Peng-Keller, Simon (Hg.): Scala Divini Amoris – Stufen zur Gottesliebe
Ein mystischer Weisheitstext aus der Provence.
Aus der provenzalischen Sprache von Kurt Ruh.
Freiburg/Br. u.a.: Kreuz 2013, 112 S., Abb. --- ISBN 978-3-451-61214-5 ---
Ein mystischer Weisheitstext aus der Provence.
Aus der provenzalischen Sprache von Kurt Ruh.
Freiburg/Br. u.a.: Kreuz 2013, 112 S., Abb. --- ISBN 978-3-451-61214-5 ---
Ausführliche Besprechung
„Weil Gott einfacher und
subtiler ist als jedes Ding, das existieren kann, ergibt sich ebenso notwendig,
und zwar zwingend notwendig, dass er näher und tiefer in jedem Geschmack und in
jeder Sanftheit und in jedem Geruch und in jedem Gesang und in jeder Schönheit
ist, als irgendeine dieser Erscheinungen es in sich selbst ist“ (S. 22).
In ähnlicher sinnlicher
Direktheit klingt es durchgehend, wenn sich die Lesenden auf diesen mystischen
Text aus
der Zeit um 1300 einlassen. Über den Autor oder die Autorin erfährt man weiter
nichts, außer dass er/sie aus der Provence stammt und vielleicht zum Schülerkreis
Bonaventuras (1221–-1274) gehörte. Aber schon mit den ersten Worten merkt man,
dass es hier um eine , lebensnahe Meditation geht, in der die fünf Sinne des
Menschen – das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten –einen Stufenweg in
fünf Etappen hin zur göttlichen Liebe ermöglichen.
Dieser Weg er-geht sich nicht in spirituellen
Abstraktionen, sondern bleibt in seiner Intensität geradezu erdnah. So wird
Gott durch die geschöpflich vermittelte schöne Einfachheit erfahren. Die Seele
steigt zum „Palast der Liebe“ in der 5. Stufe auf, „das glänzende Antlitz von
Jesus Christus“, „das glänzt und lacht in der Schönheit der Geschöpfe“. Sie
spiegeln also fokussiert im Symbol des Christus „das ganze Paradies, weil
dieser Spiegel all die Freuden und all das Ergötzen zeigt, das in Gott ist,
weshalb die Geschöpfe davon nehmen werden, soviel sie vermögen“ (S. 55).
Mit
der aktuellen Herausgabe dieses kleinen Buches hat der Privatdozent für
Spiritualität an der Theologischen Hochschule Chur diesen poetisch-mystischen
Text einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht und orientierend kommentiert,
übersetzt von dem mystisch bewegten Mediävisten Kurt Ruh (1914–2002). Peng-Keller
(Details:
http://www.christliche-kontemplation.ch) arbeitet auch als Kontemplationsbegleiter
im Lassalle-Haus, Schweiz (http://www.lassalle-haus.org/home.html) und im Geistlichen
Zentrum St. Peter im Schwarzwald (http://www.geistliches-zentrum.org/). Darüber hinaus
koordiniert er das Forschungsprojekt "Vertrauen am Lebensende" an der
Universität Zürich (http://www.hermes.uzh.ch/forschung/nfp67-vertrauen-am-lebensende.html)
Die Scala,
Stufenweg, Treppe oder Leiter, hin zur göttlichen Tiefenerfahrung ist in der
mittelalterlichen Mystik ein recht gebräuchliches Symbol, um am Ziel in die
letztlich unaussprechliche Wirklichkeit der unio
mystica einzutauchen. Bei den einzelnen Mystikern gibt es unterschiedliche
„Weg-Beschreibungen“ dorthin. Das Bild der „Scala“ wird manche an Teresa von
Avilas Lebensstufen zur inneren Burg erinnern, interreligiös Interessierten
wird die die Nähe zu Formulierungen der Schönheit Gottes auffallen, wie sie im
mystischen Islam (z.B. bei Rumi) besonders ausdrucksstark formuliert wird. Annemarie Schimmel und Navid Kermani haben sich intensiv gerade
mit dieser Hin-Sicht zu Gott befasst. Peng-Keller erinnert in seinem Kommentar an
die spirituelle Nähe der Scala zu
Mechthild von Magdeburg bzw. die Beginenbewegung und zur franziskanisch
mystischen Weltsicht, die solch wunderbare Texte wie den „Sonnengesang“
hervorbrachte.
In diesem Zusammenhang hebt der Herausgeber
eine die Kulturen übergreifende Besonderheit zum Verstehen der Scala hervor. Im Geschichtsmodell der
Achsenzeit lässt sich an den spirituellen Suchbewegungen zeigen, dass es
zeitlich vor dem Christentum durch
Sokrates und Platon eine Einkehr nach Innen gegeben hat. Das Christentum nahm
diese Tendenz teilweise über den Neuplatonismus auf. Damit wurde eine Befreiung
von sozialen und materiellen Zwängen ermöglicht, ohne dass dies in die soziale
und politische Abstinenz führen musste.
Die eigene Lebensgeschichte
verdeutlichte sich in mehreren Phasen:
1. die Lebensgeschichte als staunendes Entdecken in der Kindheit
2. Die Erforschung des Selbst im weiteren Leben;
3. Die spirituelle Wendung nach innen.
Allerdings wurde die kindlich staunende Wahr-Nehmung der Welt in der mittelalterlichen Kontemplation oft zu sehr ausgeblendet, allerdings nicht bei vielen großen Mystikern wie Hildegard von Bingen und Meister Eckhart.
1. die Lebensgeschichte als staunendes Entdecken in der Kindheit
2. Die Erforschung des Selbst im weiteren Leben;
3. Die spirituelle Wendung nach innen.
Allerdings wurde die kindlich staunende Wahr-Nehmung der Welt in der mittelalterlichen Kontemplation oft zu sehr ausgeblendet, allerdings nicht bei vielen großen Mystikern wie Hildegard von Bingen und Meister Eckhart.
Eine erneute Ausrichtung auf die Sinnlichkeit
geschieht seit dem 20. Jahrhundert. Dorothee Sölle dürfte mit „Mystik und
Widerstand“ (1997) die beeindruckendste Protagonistin dieses spirituellen
Verständnisses sein. Aber schon zuvor hat Karl Rahner mit seiner Betonung der
„Andacht zur Welt“ darauf hingewiesen.[1] Sein mehrfach abgewandeltes
und oft zitiertes Wort hat geradezu prophetischen Klang: „Der Fromme der
Zukunft wird ein Mystiker sein, einer, der Gott erfahren hat, oder er wird
nicht mehr sein.“ [2]
Was
für die christliche Mystik gilt, lässt sich auch in anderen Religionen
beobachten: Durch den vietnamesischen Mönch Thich Nhat Hanh ist der Gedanke des
„Engagierten Buddhismus“ weiter vermittelt worden. Auch in der islamischen
Mystik wird aktives und meditatives Leben intensiv zusammengedacht, was viele
Sufis in Konflikt mit den Herrschenden brachte und gerade im Mittleren Osten
noch bringt. Im Weiterdenken der Scala
zeigt sich, dass Weltbezogenheit nicht nur ein Kennzeichen christlicher
Kontemplation ist. Gottesliebe steht generell nicht im Gegensatz zur
Weltoffenheit, sondern ist deren Voraussetzung (S. 110). So erscheint mir die Scala geradezu als ein interreligiöser
Brückentext: Mit den fünf Sinnen, nicht in einem asketischen Kraftakt und durch
spirituelle Extrem-Anstrengung, sondern „einfach“ aus der fünffachen
Wahrnehmung des Geschöpflichen als (keineswegs immer klarer) Spiegel des
Schöpfers geht der Weg hin zur Einswerdung mit der göttlichen Liebe (S. 111).
Dies geschieht nicht in einem fernen jenseitigen Himmel, sondern im Heute und
Hier, so dass jedes Heute ein Heute Gottes ist. Wer hätte gedacht, dass ein
über 700 Jahre alter Text so Sinn findend aktuell sein kann!
Reinhard Kirste
[1] Karl Rahner: Über das Problem des Stufenweges zur
christlichen Vollendung.
In: Geist und Leben“. Zeitschrift für Aszese und Mystik 1944, S. 65-78:
http://www.geistundleben.de/component/docman/doc_download/807-19-1944-3-4-065-078-rahner-0.html
In: Geist und Leben“. Zeitschrift für Aszese und Mystik 1944, S. 65-78:
http://www.geistundleben.de/component/docman/doc_download/807-19-1944-3-4-065-078-rahner-0.html
[2] Ders.: Frömmigkeit heute und morgen. In:
Geist und Leben. Zeitschrift
für Aszese und Mystik 1966, 326-342, hier S. 335
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