Michaela Sohn-Kronthaler / Willibald Hopfgartner OFM /
Paul Zahner OFM (Hg.):
Zwischen Gebet, Reform und sozialem Dienst.
Franziskanisch inspirierte Frauen in den Umbrüchen ihrer Zeit
Theologie im kulturellen Dialog, Band 29,
Tyrolia-Verlag Innsbruck-Wien 2015, 315 S., Personenregister
--- ISBN 978-3-7022-3392 ---
Paul Zahner OFM (Hg.):
Zwischen Gebet, Reform und sozialem Dienst.
Franziskanisch inspirierte Frauen in den Umbrüchen ihrer Zeit
Theologie im kulturellen Dialog, Band 29,
Tyrolia-Verlag Innsbruck-Wien 2015, 315 S., Personenregister
--- ISBN 978-3-7022-3392 ---
Der vorliegende Band gibt die Vorträge eines
Symposiums wieder, das die Franziskanerprovinz Austria und die Theologische
Fakultät in Graz im Oktober 2013 ausrichtete. Diese Tagung nimmt Themen auf,
die ähnlich den früheren den Zusammenhang mit der franziskanischen
Spiritualität verdeutlichen: 2011 gingt es um Frieden, dokumentiert in „Pax et Bonum“ (2012). Rezension hier:
Das Symposium 2012 (veröffentlicht 2013) war ökologisch
ausgerichtet:
Die Schöpfung lesen. Die Natur zwischen Mystik und Missbrauch:
Die Schöpfung lesen. Die Natur zwischen Mystik und Missbrauch:
Der Schwerpunkt liegt dieses Mal auf franziskanisch
inspirierten Frauen in Vergangenheit und Gegenwart.
Die vorliegenden Beiträge heben
gewissermaßen die intensive weibliche Seite der Wirkungsgeschichte des
Franziskus von Assisi besonders hervor. Die Herausgeber/innen des Bandes sind
anerkannte Experten auf diesem Gebiet: Die Grazer Kirchenhistorikerin Michaela
Sohn-Kronthaler, der Junioratsleiter des
Franziskanerklosters Graz, Willibald Hopfgartner OFM und der Leiter des Fortbildungsbereichs des Grazer
Franziskanerkonvents und Studierenden-Mentor Paul Zahner OFM. Hinzu kommen als AutorInnen kompetente Ordensfrauen
und bekannte Historikerinnen, Sozialwissenschaftlerinnen sowie ein
Kunstgeschichtler und ein Kirchenhistoriker.
Wie vielfältig die
franziskanische Frauentradition zwischen strenger Kontemplation, Krankendienst und Schulbildung war und ist, zeigen die verschiedenen Beiträge, die
auf die neue
Lebensform der Klara von Assisi, und dann auch der Elisabeth von Thüringen
Bezug nehmen und bis in die Gegenwart hineinwirken. Das Vorwort macht bereits auf die spirituelle und zugleich aktive
Variante franziskanischen Lebens aufmerksam. Die Kirchenhistorikerin Adriana
Valerio (Universität Neapel)
verdeutlicht dies im ersten Beitrag an zwei recht unterschiedlichen
späteren Jüngerinnen des hl. Franziskus: Angela von Foligno
(1248–1309) und Maria Lorenza Longo (ca. 1460–1539). Und doch sind beide
vereint in der Haltung, mit Christus gleichförmig zu werden und in barmherziger
Liebe zu wirken. Das gilt besonders gegenüber den Armen und Ausgestoßenen. Mit Elisabeth von Thüringen (1207–1231) beschäftigt
sich der Beitrag des Kunsthistorikers Harald Wolter-von dem Knesebeck (Universität Bonn): Bilder in Büchern – Bilder im Herzen. Er
zeigt anhand der Illustrationen und der Sprache der monastisch orientierten Landgrafenpsalterien
sowie des eher höfischen Elisabethpsalters, dass diese für Elisabeth als
geistliche Hilfsmittel zunehmend an Bedeutung verloren. Ihre (asketische) Verinnerlichung
und Nachfolgeorientierung am armen Christus spielt bereits für die im Geist des
hl. Franz entwickelte Ordensregel der hl. Klara
von Assisi eine wesentliche Rolle. Diese speist sich jedoch noch aus
einigen anderen (mittelalterlichen) monastischen Lebensregeln. Darauf verweist der
Mitherausgeber Paul Zahner. Um bei der Verinnerlichung zu bleiben: Sie
findet ihren besonderen Ausdruck in der mystischen Sprache, die die Erfahrung
der Liebe vielfältig variiert. Die Religionswissenschaftlerin Theresia
Heimerl (Universität Graz) führt
dies an Angela de Foligno (s.o.) und
der Begine Mechthild von Magdeburg (um
1208–1282) vor: Eine Spannung von asketischer Strenge, Leidenserlebnis und
visionärer Ekstase. Die intensive Jesusliebe verbindet sich mit poetisch
starker Ausdruckskraft.
Die Theologin Susanne Ernst (Salzburg) steuert
ein weiteres frauenmystisches Lebensbild bei, das der Katharina Vigri (1413–1463).
Diese
Klarisse, als hl. Katharina von Bologna bekannt
geworden, lebte konsequent nach der „Form des Evangeliums“ (S. 89). Sie verstand
das Ordensleben als Nachfolge Christi im Sinne einer inkarnatorischen Mystik, als
ganz menschliches Hören, Sehen, Fühlen und Verkosten, umgesetzt in Musik, Tanz,
Malerei, Schriftkunst, Grafik bis zum sinnlichen Verkosten der Hostie. Diese
spirituelle Sinnlichkeit findet man auch bei der Klarissin Caritas Pirckheimer (1467–1532). Sie gerät in die kirchlichen und
gesellschaftlichen Umbrüche der Reformation. Dies beschreibt die
Kirchenhistorikern Barbara Henze (Universität
Freiburg/Br.): Der protestantische Stadtrat in Nürnberg auf der
einen Seite und die Klarissen mit Frage des Gehorsams gegenüber den Ordensgelübden
auf der anderen Seite verschärften die Frage nach der Glaubensfreiheit. Die
wahre christliche Freiheit besteht jedoch „im Geist“. In der Spannung der
Auslegung der Rechtfertigungslehre fühlte sich Caritas Pirckheimer Melanchthon
näher als Luther. Melanchthon vermittelte offensichtlich auch, dass der
Klarissenkonvent in Nürnberg nicht aufgelöst, allerdings in seinen Funktionen
beschränkt wurde. Nun hatte selbst der ehemalige Augustinermönch Luther durch
seine eigene Heirat mit einer Nonne eine innere Verbindung von Ordensregel und
Familie hergestellt (S. 134). So verstanden sich die humanistisch gebildeten Schwestern
als durchaus mündige Auslegerinnen der Hl. Schrift und beriefen sich damit
zugleich auf ihre Ordensgründerin, die hl. Klara.
Historisch
und zugleich aktuell ist der Beitrag von Bonaventura Holzmann OSE, Generaloberin der Elisabethinnen
in Graz. Sie stellt kurz den Beginn des Ordens mit Apollonia Rademecher in Aachen seit 1622 vor und die unmittelbar
damit zusammenhängende Gründung in Graz (1693/94). Vorbild im Zusammenhang von
Kontemplation sowie Solidarität und Engagement für die Armen und Kranken bleibt
weiterhin Elisabeth von Thüringen. Sehr passend schließt sich hier unmittelbar
der Beitrag der Mitherausgeberin Michaela Sohn-Kronthaler an. Sie bietet einen aufschlussreichen
Einblick in das aufblühende Leben von Frauenkongregationen
im deutschsprachigen Katholizismus des 19. Jahrhunderts. Die Namen der Frauen
sind teilweise wenig bekannt. Die franziskanische Regel gilt sowohl für die
klassischen Männer- und Frauenorden wie auch für die Dritten Orden (Terziarer)
als Orientierung für die unterschiedlichen Handlungsfelder der jeweiligen
Konvente. Das zeigt sich gerade in der verstärkten Gründung von Terziarinnen-Kommunitäten.
Sie sind damit zugleich Teil des Aufschwungs religiöser weiblicher
Genossenschaften (S. 165). Dass ausgerechnet die franziskanische Regel so
großen Anklang fand, dürfte mit neuer religiöser Suche angesichts der großen
Veränderungen in der Gesellschaft, besonders den teilweise katastrophalen
sozialen Folgen der Industrialisierung im 19. Jh. zu tun haben. Beispielhaft
führt dies Katharina Ganz,
Generaloberin der Kongregation der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu OSF, vom
Kloster Oberzell (Würzburg) vor: Der „katholische Jungfrauenverein“ der Antonia Werr (1813–1868) kümmerte sich
zuerst um „verwahrloste Personen weiblichen Geschlechts“ (S. 191), keineswegs
immer zur Freude der kirchlichen Hierarchie. Schwerpunkt ihrer Arbeit aber
wurden die von der bürgerlichen Gesellschaft ausgestoßenen Frauen, denen
Antonia Werrs besondere Zuwendung und die Wiederherstellung ihrer Menschenwürde
galt. Denn gerade in ihnen offenbarte sich Gottes Verletzlichkeit wie in einem
Kind. Daher rührt der Name dieses Terziarinnen-Ordens. Diese Haltung erinnert
in vielem auch an die Gründung der protestantischen Diakonissenhäuser.
Auf
den politisch anti-liberalen Schweizer Kapuzinerpater Theodosius Florentini (1808–1865)
kommt der Kirchengeschichtler Markus Ries
(Universität Luzern) im
Zusammenhang mit dessen Gründung von zwei Frauenkongregationen kritisch
sichtend zu sprechen. So versuchte Florentini durchaus als Sozialreformer im
Gegensatz zum „rationalistischen“ Staat, Armenpflege zu betreiben und
klösterliche Fabriken aufzubauen. Einige der in den Konventen wirkenden Frauen
entwickelten jedoch eigenständige Wege, was zu bedrohlichen Krisen führte. Die
inzwischen selbständig gewordene Kongregation in Ingenbohl wurde von Sr. Maria Theresia Scherer keineswegs ohne erhebliche Spannungen
gegenüber dem sich patriarchalisch gebärdenden Gründer geführt. Dies alles
zeigt, die Problematik eines Mannes „der seine Ideale zum Maßstab machte“ (S.
224) – offensichtlich auch gegen die Frauen!
Über
die eigene Region hinaus führt der Mitherausgeber Paul Zahner OFM mit
der Vorstellung und Hintergrundinterpretation eines Briefes, der sich auf die Missionsreise von Schweizer Kapuzinerinnen
im Jahre 1888 sowie deren Erfahrungen in Lateinamerika bezieht. Besonders in
Kolumbien, Brasilien, Ecuador, Peru und Panama entstand so eine intensive
soziale Wirksamkeit bis heute. Mit dem Beitrag von Gisela Fleckenstein OFS (Stadtarchiv Köln) wird die Geschichte der franziskanischen Terziarer-Ordens-Regeln
im 19. Jahrhundert, besonders unter Papst Leo XIII. bis hin zum „Ordo
Franciscanus Saecularis“ (OFS) von 1978 verdeutlicht. Ende des 19. Jh.s faktisch
zum Gebetsverein (S. 249) geworden, konnten sich die Mitglieder durch ihre
fromme Tagesgestaltung und ihre wohltätigen Werke als gute Christen fühlen.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Struktur der Terziarer-Orden (Franziskaner und
Kapuziner) klarer und durch die Regel von 1978 verändernd konzipiert:
„Geistliches Leben in der Welt in Eigenverantwortlichkeit“ (S. 259), und zwar
im Sinne der spirituellen, liturgischen und missionarischen Konzilsreformen
durch das 2. Vaticanum.
Mit
der sozialrevolutionären Philosophin Simone
Weil – jüdischer Herkunft – (1909–1943), die sich zur Mystikerin wandelte,
beschäftigt sich Willibald Hopfgartner OFM (Graz). Da sie von Kindheit an durch großes Gerechtigkeitsbewusstsein
geprägt war, sah sie sich besonders herausgefordert, ihr Leben mit den
Schwachen und Ausgebeuteten zu teilen. In dieser Weise lebte sie achtsam die
„compassio Christi“, vielleicht ohne den letzten Schritt zu tun, nämlich sich
christlich taufen zu lassen. Vorbild und Ansporn wird ihr dabei der Hl. Franz
in seiner Betonung der Nächstenliebe in direktem Zusammenhang von Armut und
Machtlosigkeit. Zugleich verbindet sich bei ihr damit die Schönheit der
Schöpfung Gottes.
Vgl. auch die Anmerkungen zu Simone Weil von
Elisabeth Pernkopf in „Sehnsucht Mystik“ (2011, S. 226–229): http://buchvorstellungen.blogspot.de/2012/01/sehnsucht-mystik.html
Den Abschluss des Bandes bilden kritische Überlegungen von Rebeka
Anić SSFCR (Ivo Pilar Zentrum Split) über die „Männerkirche“. Sie stellt
die dominante hierarchische
Ekklesiologie in Frage. Sie bezieht sich Galater 3,28 und fordert aus dem
franziskanischen Geist heraus eine Kirche, die die gleichwertige Bezogenheit von
„apostolisch-petrinisch“ und „marianisch“ ernst nimmt. Sie unterlegt ihre
Forderung mit ihrer eigenen Biografie und theologischen „Karriere“. Das 2. Vaticanum hat
hier tatsächlich Umstrukturierungen gebracht. Aber praktische Veränderungen der
Kirche können nur über eine Theologie, die in Beziehungen denkt, ermöglicht
werden, und zwar durch eine „demutsvolle Ekklesiologie“, in der „der
Antagonismus zwischen Frauen und Männern aufgehoben sein“ muss (S. 301).
Bilanz
Insgesamt ist dies ein spannendes Buch, und zwar deshalb, weil offensichtlich aus dem franziskanischen Geist heraus eine kontinuierliche Reform der Kirche immer wieder zur Sprache gebracht und praktisch eingefordert wird. Das erinnert durchaus an das Wort der „ecclesia semper reformanda“, eine Kirche, die sich immer verändern muss (so bei Augustinus, Karl Barth, Hans Küng, im Vaticanum II: Lumen Gentium). Franziskanerinnen und Franziskaner scheinen auf Grund ihrer Geschichte dabei besonders erfahrene und darum wichtige Kooperationspartner/innen „in den Umbrüchen der Zeit“ zu sein.
Insgesamt ist dies ein spannendes Buch, und zwar deshalb, weil offensichtlich aus dem franziskanischen Geist heraus eine kontinuierliche Reform der Kirche immer wieder zur Sprache gebracht und praktisch eingefordert wird. Das erinnert durchaus an das Wort der „ecclesia semper reformanda“, eine Kirche, die sich immer verändern muss (so bei Augustinus, Karl Barth, Hans Küng, im Vaticanum II: Lumen Gentium). Franziskanerinnen und Franziskaner scheinen auf Grund ihrer Geschichte dabei besonders erfahrene und darum wichtige Kooperationspartner/innen „in den Umbrüchen der Zeit“ zu sein.
Reinhard Kirste
Rz-Sohn-Kronthaler-franziskanisch,
31.12.15
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