Montag, 27. November 2017

Polemik und Sachkenntnis - Der Traktat des Ricoldus gegen den Islam

Ricoldus de Monte Crucis:
Tractatus seu disputatio contra Saracenos
et Alchoranum.
Edition – Übersetzung – Kommentar
von Daniel Pachurka.
Corpus Islamo-Christianum Series Latina 9.
Wiesbaden: Harrassowitz 2016, XLIX, 198 S.
Ausführliches Literaturverzeichnis mit Indices + Appendices
zu den Suren, den Hadith-Sammlungen von
al-Buhari, Muslim, und Abū Dāwūd as-Sidschistānī
sowie den Taten Mohammeds
--- (zugleich Diss. Ruhr-Universität Bochum)
 
--- ISBN  978-3-447-10711-2
--- Verlagsankündigung:
     https://www.harrassowitz-verlag.de/title_958.ahtml

 Die christlichen Widerlegungsversuche des Islam im Mittelalter sind zwar weitgehend von Polemik geprägt, aber dennoch wird die apologetische Argumentation oft sehr ausführlich unter Heranziehung der Quellen geführt. So existieren schon sehr bald auch lateinische Koranübersetzungen, die arabischkundige Wissenschaftler leisten. Das ändert allerdings nicht viel von der Abwertung des Islam – von wenigen berühmten Ausnahmen abgesehen. Diese Tendenz setzt sich in der Renaissance und der Reformation fort.



Von dem humanistischen Gedanken des „Zurück zu den Quellen“ ist auch Martin Luther geprägt. In diesem Kontext ist es darum hoch interessant, dass er die Anti-Sarazenen-Schrift des Dominikaners Ricoldus gegen die Muslime und den Koran 1542 selbst ins Deutsche übersetzte.

Nun ist es ausgesprochen zu begrüßen, dass der Germanist Daniel Pachurka (Ruhr-Universität Bochum) eine sorgfältig recherchierte Übersetzung mit einem entsprechenden Kommentar herausgebracht hat. Diese Ausgabe verdeutlicht intensiv, dass Ricoldus als ein wichtiger Zeuge zum besseren Verstehen christlich-islamischer (Theologie-)Geschichte gesehen werden muss.
Neben allgemeinen Hinweisen stellt der Autor den um das Jahr 1243 in Florenz geborenen Ricoldus de Monte Crucis (Riccoldo da[di] Monte Croce) genauer vor: Dieser trat nach seinem Studium der artes liberales 1267 in den florentinischen Dominikanerorden ein. Er wurde u.a. als Lektor nach Pisa und Prato geschickt. Danach erfolgte die wichtige Zeit als Asienmissionar. Er verbrachte zwölf Jahre im Vorderen Orient. Nach einer Pilgerreise ins Heilige Land gelangte er auch in die Türkei und nach Persien, ehe er 10 Jahre bei den orientalischen Christen in Bagdad blieb. Seine Rückkehr nach Florenz erfolgte im Jahre 1300/1301. Er starb dort am 31.10.1320.
Pachurka geht nun detailliert auf die Quellenlage der [bekannten] Werke des Ricoldus ein.
·        Peregrinatio  = Autobiografisches
·        Contra legem Saracenorum
·        Libellus ad nationes orientales
·        Tractatus seu disputatio contra Saracenos et Alchoranum
·        Epistolae v commentatoriae de perditione Acconis (zum Verlust Akkos für die Kreuzfahrer 1291)
Der Verfasser geht in seiner Einleitung neben der Darstellung von Leben und Werk des Ricoldus ausführlich auf das Werk des katalanischen Dominikaners Raymundus Martinus (Ramón Martí), der von 1210/1215–1285/1290 lebte. Er hatte in seiner De Seta Machometi eine Reihe von Originalquellen zusammengestellt. Das bedeutet, dass nicht nur seine anti-islamischen und antijüdischen Schriften für die Späteren von Bedeutung wurden, sondern auch die von ihm vorgelegten arabisch-islamischen Originaltexte. Martís ausgezeichnete Arabischkenntnisse und Übersetzungen dieser Schriftzeugnisse waren für Ricoldus offensichtlich eine wichtige Orientierung. Die von Martí und auch schon von Ramon Llull benutzte mozarabische „Denudatio“, eine anonyme Anti-Islam-Schrift aus dem 11. Jh. spielt für alle weiteren Debatten geradezu eine Schlüsselrolle. Ricoldus bezieht sich – wie Pachurka weiter ausführt – für seine „Confutationes“ gezielt auf diese Quellen sowie auf den Koran, Hadith-Ausgaben (Buchari, Muslim u.a.) und die Prophetenbiografie des Ibn Ishaq (jeweils in lateinischen Übersetzungen). Entsprechende Handschriften lagen dem Dominikaner offensichtlich vor. Wichtig ist nun, dass Ricoldus bei seinen Widerlegungen nicht nur den Namen der Sure und ihre Zählung angab, sondern bei Zitaten auch eigenständig Zehner-Versgruppen (Dekaden) zusammenstellte.
So entsteht eine Abhandlung mit Quellenzitaten, in der die erworbene Sachkompetenz allerdings voll den apologetischen Zielen dienen muss.
Die klar gegliederte lateinisch-deutsche Fassung des Tractatus contra Saracenos durch Pachurka erleichtert den Zugang zu bestimmten Themenkreisen, mit denen sich der Autor dann in seinem Abschnittskommentar (mit vielen Querverweisen) systematisch auseinandersetzt. Überblickt man den Gesamttext, so ist die missionarisch-apologetische-polemische Tendenz des Ricoldus zwar leitend, aber bei aller Polemik werden doch möglichst exakte Gegenbeweise argumentativ hervorgebracht, und zwar mit Vernunftgründen- und Schriftbelegen. Dazu muss Ricoldus aber oft genug Koranzitate verkürzen oder Hadithe uminterpretieren. Insgesamt entwickelt sich eine Art Themenpaket der Widerlegung.

Ricoldus prangert in besonderer Weise an: Mohammed war weder ein echter Prophet, noch ein Wundertäter, er war ein Lügner und lasterhafter Mensch. Er hat auch das Gesetz nicht von Gott empfangen. Seine Offenbarungen haben keinerlei göttlichen Ursprung. Die koranischen Gesetze sind also falsch und christlich unwürdig. Der Koran ist von der Wahrheit weit entfernt; dennoch: selbst der Koran weist daraufhin, dass die Muslime zum Irrtum bestimmt sind. Dort selbst steht schon, dass die Muslime an das Evangelium Christi glauben sollten (S. 29). Von daher ist es eine üble Unterstellung, dass Juden und Christen ihre heiligen Bücher verdorben hätten.
Das Ergebnis der gesamten Auseinandersetzung hat Pachurka m.E. sehr schön im Zusammenhang von Kommentar-Abschnitt 369-370 ( = S. 128) zusammengefasst: „Den Muslimen wird die Kompetenz bezüglich des Evangeliums abgesprochen, indem die eigenen Kenntnisse als überlegen präsentiert werden … [Ricoldus] definiert den Islam damit als Religion, die durch das Schwert verbreitet wurde
(cf. Comm 442-457 u. 508-511), wohingegen das Christentum durch Schwert oder den Tod nicht vermindert werden kann.“
Für die systematische Recherche und Forschungsarbeit erweisen sich die Indices und Appendices  zu den erwähnten und zitierten Suren, den Hadith-Sammlungen von al Buchari, Muslim, Suanan Abu Dawud und Ibn Ishaqs Prophetenbiografie mit Kurzzitaten wichtiger (gegenwärtiger) Forscher zum Thema und eigenen Anmerkungen als besonders hilfreich.
Bilanz
Zur geschichtlichen Entwicklung und Verfestigung christlicher Vorurteile gegenüber dem Islam bietet das Buch einen wichtigen Verstehensbaustein. Hier lässt sich nämlich zeigen, wie eine innerlich oder äußerlich abwehrende Haltung gegenüber den Koran-Offenbarungen sehr schnell in rigorose Polemik abgleitet. Man könnte angesichts moderner Debatten sagen, es sind zum Teil sogar „Satanische Verse“. Eine solche Haltung prägt teilweise bis heute die Begegnung mit den Muslimen und dem Koran. Man fühlt sich in gewisser Weise sogar an Salman Rushdies gleichnamiges Buch [1988] erinnert. In diesem Roman werden bekanntlich neben dem Leben des Propheten Mohammed auch die umstrittenen Hintergründe der Sure 53,19f ausgebreitet. Frühere Koranfassungen zeigen dort noch Anklänge an die mekkanische Göttinnen-Trias und sind damit nicht streng monotheistisch.
Gerade weil die alten Polemiken zugleich die neuen sind, lohnt ein genauerer Blick in die apologetischen Strukturen christlich-theologischer Islamverständnisse. Ricoldus spielt hierbei eine beachtliche, allerdings äußerst problematische Rolle. Sie ist dank des Buches von Pachurka für alle Interessierten offenkundig.
Reinhard Kirste


Rz-Ricoldus-Saracenos, 25.11.17 

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