Sonntag, 25. August 2013

Mystische Stufenwege zu Gott



Peng-Keller, Simon (Hg.): Scala Divini Amoris – Stufen zur Gottesliebe
Ein mystischer Weisheitstext aus der Provence.

Aus der provenzalischen Sprache von Kurt Ruh.
Freiburg/Br. u.a.: Kreuz
2013, 112 S., Abb. --- ISBN 978-3-451-61214-5 ---
Kurzrezension: hier

Ausführliche Besprechung

„Weil Gott einfacher und subtiler ist als jedes Ding, das existieren kann, ergibt sich ebenso notwendig, und zwar zwingend notwendig, dass er näher und tiefer in jedem Geschmack und in jeder Sanftheit und in jedem Geruch und in jedem Gesang und in jeder Schönheit ist, als irgendeine dieser Erscheinungen es in sich selbst ist“ (S. 22).
In ähnlicher sinnlicher Direktheit klingt es durchgehend, wenn sich die Lesenden auf diesen mystischen Text aus der Zeit um 1300 einlassen. Über den Autor oder die Autorin erfährt man weiter nichts, außer dass er/sie aus der Provence stammt und vielleicht zum Schülerkreis Bonaventuras (1221–-1274) gehörte. Aber schon mit den ersten Worten merkt man, dass es hier um eine , lebensnahe Meditation geht, in der die fünf Sinne des Menschen – das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten –einen Stufenweg in fünf Etappen hin zur göttlichen Liebe ermöglichen.


Dieser Weg er-geht sich nicht in spirituellen Abstraktionen, sondern bleibt in seiner Intensität geradezu erdnah. So wird Gott durch die geschöpflich vermittelte schöne Einfachheit erfahren. Die Seele steigt zum „Palast der Liebe“ in der 5. Stufe auf, „das glänzende Antlitz von Jesus Christus“, „das glänzt und lacht in der Schönheit der Geschöpfe“. Sie spiegeln also fokussiert im Symbol des Christus „das ganze Paradies, weil dieser Spiegel all die Freuden und all das Ergötzen zeigt, das in Gott ist, weshalb die Geschöpfe davon nehmen werden, soviel sie vermögen“ (S. 55).

Mit der aktuellen Herausgabe dieses kleinen Buches hat der Privatdozent für Spiritualität an der Theologischen Hochschule Chur diesen poetisch-mystischen Text einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht und orientierend kommentiert, übersetzt von dem mystisch bewegten Mediävisten Kurt Ruh (1914–2002). Peng-Keller (Details: http://www.christliche-kontemplation.ch) arbeitet auch als Kontemplationsbegleiter im Lassalle-Haus, Schweiz (http://www.lassalle-haus.org/home.html) und im Geistlichen Zentrum St. Peter im Schwarzwald (http://www.geistliches-zentrum.org/). Darüber hinaus koordiniert er das Forschungsprojekt "Vertrauen am Lebensende" an der Universität Zürich (http://www.hermes.uzh.ch/forschung/nfp67-vertrauen-am-lebensende.html)
Die Scala, Stufenweg, Treppe oder Leiter, hin zur göttlichen Tiefenerfahrung ist in der mittelalterlichen Mystik ein recht gebräuchliches Symbol, um am Ziel in die letztlich unaussprechliche Wirklichkeit der unio mystica einzutauchen. Bei den einzelnen Mystikern gibt es unterschiedliche „Weg-Beschreibungen“ dorthin. Das Bild der „Scala“ wird manche an Teresa von Avilas Lebensstufen zur inneren Burg erinnern, interreligiös Interessierten wird die die Nähe zu Formulierungen der Schönheit Gottes auffallen, wie sie im mystischen Islam (z.B. bei Rumi) besonders ausdrucksstark formuliert wird. Annemarie Schimmel und Navid Kermani haben sich intensiv gerade mit dieser Hin-Sicht zu Gott befasst. Peng-Keller erinnert in seinem Kommentar an die spirituelle Nähe der Scala zu Mechthild von Magdeburg bzw. die Beginenbewegung und zur franziskanisch mystischen Weltsicht, die solch wunderbare Texte wie den „Sonnengesang“ hervorbrachte.
In diesem Zusammenhang hebt der Herausgeber eine die Kulturen übergreifende Besonderheit zum Verstehen der Scala hervor. Im Geschichtsmodell der Achsenzeit lässt sich an den spirituellen Suchbewegungen zeigen, dass es zeitlich vor dem Christentum durch Sokrates und Platon eine Einkehr nach Innen gegeben hat. Das Christentum nahm diese Tendenz teilweise über den Neuplatonismus auf. Damit wurde eine Befreiung von sozialen und materiellen Zwängen ermöglicht, ohne dass dies in die soziale und politische Abstinenz führen musste. 
Die eigene Lebensgeschichte verdeutlichte sich in mehreren Phasen:
1. die Lebensgeschichte als staunendes Entdecken in der Kindheit
2. Die Erforschung des Selbst  im weiteren Leben;
3. Die spirituelle Wendung nach innen.
Allerdings wurde die kindlich staunende Wahr-Nehmung der Welt in der mittelalterlichen Kontemplation oft zu sehr ausgeblendet, allerdings nicht bei vielen großen Mystikern wie Hildegard von Bingen und Meister Eckhart. 

Eine erneute Ausrichtung auf die Sinnlichkeit geschieht seit dem 20. Jahrhundert. Dorothee Sölle dürfte mit „Mystik und Widerstand“ (1997) die beeindruckendste Protagonistin dieses spirituellen Verständnisses sein. Aber schon zuvor hat Karl Rahner mit seiner Betonung der „Andacht zur Welt“ darauf hingewiesen.[1] Sein mehrfach abgewandeltes und oft zitiertes Wort hat geradezu prophetischen Klang: „Der Fromme der Zukunft wird ein Mystiker sein, einer, der Gott erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“ [2]

Was für die christliche Mystik gilt, lässt sich auch in anderen Religionen beobachten: Durch den vietnamesischen Mönch Thich Nhat Hanh ist der Gedanke des „Engagierten Buddhismus“ weiter vermittelt worden. Auch in der islamischen Mystik wird aktives und meditatives Leben intensiv zusammengedacht, was viele Sufis in Konflikt mit den Herrschenden brachte und gerade im Mittleren Osten noch bringt. Im Weiterdenken der Scala zeigt sich, dass Weltbezogenheit nicht nur ein Kennzeichen christlicher Kontemplation ist. Gottesliebe steht generell nicht im Gegensatz zur Weltoffenheit, sondern ist deren Voraussetzung (S. 110). So erscheint mir die Scala geradezu als ein interreligiöser Brückentext: Mit den fünf Sinnen, nicht in einem asketischen Kraftakt und durch spirituelle Extrem-Anstrengung, sondern „einfach“ aus der fünffachen Wahrnehmung des Geschöpflichen als (keineswegs immer klarer) Spiegel des Schöpfers geht der Weg hin zur Einswerdung mit der göttlichen Liebe (S. 111). Dies geschieht nicht in einem fernen jenseitigen Himmel, sondern im Heute und Hier, so dass jedes Heute ein Heute Gottes ist. Wer hätte gedacht, dass ein über 700 Jahre alter Text so Sinn findend aktuell sein kann!
Reinhard Kirste
 
Rz-Scala Divini Amoris, 25.08.13


[1]   Karl Rahner: Über das Problem des Stufenweges zur christlichen Vollendung.
In: Geist und Leben“. Zeitschrift für Aszese und Mystik 1944, S. 65-78:
http://www.geistundleben.de/component/docman/doc_download/807-19-1944-3-4-065-078-rahner-0.html
[2]  Ders.: Frömmigkeit heute und morgen. In: Geist und Leben. Zeitschrift für Aszese und Mystik 1966, 326-342, hier S. 335

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