbuch" veröffentlicht werden.
Inzwischen
ist schon das Jahrbuch 6/2012 erschienen. Es enthält u.a. Vorträge der Jahrestagung in München, die unter dem Thema Meister Eckhart im Original in München 2010 stattfand. Hier allerdings soll im Zusammenhang von
interdisziplinären Grenzgängen Meister Eckharts Jahrbuch 5/2011 vorgestellt werden, Es bezieht sich auf die
Jahrestagung 2009 in Regensburg mit dem bezeichnenden Titel: Wie denkt der Meister?
Im
Vorwort gehen die Herausgeber auf Desiderate der Eckhart-Forschung ein: „Noch
unzulänglich sind … diejenigen Fragen gestellt und bewältigt, die seine
[Meister Eckharts] Denkweise betreffen und die für sie kennzeichnende Form ins
Auge fassen … Wie verlaufen die Denkoperationen, die für ihn typisch sind, die
ihn einerseits zu einer bedeutenden Gestalt des Neuplatonismus machen und ihm
doch ein ganz eigenes Gepräge geben?“ (S. X). Das vorliegende Jahrbuch
versucht, diese Lücke zu füllen.
So
stellt zuerst der renommierte Philosophie-Historiker Kurt Flasch den Naturforscher und Theologen Dietrich von Freiberg (ca.
1240/1245 bis ca. 1318/1320) und Meister Eckhart als
eigenständige Denker des christlichen Selbstbewusstseins vor und einander gegenüber.
Bei beiden zeichnet sich der „intellectus“ als Wurzel der Seele ab, d.h., wenn
die Kreatur in ihren Grund schaut, sieht sie Gott an und nimmt so ihr Wesen
wahr (S. 12). Der Philosoph Jens
Halfwassen (Universität Heidelberg) bleibt auf dieser Ebene, indem er –
bezogen auf das unvollendete „Opus tripartitum“ Eckharts – den idealistisch
orientierten Gedanken des „Ich“ allein auf Gott bezieht und das Sein im Denken
begründet (= die seinslose Tätigkeit des Denkens“, S. 25). Damit denkt „der
Meister“ wie kein anderer vor ihm die
„absolute Subjektivität“ (S. 25). Jan A.
Aertsen, Mediävist und bis 2003 Direktor des Thomas-Instituts in Köln, dagegen
begutachtet – ebenfalls auf das „Opus tripartitum“ bezogen – den Stellenwert der
Transzendentalien-Metaphysik für Eckharts Bibelauslegung bis hin zur
Gleichsetzung der Transzendentalien mit Gott und daraus folgender
Handlungsanleitungen: Wer vom Guten abfällt, fällt von Gott ab. Auch Theo Kobusch (Mediävist, Universität
Bonn) geht dem Transzendenzverständnis
als solchem und den Transzendentalien bis hin zur Überschreitung bisheriger kategorialen
Begrifflichkeiten nach, und zwar durch die Betonung der Arbeit am Selbst (S.
54).
Nach
diesen stärker theologisch und philosophisch ausgerichteten Beiträgen geht es
im Folgenden mehr um hermeneutische Zusammenhänge: Markus Enders (Systematische Theologie, Universität Freiburg/Br.) zeigt
Eckharts Bibelverständnis und Text-Exegese als Spiegelung göttlichen Wissens im
bildhaften Ausdruck. Er stellt dazu einige Forschungsarbeiten zum Thema vor,
besonders zur Bedeutung des allegorischen und mystagogischen Schriftsinnes und
angesichts der Begrenztheit rationaler Beweisbarkeit. Schließlich zeigt er,
dass die Verkündigung des göttlichen „alleinheitlichen“ Wortes als
Christus-Wort durch die Predigt das entscheidende Ziel von Eckharts gesamter,
also auch alttestamentlicher Bibelauslegung ist (S. 97). Stephan Grotz (Philosophie, Universität Mainz) stellt kritische Nachfragen an den Bibelausleger, weil Eckhart bei
verschiedenen Deutungsmöglichkeiten einzelner Textstellen diese offensichtlich auf
sich beruhen lässt, um dann zu zeigen, „dass die Zweizahl ( = von Subjekt und
Prädikat / Satzurteil / Sache und Bezug zur Wahrheit) die Bedingung für den
Wahrheitsanspruch allen Redens und Denkens ist“(S. 109). Es ist also nicht
angemessen, von interpretatorischer Gewalt bei Meister Eckhart zu reden, denn
eigene Auslegung und Absicht des biblischen Textes sind auf ihre gemeinsame
Quelle zurückzuführen, nämlich Christus (S. 114).
Nun
kommen geistige Nachfolger Eckharts ins Blickfeld: Heinrich von Gent (vor
1240–1293) und Heinrich Seuse (ca. 1295-1366): Wouter Goris (Philosophiegeschichte, Freie Universität Amsterdam) geht
der aus der Theologie Augustins entstandenen Lehre von Gott als Ersterkanntem nach,
die man nach Heinrich von Gent über die Transzendentalien wie „seiend“, „eins“,
„wahr“ und „gut“ zuerst erfasst (S. 117). Dadurch stehen Gnade und natürliche
Vernunft in einem komplementären Zusammenhang für das Ersterkannte. In der
Beschreibung des vollendeten Menschen, des homo
divinus und Gott als dem Ersterkannten lassen sich gewisse Überschneidungen
in der Begrifflichkeit, besonders im Analogieverständnis mit Heinrich von Gent
ausmachen. Ähnliches leistet Silvia Bara
Bancel (Fundamentaltheologie und Biochemie, Universidad Comillas Madrid).
Sie zeigt Heinrich Seuses große Nähe zu Meister Eckharts Verständnis der
Sohnwerdung auf, d.h. konkret dass Gott wie in Christus so auch im guten
Menschen Wohnung nimmt und dieser „christmäßige Mensch“ (S. 137) als größte
Gottesgnade anzusehen ist. Das heißt immerhin etwas einschränkend, dass bei der
Einswerdung mit Christus eine gewisse letzte kreatürliche Unterschiedenheit
bestehen bleibt. Mit dieser Argumentationslinie versucht Seuse zugleich, die
Orthodoxie Eckharts angesichts des Kölner Prozesses (seit 1225) gegen den
Meister nachzuweisen.
Der
Schlussbeitrag von Dietmar Mieth (Theologie
und Sozialethik, Universität Tübingen) wirkt wie eine Art Zwischenbilanz der
bisherigen Darlegungen, um das „wahre Selbst“ bei Eckhart genauer zu erfassen.
Gerade im Denken „des Meisters“ eröffnet sich eine interreligiöse Perspektive.
Das fällt besonders bei einer kritisch-argumentativen Begegnung mit dem Islam
auf. Aber noch erstaunlicher weiterführend und aufregend ist der Zusammenhang,
den Mieth im Vergleich von „moderner Agnostik“ des ‚überflüssigen‘ Gottes mit der
religiösen Erfahrung des ‚überfließenden‘ Gottes macht (S. 163). Mieth zieht
dazu besonders Edward Schillebeeckx, Burkhard Mojsisch und Hans Joas heran, um
dann auf das Heiligkeitsverständnis des Lebens in der Denk-Kontinuität von
Rudolf Otto, Albert Schweitzer und Hans Jonas (S. 172ff) als Indikator zu
verweisen. Meister Eckhart verzichtet faktisch auf eine geistliche Tugendlehre;
und die „perfectiones spirituales“
sind (nur) von ihrem Ursprung her wichtig. Ihre Dekonstruktionen durch „den
Meister“ „vermögen heute noch … mitzureißen, weil sie den Weg der persönlichen
Freiheit und der religiös-moralischen Verbindlichkeit zusammenführen“ (S. 179)
Immer
wieder kommen die AutorInnen auf den Einfluss Platos, Aristoteles‘, Augustins,
des Neuplatonismus und des Maimonides (1135/1138–1204) zu sprechen. Letzterer
hat das Denken Meister Eckharts erstaunlich tief gerade im Blick auf das
All-Einheits-Denken beeinflusst. Damit steht „der Meister“ in der
arabisch-philosophischen Aristoteles-Rezeption, die gerade der jüdische
Philosoph Maimonides herausragend repräsentiert. So betont Markus Enders – Kurt Flasch zitierend – dass „Maimonides mit seiner
philosophischen Bibelerklärung und seiner radikalen negativen Theologie den
größten Einfluss auf Eckharts Denken ausgeübt“ habe (S. 90).
Wer sich
intensiver mit dem philosophischen und theologischen Denkens Meister Eckharts,
seiner geistig-verwandten Vorläufer, Zeitgenossen und Nachfolger befassen will,
wird mit diesem Jahrbuch bestens weitergeführt.
Vgl.: Iroki Matsuzawa: Die Relationsontologie bei Meister Eckhart.
Augustinus - Werk und Wirkung, Bd. 7. Paderborn: Schöningh 2018, 158 S.
Verlagsinformation, Inhaltsverzeichnis und Leseprobe: hierH
Vgl.: Iroki Matsuzawa: Die Relationsontologie bei Meister Eckhart.
Augustinus - Werk und Wirkung, Bd. 7. Paderborn: Schöningh 2018, 158 S.
Verlagsinformation, Inhaltsverzeichnis und Leseprobe: hierH
Reinhard Kirste
Rz-Meister-Eckhart-Jahrbuch
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