Dienstag, 13. Mai 2014

Begegnungen mit der Hebräischen Bibel, dem Alten Testament



Johannes Marböck: Faszination Bibel. 
Hg.: Franz Kogler / Irmtraud Fischer / Franz Hubmann
Theologie im kulturellen Dialog, Bd.27.
Innsbruck-Wien: Tyrolia 2014, 288 S., Register, Lebenslauf, Literaturangaben
---ISBN 978-3-7022-3323-5 ---
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Ausführliche Beschreibung
Dieses Buch wirkt fast wie eine Art Festschrift. Die Herausgeber, alle mit der Bibel theologisch(-praktisch) befasst, präsentieren Beiträge zum Verständnis der Hebräischen Bibel, des Alten Testaments. Der Autor, Johannes Marböck, katholischer Priester und inzwischen emeritierter Professor, lehrte Altes Testament in Linz und Graz. Er hat maßgeblich an der Revision der (katholischen) Einheitsübersetzung mitgewirkt. Bei ihm verbindet sich die spirituelle Freude an der biblischen Botschaft mit exegetischer Sorgfalt. Wichtig ist ihm neben der verständlichen Weitervermittlung der biblischen Schätze, diese gerade für heutige Menschen zum Leuchten zu bringen. Das möchten die Herausgeber besonders hervorheben.

Im Kapitel 1: Dynamik des Wortes wird deutlich, wie durch das 2. Vatikanische Konzil auch für katholische Christen die Bibel mehr und mehr zu einer geistlichen Expedition werden konnte. Zugleich hebt Marböck die Wichtigkeit des Alten Testaments zum Glaubensverständnis der Christen hervor. Er erinnert an die Menschen verändernde Kraft, die sich aus den Weisungen Gottes ergeben und das Volk Israel prägen. Unter Berufung auf das kommunikative Geschehen der Feier von Neujahr in Nehemia 8 zieht er darum Konsequenzen für heutiges Christsein: „Wenn wir Christen in liturgischen Feiern unserer Bibel … ebenfalls etwas von dieser Ehrfurcht entgegenbringen, mag uns die Lesung aus Nehemia 8 erinnern, dass wir dabei bereits Mitteilhaber und Miterben am fundamentalen Reichtum und den Wurzeln der Heiligen Schrift unserer älteren jüdischen Brüder und Schwestern sind (vgl. Römer 11,18-20)“ (S. 52).
Im Kapitel 2 wird die spirituelle Kraft des Gebetes thematisiert, die aus den göttlichen Weisungen Orientierung für das eigene Leben ermöglicht. Die Psalmen mit ihrer beeindruckenden Sprach- und Bildkraft sind dafür ein herausragendes Beispiel. Aber auch die drei Männer im Feuerofen (Daniel 3) spiegeln in der Bildinterpretation eines Kirchenfensters von Margret Bilger existentielle Erfahrungen von Rettung aus der Not und Schauen des Göttlichen in extremer Situation (S. 111). Schade, dass das Glasfenster nur in einem Detail in schwarz-weiß anzuschauen ist.
Im Kapitel 3 dokumentiert sich zugleich die theologische Offenheit des Autors, wenn er schreibt: „Die Weisheitsliteratur des Alten Testaments schlägt wie kein anderer Teil der Bibel Brücken zum Denken der Kulturen ihrer altorientalischen Umwelt …“ (S.116). Die Vielfalt biblischer Ausdrucksweisen wirkt darum als Einladung ins Haus der Bibel, dessen unterschiedliche Räume dem Glaubenden damals Freiheit und zugleich existentielle und gemeinschaftliche Orientierung boten. Offensichtlich können diese Texte Ähnliches – gerade auch in ihrer weisheitlichen Ausrichtung – auch heute noch leisten. So lassen die Erfahrungen Hiobs als des Leidenden – christlich gesehen – wirkungsgeschichtliche Anklänge bis in die Passion Christi zu. Kohelet (Prediger Salomo), Jesus Sirach und die Weisheit Salomos machen deutlich, dass Vertrauen auf Gott ethisch in kluges Handeln, Herzensbildung und ehrliche Aufrichtigkeit umgesetzt werden will. Dazu muss man „über Grenzen hinweg auf das weite Feld der Erfahrungen … hören, die Menschen im Umgang mit der Welt, mit sich selber gemacht haben“ (S. 154).
Im Kapitel 4 wird dann der Ruf der Propheten von Marböck vergegenwärtigt. Der ältere Jesaja als Heils-Rufer zum Glauben kommt ebenso zur Sprache, wie Deuterojesaja sowohl mit seinen Tröstungen wie mit seiner geradezu hemmungslosen Direktheit. Es geht um die Lasten des Ertragens, wie es der scheiternde „Knecht Gottes“ erleidet und gerade dadurch zum Ermutiger wird. Das sprengt den Rahmen eines Volkes und gewinnt universale Weite, so dass alle Völker in das Heilsangebot Gottes einbezogen sind, eine geradezu interreligiöse Entgrenzung (S. 195). In Konsequenz gehört Jesus von Nazareth in diese Reihe der Knechte Gottes hinein. Hier kann auch die Kirche lernen, sich universal zu öffnen. So wird sie zu Pilgerin mit allen anderen – eine beeindruckende Vision des Tritojesja unter dem Symbol des himmlischen Jerusalem. Der Prophet Jeremia lebt dieses göttliche Ja unter den Bedingungen der Eroberung und der Deportation der Juden nach Babylon 587 v. Chr. konsequent und beeindruckend vor.
Im Kapitel 5 wird der Blick auf alttestamentliche apokalyptische Bilder der Endzeit und den Zerbruch der bisherigen Welt gelenkt. Die geopolitische und georeligiöse Situation unmittelbar vor dem Exil, in der Zeit der „Wegführung“ und im Neubeginn nach 538 v. Chr., zeigt sich in unterschiedlichen Reaktionen zwischen Deuterojesaja und dem Danielbuch. Marböck blendet darüber hinaus die Geschichte der Jenseitsvorstellungen zwischen dem Alten Ägypten, der Levante und dem Zweistromland sowie zwischen den Jesaja-Propheten und dem Danielbuch ein – und auch hier erscheint die Gelassenheit weisheitlicher Erfahrung. Die Engelgeschichten im Alten Testament wirken schließlich wie ein Verbindungselement zum Neuen Testament.
Im Kapitel 6 zeigt die historische Fokussierung auf das „Heilige Land“ nachdrücklich, wie „das Heilige“ angesichts des vielen „Unheiligen“ dringend gebraucht wird – auch im Blick auf die heutige Situation im Nahen Osten eine als Mahnung wirkende Vision des „Heiligen Landes“. Aber auch der Jahrhunderte dauernde, oft gewaltsame und immer wieder theologisch hoch gespielte Antijudaismus machte eine Neubewertung des Verhältnisses der Christen zu den Juden dringend. Hier hat das 2. Vatikanische Konzil endlich wichtige Marksteine der Versöhnung für den christlich-jüdischen Dialog und für das Gespräch mit Israel gesetzt.
Bilanz: Die Wirklichkeit Gottes, wie sie die alttestamentlichen Schriften vielfältig bezeugen, lädt ein, die Liebe Gottes im Umgang mit den Anderen zu praktizieren, und zwar in unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen. Hier findet eine Entgrenzung des Heilswillen Gottes über die jeweilige religiöse Tradition hin auf alle Menschen, auf die Völkerwelt statt. Johannes Marböck hat das am Alten Testament gezeigt. Sein Beitrag im Kapitel 7 betont dies noch einmal in einer Art Überblick als faszinierende Vision des göttlichen Heils für die Völker. Davon erzählen die biblischen Bücher auf unterschiedliche, aber immer auf Hoffnung orientierte Weise. So können die Erfahrungen der Früheren die Heutigen ermutigen, den Spannungen der Gegenwart die Vision vom Gottesfrieden entgegenzusetzen.
Reinhard Kirste,  
Rz-Marböck-Bibel, 13.05.14 


Donnerstag, 1. Mai 2014

Buch des Monats Mai 2014: Interkulturelle Theorie und Praxis - eine dialogische Pädagogik



Hamid Reza Yousefi: Interkulturelle Kommunikation.
Eine praxisorientierte Einführung.

Darmstadt: WBG 2014, 204 S., Grafiken, Glossar
--- ISBN 978-3-534-26260-1--- auch als E-Book erhältlich ---
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Ausführliche Beschreibung
Hamid Reza Yousefi, Privatdozent für interkulturelle Philosophie und Geschichte der Philosophie an der Universität Koblenz-Landau versucht seit Jahren, ein sinnvolles Zusammenleben von Menschen verschiedener Lebenstraditionen zu fördern. Er untersucht dazu verschiedene Konzepte gesellschaftlicher Zusammenhänge. Das hat auch zur Gründung des Instituts zur Förderung der Interkulturalität in Trier geführt. Neben philosophiegeschichtlichen und religionswissenschaftlichen Begründungen geht es ihm um Kommunikationsmöglichkeiten in einer pluralen Gesellschaft. Hier versucht er zugleich eine pädagogische Basis zu schaffen.

In seinem neuesten Buch benennt er die Zielrichtung einer „tragfähigen Kommunikation in interkultureller Absicht“ folgendermaßen: „Eine zentrale Aufgabe einer solchen Umgangsform besteht darin, die Wirklichkeit wissenschaftlich zu beobachten und pädagogisch-dialogisch zu vermitteln.“ (S. 7). Nur die dialogische Vermittlung ermöglicht überhaupt den Erfolg für eine zukünftige auf Frieden, Toleranz und Gerechtigkeit ausgerichtete Gesellschaft. Dazu bedarf es zum einen, die verschiedenen Kulturbegriffe auf eine solch tragfähige Brückenfunktion zu untersuchen und daraus eine dialogische Pädagogik der Interkulturalität zu entwickeln. Dazu müssen zum anderen aber auch die Konfliktpotentiale gezeigt sowie kulturelle Grenzziehungen hinterfragt und überwunden werden.
Seinen Erfahrungshintergrund nimmt der Autor aus sog. deutsch-iranischen Tauschfamilien, also Familien und Gruppen, in denen zwei Kulturen in einer kürzeren oder längeren Zeitphase aufeinandertreffen oder wo eine solche interkulturelle Partnerschaft mit ihren Chancen und Schwierigkeiten durchgängig gelebt wird. Das können auch deutsch-türkische, deutsch-afrikanische, deutsch-arabische Familien sein. Im Fokus-Beispiel stehen bei Yousefi Menschen mit deutsch oder iranisch geprägten Lebensstilen.         
Detailliert beschreibt der Autor im 4. Kapitel, wie eine solche Patchwork-Gruppierung funktioniert, wenn die deutsche Mutter mit der Tochter zum iranischen Vater mit dessen Sohn in den Orient umzieht, während die iranische Mutter mit der Tochter nach Deutschland kommt. Nun müssen kulturelle und sprachliche Hindernisse sowie unterschiedliche Biografie-Voraussetzungen in Einklang gebracht werden. Um aus solcher Konstellation kontextuell-pädagogische Konsequenzen abzuleiten (Kapitel 5), fragt Yousefi schon im Kapitel 1, wie interkulturelle Kommunikation überhaupt zustande kommt bzw. wo Hinderungsgründe liegen. Dazu führt er theoretische Ansätze der Kommunikationsforschung vor, indem er sich neben anderen besonders auf Karl Jaspers, Hans-Georg Gadamer, Georg Auernheimer, Jürgen Habermas und Friedemann Schulz von Thun bezieht und dabei kommunikative Veränderungen durch Migrationsbewegungen im Auge behält. Es geht also immer darum, wie der Andere von der Aufnahmegesellschaft gesehen wird und wie sich dabei Integration oder Desintegration entwickeln.
Dass sich durch solche Veränderungen in der Bevölkerung auch Kulturverständnisse verändern, liegt auf der Hand. Dabei ist übrigens keineswegs von vornherein klar, was Kultur überhaupt ist (S. 25f). Mit Beispielen aus der Geschichte im Spiegel moderner Kulturtheorien schält Yousefi Zugänge zur Interkulturalität heraus, so dass er in Kapitel 3 vorläufig definiert: „Interkulturalität ist der Name einer Theorie und Praxis, die sich mit historischen und gegenwärtigen Verhältnissen der Kulturen und der Menschen als deren Träger auf der Grundlage ihrer völligen Gleichwertigkeit beschäftigt“ (S. 55) und damit die Menschenwürde in den Mittelpunkt rückt.
Im 5. Kapitel werden die bisher gewonnenen Ergebnisse von Kommunikation, hermeneutischen Voraussetzungen, und gegenseitigem Verstehen in eine dialogische Pädagogik übergeführt, und zwar im Blick auf interkulturelles Lernen im Bereich der Erwachsenenbildung, der Berufspädagogik, der Sozialpädagogik und der Medien. Kulturelles, gleichwertiges Miteinander kann sich jedoch nur unter Heranziehung pluralistischer Methoden entwickeln (Kapitel 6). Den Medien fällt dabei eine besondere Aufklärungsfunktion zu (Kapitel 7). Das heißt, dass von keiner Seite Vereinnahmungen auf Kosten des Anders-Seins des Anderen erfolgen dürfen und damit jegliche Dominanzansprüche abgewehrt werden. Die Kulturwissenschaft dürfte hier der geeignete Ort sein, an dem all diese interkulturellen Zusammenhänge am sinnvollsten gebündelt und systematisiert werden.
Die Zwischenbetrachtung am Schluss des 7. Kapitels kann darum für eine interkulturelle, begegnungsoffene Friedenspädagogik insgesamt gelten: „Es geht nicht um bloße Annäherung bspw. zweier Kulturregionen wie Orient und Okzident, sondern um einen konstruktiven Austausch von Inhalten, um eine dialogische Kritik, um eine friedliche Konfliktbewältigung“ (S. 175)
Bilanz: Yousefi trägt insgesamt recht komprimiert die Möglichkeiten interkultureller Kommunikation vor, und zwar so, dass zum einen die Grundmuster von Akzeptanz, Vorurteil und Verweigerung offenkundig werden und zum andern aus den Kommunikationsmodellen sich Möglichkeiten herauskristallisieren lassen, die auch in der Praxis die Begegnungsfähigkeit zwischen Menschen und Gruppierungen verschiedener Herkünfte befördern. Da dem Autor zugleich eine interkulturelle Didaktik am Herzen liegt, setzt er seine Erkenntnisse optisch in entsprechende Grafiken um und erleichtert damit das Verstehen. Die zusammenfassenden Merksätze erlauben, dann Zwischenergebnisse klarer zu erkennen, um von da aus dem weiteren Gedankengang nachzuvollziehen. So ist ein Handbuch entstanden, das erlaubt, von erfahrener Praxis auf die Grundkonzepte menschlichen Miteinanders zurückzuschließen und Modelle der Verständigung bewusst weiter bis in den Alltag hinein zu realisieren.
Vgl. übrigens dazu auch diese Bücher des Autors: 
--- Grundbegriffe der interkulturellen Kommunikation. Stuttgart: UTB 4127, 2014, 126 S.      
--- Die Bühnen des Denkens. Neue Horizonte des Philosophierens. Münster u.a.:  Waxmann 2013, 259 S.           
--- (zusammen mit Philipp Thull, Hg.): Interreligiöse Toleranz. Von der Notwendigkeit des christlich-islamischen Dialogs.   
    Darmstadt: WBG 2014, 156 S.
Reinhard Kirste
 Rz-Yousefi-Interkult, 30.04.14