Markus Witte (Hg.): Der Messias im interreligiösen Dialog.
Christliche, jüdische und islamische Stimmen
aus Vergangenheit und Gegenwart.
Studien zu Kirche und Israel. Neue Folge (SKI.NF), 9
--- Leipzig: EVA 2015, 159 S.,
Thematische Abbildungen von Mareike E. Kaiser, Register
--- ISBN 978-3-374-04054-4 ---
Christliche, jüdische und islamische Stimmen
aus Vergangenheit und Gegenwart.
Studien zu Kirche und Israel. Neue Folge (SKI.NF), 9
--- Leipzig: EVA 2015, 159 S.,
Thematische Abbildungen von Mareike E. Kaiser, Register
--- ISBN 978-3-374-04054-4 ---
Martin Buber hatte im Blick auf das Messiasproblem zwischen Juden und
Christen sehr deutlich formuliert, dass Jesus nicht der Messias sein
kann. Dieses kontroverse Thema beschäftigt und belastet durchgängig den
christlich-jüdischen Dialog (vgl. dazu die Bewertung von Karl-Josef Kuschel in: Martin Buber. Seine Herausforderung an das Christentum [2015], S. 113–115,
Details: hier
So verwundert es nicht, dass jüdische und christliche Sichtweisen des
Messias auch das vorliegende Buch bestimmen – und die Debatte zu recht auch
noch auf den Islam ausgeweitet wird. Schließlich kommt der Begriff „Messias“
für Jesus, „den Sohn der Maria“, fast zehnmal im Koran vor. Die reichhaltige
Quellenlage zum „Wort „Messias“ in der islamischen Tradition kann allerdings
nicht darüber hinwegtäuschen, dass ausgesprochen unterschiedliche Sichtweisen
die Messiasverständnisse der drei monotheistischen Religionen prägen.
Der Alttestamentler und Leiter des Instituts Kirche und Judentum , Markus
Witte von der Humboldt-Universität Berlin hat es als Herausgeber
unternommen, zusammen mit fachkundigen Autoren systematisch-theologisch und
interreligiös das heikle Thema anzusprechen. Er sieht die vorliegenden Texte
als Begleitbuch zum Themenheft der „Berliner Theologischen Zeitschrift“, die
sich 2014 ausführlich zu „jüdischen und christlichen Vorstellungen
messianischer Figuren“ befasste (S. 8).
Sehr sinnvoll kommen zuerst als eine Art Grundlegung jüdische Quellen zum Messias zur Sprache. Der Berliner
Rabbiner Yaakov Zinvirt geht von den
rabbinischen Voraussetzungen für das Kommen des Messias aus: Umkehr des
Menschen, Überwindung der Trennungen innerhalb des jüdischen Volkes. Von daher
lassen sich das Wesen und die Zeichen
für den Messias deuten und manchmal auch missdeuten. Zwei herausragende
Beispiele zieht Zinvirt zur Klärung heran: Maimonides
(1135–1204) und Maschiach ben Josef
aus Wilna (1720–1799). Er kann als Ergebnis festhalten: Das Kommen des Messias
als Schlüssel für die Erlösung der Welt
steht trotz zerbrochener Hoffnungen und falscher Messiasse eindeutig noch aus.
Peter von der Osten-Sacken, hat als
Neutestamentler intensiv auch christlich-jüdische Studien betrieben. Von 1974 bis
2007 leitete er das Institut Kirche und
Judentum, das nach der Eingliederung der Kirchlichen Hochschule Berlin in
die Humboldt-Universität nun zu dieser gehört.
Er hält fest, dass das orthodoxe und konservative Judentum Jesus
nicht als Messias Israels anerkennen kann, während das „progressive“ Judentum
von der eigenen (liturgischen) Gebetstradition dafür überhaupt keinen
Anknüpfungspunkt findet. Dennoch gibt es auch versöhnliche jüdische Stimmen.
Der Systematiker Markus Mühling
(Universität Lüneburg) untersucht den Gebrauch des Begriffs „Messias“ in der
gegenwärtigen protestantischen Theologie. Es werden unterschiedliche Aspekte
hervorgehoben und kritisch-christologische Schwerpunkte gesetzt. Dies zeigen hauptsächlich
die Positionen von Jürgen Moltmann,
Michael Welker und Robert W. Jensen. Entscheidend ist dabei die Transformation
des Titels „Messias“/„Christus“ zu einem Namensbestandteil (S. 66), der
zugleich den eschatologischen Erwartungshorizont weitet, und zwar im Blick auf
die „Selbstidentifikationspräsentation Gottes“ (sic!), eingebunden in die
Erfahrung der Liebesgeschichte Gottes. Hier liegt auch Mühlings Interesse bei
seinen eigenen Veröffentlichungen. Er sieht so eine neue Intention freigesetzt:
Der Messiastitel „liegt dann in einer doppelt kritischen Kraft, die sich
weniger auf Jesus Christus als konkreten Ort der
Selbstidentifikationspräsentation Gottes bezieht als vielmehr auf unsere
Wahrnehmungen, Hoffnungen, Erfahrungen, Erzählungen, Theorien und unsere darauf
beruhende Praxis“ (S. 69).
Der Religions- und Missionswissenschaftler Andreas Feldtkeller (Humboldt-Universität) bringt seine Anfragen
zum Jesusbild in Judentum und Christentum durch eine islamische Fokussierung
ein. Dazu stellt er zuerst Jesusbilder vor, wie sie jüdischerseits im Mittelalter
und in der Neuzeit u.a. durch Martin Buber und David Flusser geprägt wurden.
Bei dem kurzen Einblick in christliche Jesusbilder betont der Autor, dass
„christliche Dogmatik … einer jüdischen Perspektive auf Jesus nicht als starre
unwandelbare Größe“ gegenübersteht (S. 77). Für den Islam wirkt sich die Verbindlichkeit
des Glaubens an Jesus prägend aus: Jesus, Gottes Prophet, wird nicht
gekreuzigt, sondern zu Gott erhoben und am Tag der Auferstehung noch einmal
erscheinen. Die teilweise erheblichen Abweichungen von den christlichen
Glaubensinhalten bedeuten nun zugleich eine Herausforderung, die Hand in Hand
mit jüdischen Jesusbildern und Messiasvorstellungen geht. Damit gewinnt auch
die Jesusforschung einen konstruktiv-dialogischen Stellenwert, weil der
historische Jesus wohl keine Hoheitstitel (z.B. Menschensohn, Messias) für sich
in Anspruch nahm.
Christologisch spannend wird es in der Untersuchung über Händels Messias,
die Gunter Kunter vornimmt. Er ist
Landeskirchenmusikdirektor der Ev. Kirche und Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität.
G.F. Händel und sein Librettist Geoffrey Cuming stehen im Kontext der
anglikanischen Tradition. Die intensive Rezeptionsgeschichte dieses Werks u.a.
durch Carl Loewe, Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Liszt, Richard Wagner,
Friedrich Kiel, Anton Rubinstein und Felix Draeseke zeigt erstaunliche
Messianologie-Varianten. Sie dienen alle aber letztlich dazu, „den universalen
Anspruch des Christus als Erlöser der Welt deutlich zu machen“ (S. 116). Die Gefahr,
in antijudaistische Deutungen zu verfallen vermeidet Händels universalistische
Offenheit seines „Messias“, während andere Komponisten sich diesem „Sog“ (leider)
nicht entzogen haben.
Ausgesprochen wichtig ist auch die religionspädagogische Perspektive, die Hans-Günter Heimbrock (Universität
Frankfurt/M.) einbringt. Schließlich tragen religiöse Erziehung und besonders
auch der Religionsunterricht dazu bei. An einem Unterrichtsbeispiel der
Grundschule vorgeführt, gibt es dann mehr resümierende Einblicke der verschiedenen
Unterrichtsmöglichkeiten der einzelnen Schulstufen von der Grundschule bis zur
Sekundarstufe II. Drei Gesichtspunkte werden wegweisend: Das Messiasverständnis
im christologischen Zusammenhang, die unterschiedlichen Sichtweisen von
„Messias“ bei Juden und Christen und schließlich „die Frage des Messianismus
als spezifische Gestalt einer religiösen Deutung von Geschichte (S. 136).
Das Buch bietet wichtige Perspektiven zu interreligiösen Chancen und Hinderungsgründen
für die Diskussion um den Messias in den drei monotheistischen Religionen. Christlicherseits
muss aber wohl darauf geachtet werden, dass die gegenwärtige-dialogische
Herausforderung nicht historisierend aus dem Blick gerät und dann doch
christologisch orientierte Messiasverständnisse die Debatte dominieren.
Interessant wäre es gewesen, hier auch eine original islamisch-theologische Stimme
zu hören.
Vgl. aus derselben Reihe
- SKI.NF 1 (2012): Markus Witte /
Tanja Pilger (Hg.):
Mazel tov. Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Judentum. Festschrift anlässlich des 50.Geburtstages des Instituts Kirche und Judentum (2012) – Rezension: hier - --- SKI.NF 2: Markus Witte: Hiobs Gestalten (2012) – Rezension: hier
Reinhard Kirste
Rz-Witte-Messias-18.08.2015
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