Navid Kermani,
Dr. phil., geb 1967, habilitierter Orientalist und Schüler von
Nasr Hamid Abu Zaid. Kermani studierte Islamwissenschaft, Philosophie und Theaterwissenschaft in Köln, Kairo und Bonn. Er arbeitete an verschiedenen Schauspielhäusern als Dramaturg und wurde vielfach für sein literarisches Werk ausgezeichnet.
Nasr Hamid Abu Zaid. Kermani studierte Islamwissenschaft, Philosophie und Theaterwissenschaft in Köln, Kairo und Bonn. Er arbeitete an verschiedenen Schauspielhäusern als Dramaturg und wurde vielfach für sein literarisches Werk ausgezeichnet.
- vom 19.10.2015: >>>
Dankresrede in der Paulskirche:
Über die Grenzen - Jacques Mourad
und die Liebe zu Syrien - Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.): Friedenspreis des Deutschen Buchhandels / Peace Prize of the German Book Trade 2015 - Navid Kerman - Ansprachen aus Anlass der Verleihung / Conferment Seeches.Frankfurt/M. 2015, 118 S.
--- ISBN 978-3-7657-3299-7
BESPRECHUNGEN
Neu erschienen:
München: Hanser 2022, 240 S.
- ISBN-10 : 3446271449
ISBN-13 : 978-3446271449 - Blick ins Buch >>>
NAVID KERMANIS NEUES BUCHWie soll man über etwas reden, für das es keine Worte gibt?
(Mark Siemons, FAZ, 06.02.2022)
Navid Kermani:
Ungläubiges Staunen.
Über das Christentum.
München: C.H. Beck,
bereits 2. Auflage 2015. 303 S.,
mit 49 farbigen Abbildungen
--- ISBN 978-3-406-68337-4 ----
Ausführliche Beschreibung
In der Vorrede zu seinem Buch „Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des
Koran“ (C.H. Beck 1999) schreibt
Navid Kermani (S. 9): „Religionen haben ihre Ästhetik. Sie sind nicht Ansammlungen schlüssig begründeter Normen, Wertvorstellungen, Grundsätze und Lehren, sondern sprechen in Mythen und damit in Bildern, kaum in abstrakten Begriffen, binden ihre Anhänger weniger durch Logik ihrer Argumente als die Ausstrahlung ihre Träger, die Poesie ihrer Texte, die Anziehung ihrer Klänge, Formen, Rituale, ja ihrer Räume, Farben, Gerüche“. Diese Erkenntnisse spiegeln auch das neue Buch im Kontext des Christentums.
Navid Kermani (S. 9): „Religionen haben ihre Ästhetik. Sie sind nicht Ansammlungen schlüssig begründeter Normen, Wertvorstellungen, Grundsätze und Lehren, sondern sprechen in Mythen und damit in Bildern, kaum in abstrakten Begriffen, binden ihre Anhänger weniger durch Logik ihrer Argumente als die Ausstrahlung ihre Träger, die Poesie ihrer Texte, die Anziehung ihrer Klänge, Formen, Rituale, ja ihrer Räume, Farben, Gerüche“. Diese Erkenntnisse spiegeln auch das neue Buch im Kontext des Christentums.
Insgesamt lässt der Friedenspreisträger 2015 vierzig Szenen-Erlebnisse des christlichen Glaubens Revue
passieren. Malerei, Architektur und Begegnungen mit besonderen Christenmenschen
lassen Religion und Ethik in unerwartetem Licht erscheinen und zeigen zugleich
eine Leidensmystik, Sinnlichkeit und religiöses Aufbegehren an, die bei einer
mehr oberflächlichen Betrachtung des Christentums leicht verloren gehen können.
Der Begriff des „ungläubigen Staunens“, wird nun fast zur Metapher über die
Annäherung an göttlich Geheimnisvolles. Zwischen Befremden und Hingerissensein
lässt Kermani die Bilder auf sich wirken, wobei Mittelalter und (italienische)
Renaissance dominieren. Das jeweils typische dieser Begegnung mit dem
Christentum blendet er nicht aus, vielmehr merkt er immer wieder an, wie die
Kunst das Lehrhafte übersteigt und zu tieferer Betrachtung einlädt. Er wollte
auch keine kunsthistorische Auslegung schreiben, sondern sich auf eine meditative
Schauens-Bewegung einlassen. Da treten auch die einzelnen religiösen
Traditionen vor der „Religion“ in den Hintergrund.
Die eigene muslimische Erfahrung bestärkt und verschärft das Fragen
angesichts der christlichen Bilderwelt. Er entdeckt ein Christentum, besser
vielleicht viele Varianten eines Christentums, in dem die Grundfragen
menschlichen Lebens genauso thematisiert werden wie in seiner eigenen Religion.
Dabei lässt er sich ohne Vorbedingung auf diese Art der Begegnung mit dem
Christentum ein. Wen verwundert es, dass er das Kreuz als Skandal ansieht und
nicht akzeptieren kann oder will. Doch Achtung – ernsthafte Christen
akzeptieren sog. Kreuzes- und Opfertheologien auch nicht ohne Schrecken und
Vorbehalte.
Die Auswahl der Bilder und Bild-Begegnungen scheinen mir keineswegs
zufällig zu sein. Kermanis Eintauchen in die deutsche Literatur und
gewissermaßen eine Rückenstärkung durch die Vielfalt islamischer Mystik
ermöglichen ein neues Sehen, vielleicht kann man sagen – Durchblicke zwischen
Kafka und Koran.
Diese Betrachtungen, zuerst schrittweise in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen,
werden im Buch durch eine besondere Systematik zusammengebunden. Es sind drei
Themenfelder: Mutter und Sohn, Zeugnis, Anrufung. So kommen bestimmte Ereignisse oder Denkbewegungen
besonders in den Fokus.
Das Geheimnis Gottes überhaupt und die
Gottesbilder in der Gestalt Jesu kommen im Themenfeld I zur Sprache. Das meditative Schauen ist eigentlich
ein beeindruckendes Nachsehen, so wie Mose auf dem Berg Sinai bei Gott das
„Nach-Sehen“ hatte (2. Mose 33,18–23). In Kermanis Betrachtung von „Der gute
Hirte“ aus der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts im Mausoleum der Galla Placida in Ravenna
sagt er darum: „Jesus steht für die Erscheinung Gottes im Menschen, für alle
göttliche Schönheit, die auf Erden sichtbar sei“ (S. 91). Oder nehmen wir
Stefan Lochners „Muttergottes in der Rosenlaube“ im Wallraf-Richartz-Museum
Köln: „Wenn der Größte Meister des Sufismus behauptet (sc.: Ibn Arabi), dass
die Anschauung Gottes in der Frau die vollkommenste sei, geben ihm die Bilder
der Christen recht. Nie ist es gelungen, den Vater auch nur halbwegs glaubhaft
zu malen“ (S. 97f).
Abdruck dieses Textes „Gott II“ in SPIEGEL online vom 22.08.2015: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-138273667.html
Abdruck dieses Textes „Gott II“ in SPIEGEL online vom 22.08.2015: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-138273667.html
Beim Themenfeld II geht es um „Zeugnis“ – man darf wohl auch Bezeugung sagen. Dem Autor ist
anzumerken, dass bei der Betrachtung eines Bildes von Georges de la Tour, ihn die
Persönlichkeit des Franziskus von Assisi
und besonders dessen schmerzvolle Ekstase innerlich bewegen. Im Unterschied zu
den ebenfalls Faszination auslösenden „Entrückungen“ der Teresa von Ávila
schreibt er: „Wichtiger als die individuelle Erfahrung Gottes und die eigene
Vervollkommnung war ihm (sc. Franziskus] der Dienst an den Menschen. Daher
betrieb er nicht Buße, um sich zu läutern … Franziskus‘ Schmerz geschieht ihm,
ihm werden genaugenommen nicht Verletzungen zugefügt, nicht Wunden, sondern
Wundmale“ (S. 155). Kermanis verstehende Verehrung kommt auch in dem zweiten
Beitrag über den Hl. Franz zum Ausdruck, und zwar unter dem Stichwort „Freundschaft“ im Themenfeld III: Anrufung. Dort hebt der Autor die im ersten Beitrag
nur angedeutete friedfertige Dialogfähigkeit des „Poverello“ in der Begegnung
mit dem ägyptischen Sultan hervor – der Hl. Franz eben nicht als Kreuzritter,
zu dem man ihn alsbald machen wollte. Kermani sieht im dazugehörigen Bild der sog.
Chartula von 1224 das „vielleicht früheste Dokument der Freundschaft zwischen
Christentum und Islam“ (S. 289). Im Zusammenhang mit den historischen
Forschungen der Franziskaner zitiert er die Nonne, Kathleen A. Warren: „Was
immer andere über die Sarazenen [= die Muslime] dachten, Franziskus lernte sie
als gläubige, betende, vom Frieden erfüllte Menschen kennen“ (S. 287). In
Begegnung mit der Religiosität der Sufis sieht der Autor darum ein direktes
Verbindungselement zu christlicher Spiritualität (S. 285).
Die andere faszinierende Persönlichkeit ist der Priester Paolo Dall’Oglio (S. 168–173). Hier
steht als Bild ein TV-Screenshot vom 28.07.2013 als optische Begleitung zu dem,
was Kermani an diesem Christen so fasziniert.
Der Autor hatte Pater Dall‘Oglio im September 2012 vor Ort im Kloster Mar
Musa in Syrien besucht. Der Pater baute seit 1984 mit Freiwilligen die Klosterruine nach
und nach wieder auf. Er machte das Kloster zu einer Begegnungsstätte von
Christen und Muslimen in der Region und darüber hinaus. In der klösterlichen
Abgeschiedenheit leben Mönche und Nonnen (eine Besonderheit in der katholischen
Kirche!). Menschen aus aller Welt, die bisher kamen, wurden gastfreundlich
umsonst aufgenommen und halfen dann als Dank im Kloster mit. Und muslimische
Pilger können in der Kapelle vor die arabische Schrift hintreten und Richtung
Mekka beten: „Im Namen Gottes des Gnädigen und Barmherzigen“ (S. 173).
Pater Paolo, unerschrockener Kämpfer für Gerechtigkeit und
Frieden, hat seit den revolutionären Aufbrüchen in Syrien immer wieder zwischen
den Fronten vermittelt. Er suchte während des brutaler gewordenen Bürgerkriegs
die verfeindeten Gruppen auf und riskierte dabei sein Leben. Seit dem
Spätsommer 2013 ist Paolo Dall’Oglio wahrscheinlich entführt worden. Es gibt leider
seitdem kein Lebenszeichen mehr von ihm!
Mehr zu Paolo Dall’Oglio: http://intra-tagebuch.blogspot.de/2014/01/mar-moussa-ein-kloster-des-christlich.html
Mehr zu Paolo Dall’Oglio: http://intra-tagebuch.blogspot.de/2014/01/mar-moussa-ein-kloster-des-christlich.html
2013 kam ein Buch dieses interreligiösen Brückenbauers heraus: La rage et la lumière (Die Wut und das
Licht). Dort beschreibt er ausführlich, wie er sich als Vermittler und
Versöhner in der syrischen Revolution bzw. im Bürgerkrieg versteht. Kermani hat
dem Priester hier ein schönes dialogisches Denkmal gesetzt.
Und schließlich das Themenfeld
III: „Anrufung“. Beim Opfer des
Abraham (mit einem Bild von Caravaggio: Die Opferung Isaaks) schaut Kermani
kritisch auf die eigene islamische wie auf die benachbarte christliche
Tradition und denkt, dass der Engel selbst kaum glauben kann, dass Abraham
einen solchen Befehl wirklich ausführen würde. Er resümiert: „Ich gründe sie
[sc. meine Deutung] auf die Liebe, die Gott in den gleichen Schriften [sc.
Koran, Bibel] und erst recht in seiner Schöpfung offenbart“ (S. 203). In der
Meditation zu Lust II (S. 255–259) kommt
er auf die Begegnung der legendären Eltern
Marias, Joachim und Anna, an der Goldenen Pforte zu sprechen, ein Fresko
von Giotto di Bondone in der Arenakapelle Padua. Hier sieht man die alt
gewordenen Liebenden sich innig küssen! Und so verrät Kermani, welche Stelle
aus der Bibel ihm die liebste wäre, nämlich Hoheslied 8,6f: Denn Liebe ist
stark wie der Tod …“ und er entdeckt zugleich, dass dem Christentum die Lust
keineswegs fremd ist, wie er vor-urteilend gegenüber den vielen erstarrten
Formen des Christentums glaubte (S. 258/259).
Bilanz:
Es ist nicht möglich, die Vielfalt von Kermanis Betrachtungen
hier zu würdigen. Aber sie zeigen alle eine Besonderheit: Wer das kindliche
Staunen nicht verlernt hat, dem eröffnet die Begegnung mit alter und moderner
Kunst des Christentums neue Sichtweisen. Das „ungläubige“ Staunen bekommt so
einen mehrfachen Sinn. Da verweilt der Verfasser bewundernd und offensichtlich
ungläubig gläubig. Er zeigt damit zugleich an, wie sehr Kunst verschiedene
Glaubensweisen versöhnen kann. Auf zuerst fremde Bilder meditativ ein-gehen und
in die persönliche Erlebniswelt ein-binden: solche Ein-Lassung wird zum Ort des
Dialogs. Diese Bildbetrachtungen aus islamischer Sicht dürften bisher einzigartig
sein! Der deutsche Schriftsteller mit iranischen Wurzeln zeigt an, welch tiefe
Kraft in Bildern steckt und wie sie die Betrachtenden verändert ent-lassen. Es
lohnt sich für Glaubende und Nicht-Glaubende, diese Bilder noch einmal zu "lesen" und ganz in Ruhe auf sich wirken zu lassen. Göttliches
spiegelt sich menschlich und lässt zugleich in das „gottselige Geheimnis“
eintauchen, das „kündlich groß“ ist (1. Tim 3,16), nämlich wie facettenreich
künstlerische Sensibilität von Gott erzählen kann. Kermani hat beeindruckend
deutlich gemacht, wie dabei die konfessionellen Schranken der Religionen ins
Unbedeutende absinken. Hier ist ein Buch entstanden, das den Dialog auf
besondere Weise beflügelt.
Die Interreligiöse Bibliothek hat diesen Titel zum
Buch des Monats Oktober 2015 ausgewählt.
Inzwischen ist bereits eine spanische Übersetzung erschienen:Incrédulo asombro. Sobre el cristianismo.
Madrid: Trotta 2018, 264 pp.
"Die Liebe zum Eigenen erweist sich in der Kritik ..."
Qantara.de: Das Christentum eines ungläubig Staunenden, 26.10.2015
Interview mit Navid Kermani:
"Mir geht es um Europa ..." Über den Skandal der europäischen Flüchtlingspolitik.
Eulenfisch Nr. 14 (August 2015), S. 118-119
mit Rezensionsnotizen bei "Perlentaucher": hier
Rezension der Ausgabe von 1999
- sowie weitere Informationen zu Nasr Abu Zaid: hier
Die Interreligiöse Bibliothek hat diesen Titel zum
Buch des Monats Oktober 2015 ausgewählt.
Inzwischen ist bereits eine spanische Übersetzung erschienen:Incrédulo asombro. Sobre el cristianismo.
Madrid: Trotta 2018, 264 pp.
"Die Liebe zum Eigenen erweist sich in der Kritik ..."
Qantara.de: Das Christentum eines ungläubig Staunenden, 26.10.2015
Interview mit Navid Kermani:
"Mir geht es um Europa ..." Über den Skandal der europäischen Flüchtlingspolitik.
Eulenfisch Nr. 14 (August 2015), S. 118-119
Reinhard Kirste
Bücher von Navid Kermanimit Rezensionsnotizen bei "Perlentaucher": hier
Presseinformation des Herder-Verlags zur Neuausgabe:
Navid Kermani erzählt - Nasr Hamid Abu Zaid - Ein Leben mit dem Islam - Aus dem Arabischen übersetzt von Cherifa Magdi (2015, 222 S.)
- sowie weitere Informationen zu Nasr Abu Zaid: hier
Navid Kermani, der zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse am kommenden Sonntag
den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hat, erzählt das Leben seines Lehrers
Nasr Hamid Abu Zaid. Der islamische Luther, wie Abu Zaid (1943
bis 2010) auch genannt wird, war der große Reformdenker der islamischen
Welt. Er unternahm den gefährlichen Versuch, den Koran für die Moderne
zu öffnen. Kermanis Erzählung umspannt das Leben
Abu Zaids von seiner Kindheit in der einfachen und phantasievollen Welt
des Dorfes Quhafa bis zur Flucht ins Exil vor der lebensbedrohenden
Fatwa.
Im
Buch verbinden sich Erzählung und Reflexion eines Muslims in der
Diaspora. Aus dem Orient kommend, lebt Abu Zaid in den Zentren des
westlichen
Lebens und das Buch erzählt von seinen Erfahrungen und Visionen, davon,
was ihn als Gelehrten bewegt und was sein Leben geprägt hat:
Interpretation und Verständnis des Koran, das Verhältnis von Islam und
Politik, der Islamismus – und immer wieder sein persönliches
Verhältnis zur Religion. Mit dieser Erzählung erhält der Islam ein
faszinierendes Gesicht.
Rz-Kermani-Staunen, 13.10.15 u.ö.
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