Beiträge zur Komparativen Theologie, Band 10.
Paderborn: Schöningh 2014, 186 S., Personenregister --- ISBN 9783506772817 ---
Paderborn: Schöningh 2014, 186 S., Personenregister --- ISBN 9783506772817 ---
Ausführliche Beschreibung
Angesichts der gegenwärtigen Weltkonflikte und einer
zunehmenden Brutalität gegenüber unschuldigen Menschen stellt sich automatisch
die Frage, wie die Religionen hier mit Gewalt umgehen. Die Herausgeber des
vorliegenden Bandes haben zusammen mit den Autoren Aggressionspotenziale
innerhalb von Bibel und Koran untersucht, um den Spuren von religiöser
Gewaltrechtfertigung nachzugehen. Dabei entsteht jedoch keine gemeinsame
Zielrichtung. Es geht auch weniger um eine an den Friedenstendenzen in den
Religionen sich ausrichtende Hermeneutik. Die Beitragenden beschäftigen sich stattdessen
stärker mit den verschiedenen Formen von Gewaltverständnissen und Gewaltäußerungen
in Bibel und Koran.
Die
islamische Theologin Hamideh Mohagheghi
und Klaus von Stosch, katholischer
Theologe und Leiter des Zentrums für Komparative Theologie und
Kulturwissenschaften (ZEKK) der Universität Paderborn, arbeiten schon länger
Religionen übergreifend im ZEKK zusammen. Die Texte sind aus den Vorträgen
einer Tagung der Kath. Akademie Schwerte im Jahre 2012 entstanden.
Der
evangelische Systematiker Reinhold
Bernhardt (Universität Basel) geht bei seiner narratologischen Untersuchung
biblischer Texte besonders auf die
literarischen und historischen Kontexte der Gewaltdarstellungen ein. Als
hermeneutische Setzung hebt er das Identitätszentrum des christlichen Glaubens
heraus. Es besteht in der Botschaft Christi von der universalen, unbedingten
Gnade und Liebe Gottes. Diese göttlichen Vorgaben dürfen nicht durch eine
dunkle gewalttätige Seite Gottes konterkariert werden (S. 29f).
Der
Alttestamentler Andreas Michel
(Universität zu Köln) exemplifiziert an der Vernichtungsaufforderung in Deuteronomium 7,1-6 und vergleichbaren
Josua-Texten, wie die „assyrische Leitkultur“ mit ihren sog.
„Vernichtungsweihen“ (S. 41) auch auf Israel durchgefärbt hat und aus der Sicht
des 6. Jh. v. Chr. auf die sog. Landnahmezeit des 12. Jh.s zurückgreift und damit
interne Konflikte thematisiert. Als Exeget findet Michel die spätere Instrumentalisierung
von Texten früherer Ereignisse allerdings nur bedauerlich (S. 50).
Der
Neutestamentler Eckart Reinmuth
(Universität Rostock) überlegt, wie das
Neue Testament und daraus folgend die frühe Christenheit mit Gewalt und
Gegengewalt umgeht und wie sich dies in den jeweiligen Texten
niederschlägt. So kann es nicht nur um historische Rekonstruktion gehen,
sondern es müssen auch die in den Texten der monotheistischen Religionen vorfindlichen
Gewaltpotentiale reflektiert werden. In ihnen ist nämlich durchweg verboten,
Gott im Sinne der eigenen – auch religiösen – Interessen zu instrumentalisieren.
Der verbalen Gewalt im Johannesevangelium (besonders
8,43-44) geht die Neutestamentlerin Margareta
Gruber (Hochschule der Pallotiner in Vallendar bei Koblenz) nach: „Nicht
mehr genau zu bestimmende, vor Ort als feindlich erlebte Gruppen, vermutlich
aus den Reihen des beginnenden rabbinischen Judentums, werden in der
literarischen Fiktion des Johannesevangeliums mit den jüdischen Autoritäten
gleichgesetzt, die für den Tod Jesu verantwortlich gemacht werden“ (S. 66).
Dass hier zwischen dem Text und dem heutigen Leser nicht nur „kritische Reziprozität“
(S. 69) angesagt ist, sondern auch Sachkritik, liegt auf der Hand. Zu fragen
wäre allerdings über das Gesagte hinaus, was die Wirkungsgeschichte solcher
Texte im Blick auf „die Juden“ Verheerendes angerichtet hat.
Dass die
drei monotheistischen Religionen, Gewalt
nur unter einschränkenden Bedingungen und faktisch nur im Sinne von
Verteidigung rechtfertigen, ist bekannt. Die Meinungen weichen jedoch erheblich
voneinander ab, wenn es darum geht, diese Bedingungen historisch einzuordnen
und gegenwärtig zu interpretieren. Die Mitherausgeberin Hamideh Mohagheghi legt dazu die oft zitierte Sure 2,190-195 aus, und zwar im Sinne von Gottes Offenbarung in
mündlicher und schriftlicher Tradition unter den Bedingungen des 7. Jahrhunderts.
Die Autorin sieht die religiös verantwortliche Aufgabe darin, Ungerechtigkeit
nicht gewaltsam zu beseitigen versuchen, sondern ihr entgegenzuwirken und dabei
Gewalt zu minimieren, denn Krieg gilt im Koran immer als ein Übel.
Einen
umfassenden und zugleich aktuell orientierten Einblick in das Verständnis von “djihad“ geben der islamischen
Theologe Farid Esack (Universität
Johannesburg) und die Mitarbeiterin am ZEKK, Muna Tatari. Sie ordnen den Djihad-Begriff
konsequent im Sinne von Glaubensanstrengung ein und zeigen dies an Beispielen
der islamischen Geistesgeschichte. Sie verdeutlichen damit, dass selbst
konservative Ausleger weder das Morden von Nichtmuslimen noch
Zwangskonversionen befürworten. Und nicht zu vergessen: Der Koran ist nicht
Gott, sondern seine Offenbarung an die Menschen. Er bedarf der Auslegung, die
sich an sozialer Gerechtigkeit messen lassen muss – im Sinne der Verantwortung
des Menschen vor Gott. So sollte man djihad
jenseits von Quietismus und Gewalt verstehen und den gewalttätigen Missbrauch dieses
Begriffs verhindern.
Hierher
gehört auch die Genderproblematik. Damit
steht die Sure 4,34 und das „Schlagen der Frauen durch die Männer“ in
der Diskussion. Die Islamwissenschaftlerin Nimet
Seker (Universität Frankfurt/M.) stellt in dem hier offenkundigen
Gewaltpotential heraus, dass „Schlagen“ in Korankommentaren unterschiedlich
betont wird und die Überzeitlichkeit bzw. Zeitlosigkeit bestimmter Verständnisse
fraglich ist. Das macht besonders die feministische Lesart dieses Verses durch die
liberale Islamwissenschaftlerin Amina Wadud deutlich, die exegetisch
interveniert und „Nein“ zu expliziten Geboten im Koran sagt (S. 134f). So ganz
kann sich die Autorin jedoch nicht mit dieser Interpretation anfreunden. Das
belegt sie durch Heranziehung und hermeneutischer Berücksichtigung von Hadith-Versen
– und der exegetische Diskurs bleibt dadurch offen, aber m.E. letztlich
unbefriedigend.
Vielleicht
hilft die Art, wie Alsayad Alrahmany
(Al-Azhar Universität Kairo), die Koranstelle über die Verehrer des Goldenen Kalbs auslegt (Sure 2,54). Natürlich gibt es
hier bei den Korankommentatoren Dissens, aber eben auch eine dominierende
Auslegung, die Gewalt befürwortet. Alrahmany distanziert sich vorsichtig von dieser
Mehrheitsmeinung und erinnert an die auch von Luther favorisierte erste Regel
der Hermeneutik: Die Heilige Schrift legt sich durch sich selbst aus, d.h.
mehrdeutige Texte werden durch eindeutige interpretiert. In diesem Falle
bedeutet es, dass Gottes Aussage „Meine Barmherzigkeit
umfasst alles (Sure 2,256) hermeneutisches Kriterium für das
Gesamtverständnis werden muss.
Schließlich
bedenkt der katholische Theologe Aaron
Langenfeld (Universität Paderborn), dass gerade in den apokalyptischen Vorstellungen der monotheistischen Religionen
erhebliche Gewaltpotenziale stecken. Motivation ist letztlich ein fundamentalistisch
orientierter Erlösungsglaube, in dem die selbst ernannten Erlösten schon das
gute Ende für sie selbst kennen und sich selbst zu Richtern über Gut und Böse
aufschwingen, statt das Urteil Gott zu überlassen. Nun nehmen offensichtlich
apokalyptische Vorstellungen in Zeiten der Unterdrückung zu. Eschatologische
Aussagen brauchen wegen dieser Zuspitzungen jedoch eine angemessene
Hermeneutik. Der Autor versucht nun insofern eine positive Bewertung der
Apokalyptik, indem er das Leiden und das Kreuz Christi zum Ankerpunkt gegen die
Unrechtsstrukturen der Welt erhebt. Der Geist der Liebe Gottes prägt von daher
die eschatologischen Vorstellungen, so dass kein Endkampf zwischen Gut und Böse
nötig ist. Im Blick auf den Dialog mit dem Islam zeigt der Gedanke des sich
barmherzig offenbarenden Gottes, dass das Eschaton und auch das Symbol des
Endgerichts im Sinne einer Transformation des Menschen zu verstehen ist, wie
der islamische Theologe Mouhanad Khorchide besonders betont.
Bilanz
Die Beiträge
in diesem Buch machen durchgängig auf die Gefahren fundamentalistischer,
zeitloser Auslegungen von Bibel und Koran aufmerksam. Diese sind extrem problematisch,
denn für die eigene Interpretation finden sich genügend Gewaltpotenziale und
Aggressionsmuster in den heiligen Texten selbst. Gegenwärtig-sachgemäße
Auslegung bietet aber die Möglichkeit, die Versöhnungstendenzen in diesen
Religionen hermeneutisch stärker zu betonen. Hier zeigen sich allerdings einige
Autoren etwas zu vorsichtig in der Weiterführung exegetisch-historischer Erkenntnisse.
So verwundert es schon, dass das Thema zuweilen sehr aus der wissenschaftlichen
Distanz abgehandelt wird und Religionskritik dann nicht recht greift, um der
Empörung angesichts auch von religiös motivierten Gewaltverständnissen
nachzugehen. Insgesamt ist hier jedoch ein Fundament gelegt, dass die
dialogoffene Auslegung jüdischer, christlicher und islamischer Texte im Sinne
einer religiös motivierten Friedensethik und Gewaltminderung vorantreiben kann.
Reinhard Kirste
Rz-Mohagheghi-Stosch-Gewalt, 05.10.14
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