Michael Colsman: Bewusstsein,
konzentrative Meditation und ganzheitsorientiertes Menschenbild. Beiträge zu
einem Verstehen des Bewusstseins im Buddhismus und im integrativen Denken der
Neuzeit (v.a. bei Jean Gebser und Sri Aurobindo). Bochum : FGL-Verlag 2013, 563 S., Schaubilder,
ausführliches Personen- und Sachverzeichnis (zugl. Diss. Universität Oldenburg
2011) --- ISBN 978-3-9815759-0-3 ---
Unter dem Leitmotiv „Bewusstsein“
versucht der Psychotherapeut und Indologe Michael Colsman, eine Brücke
zwischen den verschiedenen Bewusstseinskonzepten in der (westlichen)
Psychologie und in den asiatischen Traditionen herzustellen. Dabei bezieht der
Autor auch Ergebnisse aus den Neurowissenschaften mit ein. Der
Kulturanthropologe Jean Gebser (1905–1973)
und der indische Yogameister Sri
Aurobindo (1872–1950) spielen eine herausragende Rolle, weil beide den
zentralen Gedanken der Ganzheitlichkeit als menschlich realisierbare
Möglichkeit betonen.
Offensichtlich können
„integrales Bewusstsein“ und „integraler Yoga“ als Verbindungsstücke zwischen
Ost und West dienen. Damit wird zugleich die Intention anvisiert,
wissenschaftliche Erkenntnisse und spirituelle Erfahrungen aufeinander
abzustimmen. Diese Tendenz im Spannungsfeld von Theorie und (Übungs-)Praxis
zieht sich durch die gesamte Dissertation von Michael Colsman.
In einem umfassenden Grundlagenteil
versucht er dafür erste Ergebnisse auf der psychologischen Ebene zu gewinnen,
um dann die jeweiligen Bewusstseinsverständnisse in der abendländischen, der indischen
und tibetischen Geistesgeschichte systematisierend zu beschreiben. Dann
untersucht er hinduistische und buddhistische Konzepte unter Eingrenzung auf
einzelne buddhistische Schulen. Unterschiedliche Bewusstseinsfelder umschreibt
er dafür auf dem Hintergrund der älteren Texte aus dem Pali-Buddhismus und
bezieht dann einzelne Mahayana-Schulen und speziell den tibetischen Buddhismus heran. All dies kann
natürlich angesichts der Materialfülle nur Auswahlcharakter haben. Diesem Grundlagenteil
folgt nach terminologischen Klärungen eine Art Übungsteil im Sinne einer
„konzentrativen Meditation“ auf buddhistischer Grundlage.
Methodisch geht Colsman phänomenologisch vor, indem er
sich auf das „Normalbewusstsein“ konzentriert. Von da aus bedenkt er empirisch
sich veränderte Bewusstseinsstufen und ergänzt diese Erkenntnisse unter
Berücksichtigung von Ergebnissen aus physiologischen und psychologischen
Messverfahren.
Bei seiner „integrativen Arbeitsdefinition von
Bewusstsein“ (S. 280–283) geht Colsman von dem nach außen orientierten
„Normalbewusstsein“ aus, das durch entsprechende Übungen sensibilisiert und
erweitert wird. Im weiteren Verlauf gelingt – wie die verschiedenen Konzepte
gerade im speziellen Teil seiner Arbeit zeigen – ein Zugang hin auf „eine
direkte tragfähige Verbindung zur höchsten Ebene der über das Weltliche
hinausgehenden Wahrheit bzw. Wirklichkeit. So kommt der konzentrativ
Meditierende schließlich zum „weisheitlichen Bewusstsein“ (S. 282) und kann
sich angesichts der vollen Verwirklichung spirituellen Erwachens auch auf
innerweltlicher Ebene voll integrativ entfalten“ (S. 282f).
Was hier als
Definition vorweggenommen wurde, beginnt im
Grundlagenteil mit einer Eingrenzung
und Präzisierung des Bewusstseinsbegriffs. Hier werden menschliche Bewusstseinsebenen
im Zusammenhang von pathologischen, meditativen und kontemplativen
Veränderungen angesprochen. Colsman interessieren dann besonders die Übergänge
vom „Normalen“ zu höheren Bewusstseinsebenen. Dieser Gedankengang wird durch die
Darstellung geschichtlicher Entwicklungen zum Bewusstseinsbegriff insgesamt unterbrochen.
So folgt ein Überblick aus Sicht der Philosophiegeschichte, der Soziologie und
der Neurowissenschaften, um von da die meditativ-kontemplativ veränderten Bewusstseinszustände
zu bedenken, wie sie im Abendland eine Rolle spiel(t)en. Dem werden die Positionen
von Sri Aurobindo, dem Pali-Buddhismus und mehrerer anderer Schulen des
Buddhismus bis hin zum Yogachara (= Ausüben des Yoga) und dem
tibetisch-tantrischen Buddhismus gegenüber gestellt.
Im speziellen Teil folgt eine Orientierung
im Blick auf die buddhistische konzentrative Meditation mit den entsprechenden Bewusstseinsübungen,
um eine „höhere“ Sammlung zu erreichen. Dazu gehören neben der übenden
Vorbereitung, der Beachtung der Körperhaltung, die „Inhalte“ der Meditation und
spirituelle Wegmarkierungen hin zu „feinkörperlich-formhaften Versenkungsstufen“
(S. 320ff). Sie gipfeln in der Auflösung der Dualität. Was hier mehr allgemein
gesagt wird, präzisiert Colsman an Elementen der Mahayana-Tradition, aber
ebenso an „eigentlichen konzentrativen Erreichungszuständen“ (S. 373) bis hin
zu den „vier unkörperlich-formfreien Versenkungsstufen“ der Unendlichkeit von
Raum und Bewusstsein, der Nichtsheit und dem „Schwebezustand zwischen (dual
unterscheidenden Erkennen und Nicht-Erkennen“ (S. 397).
Im Anhang, beschäftigt sich der Autor zur
Verdeutlichung von Bewusstseinsstrukturen im Buddhismus mit der Mahāyāna-Lehre
von den "Drei Körpern"– Trikaya
als Modi des vollkommenen Buddha. Hier geht es um das wahre Wesen der
Buddhanatur als Dharmakaya = Einsein
im kosmischen Bewusstsein, um die Verkörperung der Wahrheit im „Reinen Land“,
also um die Erleuchtung = Sambhogakaya
und um den Körper der Verwandlung – Nirmanankaya
als strahlende Transformation höchster Wirklichkeit und fundamentaler Wahrheit
der Leere.
Bilanz
Überblickt man das Ganze, so tritt der dialogische
Ansatz Colmans in der Deutung östlicher und westlicher Seinsweisen klar hervor.
Dies wird im Spannungsbogen von spiritueller Realisierung und
westlich-wissenschaftlicher Analyse an Sri Aurobindo und dem allerdings umstrittenen
Jean Gebser „durchgespielt“ – im Sinne von „integralem“ Bewusstsein“ bei Gebser
und „integralem“ Yoga bei Sri Aurobindo. So scheinen die Interpretationen buddhistischer
Bewusstseinszustände durch die Linse dieser beiden Persönlichkeiten gebrochen zu sein. Gebsers
kulturanthropologisches Modell zum Verständnis in der abendländischen Geschichte
(vgl. S. 48ff) gewinnt faktisch eine hermeneutische Leitfunktion für die
Gegenwart (Vgl. „Integrality and Embodiment in Jean Gebser and Sri Aurobindo“ von
Debashish Banerji: http://www.sciy.org/?p=9062).
Das hat auch Auslegungskonsequenzen für die angesprochenen asiatischen
Traditionen.
Nun macht es die hier vorgelegte Dissertationsfülle allerdings nicht
leicht, die Menschenbilder von Jean Gebser und Sri Aurobindo auf eine
umfassende Anthropologie hin zu diskutieren. Bei einer verkürzenden Straffung des
Textes (besonders der Anmerkungen) ließe sich mit dem Autor leichter bedenken, wie
weit das Verständnis ganzheitlicher Ansätze nicht dogmatisch fixiert, sondern im
Sinne unberechenbarer Erfahrung offen bleibt.
Reinhard Kirste
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