Donnerstag, 26. Februar 2015

Chancen für den Polytheismus?



Steven Dillon: The Case for Polytheism    
Winchester (UK) / Washington (USA):
iff Books 2015 (John Hunt Publishing) 2015, IX, 86 S.             
--- ISBN: 978 1 78279 735 7 ---

Ausführliche Beschreibung

Steven Dillon, der eine Zeit lang sogar in einem Römisch-katholischen Seminar überwiegend Philosophie studierte, schreibt seit mehreren Jahren philosophische Essays. Er arbeitet als Krankenpfleger in einem Altersheim in South Dakota.
Mehr zum Autor: hier -
http://www.strangenotions.com/author/steven-dillon/

Im vorliegenden Buch versucht er, den entscheidenden Sinn- und Lebensfragen dadurch nachzugehen, dass er sich mit monotheistischen und polytheistischen Gottesverständnissen auseinandersetzt. Nicht zufällig beginnt er darum mit einem Zitat Friedrich Schillers aus “Die Götter Griechenlands (aus der 2. veränderten Fassung von 1793):

Müßig kehrten zu dem Dichterlande Heim die Götter, unnütz einer Welt,
Die, entwachsen ihrem Gängelbande, Sich durch eignes Schweben hält.
Ja, sie kehrten heim, und alles Schöne, Alles Hohe nahmen sie mit fort,
Alle Farben, alle Lebenstöne, Und uns blieb nur das entseelte Wort.
Aus der Zeitfluth weggerissen, schweben Sie gerettet auf des Pindus Höhn;
Was unsterblich im Gesang soll leben, Muß im Leben untergehn.
Damit signalisiert er bereits die Fragerichtung seines Buches: Was hat es zu bedeuten, dass die Götter untergangen sind? Ähnlich wie Schiller spürt er Trauer und will sich nicht damit abfinden, dass „der Polytheismus des alten Heidentums“ mit seiner Fülle von Geheimnis und Abenteuer verschwunden sein soll. Und so versucht er eine Art natürlicher Theologie zu entwickeln, die er aus den monotheistischen Beurteilungsmustern herausholen will. Allerdings ist dabei eine gewisse Vorsicht nötig, wenn man beschreiben will, was eine Gottheit ausmacht. Eine Gottheit muss ein von einem Körper unabhängiges Bewusstsein haben. Es muss wesentlich mächtiger sein, als das, woraus sich für den Menschen Sinn entwickeln kann. Und eine Gottheit hat eine beachtenswerte Größe, was immer das im Detail auch heißen mag. Mit dieser Erkenntnisstruktur hat er ein Instrumentarium aufgebaut, das keinen monotheistischen Gott braucht. So bekennt er dann auch, dass er im Grunde ein „Heide“ sei, der nicht den Glauben der großen Religionen diskreditieren, sondern philosophisch die Möglichkeit der vielen Götter als Denkmuster für die eigene Lebensorientierung verdeutlichen will.

Im 1. Kapitel: What is a God? nähert er sich der Antwort mit einer relativ einfachen Differenzierung, die er gewissermaßen ontologisch formuliert, m.a.W. er geht nicht von der Möglichkeit aus, Gott generell in unmittelbarer Beziehung des Menschen zu denken und entsprechend zu formulieren. Redet man von einem Gott, dann existieren keine anderen Götter. Dies ist nach Dillons Verständnis die theistische Position, in ihrer monotheistischen Zuspitzung bedeutet dies die klare Ablehnung anderer Götter. Atheismus wäre dann die Negation von Gott und Göttern überhaupt. Der Polytheismus dagegen umfasst immer mehrere Götter. Hier muss man natürlich fragen, ob religionswissenschaftlich diese Unterscheidung wirklich trägt, gibt es doch auch Entwicklungen im Gottesbild, die vom „Polytheismus“ über den Henotheismus bis zum exklusiven Monotheismus führen.

Dillon versucht diese zu erwartende Schwierigkeit dadurch abzufangen, dass er im 2. Kapitel fragt: Is there a God? Die Antwort ist für ihn ein klares „Ja“, weil besondere Erfahrungen, die Menschen machen, durchaus im Sinne einer Gotteserfahrung gedeutet werden können. Dazu strukturiert er die Positionen von Theismus, Atheismus und Polytheismus und geht der „Logik“ theistischer Argumente nach (S. 16):

            Die Existenz des Universums ist 1. entweder in sich notwendig oder von außen verursacht. - 2.   Gibt es eine externe Ursache für das Universum, dann existiert zumindest ein Gott. - 3.   Wenn die Existenz des Universums nicht auf dem Grund der eigenen Natur beruht, dann braucht es - 4.  eine externe Ursache. Von daher muss man annehmen, dass wenigstens - 5.  ein Gott existiert.

Dem Autor ist es angenehm, dass diese logischen, ontologischen Ableitungen kein theistischer Gottesbeweis sein können und versucht nun im 3. Kapitel einen polytheistischen Zugang, indem er fragt: How many Gods are there? Eigentlich kann man ihre Zahl nicht festlegen. Aber gegenüber Monotheismus hat der Polytheismus einfach flexiblere Möglichkeiten und beruht auf der Erfahrung von Menschen: Der Monotheismus nimmt nicht wahr (in des Wortes originaler Bedeutung), dass Menschen ihren gesamten Lebensinhalt von Shiva, Allah, oder von der keltischen Gottheit Cernunnos bis hin zu Jesus von Nazareth empfangen haben. Sie alle sind umgeben von Legionen von Engeln. Wäre nur ein Gott da, dann wären solche Erfahrungen unzuverlässig und anzweifelbar. (S. 40). Nun scheinen religiöse Erfahrungen oft religiösen Glaubenssätzen zu widersprechen, aber es ist kein Widerspruch per se von der Koexistenz mehrerer Götter also z.B. Jahwe und Allah auszugehen (S. 45).

Im 4. Kapitel versucht Dillon nun seine Thesen abzusichern, und zwar durch die Frage Are the Gods Good? Seine Antwort fällt ambivalent aus. Er versucht mit dem aristotelischen Begriff der Wahrheit – „Aletheia“ – das Thema anzugehen: Das bedeutet zum einen im logischen Sinne, dass Seiendes sei und das Nichtseiendes nicht sei. Dem Seienden kommt nun Wahrheit im Sinne der Erkennbarkeit zu. Da nun aber Essenz von Existenz unterschieden ist, erschafft die Wahrheit als „goodness“ (Gut-Sein) ein Handeln als in sich erst einmal gut. Aber ein moralisch guter Charakter ist keine Gewähr, um Böses zu verhüten. Also kann man nicht sagen, dass „a given deity“ eingreift oder Böses verhindert (S. 61). Götter und Göttinnen umfassen das gesamte Spektrum des Daseins von erotisch-sexuell bis zu tiefer Teilhabe und innerer Beziehung „It’s hard to nail any of them down as ‘good’ or ‘bad’, but perhaps that shouldn’t surprise us (S. 63).

So verwundert es nicht, dass viele unbeantwortete Fragen bleiben: Kapitel 5: Unanswered Questions. Sie sind von der „Wahrheit des Gutseins“ geprägt, die erst im folgenden Prozess ihrer Schöpfung auch Böses möglich macht, so dass Gutes und Böses dann nebeneinander existieren. Dabei sind entsprechende auch negative Eigenschaften den entsprechenden – nicht universal, sondern regional wirkenden – Göttern zugeordnet.

Bilanz: Die Problematik, die das gesamte Buch durchzieht, liegt in der Vermischung ontologischer und metaphysischer Thesen mit phänomenologisch beschreibbaren und unterschiedlich deutbaren Transzendenz-Erfahrungen – ohne auf religionsgeschichtliche Entwicklungen einzugehen. Dabei favorisiert Dillon polytheistische Deutekategorien. Auf diese Weise umgeht er die entscheidende Frage: Können die vielen vom Autor geschätzten Götter nicht auch als Wesenseigenschaften eines Gottes gesehen werden können bzw. eines Göttlichen oder einer letzten Realität (im Sinne von „the Real“ von John Hick)? Darum erscheint es mir überhaupt nicht sinnvoll, den Polytheismus in den Gegensatz zum Monotheismus zu stellen. Denn auch in den als klassisch geltenden polytheistischen Religionen wie dem Hinduismus manifestiert sich quasi ein „Urgott“ bzw. ein nicht-personales göttliches Prinzip z.B. („Brahman“ als ewiger Urgrund im Unterschied zum Schöpfergott „Brahma“) und offenbart/manifestiert sich in vielfältiger Gestalt. So wird dem Menschen eine Annäherung an die Götter bzw. an eine umfassendere Wirklichkeit eröffnet. Von daher ist es im Grunde eine Hilfskonstruktion, von Gott und den Göttern in personalen Kategorien zu reden. Vielleicht wäre Schiller hier ein guter Wegbegleiter durch das ganze Buch gewesen, wenn neben dem Anfangszitat aus „Die Götter Griechenlands“ jenes beachtliche Epigramm leitend geworden wäre:
Mein Glaube:
"Welche Religion ich bekenne?
Keine von allen, die du mir nennst!"
Und warum keine?
"Aus Religion"
Epigramm 1797

Ich glaube nicht, dass Steven Dillon Schiller hier wirklich folgen würde. Und so bleibt für den Rezensenten nach der Lektüre ein Unbehagen und Unbefriedigtsein zurück. Dennoch regt sein „polytheistisches“ Plädoyer an, dogmatische Festsetzungen und Spekulationen angesichts des Gottesgeheimnisses und letzter Wirklichkeitserfahrung zu überprüfen und auch die Zuordnungen von Theismus, Monotheismus, Polytheismus und Atheismus im besten Sinne frag-würdig erscheinen zu lassen.
Reinhard Kirste

Rz-Dillon-Polytheism, 26.02.15