Peter Schreiner: Religion im Kontext einer
Europäisierung von Bildung. Eine Rekonstruktion europäischer Diskurse und
Entwicklungen aus protestantischer Perspektive.
Religious Diversity and Education in Europe,
Vol. 22. Münster u.a.: Waxmann 2012, 402 S.
(zugleich Dissertation Universitäten Erlangen-Nürnberg
und Vrije Universiteit Amsterdam 2012) --- ISBN 978-3-8309-2801-0 ---
Religious Diversity and Education in Europe,
Vol. 22. Münster u.a.: Waxmann 2012, 402 S.
(zugleich Dissertation Universitäten Erlangen-Nürnberg
und Vrije Universiteit Amsterdam 2012) --- ISBN 978-3-8309-2801-0 ---
Rezension von Prof. Dr. Martin Schreiner
(Universität Hildesheim),
zuerst erschienen in:
Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 12 (2013), H.1, 187-279
im Rahmen einer umfassenden Sammelrezension:
Von „Globalisierte Religion“ über „Empathische Bibeldidaktik“ bis zum „Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen“– Beachtenswerte Neuerscheinungen für die religionspädagogische Handbibliothek.
zuerst erschienen in:
Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 12 (2013), H.1, 187-279
im Rahmen einer umfassenden Sammelrezension:
Von „Globalisierte Religion“ über „Empathische Bibeldidaktik“ bis zum „Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen“– Beachtenswerte Neuerscheinungen für die religionspädagogische Handbibliothek.
Die
jeweiligen Schwerpunkte der hier ausgewählten Besprechung sind redaktionell
durch Fettschreibung hervorgehoben!
Die
Gesamtbesprechung kann eingesehen werden unter:
http://www.theo-web.de/zeitschrift/ausgabe-2013-01/15.pdf
http://www.theo-web.de/zeitschrift/ausgabe-2013-01/15.pdf
Der
Rezensent betont insgesamt die Wichtigkeit dieser vorgelegten Situationsanalyse
und beginnt mit der klar konturierten Zielrichtung, die Peter Schreiner in seiner
Einleitung formuliert und damit zugleich den europäischen Bildungshorizont unter
religiöser Fokussierung anspricht:
„>In
der Studie wird die Bedeutung von Religion im Kontext einer Europäisierung von
Bildung untersucht. Ein Ausgangspunkt ist dabei, dass europäische Prozesse in vielfältiger Weise auf nationale Bildungs-
und Ausbildungssysteme einwirken (Europäisierung von Bildung) und dass die
europäischen Institutionen, der Europarat und die Europäische Union, zentrale
Akteure in der Veranlassung und der Entwicklung dieser Prozesse sind. Ihre
Positionen und ihre inhaltlichen Konzepte materialisieren sich dabei in
zahlreichen politischen Dokumenten, die bislang im Rahmen der Forschung noch
nicht hinreichend beachtet und untersucht wurden. Es werden für die Studie
solche Dokumente herangezogen, in denen sich ein Zusammenhang von Religion und Bildung vermuten lässt. Unter
Verwendung eines hypothesengenerierenden qualitativen methodischen Verfahrens werden die ausgewählten Dokumente
analysiert. Ergebnisse der Analyse werden, orientiert an den zentralen Kategorien ‚Religion‘ und
‚Bildung‘, zusammenfassend dargestellt und von einer protestantischen
Perspektive aus diskutiert. Die Studie wird mit einem Resümee und mit
Anregungen zur Weiterentwicklung der Forschung sowie für Bildungspolitik und
eine weitergehende Europäisierung evangelischer Bildungsverantwortung
abgeschlossen< (11).
Für die
Untersuchung von möglichen Beziehungen zwischen Religion im Kontext einer
Europäisierung von Bildung sind für den Verfasser folgende Fragen leitend: >Inwieweit
wird Religion im Kontext einer Europäisierung von Bildung thematisiert? Welche
Konzepte, Vorstellungen, Bilder und Stereotypen von Bildung und Religion finden
sich im Rahmen einer Europäisierung von Bildung? Das Ziel (TheoWeb S. 194) der
Studie besteht in der Rekonstruktion von
Konzepten von Religion und Bildung anhand ausgewählter Dokumente des
Europarates und der Europäischen Union. Es
soll analysiert werden, ob und mit welcher Zielsetzung Religion im Rahmen einer
Europäisierung von Bildung thematisiert wird. Es wird danach gefragt, welche
Merkmale die verwendeten Konzepte von Bildung und Religion aufweisen und
welchen Stellenwert ihnen beigemessen
wird. Ergebnisse der Inhaltsanalyse
werden von einer protestantischen Perspektive her diskutiert.
Anregungspotenzial wird erwartet für eine bildungspolitische
Verortung der Evangelischen Kirche in Deutschland, anderer nationaler Kirchen
wie auch für die Zusammenschlüsse christlicher Kirchen in Europa, deren
Beitrag im Rahmen europäischer Diskurse zu Religion und Bildung gefordert ist<
(21).
Die
Untersuchung ist wie folgt aufgebaut: >In Kapitel zwei werden theoretische
Grundlegungen formuliert, die einen Zusammenhang von Europa, Bildung und
Religion herstellen. Dazu werden zunächst wesentliche
Bestimmungsfelder für die Beziehung von Bildung und europäischer Integration
rekonstruiert (2.1) Die Geschichte der
europäischen Integration wird zusammenfassend dargestellt mit einem
besonderen Fokus auf der schrittweisen Bedeutungszunahme von Bildung im Rahmen
der Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften zur heutigen
werteorientierten Europäischen Union. Als Ergebnis der Sichtung vorliegender
Darstellungen werden drei Phasen unterschieden:
(1)
Vorgeschichte und beginnende Kooperation im
Bildungsbereich
(2) Neue Rechtsgrundlage mit dem Vertrag von Maastricht (ab 1993)
(3) Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung in eine übergreifende politische und ökonomische Strategie (ab der 2000 verabschiedeten Lissabon-Strategie).
(2) Neue Rechtsgrundlage mit dem Vertrag von Maastricht (ab 1993)
(3) Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung in eine übergreifende politische und ökonomische Strategie (ab der 2000 verabschiedeten Lissabon-Strategie).
Religion
hat sich zu einer Dimension und zugleich zu einer Herausforderung im Rahmen des
Diskurses um gemeinsame Werte in Europa entwickelt. Dies begründet sich in
einem erneuerten öffentlichen Interesse
an Religion und sich dadurch verändernden Wahrnehmungen auch im Rahmen der
europäischen politischen Institutionen (vgl. Kap. 2.2). Im wissenschaftlichen
Diskurs sind vermeintliche Sicherheiten im Umgang mit Religion fraglich
geworden, und es haben sich neue Forschungsperspektiven entwickelt. Kapitel
drei stellt Methode und Prozess der
Durchführung vor. Das zentrale Kapitel vier enthält die Analysen und Rekonstruktionen der
ausgewählten Dokumente des Europarates und der Europäischen Union und einen
Exkurs zu einigen ausgewählten Dokumenten europäischer kirchlicher
Zusammenschlüsse, die sich auf konkrete Entwicklungen der europäischen
Integration beziehen lassen. Die Ergebnisse der Analyse werden anschließend in
Kapitel fünf zusammenfassend anhand der zentralen
Kategorien Religion und Bildung im Spannungsfeld nationaler und europäischer
Kontexte sowie den auf der Grundlage
der Untersuchung entwickelten Subkategorien diskutiert (Kapitel 5.1). Dazu wird
eine protestantischen Perspektive
als Spiegel und Reflexionsbrille verwendet (Kapitel 5.2), einerseits aufgrund
des Erkenntnisinteresses des Autors, zum anderen aufgrund der Einsicht, dass
sich Religion nicht abstrakt manifestiert, sondern in Form bestimmter
historisch entwickelter Konfessionen und kontextueller Perspektiven darstellt,
die zu benennen sind, wenn es um eine nachvollziehbare, valide Analyse geht.
Abschließend wird ein Resümee gezogen, die Studie forschungsmethodisch
reflektiert und Anregungen sowohl für die Weiterentwicklung der Forschung als
auch für Bildungspolitik und die Europäisierung evangelischer
Bildungsverantwortung gegeben (Kapitel 5.3)< (21f).
Spannend
liest sich unter anderem auch die Zusammenfassung
der Ergebnisse:
>Ein
erstes Ergebnis ist der Unterschied, wie die Beziehungen von Religion und
Bildung in den Dokumenten des Europarates und der Europäischen Union überhaupt
thematisiert werden. Während diese Beziehungen in den Europaratsdokumenten explizit (TheoWeb195) thematisiert und
diskutiert werden, findet sich dieser Zusammenhang in Dokumenten der
Europäischen Union nur in indirekter Weise. Religion: In den Dokumenten des
Europarates lassen sich analytisch drei
Perspektiven von Religion unterscheiden:
Religion als Privatsache, Religion in
kollektiver und organisierter Form und Religion als kulturelles Faktum. In diachronischer
Perspektive lässt sich analytisch nachweisen, dass Religion als Privatsache
eine durchgängig in den Dokumenten verwendete und etablierte Perspektive
darstellt; es kommt hinzu, dass die organisierte Religion im Laufe der letzten
Jahre zunehmend positiv wahrgenommen wird. Grundlage dieser Aussage ist ein
Vergleich vorliegender Konzepte in Dokumenten, die zwischen 1993 und 2011
entstanden sind. Die Übereinkunft,
Religion zumindest als kulturelles Faktum zu betrachten, findet sich als
Minimalkonsens in aktuellen Dokumenten des Europarates. Religion: In den
Dokumenten der Europäischen Union lässt sich kein explizites Konzept von
Religion finden, die EU respektiert
jedoch den rechtlichen Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften und
die bestehenden Beziehungen von Staat und Kirche in den Mitgliedstaaten. Die EU
organisiert auch einen regelmäßigen Dialog mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Bildung: Im Rahmen
des Europarates wird Bildung hoch gewichtet und positiv als ‚Problemlösung‘
verstanden. Allerdings lässt sich in den analysierten Dokumenten keine
weitergehende, differenzierte Auseinandersetzung mit dem Konzept Bildung finden. Im Kontext der EU wird Bildung zunehmend
europäisiert, ihr wird eine spezifische Rolle und Funktion zugesprochen im
Blick auf Wirtschafts- und Wachstumsinteressen. Lebenslanges Lernen wurde als übergreifendes Prinzip für die
Entwicklung der EU zu einer zukunftsfähigen Wissensgesellschaft etabliert, das
zugleich zum Bewusstseins einer europäischen Bürgerschaft beitragen soll, die
auf Verständigung, dem Respekt für Menschenrechte und Demokratie ebenso beruht
wie auf der Förderung von Toleranz und Respekt für andere Völker und Kulturen.
Religion und religiöse Bildung: Ein expliziter Zusammenhang von Bildung und
Religion wird in den Dokumenten des
Europarates thematisiert. Dabei wird die Position eines ‚teaching about religions‘ präferiert, die in der Vermittlung von Wissen
den Zweck religiöser Bildung erfüllt sieht. Die Vielfalt bestehender Konzepte
eines Religionsunterrichts in den Schulen Europas und damit verbundene
Erfahrungen werden nicht aufgenommen und diskutiert. Bildung und Religion
werden im Rahmen der EU nicht explizit thematisiert, allerdings spielt der
Zusammenhang eine Rolle im intensiver werdenden Dialog mit Kirchen und
Religionsgemeinschaften. Zusammenfassend lassen sich im europäischen Kontext
zwei Tendenzen in der Beurteilung von Religion erkennen. Zum einen werden die Religionsgemeinschaften zunehmend zu
wertvollen Partnern der Politik bei der Gestaltung einer demokratischen
Gesellschaft, sofern sie sich an vorgegebene Rahmenbedingungen halten. Zum
anderen wird das Geflecht zwischen
Religion, Demokratie und Gesellschaft als facettenreich charakterisiert.
Das zeigt eine knappe Auflistung der Ausdifferenzierungen in der europäischen
Semantik, die im Rahmen der Analyse aufgewiesen werden konnten: Religion schwindet, nimmt jedoch
gesellschaftlich an Bedeutung zu; Religion ist Privatsache, aber eine
öffentlich bedeutsame Angelegenheit; Religion ist ein kulturelles Faktum,
aber für Gläubige bedeutet Religion weitaus mehr< (340f).
Die Diskussion der Ergebnisse erfolgt im
Rahmen dieser Studie aus einer protestantischen Perspektive und kann in drei
Punkten zusammengefasst werden:
>1. Aus einer protestantischen Perspektive kann
der Position einer Privatisierung von Religion und einer Marginalisierung
von Religion in der Öffentlichkeit nicht
zugestimmt werden. Die Forderung geht
vielmehr in Richtung einer stärker differenzierten Wahrnehmung (TheoWeb S.
196) von Religion, die Raum und
Möglichkeiten zulässt für Kirchen und
religiöse Gemeinschaften wie auch für gemeinsame Projekte und Aktionen zwischen Staat und den
Religionsgemeinschaften. Auf diese Weise kann auch einer Instrumentalisierung
der Religionsgemeinschaften für politische Interessen vorgebeugt werden.
2. Aus einer protestantischen Perspektive bedeutet Bildung mehr als die Förderung von Arbeitsmarktfähigkeit, Flexibilität und Mobilität. Orientiert an Maßen des Menschlichen wird ein ganzheitliches, multidimensionales Verständnis von Bildung vertreten, das sich komplementär versteht gegenüber einem Bildungsverständnis, das Fähigkeiten und Wissen zu Arbeitsmarktfähigkeit ins Zentrum stellt.
3. Schließlich lässt sich aus protestantischer Perspektive fordern, dass die Beziehung zwischen Religion und Bildung nicht auf einen Wissensaspekt, auf ein ‚teaching about religion‘ beschränkt wird. Die Vermittlung von Wissen sollte ergänzt werden durch die Beschäftigung mit anderen Aspekten von Religion, um ein Konzept einer religiösen Kompetenz zu fördern, das sich nicht auf die Vermittlung von Information und Wissen beschränkt, sondern ebenso Fähigkeiten, Einstellungen und volitionale Elemente umfasst, um mit der eigenen Religion wie mit der Religion des anderen in vielfältiger Weise umgehen zu können< (342).
2. Aus einer protestantischen Perspektive bedeutet Bildung mehr als die Förderung von Arbeitsmarktfähigkeit, Flexibilität und Mobilität. Orientiert an Maßen des Menschlichen wird ein ganzheitliches, multidimensionales Verständnis von Bildung vertreten, das sich komplementär versteht gegenüber einem Bildungsverständnis, das Fähigkeiten und Wissen zu Arbeitsmarktfähigkeit ins Zentrum stellt.
3. Schließlich lässt sich aus protestantischer Perspektive fordern, dass die Beziehung zwischen Religion und Bildung nicht auf einen Wissensaspekt, auf ein ‚teaching about religion‘ beschränkt wird. Die Vermittlung von Wissen sollte ergänzt werden durch die Beschäftigung mit anderen Aspekten von Religion, um ein Konzept einer religiösen Kompetenz zu fördern, das sich nicht auf die Vermittlung von Information und Wissen beschränkt, sondern ebenso Fähigkeiten, Einstellungen und volitionale Elemente umfasst, um mit der eigenen Religion wie mit der Religion des anderen in vielfältiger Weise umgehen zu können< (342).
Abschließend
leitet der Autor vier Perspektiven
ab:
>1. Für den Bereich der Forschung lässt sich festhalten,
dass europäische Entwicklungen im
Bereich Religion und Bildung aktiver wahrgenommen werden sollten. Die von der EU geförderte
Programmatik im Dreieck von Forschung – Innovation – Bildung wird in den
einzelnen Disziplinen und interdisziplinär noch wenig aufgenommen. Allerdings
bedarf es auch geeigneter europäischer Projektlinien, um Forschungs- und
Entwicklungsprojekte zu ermöglichen und zu unterstützen.
2. Das Konzept einer vertikalen und horizontalen Europäisierung sollte als Forschungsperspektive und analytisches Werkzeug, als leitendes Paradigma im interdisziplinären Diskurs, weiterentwickelt werden, u.a. in Relation zu anderen Prozessen der Globalisierung und zu Ansätzen einer kosmopolitischen Orientierung.
3. Der Dialog zwischen den Kirchen und Religionsgemeinschaften und den europäischen Institutionen sollte intensiviert werden. Ziel wäre dabei, zu einer zunehmenden Differenzierung im Religionsverständnis beizutragen und gemeinsame Herausforderungen zu identifizieren, die gemeinsam bearbeitet werden können.
4. Die Position des Protestantismus zu Bildung und Gesellschaft, aber auch zum Verhältnis von Religion und Öffentlichkeit und zur Funktion von Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Zivilgesellschaft, sollte aktiver in den europäischen Diskurs eingebracht werden. Dazu kann eine intensivere Zusammenarbeit im Rahmen der KEK und der GEKE im Blick auf ihre Bildungsinitiativen beitragen< (343).“
2. Das Konzept einer vertikalen und horizontalen Europäisierung sollte als Forschungsperspektive und analytisches Werkzeug, als leitendes Paradigma im interdisziplinären Diskurs, weiterentwickelt werden, u.a. in Relation zu anderen Prozessen der Globalisierung und zu Ansätzen einer kosmopolitischen Orientierung.
3. Der Dialog zwischen den Kirchen und Religionsgemeinschaften und den europäischen Institutionen sollte intensiviert werden. Ziel wäre dabei, zu einer zunehmenden Differenzierung im Religionsverständnis beizutragen und gemeinsame Herausforderungen zu identifizieren, die gemeinsam bearbeitet werden können.
4. Die Position des Protestantismus zu Bildung und Gesellschaft, aber auch zum Verhältnis von Religion und Öffentlichkeit und zur Funktion von Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Zivilgesellschaft, sollte aktiver in den europäischen Diskurs eingebracht werden. Dazu kann eine intensivere Zusammenarbeit im Rahmen der KEK und der GEKE im Blick auf ihre Bildungsinitiativen beitragen< (343).“
Martin Schreiner
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