Montag, 14. Dezember 2015

Die Muslime und die Herrschaft über das Mittelmeer



Christophe Picard: La mer des califes.
Une histoire de la Méditerranée musulmane:
VIIe-XIIe siècle.

Collection : L’univers historique.

Paris: Seuil, 2015, 439 p, glossaire, annexes, index
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ISBN 978-2-02-098381-5 
Das Meer der Kalifen.
Eine Geschichte des islamischen Mittelmeers:
7.- 12. Jahrhundert
--- Comptes rendus en français
    au bout du texte allemand
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Die Völker der vorderasiatischen, nordafrikanischen und europäischen Antike haben immer wieder versucht, auch ihre Machtansprüche in der Beherrschung des Mittelmeers zu stabilisieren. Die Römer nannten das Mittelmeer nicht umsonst „Mare Nostrum“. Mit dem Anwachsen der islamischen Herrschaft in dieser Region und in Auseinandersetzung mit den Mächten auf der Norseite des Mittelmeers seit  Karl d. Gr. ist klar, dass es auch immer um die Seeherrschaft im Mittelmeer ging. Die christliche Geschichtsschreibung allerdings hat lange die islamischen Ansprüche eher unter Piraterie abgetan und die Bedrohung durch die Überfälle an den Küsten nicht unter staatspolitisches Kalkül eingeordnet. Es schien den europäischen Historikern auch, als hätte sich das islamisch-politische Interesse mehr in Richtung Persischen Golf und westliches Arabien mit Djidda, Mekka und Medina verlagert. Das vorliegende Buch von Christophe Picard bedeutet darum eine neue Sicht auf die mittelalterliche Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der arabischen Quellen. Der Autor, Professor an der Pariser Sorbonne, ist im Übrigen ein ausgewiesener Spezialist für mittelalterliche Geschichte. Er hat schon eine Reihe von Forschungsergebnissen in dieser Richtung veröffentlicht.


In der Einleitung macht Picard bereits deutlich, dass die arabischen Quellen seit 750 ein erstaunliches Interesse am Mittelmeer zum Ausdruck bringen, und zwar neben dem islamischen Einfluss am Roten Meer und Persischen Golf. Omayyaden und später die Fatimiden gehören in verstärkter Weise zu den Herrschern, die sich die Vorherrschaft im Mittelmeer gegen die Christen sichern wollten. Ibn Khaldun (gest. 1406) proklamierte ein Mittelmeer unter islamischer Herrschaft. Was hier nur skizziert ist, belegt Picard in 2 Hauptteile:

1.      Die Araber und Herrschaftsansprüche über das Mittelmeer –             
       östliche und westliche islamische Reiche (7./8.– 12./13. Jahrhundert)

2.     Die Strategien der Kalifen zur Sicherung der Herrschaft im Mittelmeer und der Niedergang der islamischenHerrschaft (vor dem Erstarken des Osmanischen Reiches)
Die Anhänge enthalten ausführliches historisches Kartenmaterial für die im Buch besprochenen Epochen. Dazu kommen Chronologien zu arabisch-militärischen See-Expeditionen ins westliche Mittelmeer und zur „sarazenischen Piraterie“ sowie deren Invasionen auf die Mittelmeerinseln und auf die Nordseite des Mittelmeeres. Abgerundet wird dies alles mit einem sorgfältigen Glossar und einem umfassenden Index. Das erleichtert die vertiefende Lektüre ganz wesentlich.
Im 1. Teil zeigt der Historiker Picard, wie die Araber das Mittelmeer für sich entdecken und beanspruchen. Die Eroberungszüge durch Nordafrika und bis auf die Iberische Halbinsel eröffnen weite Regionen als neue Hoheitsgebiete. Diese Expansionsstrategien beziehen sich nicht nur auf die Länder auf der Südseite des Mittelmeers. Das zeigen bereits wichtige Quellen des frühen Mittelalters zwischen Bagdad, Kairouan und Córdoba. Die Beschreibungen von al-Mas’ûdî (10. Jh.), der Geografen al-Bakri (1014–1094) und al-Idrîsî (1100–1166) sowie des Historikers und Rechtsgelehrten Ibn Khaldun (1332-1406) geben erstaunliche Einsichten. Mit Byzanz einigt sich das Kalifat von Bagdad quasi auf eine Teilung der Herrschaftsbereiche im Mittelmeer. Dies ist zugleich die Zeit (9./10. Jh.), in der muslimische Geografen wie Ibn Hawqal (gest. nach 978) quasi das „Bassin des Mittelmeeres“ und seine angrenzenden Gebiete vermessen. Etwas später muss berücksichtigt werden, dass die Normannen im islamisch beanspruchten Mittelmeer zu Konkurrenten, aber auch als begrenzt Verbündete der „Sarazenen“ heranwachsen (vgl. S. 179–185). Mit den Almohaden endet schließlich die islamische Herrschaft über das Mittelmeer.

War der 1. Teil des Buches von den geschichtlichen Entwicklungen geprägt, so geht es im 2. Teil um die Strategien der Kalifen. Picard beginnt auch hier beim Omayyaden-Kalifen Mu’âwiya. Er zeigt, wie sich die Abassiden mehr und mehr die Herrschaft über das Mittelmeer mit entsprechender Kriegsmarine sichern. Imm er wichtiger neben kriegerischen Einflüssen wird der Handel zu den verschiedenen Ufern des Mittelmeers. Schließlich müssen sich islamische Herrscher mehr und mehr mit den Ansprüchen christlicher Herrscher auseinandersetzen. Was als „djihad“ begonnen hatte, wird bald zum Problem des imperialen Duchsetzungsvermögens. Die Abassiden geraten nach einer ersten (auch wissenschaftlichen) Hochblüte in eine Art defensiven „djihad“ – auch mit dem Aufbau von sog. Ribats, burgenähnliche Grenzsicherungen in Syrien und Nordafrika (vgl. S. 251–288, vgl. schon S. 93–99). Interessant ist dabei, dass nordafrikanische und mitttelöstliche Herrscher hier bereits eine eigenständige Rolle spielen, eine Tendenz die sich noch verstärkt, als die iberischen islamischen Fürstentümer ihre Ambitionen zum Meer hin ausbauen und der djihad in den Westen des Mittelmeers durch die Fatimiden im 12. Jh. an ihr Ende kommt. Zusätzlich hatte faktisch eine Revolution in den Handelsmechanismen stattgefunden. Dazu gehörten auch Arrangements mit der byzantinischen Herrschaft. Dieser intensive Seehandel zeigt sich besonders während des 12./13. Jh.s im Maghreb und in Andalusien zur Zeit der Almohaden-Herrschaft. Seehäfen wie Tortosa, Dénia, Almería, Málaga, Ceutá, Algier, Algeciras und Sevilla spielen eine zunehmende Rolle. Es dauert ziemlich lange, bis es den Republiken Genua, Pisa und später Venedig gelingt, den gesamten Mittelmeerhandel unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie alle nutzen faktisch das, was die Kalifatsherrschaft mit ihrer defensiven „Dijhad“-Politik eingeleitet hatten:    
Das Mittelmeer – ein einheitlicher Raum.
Als präzis formulierte Bilanz (S. 345–351) hält Picard fest, dass nicht der Indische Ozean, das „Arabische Meer“ im Zentrum der Machtausbreitung und Machtsicherung der islamischen Herrscher lag, sondern vielmehr das Mittelmeer, das allerdings nie zum Dar al-Islam, zum Haus des Friedens, gehörte:
"Das Meer der Römer als Bereich des Krieges (sc. Dar al-harb) war zum großen und schrecklichen Feld der Demonstration islamischer Universalität unter der Führung des Kalifen geworden. Das Mittelmeer verkörperte den feindlichen Raum für die Gläubigen par excellence. Es wurde zur gleichen Zeit das Meer des Martyriums, das mit der Eroberung von Konstantinopel und Rom vollendet werden musste. Dies ging dem Beginn der Heilszeit voraus"(S. 346). "Unter der Autorität der Kalifen von Bagdad, konnte nur das Meer der Römer, also das Meer des Feindes, die Inszenierung des von den Kalifen gesteuerten Djihad sein, verbunden mit jeder Art von Expansion, Missionierung, militärischem oder kommerziellen Proselytismus“ (S. 351).
Jeder, der sich durch dieses Buch „hindurchliest“ wird von den intensiven Recherchen des Autors beeindruckt sein. Diese Arbeit bietet eine neue Sicht auf die Versuche und Erfahrungen der Kalifatsherrschaft über das Mittelmeer. Ich würde es sehr begrüßen, wenn man dieses Buch in einer deutschen Ausgabe lesen könnte!
Bilan:
Formulé précisément comme bilan (p 345-351) Picard note
que
l'océan Indien, la « mer Arabe » n’était pas dans le centre de l’expansion et de la consolidation du pouvoir des dirigeants musulmans, mais plutôt la Méditerranée, laquelle n’était jamais une partie du
Dâr al-Islam, de la Maison de la Paix:

“Espace de guerre, la mer des Romains était devenue la champs immense et terrifiant de la démonstration de l’universalité islamique, sous la conduit du calife. 
La Méditerranée incarnait l’espace hostile par excellence pour le croyant, devenue du même coup la mer du martyre et dont la conquête, qui devait s’achever avec la prise de Constantinople et de Rome, 
précédait l’ouverture du temps de salut” (p. 346).
„Sous l’autorité des califes de Bagdad, seul la mer des Romains, c’est-à-dire la mer ennemie pouvait être le théatre de la mise en scène du jihad califal, associant toute forme d’expansion, prosélyte, militaire ou commerciale (p. 351).
Chacun/e que « passe en lisant » ce livre sera impressioné/e de ces recherches intenses. Ce travail offre une vue nouvelle sur les essais et les expériences de la domination califale sur la Méditerranée. Je serais bien aisé de lire ce livre dans une édition allemande !

Extrait d’un compte rendu de Daniel Rivet dans:
Chrétiens de la Méditerranée. Le réseau des acteurs de paix (07.09.2015)
Complètement:
http://www.chretiensdelamediterranee.com/recension-la-mer-des-califes-christophe-picard/

“… [Picard] montre que les califes abbassides de Bagdad, omeyyades de Cordoue et fatimides au Caire ont conçu la Méditerranée comme un espace à défendre contre les Byzantins et les cités italiennes, et à traverser pour aller à Constantinople et à Rome. Ce fut le  point cardinal de leur aspiration à l’universalisme . Il fait mesurer l’effort des souverains (émirs, califes) pour fortifier les côtes: ports arsenaux (dâr al-sinâ’a), mouillages (…). La mer oppose, mais elle unit. Le commerce ne s’interrompt jamais entre les deux rives. C. Picard démontre – et c’est l’aspect le plus neuf de son livre – que des ports comme Alméria, Ceuta, Mehdiyya, Alexandrie soutiennent la comparaison avec les fameuses républiques marchandes de Gênes, Pise, Amalfi et Venise. Des fatwas de jurisconsultes traitant du commerce maritime, des correspondances de marchands (juifs au Caire) nous révèlent que jusqu’au XIIème  siècle les marchands musulmans soutiennent la comparaison avec leurs rivaux italiens ou catalans …C. Picard considère, au contraire, que c’est l’Etat, byzantin et califal, qui a encadré l’essor du grand commerce transcontinental et que les marchands (musulmans ou latins) se sont logés dans une infrastructure matérielle et mentale qui fut fabriquée par les empires. On aurait souhaité que cette hypothèse soit plus longuement affinée et qu’on en sache plus sur les bahriyyûn (les marins). Cet ouvrage savant et important ne sait pas toujours trier l’essentiel de l’anecdotique.”

Travaux antérieurs du Christophe Picard:

--- Compte rendu de François Clément dans:
Médiévales
Année 1998 Volume 17,  Numéro 35 pp. 153-154:
Christophe Picard, La mer et les musulmans d'Occident au Moyen Âge, VIIIe-XIIIe s.
Paris: Presses Universitaires de France (Islamiques), 1997, 257 p., 6 cartes, bibliographie, index onomastique
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http://www.persee.fr/doc/medi_0751-2708_1998_num_17_35_1438_t1_0153_0000_1
Avec référence sur: L'Océan Atlantique musulman. De la conquête arabe à l 'époque almohade.
Navigation et mise en valeur des côtes d'al-Andalus et du Maghreb occidental (Portugal-Espagne-Maroc).

Paris: Maisonneuve et Larose 1997, 620 p.

Extrait: “La période étudiée va du franchissement du détroit de Gibraltar par les musulmans en 709-711 à la conquête chrétienne de la côte atlantique de l'Espagne entre 1248 et 1266. Elle couvre donc les cinq siècles au cours desquels les marines musulmanes contrôlèrent, autour de l'« Axe central » du Détroit, les pôles ibérique et africain d'une part, atlantique et méditerranéen de l'autre, c'est-à-dire un vaste périmètre navigable dont les angles seraient Lisbonne et Nul Lamta sur la façade atlantique, Tortosa, les Baléares et Alger sur la façade méditerranéenne. … la valeur d'un travail dont le mérite principal est de démontrer l'importance du fait maritime, en particulier du fait maritime atlantique, qu'on avait largement sous-estimé, si ce n'est même ignoré, jusque-là. Ne serait-ce que pour cette mise en perspective enrichissante, le livre de Chr. Picard a toutes les chances de devenir, bientôt, un ouvrage de référence”.
Reinhard Kirste
Rz-Picard-mer des califes, 13.12.15 


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