Petrus
Martyr Anglerius: Legatio Babylonica. Edition,
Übersetzung und Kommentar von Hans Heinrich Todt.
Corpus Islamo-Christianum. Series Latina 8
Hg. Reinhold F. Glei.
Wiesbaden: Harrassowitz 2015, 450 S., Abb., Namenregister
--- ISBN 978-3-447-10347-3 --- (zugleich Diss. Ruhr-Universität Bochum,
chronologische Übersicht biografisch S. 48
- zur Gesandtschaft, S. 74)
Corpus Islamo-Christianum. Series Latina 8
Hg. Reinhold F. Glei.
Wiesbaden: Harrassowitz 2015, 450 S., Abb., Namenregister
--- ISBN 978-3-447-10347-3 --- (zugleich Diss. Ruhr-Universität Bochum,
chronologische Übersicht biografisch S. 48
- zur Gesandtschaft, S. 74)
Biografischer Überblick
Petrus
Martyr Anglerius wurde 1457 in Arona
am Lago Maggiore geboren. Er stammte aus einer geachteten Familie aus dem in
der Nähe liegenden Angera. Dem Leser tritt Petrus Martyr als hoch gebildeter
Humanist entgegen. Das zeigt allein schon sein geschliffenes Latein. Sein Weg
führte über Rom an den spanischen Hof. Dort gewann er sehr schnell die Gunst als
Berater der „Katholischen Könige“ Ferdinand II. (1452–1516) und Isabella I.
(1451–1504). Dafür ließ er sich auch zum Priester weihen und wurde der
Beichtvater der Königin (1492). Besonders herauszuheben sind im Jahre 1501
seine diplomatischen Missionen, die in drei Büchern der Legatio Babylonica beschrieben werden. Er reiste durch Frankreich nach
Venedig (Buch 1). Bei dieser Mission ging es um die Verbesserung der
Beziehungen zum spanischen Hof. Seine Weiterreise entlang der dalmatinischen
Küste über Kreta und das Etappenziel Alexandria erzählt Buch 2. Die Nilfahrt
und seinen Aufenthalt in Kairo in der Nähe und am Hof des Sultans von Ägypten
thematisiert dann Buch 3. Offensichtlich als Lohn für seine Diplomatie wurde er
zum Leiter der Hofschule für die Heranwachsenden der königlichen Familie
berufen (1502) und zum Prior von Granada (1503) ernannt. Schließlich gelang es
ihm noch, Mitglied des Hohen Rats von Indien und dann noch Bischof von Jamaika zu
werden. Dorthin kam er jedoch nicht mehr. Er starb 1526 in Granada.
Der Mittelmeerraum im
späten Mittelalter
Was
hier vom Autor nüchtern in Erinnerung gerufen wird, ist eine Geschichte in kriegerisch-multikulturellen
Kontexten. Sie erreicht ihren ersten Höhepunkt im Zusammenhang der Eroberung
von Granada 1492, des letzten islamischen Fürstentums auf spanischem Boden, Vertreibung
der Juden, Niederschlagung der Moriskenaufstände, also der z.T. zwangsbekehrten
Muslime.
Aber neben einem
glühenden missionarischen Verfechter eines sich absolut gebärdenden Christentums
tritt uns ein literarisch, historisch und geografisch höchst kompetenter Intellektueller
entgegen. Davon zeugt u.a. die von ihm vorgelegte erste umfassende Beschreibung
Amerikas („De Orbe Novo Decades“
(1511/1516) und seine zeitgeschichtliche Darstellung („Opus epistolarum, 1530). Martyrs Gesandtschaft nach Ägypten gibt
zugleich neben interessanten Detailbeschreibungen Norditaliens und Venedigs
einen aufschlussreichen Einblick in das Land am Nil.
Isabella I. und Ferdinand II. im
Kontext der neu eingerichteten Inquisition in Kastilien. Dem folgt der Krieg
gegen die Muslime in Granada 1481–1492 und die daraus folgenden Aufstände der Morisken,
zwischen 1499–1501. In diesem Kontext bettet Todt die Lebensgeschichte Martyrs
ein. Die brutale
Vertreibungspolitik von Ferdinand und Isabella hatte den Mamluken-Sultan Qansuh
al-Ghuri auf den Plan gerufen, der den Katholischen Königen mit militärischem
Eingreifen drohte. Dadurch wurde der königliche Auftrag für die Gesandtschaft Martyrs
nach Ägypten besonders wichtig.
Todt betont neben Martyrs Werken besonders seine Persönlichkeit
als Diplomat mit einiger Durchsetzungskraft. Wie organisiert dennoch alles
ablief, zeigt die Bedeutung des Sultan-Dolmetschers Taghri Birdi
(wahrscheinlich spanisch-jüdischer Herkunft), der offensichtlich auch anderen (Handels-)Reisenden
aus Europa als Übersetzer diente. Martyrs beinahe gescheiterte
Verhandlungsstrategie angesichts des Widerstands von Exil-Granadinern und Juden
sowie maghrebinischer Gesandter kommt doch noch zu einem einigermaßen guten
Ende. Martyr vermischt verdeckte Drohungen eines Angriffs der katholischen
Könige zugunsten der Christen im Orient mit der Betonung gemeinsamer
katholisch-sultanischer Gegnerschaft im Blick auf einige Emire als mögliche
Putschisten gegen den Sultan. Der Diplomat aber wäre nicht zugleich Literat,
wenn diese Verhandlungen nicht auch entsprechend sprachlich quasi als ausführliche
parteipolitische Dokumentation für die Auftraggeber gemeistert würden.
Die Missachtung und Schmähung der
Andersgläubigen
Im Blick auf die Verachtung Martyrs für Juden und Muslime
einerseits und genauer Beobachtungsgabe gesellschaftlicher, geografischer und
historischer Gegebenheiten andererseits entstand ein ausgesprochen spannender,
informativer und durchaus auch unterhaltsamer Bericht in drei Büchern. Er
spiegelt absolutistische Sichtweisen und eine heute unerträglich wirkende
christliche Ablehnung gegenüber Andersgläubigen, aber auch gegenüber
Anderslebenden. Allerdings ist er in seiner Rede vor dem Sultan eben Diplomat,
wenn er diesem die Sicht der Katholischen Könige präsentiert: Die nach 1492
nach Nordafrika geflohenen Muslime würden allerdings die Großmütigkeit der
spanischen Krone bewusst ins Negative ziehen. Deshalb sollte der Sultan ihnen
nicht glauben. Noch schlimmer sieht es mit dem Verhalten der vertriebenen Juden
aus (S. 215–217), die Martyr gar als „räudiges und ansteckendes Vieh“
bezeichnet (S. 287). Allerdings zeigt seine ebenfalls niedergeschriebene
Vorbereitung der Rede – sozusagen eine Kurzfassung über die gesamte islamische
Geschichte (S. 245–271) auch seine wahre Einstellung gegenüber den Muslimen. Er
hält sie für moralisch verwerfliche und hassgierige Barbaren! Die sicher so nicht
vorgetragene Rede mit Schmeicheleien für die Auftraggeber enthält durch seine
Ausführlichkeit wichtige geografische, architektonische und historisch-genaue Beobachtungen.
Bilanz: Polemische Auseinandersetzung und Möglichkeiten interreligiöser Begegnung
Die Legatio
Babylonica muss als zeitgeschichtliches Dokument in der Auseinandersetzung
von christlichen und muslimischen Herrschaftsansprüchen gesehen werden, und
zwar angesichts der Tatsache, dass die Orte Jesu, seiner Jünger und seiner
Familie weitgehend unter islamischer Herrschaft standen – ein unauslöschlicher
Makel für jeden frommen Christen. Mehr noch: Die Dokumente zeigen die spanische
Religionspolitik in direkter Verbindung mit der Inquisition, also eine brisante
Mischung aus staatlicher und kirchlicher Gewalt gegen alles Andersartige. Hier
werden alle Vorurteile und Ablehnungsstrategien gegen Juden und Muslime
beunruhigend offengelegt, besonders extrem gegen die Juden. Dass sich
antijüdische und antiislamische Polemik bis heute solcher Argumente bedient,
macht eine Distanzierung von jeglicher diskriminierender religiöser Polemik dringend
nötig. Der hochgebildete Humanist Petrus Martyr bietet hier neben wichtigen
Einblicken in die Zeit um 1500 auch ein peinliches Beispiel eines sich absolut
gebenden Christentums gegen alle Andersgläubigen. Er liefert damit den
christlichen Antihaltungen gegen Juden und Muslime weiter Nahrung. Andere
Intellektuelle, die bereits vor ihm lebten, wie Ramon Llull (um 1232–1316) und Nikolaus
von Kues (1401–1464) haben trotz aller Absolutheitsansprüche und Missionierungstendenzen
immerhin schon beachtliche Ansätze für den interreligiösen Dialog geleistet.
Die sorgsame
und aufschlussreiche Forschungsarbeit von Todt nötigt im Grunde dazu, mit der
gemeinsamen historischen Aufarbeitung der Gewaltgeschichte gegen
Andersglaubende zu beginnen. Voraussetzung jedoch ist, dass historische Redlichkeit
den Blick für die (spät-)mittelalterliche Problemgeschichte des Mittelmeers
freimacht. Dem Autor ist zu danken, dass er die ambivalente Persönlichkeit des Petrus
Martyr zugleich als eine Herausforderung begreift, Annäherungen im Dialog
voranzubringen. Mit seiner Arbeit hat er dafür eine ausgesprochen klärende
Wegmarkierung gesetzt.
Vgl. bereits die Begegnung von Franziskus von Assisi mit dem Sultan Malik al-Kamil im Jahr 1219,
in: John Tolan: Le Saint chez le Sultan - La rencontre de François d'Assise et de l'islam.
Huit siècles d'interprétation. Paris: Seuil 2007, 504 pp., Ill., index:
Vgl. bereits die Begegnung von Franziskus von Assisi mit dem Sultan Malik al-Kamil im Jahr 1219,
in: John Tolan: Le Saint chez le Sultan - La rencontre de François d'Assise et de l'islam.
Huit siècles d'interprétation. Paris: Seuil 2007, 504 pp., Ill., index:
Reinhard Kirste
Rz-Petrus Martyr-Legatio, 23.12.2015
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