Mouhanad Khorchide: Gott glaubt an
den Menschen. Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus.
Freiburg u.a.: Herder 2015, 272 S. --- ISBN 978-3-451-34768-0 ---
Freiburg u.a.: Herder 2015, 272 S. --- ISBN 978-3-451-34768-0 ---
Entwurf einer islamisch-humanistischen Theologie:
Der Münsteraner islamische
Theologe Mouhanad Khorchide zeigt in diesem Buch, dass das islamische
Verständnis eines barmherzigen Gottes mit menschlichem Verhalten in direkter
Beziehung steht. Das sollte im Grunde zur Folge haben, dass der Mensch in
freiheitlicher Verantwortung bewusste Mitmenschlichkeit lebt. Ein solcher
Humanismus führt über Religionsgrenzen hinaus.
Ausführliche Beschreibung
Dies ist
bereits ein weiteres Buch des islamischen Theologen Mouhanad Khorchide, das ein
verändertes humanistisches Verständnis des Islams zum Ziel hat. Als
Koranausleger setzt er hermeneutische Leitbegriffe ins Licht einer Gesamtintention,
die sich von Absolutheitsansprüchen in der Koran-Deutung fernhält.
Als sein
Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ (Herder-Verlag
2012) erschien, wurde darin bereits ein anthropologisches Grundmuster des
Koran-Verständnisses deutlich – der Mensch als Mittelpunkt von Gottes Zuwendung.
Ein entscheidender Wesenszug Gottes ist dabei Barmherzigkeit. Der Islam ist folglich
auf Friedensförderung und Menschlichkeit, und nicht auf Gewalt ausgerichtet.
Vgl. die Rezension: http://buchvorstellungen.blogspot.de/2013/01/islam-ist-barmherzigkeit.html
Vgl. die Rezension: http://buchvorstellungen.blogspot.de/2013/01/islam-ist-barmherzigkeit.html
Das betont
Khorchide auch mit der Untersuchung des Begriffsfeldes „Scharia“ in „Scharia – der missverstandene Gott“ (Herder
Verlag 2014). Scharia ist gewissermaßen der von Gott gesetzte Rahmen für eine lebensfreundliche
Orientierung, die das Verhalten des Einzelnen wie das der Gemeinschaft betrifft.
Vgl. die
Rezension: http://buchvorstellungen.blogspot.de/2013/12/scharia-menschenfreundliche.html
Was schon im
2. Kapitel angesprochen wurde, verdeutlicht nun das Kap. 3: Im Islam gehören wahrer Humanismus und menschliche Freiheit
untrennbar zusammen. Das mag manchem Islamkritiker unglaubwürdig klingen,
Khorchide belegt dies jedoch nicht nur mit Koranzitaten, sondern mit dem
islamischen Grundverständnis, dass Gottes Barmherzigkeit und Friedenswille im
Menschen wenigstens annäherungsweise zur Geltung kommen sollen. Diese
Korrelation macht es im Grunde unnötig, dass sich Gott – wie im Christentum –
in einem Menschen inkarniert (S. 85).
Kap. 4 geht vom bisher mehr grundsätzlichen Verhandelten in
die Entwicklungsgeschichte humanistischer Ideen und Konzepte über. Der Autor
legt den Schwerpunkt schließlich auf das 20. Jh. Dabei kommen auch die
Theologen Karl Barth und Karl Rahner zur Sprache. Neben dieser europäischen
Humanismus-Geschichte mit ihren vielen Facetten fragt man natürlich, was der
Islam dazu beigetragen hat bzw. beitragen kann.
Angesichts
des Negativklischees, das dieser Religion gerade im Westen anhaftet, ist man
gespannt, was Khorchide in Kap. 5 dazu
vorstellt: Es sind offene Konzepte einer
islamischen (Bildungs-)Kultur in Philosophie, Literatur und Sinnfindungsfragen,
die den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit ernst nehmen. Die Besonderheit
liegt jedoch offensichtlich darin, dass dieser Humanismus zugleich ein religiös
geprägter ist. Dieser beruft sich immer wieder auf die universale Schöpfung
Gottes und seine verantwortliche Bewahrung durch den Menschen. Es ist ein „Sich
Öffnen“ im Horizont der Freiheit des Menschen. Allerdings hörte diese Haltung seit
dem 11. Jahrhundert langsam zugunsten einer Theologie des „Sich-Verschießens“
auf (S. 137), während im christlichen Europa eine gegenläufige Tendenz unter
Aufnahme griechischer und arabischer Philosophie wirksam wurde. Khorchide
möchte aber diese originale islamische Haltung des „Sich-Öffnens“ wieder aufnehmen.
Denn hier wird der Mensch nicht nach seiner Effizienz und seiner Leistung
gemessen. Es gilt vielmehr, „das Göttliche“ im Menschen hervorzuheben (S. 151).
Angehaucht von Gottes Geist ist darum allen
antihumanistischen Tendenzen entgegenzuwirken (Kap. 6). Das gilt besonders jenen, die
die Religion als Rechtfertigung für ihr gewaltsames Handeln gegen alle
„Ungläubigen“ missbrauchen. Es ist also hier generell – aber auch von den unterschiedlich
Glaubenden im Nahen und Mittleren Osten – ein Perspektivwechsel nötig, damit
man den „Anderen“ verstehen kann. Damit greift Khorchide das heikle Thema der Gewalt auf, das er bereits
mit dem Titel seines Kap. 7
formuliert und dann ausführlich begründet: „Warum Gewalt mit dem Islam zu tun hat, der Islam aber nichts mit Gewalt
zu tun haben will“ (S. 167). Wie alle monotheistischen Religionen ist der
Islam wie auch Judentum und Christentum keine pazifistische Religion ... Der
Islam erlaubt die Selbstverteidigung, verbietet jedoch den Angriffskrieg
(Stichwort: Djihad). Insgesamt ist
die Ausrichtung jedoch auf Frieden konzentriert, was der Koran vielfach
bezeugt. Dass der Autor hier nicht generell islamische Zustimmung findet, liegt
auf der Hand. Auch islamische Herrscher haben ja z.T. brutale Gewalt ausgeübt.
So gilt es, sich mit der eigenen fast klassisch-theologischen Tradition im
Verhältnis von Muslimen und Nicht-Muslimen kritisch auseinanderzusetzen. Darum
sollte man sich Reformen nicht verweigern und keine exklusivistischen Rückgriffe
auf frühere Positionen vornehmen. Durch absolute Deutungsansprüche kann man
eigene Identitätsunsicherheiten aufgrund gesellschaftlicher Ausgrenzung nicht
beheben. Im Sinne eines gerechten und barmherzigen Gottes sollte klar sein,
dass Er keine „Hölle“ zur Bestrafung braucht, sondern Hölle und Himmel, sind
vielmehr Symbole von Scheitern und Erlösung. Dafür gibt es starke Argumente aus
dem Koran, die Khorchide als Orientierungsmarken weiter erläutert (S. 202–216):
- Die Vielfalt der Religionen ist gottgewollt.
- Gott allein ist Richter zwischen den Menschen und zwar im „Jenseits.
- Der Koran verbietet ausdrücklich Zwang in religiöser Hinsicht.
- Der Mensch trägt als freies Geschöpf die Verantwortung seiner „weltanschaulichen Selbstbestimmung“.
- „Nicht jeder, der nicht an Gott oder den Islam glaubt, ist ein Leugner.“
- Der Koran selbst ist nicht exklusivistisch, sondern lässt anderen Glaubensweisen Raum.
- Exklusivismus ist Ausdruck von Selbstunsicherheit und Angst vor dem Hinterfragen gängiger Positionen.
Mit diesen
Leitlinien macht sich der Theologe natürlich bei Extremisten keine Freunde. Als
Wissenschaftler sieht er den Koran und die Hadithe im Sinne eines „offenen
Prozesses“. Sonst könnte es ja keine Weiterentwicklung und Entfaltung einer
Religion geben.
Im Kap. 8, „Der Beitrag des Islams für den
Humanismus heute“ belegt Khorchide mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, der
Shahada, dass Gott als die absolute Wahrheit alles Menschliche ins Relative
verweist. Der Mensch ist also immer auf dem Weg, ein Suchender in Relation zu
Gott, so wie Gott selbst immer im Bezug zum Menschen steht. Menschlicher
Humanismus ist der Versuch, sich auf die göttliche Barmherzigkeit einzulassen
und im eigenen Handeln zu bewahrheiten.
Bilanz
Mit seinem
islamischen Humanismus-Entwurf kann sich der Münsteraner Theologe nicht nur auf
wichtige Vertreter der islamischen Theologie des frühen Mittelalters berufen,
sondern auch auf Denker des 19. und 20. Jahrhunderts.
Vgl. dazu
die Besprechung: Katajun Amirpur u.a.: ReformerInnen im Islam:
Man kann nur
wünschen, dass der Autor das hier skizzierte Konzept in Zukunft noch weiter
ausführt. Was dieses Buch aber insgesamt so lesenswert macht, ist m.E.
Folgendes: Khorchide erinnert und entwickelt eine Koranauslegung weiter, die
dem Frieden und der Versöhnung dient. Seine hermeneutische Offenheit gegenüber
der eigenen Glaubensurkunde als geoffenbartem Wort Gottes ist ein mutiger
Schritt hin zu einem Humanismus, der dogmatisch gesetzte Grenzen bewusst
überschreitet. Andersdenkende anderer Religionen und Weltanschauungen werden
somit positiv herausfordert. Hinzu kommt das Aufscheinen einer persönlichen Glaubensbasis,
von der her der Wissenschaftler seine eigene Lebensorientierung nimmt. Der
Streit gerade innerhalb der islamischen Theologie wird durch diesen Entwurf
sicher wieder aufflammen.
Es bliebt zu hoffen, dass auf Dauer Ähnliches gelingt wie in der christlichen Theologie. Die
heftigen und polemischen Auseinandersetzungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts
um die historisch-kritische Forschung, um Bultmanns
„Entmythologisierungsprogramm“, um die „neue Hermeneutik“, die feministische
und die religionspluralistische Theologie haben inzwischen weitgehend zur
Versachlichung geführt. Dadurch wird die christliche Theologie auch in der
Moderne wieder einigermaßen glaubwürdig und philosophisch diskursfähig.
Kurzum: Angesichts
der nicht aufhörenden brutalen Anschläge von Daech, Al-Qaida, Boko Haram u.a.
ist dieses Buch ein geradezu notwendiges Signal für einen Islam als Partner
aller friedenswilligen Kräfte.
Reinhard Kirste
Rz-Khorchide-Humanismus, 30.11.15
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