Freitag, 1. November 2013

Buch des Monats November 2013: Buddhismus, Schamanismus und der Westen



Volker Zotz (Hg.): Schnittstellen. Buddhistische Begegnungen mit Schamanismus und westlicher Kultur. Festschrift für Armin Gottmann zum 70. Geburtstag.
Luxemburg: Kairos Edition 2013, 182 S., Abb., kommentierte Auswahlbibliografie (Renate Huf)
--- ISBN 978-2-919771-04-2 ---

Ausführliche Beschreibung
Der aus Berlin stammende Armin Gottmann (geb. 26.05.1943) ist ein echter Grenzgänger: Neurologe, Psychotherapeut und Yoga-Lehrer. Seine besonders intensive Verbindung zum Buddhismus drückt sich darin aus, dass er bereits seit 1999 der weltweite Leiter des Ordens Arya Maitreya Mandala: http://www.lama-govinda.de/ ist, den der berühmte Lama Anagarika Govinda (alias Lothar Ernst Hofmann, 1898-1985) gründete.
Der aus Wien stammende und an den Universitäten Luxemburg und Saarbrücken lehrende Religionswissenschaftler Volker Zotz hat sich besonders mit den Fragen der Rezeption des Buddhismus in Europa beschäftigt. Er gilt als ausgewiesener Kenner der buddhistischen und konfuzianischen Geistesgeschichte.


Vor uns liegt eine Festschrift nicht der üblichen Art, vielmehr zeigt sich hier, wie im Kontext eines Buddhismus mit vorbuddhistischen Elementen westliche Erfahrungen mit einbezogen werden.
Die von der Sozialanthropologin Birgit Zotz einleitend vorgestellte Biografie Gottmanns zeigt ihn darum „als einen Vermittler von Yoga und Buddhismus und den Yoga als eine Fortführung europäischer Psychotherapie (S. 30). Eine kommentierte Auswahlbibliografie der Kunsthistorikerin und Montessori-Heilpädagogin Renate Huf ermöglicht weitere vertiefende Informationen.

Dann gehen die kompetenten Autoren zum einen dem Zusammenhang von Buddhismus und Schamanismus nach, zum andern diskutieren sie den Buddhismus als asiatischer Religion mit den „Schnittstellen“ westlicher Kultur. Der Herausgeber hält darum bereits in der Einleitung fest: „Die Bewegung des Buddhismus lässt sich … als eine Vielzahl miteinander verflochtener offener kommunikativer Prozesse charakterisieren, in deren Verlauf Inhalte ineinander fließen und aufeinander reagieren“ (S. 13). Interaktionen, „cross-cultural“-Prozesse lassen sich nicht festschreiben, insofern leuchtet dieses Buch nur einzelne Brennpunkte aus – in der Entwicklung von frühen Texten der indischen Upanishaden bis in die interreligiösen Begegnungen der heutigen Zeit.
Der Amsterdamer Psychologe und Indologe Robert Janssen plädiert mit Mircea Eliade dafür, den Schamanismus-Begriff nicht zu weit zu fassen, um die Entwicklung des ekstatisch nordasiatischen Schamanismus deutlicher zu konturieren. Dieser verbindet sich mit Riten und Mythen Tibets sowie mit dem dort eingewanderten Buddhismus. Das gilt bis hin zum Tibetischen Totenbuch und seiner Kosmologie. Trotz verwandter Symbolik spielen im Buddhismus dann allerdings die meditativen, nicht-ekstatischen Elemente des Yoga eine wichtigere Rolle.
Auf der Ebene von Geisterglaube, Alchemie und durchweg möglicher Heilung mit entsprechenden Ritualen und Symbolen teilt die Wiener Sozialanthropologin Veronica Futterknecht einiges aus ihren Feldforschungen in Burma mit. Durch die Verbindung mit Elementen der traditionalen Vorgänger-Religiosität hat sich buddhistische Lebenspraxis in Burma im Sinne von Transformationsprozessen ausgesprochen eigenständig entwickelt.
An Lama Anagarika Govinda zeigt Birgit Zotz dessen Bewusstseinsveränderungen im Zusammenhang der Orakel-Tradition Tibets. Denn Govindas Weg geht von einem ursprünglich rational gelebten Buddhismus hin zu nicht-rational und zugleich das Wesen verändernden, prägenden Erfahrungen des Sufismus und der Séance-Erlebnisse in Tibet. Er sah sich so der Ur-Religion näherkommen, die auch in frühen buddhistischen Quellen durchscheint. Übrigens Govinda war keineswegs der einzige nüchtern-rationale Europäer, der sich von solchen Orakelsitzungen angezogen fühlte.
Der japanische Literaturwissenschaftler Yukio Kotani nimmt eine Reise des berühmten, esoterisch-buddhistischen Dichters Bashô (1644–1694) zum Anlass, die Tiefendimension dieses Unterwegssein im Sinne von Tod, dämonischen Abgründen und Wiedergeburt aufzunehmen. Dabei sieht er eine innere Nähe zu Goethes italienischer Reise. Weitere Gemeinsamkeiten mit Goethe kommen auch bei dem Lyriker Takarai Kikaku (1661-1707) und seinen Haikus zum Tragen.
Wie sieht es eigentlich in Europa mit der Rezeption des Buddhismus aus? Dieser Frage stellt sich am Beispiel der Koan-Sammlung des Bi-Yän-Lu der Wiener Ethnologe und Schriftsteller Heinz Pusitz. Der Autor gibt jedoch keine konkrete Antwort, denn im Sinne dieser Koans lässt sich nichts Richtiges und nichts Falsches in der Welt fest-stellen. De-Finitionen versagen, denn „was immer empfangen wird, wird der Art und Weise des Empfängers entsprechend empfangen“ (S. 127). Der Philosoph (und auch Anglist) Karl Neumann aus Klosterneuburg zeichnet die Spiegelungen und Variationen nach, die der Buddhismus bei dem katholisch sozialisierten Jack Kerouac (geb. 1922) „geworfen“ hat. Dieser Schriftsteller, ursprünglich politisch geprägt, dann als Poet und Literat mehr und mehr rauschhaft auftretend, hoffte auf Erleuchtung jenseits des Todes. Das beweist sein als Sutra angelegter Text „Golden Eternity“. Aber – sein Reden gegen den Tod behielt die Oberhand.
Ganz sachlich geht es im historisch ausgerichteten Beitrag von Volker Zotz zu, und zwar über den Vajrayâna-Buddhismus, den Diamantweg in Europa im Zusammenhang mit Lama Anagarika Govinda (1898-1985). Hier schließt sich der Kreis zum Jubilar Armin Gottmann, der in der Nachfolge der Meisters steht. In Verbindung mit Hans-Ulrich Rieker (1920-1979), Harry Pieper (1907-1978) und einigen anderen wird an Gottmann eine Kontinuität deutlich, die den Arya Maitreya Mandala westlich „inkulturierte“, und zwar mit der Gründung als „Westlicher Orden“ 1952 in Sanci (Indien) und in Berlin. Hier taucht ein Buddhismus ohne Dogmen auf, allerdings stark ritualisiert und dennoch buddhistischen Zielen aufs Tiefste verpflichtet. Dieser Westliche Orden hat nie große Zahlen erreicht, zeigt aber eine erstaunliche Facette eines auf Begegnung ausgerichteten Buddhismus.
Der vorliegende Band zu Ehren von Armin Gottmann ist dabei zu einem Kabinettstück west-östlicher Begegnung geworden, weil an asiatischer Spiritualität Interessierte hier einen grenzüberschreitenden Blick über die Flexibilität des Buddhismus erhalten.
Reinhard Kirste 
 
Rz-Zotz-Schnittstellen, 01.11.13

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