Religion unter Verdacht. Wohin entwickelt
sich der Islam?
Herder-Korrespondenz – Spezial – Nr. 02 (2015), 84 S., Abb.
--- ISBN 978-3-451-02719-2 ---
Herder-Korrespondenz – Spezial – Nr. 02 (2015), 84 S., Abb.
--- ISBN 978-3-451-02719-2 ---
Ausführliche Beschreibung
Der Herder-Verlag hat der neuesten Nummer seiner renommierten Herder-Korrespondenz ein brisantes Thema in den Fokus gerückt. Anregung und Aufregung zugleich sind garantiert, weil unterschiedliche Gesprächspartner zu Worte kommen. Sie diskutieren aktuelle Entwicklungen generell und im Blick auf verschiedene „islamische“ Länder, hinterfragen Entwicklungen in Deutschland und geben auch theologischen Überlegungen Raum. Dies alles geschieht in gedrängter und dennoch übersichtlicher Kürze.
Der Herder-Verlag hat der neuesten Nummer seiner renommierten Herder-Korrespondenz ein brisantes Thema in den Fokus gerückt. Anregung und Aufregung zugleich sind garantiert, weil unterschiedliche Gesprächspartner zu Worte kommen. Sie diskutieren aktuelle Entwicklungen generell und im Blick auf verschiedene „islamische“ Länder, hinterfragen Entwicklungen in Deutschland und geben auch theologischen Überlegungen Raum. Dies alles geschieht in gedrängter und dennoch übersichtlicher Kürze.
Im Mittelpunkt dürfte die Auseinandersetzung zwischen dem
bekannten Islamwissenschaftler Mouhanad
Khorchide (Universität Münster) und dem Wissenschaftsjournalisten Hamed Abdel-Samad stehen (S. 5–9).
Letzterer spitzt seine polemische Islamkritik
in einer Weise zu, dass eigentlich nichts Positives mehr an dieser Religion
übrigbleibt. Er liefert im Grunde allen Islamophoben eine Steilvorlage, wenn er
etwa behauptet, dass der Prophet Mohammed keinerlei Vorbild sein könne und sich
der sog. Islamische Staat (IS) direkt aus dem Grundverständnis des Islam
ableite. Khorchide aber zieht ein logisches Argument heran: „Wenn der IS die
Konsequenz wäre aus der Lehre Mohammeds … wäre die Mehrheit der Muslime froh
über den IS, würde den Staat unterstützen und sich damit identifizieren. Das
ist aber gerade nicht der Fall“ (S. 9). Die derzeitigen muslimischen
Flüchtlingsströme nach Europa sind der faktische Gegenbeweis.
So versucht der Islamwissenschaftler Behnam Timo Said (Mitarbeiter der Stadt Hamburg) die Anziehungskraft
des IS zu erklären: „Der Salafismus und insbesondere seine militante
Ausprägung, der Dschihadismus, sind derzeit die radikalsten Gegenentwürfe zur
materialistischen Gesellschaft“ (S. 11). Hier wird eine starke
Identitätsfindung und neue Werteorientierung denjenigen versprochen, die sich
in der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft sozial ausgegrenzt fühlen (S.
12).
Hierher gehört auch der Beitrag des Rechtswissenschaftlers Jörn Thielmann (Universität Erlangen-Nürnberg)
(S. 39–42): Da der gewalttätige Salafismus
offensichtlich bei jungen Muslimen Anklang findet, muss doch daraus nicht zwingend
der Weg in den Terrorismus folgen. Das belegt die Mehrzahl der jungen
friedliebenden Muslime.
Der liberale Muslim Abdul-Ahmad
Rashid (ZDF-Redakteur) sieht das Reformjudentum als Vorbild für einen an
der Gegenwart orientierten Islam innerhalb der säkularen Gesellschaften Europas
(S. 29f).
So lässt sich in diesem Heft eine Tendenz feststellen, den Koran
und die islamische Praxis der meisten (muslimischen) Bürger unter den heutigen
Bedingungen zu verstehen und durchaus als Botschaft der Menschenwürde zu
verdeutlichen. So betont der ebenfalls an der Universität Münster lehrende Milad Karimi, dass der Koran schon
deshalb eine besondere Verantwortung für die Flüchtlinge fordert, weil jeder einzelne Mensch letztlich die
gesamte Menschheit repräsentiert (S. 4). Das lässt sich auch am Dauerthema „Kopftuch“ durchspielen. Die Juristin
und Bloggerin Betül Ulusoy hält die Emanzipation muslimischer Frauen für
selbstverständlich und notwendig, plädiert aber auch für eine muslimische
Identität, in der Kopftuchverbote kontraproduktiv sind (S. 13). Die Politikerin
Lale Akgün erinnert allerdings daran,
dass das Kopftuch bis heute als „Mittel des Patriarchats zur Unterdrückung der
Frau“ missbraucht wird (S. 15).
Die interreligiösen
Aspekte im Blick auf den Islam betont der Juniorprofessor Tobias Specker SJ (Hochschule St.
Georgen, Frankfurt/M.), indem er auf die Neubewertung der anderen Religionen im
Sinne von Hochachtung und Respekt durch die Katholische Kirche verweist (S.
16–20). Dies geschah geradezu bahnbrechend mit dem Konzilsdokument „Nostra
Aetate“ (1965).
Im Sinne kleiner „Länderberichte“
beschreibt der Islamwissenschaftler Felix
Körner SJ (Universität Gregoriana Rom) die Rückkehr der islamischen
Religion in die bisher noch laizistisch geprägte Türkei (S. 21–22). Hierher passt durchaus der Beitrag von Friedmann Eißler von der Ev.
Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin. Er sieht in der
weltweiten Gülen-Bewegung nicht eine
konservativ agierende, aber sich reformorientiert gebende Theologie. Zugleich wird
ein Netzwerk politischer Einflussnahme in der Türkei sichtbar mit der Vision einer wahrhaft muslimischen
Gesellschaft (S. 46–49). Der Iran
dagegen ist als Spezialfall eines extrem konservativen schiitischen
Gelehrtenklerus anzusehen, wie der Islamwissenschaftler Peter Heine (Humboldt-Universität Berlin) betont (S. 23–24). Ob
sich damit aber die große Gruppe junger Menschen im Iran auf Dauer abfinden
wird, bleibt abzuwarten. Beim Blick auf Jordanien
fällt schon geografisch auf, dass sich dieses Land in einer Zwickmühle befindet,
die politisch und militärisch in der letzten Zeit beunruhigende Brisanz
gewonnen hat. Der religiös offene Staat – gerade was seine Minderheiten der
Christen und Drusen betrifft – muss inzwischen mit einer wachsenden Flüchtlingszahl
leben, für die er kaum sorgen kann. Er kämpft auch gegen die machtpolitischen
Einflüsse der Muslimbruderschaft und der wesentlich gefährlicheren
salafistischen/wahabitischen Richtungen. Das betont Otmar Oehring, der für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman
arbeitet (S. 25–28).
Rechtliche Aspekte im
Sinne staatlicher Neutralität gegenüber den Religionen bringt der Jurist und
Theologe Fabian Wittek (Universität
Würzburg) zur Sprache, indem er zwei Schwierigkeiten thematisiert: Den Islamischen Religionsunterricht und die
Frage nach der Körperschaft öffentlichen
Rechts für den Islam (S. 31–34). Den Aspekt von Wohlfahrt, Diakonie und
Caritas behandelt der katholische Theologe Hansjörg
Schmid (Universität Fribourg, CH). Er plädiert aufgrund des
Sozialverständnisses der Religionen für einen islamischen Wohlfahrtsverband – parallel zu den kirchlichen und
zivilgesellschaftlichen Einrichtungen (S. 35–38).
Ausgesprochen problematisch wirkt sich die andauernde Islamfeindlichkeit in der deutschen
Öffentlichkeit aus. Die Medien haben mit einer gewissen Stereotypik und
Schwarz-Weißmalerei sicher eine gewisse Einflusswirkung auf das „Feindbild
Islam“, wie der Kommunikationswissenschafler Kai Hafez (Universität Erfurt) darlegt (S. 42–45). Die Politik muss
darum mehr für „Islamfreundlichkeit“ tun.
Islamische Theologie in ihren
Strukturen und Ausbildungsmöglichkeiten verhandelt der Professor für Islamische
Religionslehre, Harry Harun Behr
(Universität Erlangen-Nürnberg). Er spielt dies an den Möglichkeiten des
Studiums für künftige Islamlehrer in der
Schule durch (S. 50–53). Michael Marx
von der Arbeitsstelle „Corpus Coranicum“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie
der Wissenschaften beleuchtet dagegen (ähnlich wie Khorchide) die
geschichtlichen Zusammenhänge der Koran-Entstehung.
Das geht nicht ohne exakte historische Forschungen (S. 54–57). Ist dies für
eine konservative Koran-Interpretation schon heikel, so wird es dies noch mehr
durch das Reizwort „Scharia“ (S.
57–59). Der Spezialist für Islamisches Recht an der Universität Tübingen, Mouez Khalfaoui, versucht zu zeigen,
dass unter Beachtung des Grundgesetzes im Bereich
des bürgerlichen Rechts kaum Konflikte mit der geltenden Ordnung auftreten
würden (S. 57–59). Schwieriger dürfte es beim Strafrecht und der Auslegung der Religionsfreiheit sein. Der islamische Theologe Mahmoud Abdallah (Universität Tübingen)
sieht eine erhebliche Gefährdung bei Konvertiten
und bei Konversionen überhaupt (S.
60–62), und zwar dann, wenn die islamische Theologie hier auf die Durchsetzung
von Wahrheits- bzw. Machtansprüchen pocht – und dies, obwohl der Islam im
Grunde volle Glaubensfreiheit garantiert ! (S. 61).
Als letztes Kontroversthema wird das sog. Bilderverbot im Islam angesprochen (S. 63–64, der Hinweis fehlt im
Inhaltsverzeichnis S. 3). Hier gibt es keineswegs eine klar definierte
theologische Grundlage, wie die Journalistin Mounia Jammal (Paris) ausführt. Sie belegt dies
kunstwissenschaftlich interpretierend mit den diesem Heft beigefügten Bildern
der libysch-kanadischen Künstlerin Arwa
Abouon.
Bilanz: Wer
sich kompakt und präzise zugleich mit vielfältigen geschichtlichen und aktuellen
Strömungen „des“ Islam beschäftigen will, wird nach dieser Lektüre nicht nur
einen erheblichen Erkenntnisgewinn haben, sondern auch wesentliche
Zusammenhänge in den derzeitigen oft polemisch gefärbten Debatten besser
verstehen.
Reinhard
Kirste
Rz-Herder-Korr-Islam, 05.11.15
Kommentar von Dr. Alfred Schlicht, Berlin (12.10.2020):
Autor: Dr. Alfred Schlicht
E-Mail: alfredschlicht@hotmail.com
Khorchide ist Vertreter eines 'modernen', an heutige Verhaeltnisse angepassten, eines neuinterprtierten Islam. Manche glauben, der von ihm geschilderte Islam sei der real existierende. Abdel-Samad zeigt den Islam , wie er [vielfach] wirklich ist - und das ist in den seltensten Fällen der Khorchide-Islam. Abdel-Samad tritt dabei oft bewusst provokativ auf.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen