Hamid Reza Yousefi: Einführung in
die islamische Philosophie.
Eine Geschichte des Denkens von den Anfängen bis zur Gegenwart.
UTB Philosophie Nr. 4082. Paderborn: Fink 2014, 240 S., Abb.
Eine Geschichte des Denkens von den Anfängen bis zur Gegenwart.
UTB Philosophie Nr. 4082. Paderborn: Fink 2014, 240 S., Abb.
--- ISBN
978-3-8252-4082-0 ---
Ausführliche Besprechung
Die von
einer Verlagskooperation seit über 40 Jahren verantwortete Reihe der
Uni-Taschenbücher (UTB) soll Studierenden ermöglichen, sachgemäß in bestimmte
Themenzusammenhänge eingeführt zu werden. Dies gilt gewissermaßen
„cross-cultural“ auch für den Islam. Von daher ist es sehr zu begrüßen, dass
nun auch ein Titel erschienen ist, der vom Orient her die Verbindungslinien in
die Philosophie des Okzidents aufzeigt. Der Autor, Hamid Reza Yousefi, interkulturell
orientierter Philosoph mit iranischen Wurzeln, lehrt an der Universität
Koblenz-Landau. Er hat sich schon seit Jahren zur Aufgabe gesetzt, die Philosophie
in ihrer Interkulturalität näher zu untersuchen und zu beschreiben. Er hat dazu
auch ein eigenes Institut zur Förderung
der Interkulturalität in Trier gegründet.
Mit diesem
Buch füllt er nun eine erhebliche Lücke angesichts der üblichen westlich-einseitigen
Einschätzungen zur europäischen Philosophiegeschichte. Der Verfasser macht dies
in der Einleitung auch didaktisch leicht verständlich, indem er die Phasen der
Philosophie in der islamischen Welt konturiert, und zwar zwischen „euroverliebt“
und „europhobisch“ (S. 15).
Nun stellt
Yousefi nicht einfach Kurzbiografien zu Leben, Werk und philosophischer
Bedeutung einzelner Denker hintereinander, sondern nimmt im Grunde ein interkulturelles
Strukturmuster der Orientierung wieder auf, das er bereits in seinem Buch „Die Bühnen des Denkens“ (2013) beschrieben
hatte.[1]
Von daher macht er deutlich, dass Philosophie von einem Sehnsuchtsimpuls
geprägt ist, der die Selbst-Auf-Klärung des Menschen und die der materiellen
und geistigen Welt vorantreibt (Kap. I
und II). Von den Anfängen bis in die Gegenwart beschreibt er dann (Kap. III, Abschnitte 1-3) aus der
Fülle islamischer Philosophie. Dazu hat er 32 Geistes- und Naturwissenschaftler
ausgewählt. Wohl wissend um diese Beschränkung, wird dennoch ein geistesgeschichtlicher
Weg deutlich, der von drei Pfeilern geprägt wird: Philosophie, Mystik und weisheitliche Traditionen. Ich hätte mir
gewünscht, dass der Autor noch die eine oder andere Philosophin hinzugenommen hätte, weil im Sinne seiner
interkulturellen Philosophie-„Definition“ neben einer (andalusischen)
„Klassikerin“ des Mittelalters,[2]
und aus der Gegenwart z.B. Fatima Mernissi (geb. 1942), Amina Wadud (geb. 1952)
und Asma Barlas (geb. 1950) dazu passen würden!
Dass die
griechische Philosophie generell eine Schlüsselrolle spielt, hebt Yousefi für
die Gründungs- und erste Blütephase vom
8.-14. Jh. hervor (S. 39–126).
Dadurch gewinnt das oft als „finster“ abgewertete Mittelalter zugleich „Licht
vom Osten“. Denn ohne die systematische Arbeit arabischer Übersetzer und
Philosophen wären viele klassische Philosophentexte – besonders der
griechischen Antike – auf immer verloren gewesen. Dieser Transferleistung haben
es die ersten europäischen Universitäten, besonders diejenige von Paris zu
danken, dass sich die entwickelnde scholastische Philosophie und Theologie
immer mit dem Verhältnis von Rationalität, Spiritualität und Weisheit,
auseinandersetzen musste, eine Spannung die sich in den Polen von Offenbarung
und Vernunft zuspitzte. Die islamischen Philosophen hatten das ausgesprochen
streitbar in ihren Koranauslegungen getan, weil sich Gottes Wort unter
menschlichen Bedingungen geoffenbart hat. Und Averroes (Ibn Rushd, 1126-1198)
prägte – sehr zum Ärger der lateinischen-römischen Kirche – ganze Generationen
europäischer Denker. Er wurde „der
Kommentator des Aristoteles“, während Aristoteles als „der Philosoph“ galt. Trotz der Verurteilung des Averroismus im
Jahre 1277 durch den Pariser Bischof Stephen Tempier entwickelten sich averroistische
Anpassungslinien in der Philosophie, die – besonders in Italien – bis in das
16. Jahrhundert reichten.
Angesichts
einer solchen Geschichte liest man die dialektisch-rationalistische Philosophie
der Mutaziliten und verwandter Strömungen neu. Diese – aber selbst kritischere Geister
gegenüber dem Mutazilismus – betonten den Primat der Vernunft auch in
religiösen Kontexten. Yousefi zeigt hier, wie sich durch diese Denkwege das
Weltbild sowohl naturwissenschaftlich, ethisch und geisteswissenschaftlich
weitet. Damit wird faktisch das moderne wissenschaftliche Denken vorbereitet. In
diesem Zusammenhang kommen u.a. Ibn Muza Kharazmi (780-850), Al Kindi
(801-873), Zakariya Razi (865-932), Ibn Sina (Avicenna, 980-1037) und natürlich
Ibn Rushd (Averroes) zur Sprache, aber auch der Physiker, Astronom und
ptolomäische Weltbildkritiker Ghotbeddin Schirazi (1236-1311). Bei der
Einschätzung der Bedeutung von al-Ghazali (1058-1111) betont Yousefi, dass dieser
als Apologet gegen die Philosophie nicht taugt, wie dies ein Teil der
scholastischen Theologen versuchte, um den Vorrang der Theologie vor der
Philosophie mehr Raum zu schaffen.
Die folgende
Zeit zwischen dem 14. und 19. Jahrhundert
sieht der Autor als erregende Übergangsphase an (S. 127–160). Dafür stehen so
bekannte Namen wie der Historiker und Vorläufer der modernen Soziologie, Ibn
Khaldun (1332–1406), und Mulla Sadra (1571–1640), Begründer der iranischen
Renaissance.
Die Gegenwart (19.-21. Jh.) ist durch sehr unterschiedliche
Tendenzen des Denkens geprägt. In seiner Auswahl scheint mir Yousefi den
eigenständigen und stark geschichtlich denkenden Reformern mehr Raum zu geben
als den „Reformern nach rückwärts“. Dadurch tritt sehr deutlich hervor, wie es
von den islamisch-wirkungsgeschichtlichen Denkvoraussetzungen möglich wird, sich
gegenüber westlichen Moderne- und Post-Moderne-Auffassungen zu behaupten. Ganz
nebenbei zeigt sich, wie stark iranische Religionsphilosophen sich bewusst den
gesellschaftlichen und globalen Veränderungsprozessen der Moderne stellen und
sich damit auch gezielt mit westlichen Philosophie-Positionen
auseinandersetzen.
Dass die Philosophie des Mittelalters in ihrer Wirkungsgeschichte also keineswegs aristotelische bzw. averroistische Einfärbungen verloren hat, legt eine Kontinuität der Denk-Geschichte frei, in der der Orient und der Okzident bis heute gemeinsam stehen. Das machen die zum Teil nur Insidern bekannten Philosophen, die Yousefi vorstellt, deutlich, aber auch für die allgemeine Öffentlichkeit bekanntere Namen wie:
Dass die Philosophie des Mittelalters in ihrer Wirkungsgeschichte also keineswegs aristotelische bzw. averroistische Einfärbungen verloren hat, legt eine Kontinuität der Denk-Geschichte frei, in der der Orient und der Okzident bis heute gemeinsam stehen. Das machen die zum Teil nur Insidern bekannten Philosophen, die Yousefi vorstellt, deutlich, aber auch für die allgemeine Öffentlichkeit bekanntere Namen wie:
- Mohammed Abed Al-Jabri (1935–2010), der die Rückständigkeit arabischer Kultur kritisierte.
- Seyyed
Hossein Nasr (geb. 1933), der das (eigene) erkennende Denken
in der islamischen Welt vermisst. - Abdoldjavad
Falaturi (1926-1992), der eine vernunftgemäße dialogische Verständigung
zwischen Orient und Okzident möglich machen wollte. - Mohammed
Arkoun (1928–2010), der die Ursache vieler islamischer Rückständigkeiten
darin sieht, dass sich ein Teil der islamischen Welt
der „Moral der verschlafenen Vernunft“ hingegeben hat.
Man
merkt diesem angenehm zu lesenden Buch an, wie sehr der Autor,
europäisch-zentrierte Sichtweisen dahingehend ändern möchte, dass er in der
Weite des Mittelmeerraum und des Mittleren Ostens den Quellgrund für visionäre
Denk-Konstrukteure sieht. Ihnen ist es zu danken, dass der Diskurs um die
unterschiedlichen Vernunft-Positionen und Erkenntnisansätze im Sinne eines
globalen Humanismus nicht den (religiösen) Polemikern überlassen wurde und wird.
Vielmehr kann geistige Lebenskraft nur aus dem engen Zusammenwirken östlicher und
westlicher Denker auch gesellschaftlich, religiös und politisch wirksam werden.
Yousefi
hat mit diesem Studienbuch eine wichtige „Orient-Erweiterung“ im Kontext
europäischer Philosophie geleistet.
Reinhard Kirste
Rezensionen zum Download
[1] Die Bühnen des Denkens. Neue Horizonte des Philosophierens - Rezension - (2013)
Weitere besprochene Titel des Autors:
Weitere besprochene Titel des Autors:
--- Als
Herausgeber zusammen mit Hans Waldenfels und Wolfgang Gantke: Wege zur Religion - Rezension - (2010)
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