Hamid Reza Yousefi: Die Bühnen des Denkens.
Neue Horizonte des Philosophierens.
Münster u.a.: Waxmann 2013, 259 S. --- ISBN 978-3-8309-2821-8 ---
Neue Horizonte des Philosophierens.
Münster u.a.: Waxmann 2013, 259 S. --- ISBN 978-3-8309-2821-8 ---
Ausführliche Beschreibung
Der Autor gehört
zu den jüngeren Philosophen, denen die Interkulturalität der Philosophie
besonders am Herzen liegt. Er wurde 1967 in Teheran geboren und nimmt sowohl
iranische als auch deutsche Kulturtraditionen in seinen Arbeiten auf. So lehrt er
interkulturelle Philosophie und Philosophiegeschichte an der Universität
Koblenz-Landau, Campus Koblenz. In Trier hat er das Institut zur Förderung der
Interkulturalität (IFI) gegründet, dessen Leiter er auch ist. Eine beachtliche
Zahl von Büchern mit seinen Forschungsschwerpunkten hat er bereits veröffentlicht
bzw. herausgegeben. Sie beziehen sich besonders auf moderne Theorien der
Toleranz, Kommunikation sowie ethische und hermeneutischen Entwicklungen in der Philosophie und Religionswissenschaft.
Mit dem
vorliegenden Buch baut er eine didaktische Brücke zum Verstehen verschiedener
Kulturtheorien und der vielfältigen Tendenzen interkultureller Philosophie in
Vergangenheit und Gegenwart. Darum kommen hier berühmte islamische Philosophen
des Mittelalters, der beginnenden Neuzeit und der Gegenwartsphilosophie zur
Sprache, aber ebenso heutige Ansätze interkultureller Philosophie im
deutschsprachigen Raum.
Aber was
versteht Yousefi genau unter interkultureller Philosophie? „Das Kompositum
>Interkulturelle Philosophie< ist eigentlich eine Tautologie. Dies hängt
damit zusammen, dass Philosophie per se global und universal ist, weil ihr Gegenstand
der Mensch in allen seinen Dimensionen ist.“ Yousefi möchte mit diesem Begriff „auf
diese universale Ursprünglichkeit der Philosophie hin[zu]weisen, die aufgrund
der kolonialen Expansion eine eurozentrische Ausrichtung bekommen hat, somit
verabsolutiert worden ist und irrigerweise für universal gehalten wird“ (S.
45). Dem steuert er entgegen, indem er gewissermaßen eine „Entkolonialisierung“
geisteswissenschaftlicher Begriffe betreibt. Denn Ausdrücke wie Dritte Welt oder Entwicklungsländer zeigen genau diese europäisch-nordamerikanische
Fokussierung (S. 46). So wird es notwendig, angesichts verschiedener Modelle
von „Kulturtransformationen“ (multikulturell, transkulturell, interkulturell) deren
Vorzüge und Nachteile zu bedenken. Entscheidende Impulse für eine
Interkulturelle Philosophie haben bereits der iranisch-stämmige
Religionsphilosoph Abdoldjavad Falaturi
(1926–1996), der indische Philosoph Ram
Adhar Mall (* 1937), der österreichische Philosoph Franz Martin Wimmer (*1942), der kubanische Philosoph Raúl Betancourt (*1946) und der deutsche
Germanist Alois Wierlacher (*1936) gegeben.
Ihnen ging und geht es um weit mehr, als um die von vielen Denkern praktizierte
Kontextualität. Vielmehr werden alle methodischen Komponenten der Interkulturalität
einbezogen. Diese sind konsequent. pluralistisch ausgerichtet (S. 53) und
umschließen das weite Feld zwischen analytischen, phänomenologischen und
empirischen Zugängen.
Mit solch
umfassend methodischem und hermeneutischem Handwerkszeug ausgerüstet, stellt
Yousefi in biografisch zugespitzten Abschnitten orientalische Philosophen und
deren Grenzen überschreitende Offenheit vor. Dazu gehören im frühen Mittelalter
die rationalistisch ausgerichteten Mutaziliten, aber auch allgemein bekannte
Persönlichkeiten wie Ibn Sina (= Avicenna, 980-1037), Al-Ghazali (1058-1111) und
Ibn Rushd (Averroes, 1126-1198). Aus der Zeit zwischen dem 14. und dem 17.
Jahrhundert wären neben vielen anderen Ibn Khaldun (1332-1406) oder Molla Sadra
(1571-1640) zu nennen. Für das 19. und 20. Jahrhundert spielen z.B. Mohammed Ali Foroughi
(1877-1942), Mohammed Arkoun (1928-2010) und Mohammed Abed Al-Jabri (1935-2010)
eine wichtige entwicklungsgeschichtliche Rolle.
Dieser beeindruckenden Persönlichkeitsreihe stellt Yousefi durch den „Westen“ (mit)geprägte Philosophen gegenüber, von denen Karl Jaspers sicher eine Schlüsselstellung mit seinem Verständnis der „Achsenzeit“ einnimmt. Neben den schon anfangs erwähnten F.M. Wimmer, Ram Adhar Mall und Raúl Betancourt kommen hier noch der hermeneutisch ausgerichtete Heinz Kimmerle (*1930), Gregor Paul (*1947) und der wesentlich jüngere Harald Seubert (*1967) ins Blickfeld.
Dieser beeindruckenden Persönlichkeitsreihe stellt Yousefi durch den „Westen“ (mit)geprägte Philosophen gegenüber, von denen Karl Jaspers sicher eine Schlüsselstellung mit seinem Verständnis der „Achsenzeit“ einnimmt. Neben den schon anfangs erwähnten F.M. Wimmer, Ram Adhar Mall und Raúl Betancourt kommen hier noch der hermeneutisch ausgerichtete Heinz Kimmerle (*1930), Gregor Paul (*1947) und der wesentlich jüngere Harald Seubert (*1967) ins Blickfeld.
Bilanz
Dieses Buch ist deshalb so
hilfreich, weil hier in leicht verständlicher Sprache Kulturtheorien der
Gegenwart diskutiert werden und von daher die Frage nach dem Sinn des
interkulturellen Philosophierens gestellt wird. Damit legt der Verfasser den
Weg zu einem Geschichtsbewusstsein frei, das sich für kritische Diskurse
offenhält, aber noch mehr: Er baut korrelativ ein systematisch-dialogisches
Strukturmuster auf, in dem Texte, Quellen und Themenfelder ausführlich
berücksichtigt werden. Dies dürfte darum das erste didaktisch ausgerichtete
Buch der Interkulturellen Philosophie im deutschsprachigen Raum sein und weist
damit in neue und ungewohnte Denkhorizonte ein – gerade in den Bezügen zwischen
Orient und Okzident.
Die LeserInnen
müssen keine speziellen philosophischen Vorkenntnisse mitbringen, weil
methodische Klarheit das Buch durchzieht. Es ist strukturiert durch optische Verdeutlichung
in Beispielen, Erklärungsversuchen, Merkkästen und Abbildungen. So findet
man/frau leicht die zugehörigen Schaubilder, die zusammenfassenden Merksätze
und orientierende Fragestellungen sowie praktische Übungsaufgaben für jeden
Abschnitt. Diese methodischen Verdeutlichungen erhöhen die Möglichkeit des
erinnernden Nachlesens und die Sachorientierung insgesamt. So ist ein Lehrbuch entstanden,
das nicht nur für Studierende der Philosophie, Theologie und Kulturwissenschaften
weiterführend sein dürfte, sondern dass jedem/jeder Interessierten ermöglicht,
das eigene Kulturenverständnis zu erweitern und eurozentrische Sichtweisen
abzulegen. Dadurch wird ein vertieftes Verständnis anderer Kulturtraditionen –
auch in ihren religiösen Zusammenhängen – ermöglicht. Zugleich aber wird
deutlich, dass es notwendig ist, die eigenen gegenwärtigen Standortbestimmungen
interkulturell und interreligiös vorzunehmen. Yousefis Buch bietet dafür eine konstruktive
Anleitung.
Reinhard Kirste
Von
Reaza Hamid Yousefi wurde bereits in den „Ein-Sichten“ besprochen:
- Dornenfelder (2011):
http://ein-sichten.blogs.rpi-virtuell.net/2011/12/04/identitatsfindung-in-durch-verschiedene-kulturen/ -
Als Herausgeber zusammen mit Hans Waldenfels und
Wolfgang Gantke:
Wege zur Religion (2010): http://ein-sichten.blogs.rpi-virtuell.net/2011/04/12/wege-zur-religion-wege-zu-religionen/
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