Shihab al-Din al-Suhrwardi:
Philosophie der Erleuchtung.
Hikmat al-ishraq.
Aus dem Arabischen übersetzt
und herausgegeben von Nicolai Sinai.
und herausgegeben von Nicolai Sinai.
Berlin: Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag (Suhrkamp)
2011, 469 S., Kommentar, Stellenkommentar, Glossar, Register
--- ISBN 978-3-458-70032-6 ---
Nicht gerade zum
selbstverständlichen Wissen gehört, dass ohne die arabischen Philosophen und
Übersetzer der mittelalterlichen Geisteswelt Europas die Weisheit des antiken
Griechenlands verloren gegangen wäre. Hartnäckig hält sich auch das Vorurteil, dass
die islamischen Geisteswissenschaftler als Übersetzer von Platon, Aristoteles
usw. nur „Durchlaufverstärker“ waren und kaum eigenständige Philosophen. Zwar
hat der spanische Philosoph Ibn Rushd / Averroes (1126–1198] die europäische
Geistesgeschichte und gerade auch die christliche Theologie besonders über die
Universität Paris über Jahrhunderte geprägt, aber der Eindruck herrscht vor,
dass schon zu seinen Lebzeiten das philosophiekritische Denken innerhalb der
islamischen Kulturen an das Ende kam. Die Folge sei gewesen, dass im 13.
Jahrhundert nichts mehr von den islamisch-philosophischen Aufbrüchen des 12.
Jh.s übrig blieb.
Diesem Vorurteil tritt der Islamwissenschaftler Nicolai Sinai von der Universität Oxford
konsequent entgegen.
Mit der Übersetzung und Kommentierung des Hauptwerks des Illuminaten-Philosophen Abu l-Futuh Shihab al-Din Yahya ibn Habash
ibn Amirak al-Suhrawardi (geb. 1153 in Suhraward/Nordwest-Iran, hingerichtet 1191 in Aleppo auf Befehl Saladins):
„Philosophie der Erleuchtung“ legt er
einen Wendepunkt der islamischen Philosophie und Theologiegeschichte frei. Denn
hier verbinden sich erkenntnistheoretische Konsequenzen mit metaphysischen und
mystischen Systemelementen. Im Sinne eines freien diskursiven Denkens und im
Blick auf die göttliche, dem Menschen eröffnete Weisheit, wehrt sich al-Suhrawardi
bereits am Anfang gegen ein „dunkles Zeitalter: „Das schlimmste Zeitalter ist
jenes, in dem der Teppich des eigenständigen Bemühens zusammengerollt, der Fluss
der Gedanken unterbrochen, das Tor der Offenbarungen versperrt und die Wege der
Visionen verschlossen sind“ (S. 10).
Dass al-Suhrawardis Werk nicht leicht einzuschätzen ist, macht der
Herausgeber in seinem Kommentar in der Auseinandersetzung mit dem berühmten
französischen Philosophen, Theologen und Islamwissenschaftler Henry Corbin (1903–1978) deutlich. Dieser
ist unbestritten der bisher kompetenteste Übermittler dieses Philosophen. Er
setzte jedoch den Schwerpunkt seiner Kommentierung auf die mystische Seite
seines Denkens. Es ist gewiss richtig, dass al-Suhrawardi eine Balance zwischen
rationaler Erkenntnis, Logik und mystischem Verstehen versucht, darum eine
kritische Distanz zu Aristoteles einnimmt und stattdessen das eigenständige
Denken betont. Dadurch entsteht ein auch für die damalige Zeit schon
ungewöhnlicher Ansatz, der die griechische Antike mit Platon, dem
Neuplatonismus und den „Alten Orient“ mit Zarathustra auf das Licht der
göttlich-weisheitlichen „Illumination“ hin befragt. Seine emanatorisch geprägte
Kosmologie hat ihm dann (so Henry Corbin) auch den Ruf eines Meisters der
orientalischen Theosophie eingebracht.
Zum Aufbau des Buches gibt Nicolai
Sinai eine strukturierte Hilfestellung (S. 275–295), die er mit einer kleinen Rezeptionsgeschichte
und Übersetzungshinweisen zu al-Suhrawardis Werk abschließt (S. 296f).
Besonders
wichtig wird dabei die Auseinandersetzung mit einem weiteren berühmten
zentralasiatisch-iranischen Philosophen, Ibn
Sina / Avicenna (980–1037). Dessen Verständnis von „Wesen“ und
peripatetischer Logik dekonstruiert er unter Zuhilfenahme der platonischen
Ideenlehre. Dieser 1. Teil dient unter Berufung auf die „orientalischen
Philosophen“ als Voraussetzung für seine Entwicklung einer „Ontologie des
Lichts“ (2. Teil), denn Licht ist weit mehr als das allgemeine physische Licht,
die Lichter sind herrscherliche Lichter (S. 139–151), die die irdische Realität
regieren: „Das [gewissen Menschen zuteilwerdende] dargebotene Licht aus der
erhabenen Welt ist das Elixier der Macht und des Wissens, so dass die Welt ihm
gehorsam ist. In den vom Körperlichen befreiten Seelen lässt sich ein Abbild
des göttlichen Lichts nieder und ein schöpferisches Licht setzt sich in ihnen
fest“ (S. 217) Nach der Beschreibungen der verschiedenen „Klassen von
Lichtern“, durch die die Menschen erleuchtet werden, heißt es dann: „All dies
sind Erleuchtungen, die dem regierenden Licht zuteilwerden und die sich im Tempel
und im Seelenpneuma spiegeln … Wer Gott lauteren Herzens anbetet und der Dunkelheit
entstirbt und ihren Riten entsagt, der wird schauen, was andere nicht schauen“
(S. 219).
Was al-Suhrawardi hier
anspricht, hat in manchem erstaunliche Anklänge an die „Lichterlehre“ des
evangelischen Theologen Karl Barth (1886–1968) in seiner Kirchliche Dogmatik (KD
IV/3) und würde sicher eine genauere Untersuchung lohnen!
Dass al-Suhrawardi mit al-Ghazali (1058–1111) in einen tiefen Zwiespalt
gerät, dürfte auch entscheidend für die weitere Rezeption der „Philosophie der
Erleuchtung“ geworden sein. Der Philosoph und Theologe, ebenfalls in engem
Kontakt mit der Mystik, lehnte jedoch den gesamten (Neu-)Platonismus aufs
Schärfste ab, von den anderen theologischen Konflikten zwischen und innerhalb
von Sunna und Schia einmal abgesehen. Al-Suhrawardi wehrt sich gegen ein
solches Verdikt – und er sieht sich nach den notwendigen rationalen
Erkenntnisdiskursen am Schluss als einer der „mystischen Wanderer“, die mit
ihren Lichterfahrungen Vorbildcharakter gewinnen. Auch ihm gelingt es, nach
allen theoretischen Klärungen sich nun der Erfahrung und der Praxis auf dem Weg
zur Erleuchtung anheim zu geben: „Wenn die göttlichen Lichter im Menschen
zahlreich werden, dann kleiden sie ihn in ein Gewand von Macht und Ehrfurcht,
und die Seelen fügen sich ihm. Für den, der nach dem Wasser des Lebens strebt,
gibt es bei Gott eine reiche Quelle … Niemand, der seinen Hof aufsucht, geht
verloren, und es wird nicht zuschanden, wer vor seinem Tor steht“ (S. 221).
Wer dem inneren Zusammenhang von Philosophie und Erleuchtung, von Rationalismus,
Neuplatonismus und Mystik gerade auch im Blick auf die rheinische Mystik des
Mittelalters nachgehen will, wird hier in erstaunlichem Maße fündig. Er wird in
al-Suhrawardi einen weiteren Brückenbauer zwischen islamischer und christlicher
Geisteswelt entdecken. Und das dürfte nicht nur für Orientalisten und
Islamwissenschaftler interessant sein.
Ergänzende Hinweise
>>> Shihaboddin Yahya Sohravardi: L'Archange empourpré: Quinze traités et récits mystiques.
Traduit du Persan et de l'Arabe par Henry Corbin.
Paris Fayard 1976, 547 pp., index
Traduit du Persan et de l'Arabe par Henry Corbin.
Paris Fayard 1976, 547 pp., index
>>> Alfred G. Kavanagh:
La mística persa y la luz primordial: Sohravardī
(Casa Asia 2019, 3 pp.)
La mística persa y la luz primordial: Sohravardī
(Casa Asia 2019, 3 pp.)
Jari Kaukua: Suhrawardī’s Illuminationism. A Philosophical Study. Islamic Philosophy, Theology and Science. Texts and Studies, Band: 118. Leiden: Brill 2022, XII, 264 pp.
Reinhard
Kirste
Rz-Suhrawardi, zuerst veröffentlicht am 12.08.11 u.ö.
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