Mittwoch, 5. Juni 2019

Wieder im Blickfeld - David T. Sugimoto: Wie sich Göttinnen wandeln



David T. Sugimoto (ed.):
Transformation of a Goddess.
Ishtar – Astarte – Aphrodite.
             
Orbis Biblicus et Orientalis 263.
Fribourg (CH): Academic Press / Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
2014, XIII, 234 S., Abb, Indices
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ISBN: 978-3-7278-1748-9 (Academic Press Fribourg)
und 978-3-525-54388-7 (V & R)
InterReligiöse Bibliothek (IRB): Buch des Monats Dezember 2014

 Kurzrezension: hier

Ausführliche Beschreibung 

Der Archäologe und Ethnologe D.T. Sugimoto von der Keio-Universität in Tokyo gehört zu den führenden Spezialisten mittelöstlicher antiker Archäologie. Er hat intensiv über die herrschenden Mutterkulte und über den sich ausbildenden Monotheismus im östlichen Mittelmeerraum geforscht. Viele archäologische Projekte in Israel und Palästina leitete er und organisiert derzeit die Ausgrabungen im palästinensischen Beitin: Der Ort spielte bereits eine bedeutende Rolle in der Bronzezeit und konnte inzwischen als das biblische Bethel identifiziert werden. 
Man kann nun darüber diskutieren, ob es sich bei den im Buch angesprochenen Transformationen wirklich nur um eine Göttin handelt oder angesichts der verschiedenen Kulturräume und Epochen um mehrere Göttinnen. Die unter demselben Thema wie das Buch firmierende Konferenz aus dem Jahre 2011 an der Keio-Universität Tokyo hatte die Frage offen gelassen. Die vier Teile des Buches heben nun bestimmte Schwerpunkte hervor:
  1. Die Natur der Ishtar/Ischtar  (Innana) in Mesopatomien während der(post-)sumerischen Zeit (2. Jts v. Chr.)
  2. Astarte im östlichen Mittelmeerraum während der 2. Hälfte des 2. Jts v. Chr.
  3. Astarte/Aschera in der Bibel (zwischen 1000 und 800): Archäologische Entdeckungen
    und ergänzende Funde in der südlichen Levante.
  4. Astarte-Tempel der Phönizier bis hin zur Geburt der Aphrodite auf Zypern – Erkenntnisse aus archäologischen Fundstätten vom 3. Jahrtausend bis in die vorchristlich-hellenistische Zeit.
Eiko Matsushima (Hosei Universität Tokyo) stellt die sexuell höchst aktive und zugleich kriegerische Ischtar/Inanna in den Rahmen anderer Göttinnen und verdeutlicht die Struktur dieser Göttin(en) an der sog. „Heiligen Hochzeit“. An der Heirat Inannas mit ihrem Liebhaber, dem König der Sumerer, und in vergleichbaren Zeremonien in babylonischen und assyrischen Texten lässt sich mit einiger Sicherheit zeigen, dass die „Heilige Hochzeit“ keine Heirat zwischen Göttern ist. Ischtar bleibt in der weiteren Entwicklungsgeschichte die Mächtigere gegenüber ihren königlichen „Sexualpartnern“. Der Ikonografie der geflügelten Göttin geht Akio Tsukimoto (Sophia Universität Tokyo) nach, indem er Bildbeispiele aus der akkadischen und der altbabylonischen Zeit erläutert und dann syrisch-hethitische Darstellungen heranzieht, und zwar im 2. und 1. Jahrtausend v.Chr. So kann er immer wieder die Schutzfunktion der Göttin herausheben, die dann auch der hebräische Gott JHWH übernimmt. Nun kommen späte bronzezeitlich-syrische Texte zur Sprache. Der Alttestamentler und Altorientalist Mark S. Smith (University of New York) stellt mit Hilfe ugaritischer Texte die Jagd- und Kriegsgöttinnen Athart und Anat im Zusammenhang mit Baal und Raschap in ihren mehrfachen Erscheinungsformen vor, und zwar in den ersten Phasen der Eisenzeit. Damit kommt auch ihre Rolle im frühen Israel zur Sprache. Hier wird sie von JHWH abgelöst; einige ihrer Funktionen aber – wie das rituelle Schlachten – bleiben. 

Izak Cornelius (Stellenbosch-Universität, Südafrika) dagegen untersucht die Ikonografie jener Göttinnenbilder von der Mittleren bis zur späten Bronzezeit, die als Astarte“ gelten. Die Blicke in die Levante und nach Ugarit liefern keineswegs eindeutige Ergebnisse. Stehen wir immer der wirklichen Astarte gegenüber, wenn wir die Zeugnisse des 2. Jahrtausends betrachten? Vielleicht wollten die „Alten“ das Gesicht der Astarte nicht zeigen, und so bleibt sie bis auf weiteres ein Rätsel. Etwas leichter ist das bei der „reconsideration“ der Astarte im Neuen Reich von Ägypten (1550–1070 v. Chr.), wie Keiko Tazawa (Museum des Alten Orients, Tokyo) ausführt. Der Autor nimmt eine interessante Gegenüberstellung vor – hier: die nahöstliche Göttinnen-Trias Astarte (göttliche Mutter und Kriegerin), ähnlich die Schutzgöttin Anat und schließlich Qadesch/Quedesch die Göttin der Fruchtbarkeit, der Liebe und Vitalität. Sie begegnen wieder um Hathor als Kriegerin und Mutter mit Sekhmet, Bastet, in die Mut, Gemahlin des Theben-Gottes Amun, sowie der Isis- und Osiris-Mythos einbezogen sind. Diese Göttinnen sind in ihrer Schutz- und Mutterfunktion für das neue Reich in Ägypten die stabilisierende Kraft.

Zurück nach Kanaan: Stéphanie Anthonioz (Institut Catholique, Lille) hebt hervor, dass Astarte zusammen mit dem Baal in der Bibel in einem gewissen Bezug zu Aschera steht, der syrisch-kanaanäischen Meeresgöttin. Sie beeinflusste die eingewanderten nomadischen Hebräer erheblich, Aschera ist sogar die Gemahlin Jahwes bis zur endgültigen Durchsetzung des Monotheismus! Das belegen Texte aus dem Richterbuch und den Samuel- und Königsbüchern. Erst im Deuteronomium (also etwa ab dem 7. Jh. v. Chr.) gelingt eine endgültige klare Abgrenzung. Der Herausgeber David T. Sugimoto untersucht judäische Figurinen aus dem 8./7. Jh. v. Chr., die die „Königin des Himmels“ darstellen. Allerdings ist die Identifizierung mit der Göttin Aschera recht unsicher. Die in dieselbe Linie gehörende Ischtar/Astarte hat als „Himmelskönigin“ auch noch doppelgeschlechtliche Ausformungen. 

Angesichts der in den letzten Beiträgen angesprochenen Kultmuster, lohnt der intensive Blick von Elizabeth Bloch-Smith (St. Josephs University, USA) auf die phönizische Astarte deshalb, weil die Göttin in ihrer Formvielfalt zwischen dem 10. und dem 2. Jh. v. Chr. für die Phönizier die Patronatsgöttin gegen die zunehmende Hellenisierung des Mittelmeerraums war. Das belegen die Ausgrabungen alter Tempelanlagen auf Zypern, im Libanon, Nord-Israel, Nordägypten, Nordtunesien und Italien. Auf die Kult-Geschichte von Zypern bezieht sich auch Stephanie L. Budin (Rutgers University, USA). Die ursprünglich regionalen (erotischen) Aphrodite-Vorläuferinnen seit dem späten Bronzezeitalter „integrieren“ erst im 4. Jh. v. Chr. die aus dem Meer steigende Aphrodite. Sie wird schließlich die himmlische Patronin der Insel. 

Bilanz: In diesen Darstellungen dürfte manches für den interessierten „Laien“ zu speziell sein. Eine ausführliche Untersuchung und sachgemäße Einschätzung der gefundenen Texte, Skulpturen und Reliefs können nur Altorientalisten wirklich vornehmen. Das ausgebreitete Material ist dennoch geradezu Atem beraubend, weil hier gewissermaßen die „Biografie“ der Astarte vom 3. Jahrtausend bis ins 8. Jahrhundert v. Chr. nachvollzogen wird. Es ist zugleich für alle Bibel-Interessierten ein faszinierender Einblick in die Entwicklung einer Göttin bzw. die Zusammenführung mehrere Göttinnen zu einer. Nah- und mittelöstliche Göttinnen-Attribute werden teilweise von den Israeliten übernommen und in die Jahwe-Religion integriert. Angesichts der Götter/Göttinnen-Transformation spiegelt sich auch der spätere jüdische Monotheismus in religiös-polytheistischer Vielfalt.
Reinhard Kirste
Rz-Sugimoto-Goddess, 30.11.14  

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